vierte Auflage
Leipzig
1889
—
Sonett (ital.,
Klanggedicht), kleines Gedicht von bestimmter Form, bestehend aus 14 (in der
Regel iambischen) Zeilen, von denen die ersten 8 und die letzten 6
miteinander reimen und zwar so, daß die 8 ersten, in zwei Strophen von je 4
Zeilen zerfallend (Quarternarien oder Quartrains), nur zwei Reime haben,
welche je viermal anklingen und in dem Verhältnis der Reimumschlingung zu einander
stehen (abba abba), die 6 letzten dagegen, in zwei Strophen von je 3 Zeilen
zerfallend (Terzinen), mit zwei oder auch drei Reimklängen beliebig wechseln
können (cdc cdc, cde cde, cde dce ec.). Das S. ist eine ebenso schöne wie
kunstvolle, aber auch schwierige Form für die reflektierende Lyrik, weil sie
nicht nur einen bedeutenden Reichtum an Reimen erfordert, sondern auch die
innere Gedankenordnung sich genau den Abteilungen anschmiegen soll, nicht
bloß so, daß mit der 4., 8. und 11. Zeile eine Sinnpause eintreten muß,
sondern die Art des Gedankenvortrags soll auch mit jeder neuen Strophe eine
neue Wendung nehmen. Unbedingt verpönt ist namentlich das Herüberziehen des
Satzes aus der 8. in die 9. Zeile. Hervorgegangen aus der provencalischen
Poesie, fand das S. in der Mitte des 13.ten Jahrh. in die italienische Poesie
Aufnahme. Die erste regelmäßige Gestalt gab ihm Fra Guitone von Arezzo, die
höchste Vollendung Dante
und Petrarca;
im übrigen ist die Zahl der italienischen Sonettendichter unendlich. |
In Frankreich ward das S. erst im 16. Jahrh.
wieder aufgenommen, aber als Bouts rimes zum leeren Witz- und Reimspiel
herabgewürdigt. Auch in England, wohin es durch Howard Graf Surrey verpflanzt
ward, war es eine Zeitlang Modeform (Shakespeare).
In Spanien haben sich Boscau, Garcilaso de la Vega, Mendoza ec., in Portugal
namentlich Camoens
als Meister des Sonetts ausgezeichnet. In der deutschen Poesie finden sich
Anklänge an das S. bereits bei Walther von der Vogelweide. Eigentlich
eingeführt ward es zuerst von Weckherlin
und Opitz
(in Alexandrinern) und unter dem Namen Klanggedicht bald mit Vorliebe (Gryphius, P. Fleming
ec.) bearbeitet. Später geriet es wieder in Vergessenheit, bis es durch Bürger und dann durch die romantische Schule von
neuem aufgenommen und mit Eifer kultiviert wurde. Treffliche deutsche Sonette
haben Schlegel,
Goethe, Rückert, Platen, Chamisso, Herwegh,
Geibel,
Strachwitz
u. a. geliefert. Sonettenkranz ist eine Reihe von 15 Sonetten, von denen 14
durch ihre Anfangs- oder Endzeilen das 15., das sogen. Meistersonett, bilden.
Vgl. Tomlinson, The sonnet, its origin, structure etc. (Lond. 1874); Welti,
Geschichte des Sonetts in der deutschen Dichtung (Leipz. 1884); Lentzner,
über das S. in der englischen Dichtung (Halle 1886). |