Dirk Schindelbeck               Der Meiler

*1952

© beim Autor                             An dieser Stelle geht der Strom viel breiter,

hier enden Rohre in dem Ufersumpf.

Dahinter laufen in die Ferne weiter

Weiden, hier steigen Blasen kurz und stumpf.

 

Umzäunt, gigantisch steigt hier aus der Fläche

aus grünem Tuch die blendend weiße Mütze.

Dran leckt das Licht; es schimmert, brüllt von Hitze,

darunter knistern Energienköche.

 

Weitab ins Landhaus weht ein Grün so kühl

von Wegerändern frühlingsangesäumt,

ein Gärtchen streckt sich bunt im Abendhimmel.

 

Vereine sammeln sich zum Fußballspiel,

und wie der Torwart noch die Zeit verträumt,

steigt auf die Brote rosazart der Schimmel.

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Nach der Wahl

*1952

© beim Autor                                      Am Abend trifft man sich bei bestem Appetit.

Das hat gepasst: Die Wahl ist optimal gelaufen

und jedem winkt ein Amt: ein Grund, sich zu besaufen!

Die Stimmung steigt. Man singt vereint zu zweit, zu dritt.

 

„Verteidigung für Franz!“ – „Da kriegt er mal was mit...“ -

„Vorausgesetzt, er lässt sich von der Wirtschaft kaufen!“  -

Gejohl! – Der Franz schäumt auf und fängt gleich an zu raufen.

Die Stimmung kippt. Nanu? Fehlt etwa schon der Kitt?

 

Verstimmung, Krach und Knall! Mit etlichen Anhängern

verlässt der wüste Franz den Saal. Mit deutlich längern

Gesichtern bleibt zurück des Kabinettes Rest.

 

Schon formuliert sich Angst um die versprochnen Posten:

der Kanzler wiegelt ab: „Uns wird’s das Amt nicht kosten,

doch ihn, den Franz: Wir stehn in Posten-Treue fest.“

 

 

 

 

 Dirk Schindelbeck              Turnerin am Stufenbarren

*1952

© beim Autor                             Sie bringt sich hart in Anschlag. Publikum

verwächst, zerbröckelt ferne. Leidenschaft

gestaut im Atemholen: Katzenhaft

mit ausgestreckten Armen schwingt sie um.

 

Ein Gleitendes wächst auf, ein Heldentum

der puren Sehne. Ungemein gestrafft

erpresst der Muskel letzte Haltekraft

zum Handstand auf dem Holz: Martyrium.

 

Und im Moment auch kippt der Körper nicht,

dann wirkt die Schwere plötzlich, und gewitternd

zieht träge Masse nieder, und die Stangen

 

des Barrens fangen fliehendes Gewicht

in Rundbewegung, Abschwung, Stand ein. Zitternd

atmet sie aus, hat Beifall angefangen.

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Popperpaar im Frühling

*1952

© beim Autor                                      Karottenhose auf der Blumenwiese,

und Joggen dort zu zweit. Wie das befreit

von sturer langer Discoeinsamkeit:

Da fühlt man gleich sich wie ein junger Riese.

 

Und neckisch packt der Rolf die Anneliese

an ihren Knospen: „Rolf, bist du gescheit!

Die Bluse knittert doch!“ O Frühlingszeit,

o Zeit der neuen Seelenanalyse.

 

„Irrsinnig dieser Tag! Ich wird fast krank...

He, Liz, dort unten: komm, da steht `ne Bank.

Hey, tut das gut!“ – „Willst du ’ne Reyno, Rolf?“

 

„Mercie, Cherie. Irrsinnig! Reine Freude,

wie das erfrischt!“ – und lachend springen beide

mit roten Köpfen in den weißen Golf.[1]

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Herd und Kessel

*1952

© beim Autor                         Ein trockner Holzscheit alte Glut entfacht,

und Flämmchen zügeln, klammern sich an ihn,

lecken an einem abgespreizten Kein,

und wieder prasselt Feuer in dem Schacht.

 

Ein zweiter Scheit: und wie es spotzt und kracht

und Luft sich schafft mit raschem Atem-Ziehn!

Und langsam fängt das Eisen an zu glühn

für einen Glühwein, einen Tee zur Nacht.

 

Der Kupferkessel stand und ruhte aus

den langen Nachmittag: Nun leckt das Feuer

an seinem Boden – leise pfeift und zischt

 

das Element und gähnt noch, äugt hinaus

und stemmt sich, steiget, brodelt, ungeheuer,

und auf der Platte dampft die Perlengischt.

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Das Kesselfleisch    

*1952                                                     (Notizen in einer Gartenwirtschaft)

© beim Autor

„Zum kühlen Grunde“ lockt, von reichlich Lindenbäumen

beschirmt, von Jägerzaun begrenzt, die Strauss-Wirtschaft.

Hier liegt das Wachstuch aus rot-weiß und hübsch gestrafft.

Die Wirtin äugt herum, schon Gläser abzuräumen.

 

Schön gleitet Zeit dahin mit Schwätzen, Trinken, Träumen.

Die gute Sonne scheint, wie selten, meisterhaft.

Es saust der Wein, das Bier steigt auf mit großer Kraft,

allein das Kesselfleisch will noch nicht richtig schäumen.

 

Da kommt ein Schwarzer an. In einem Jaguar!

Mit einer blonden Frau am Arm! Das ist nicht wahr!

Das gibt es nicht! Infarkt bedroht jetzt die Idylle.

 

Das Paar sucht einen Tisch. Jetzt schäumt das Kesselfleisch

und tobt im Topf. Doch dann wird alles stumm und keusch:

Die Frau reicht ihrem Mann die schwere Blindenbrille.

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Der Bogen    

*1952                                                     (nach der bekannten Lessingschen Fabel)

© beim Autor

Es sprach zu seinem Bogen einst ein Schütze:

„Du bist mir wert, du treffliches Gerät!

Wie trifft der Pfeil doch, den ich für dich spitze!“ -

Doch wie er lang den Bogen hält und dreht,

 

bekennt er: „Leider nur, wie sehr du nütze,

all deine Zierde, Glätte, nicht verrät!

Es sei: der meistbekannte Künstler schnitze

Figuren dir!“ Gesagt, getan, er geht.

 

Der Künstler sinnt, wie er’s vollführen soll:

„Wenn ich wohl Jagdmotive schnitzen würde?

Ein Jagdmotiv gefällt aus Jägersicht!“

 

Der Schütze sieht die Waffe freudevoll:

„Mein lieber Bogen, du verdienst die Zierde!“,

versucht ihn, spannt ihn, und der Bogen – bricht.

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               In ärztlicher Behandlung (wg. Sonett-Psychose)

*1952

© beim Autor                                      Ich liege fürstlich weich und denk an alles Schöne:

Küsst meine Stirn ein Traum? Hör ich schon Sphären-Klang?

Mir scheint, da brüllt ein Wort. Jetzt flötet’s wie Gesang.

Ich fühl mich schweine-wohl, ich lächle, staun und gähne.

 

Mein Mund lallt willig mit und phantasiert schon Töne,

die folgen einer Kraft von Vers zu Vers entlang

bis in ein Kling-Gedicht.[2] O Wiederholungszwang!

Der Schweiß, er bricht mir aus: ich röchle, schluck und stöhne.

 

Mein Zwangscharakter quetscht mir Metren aus dem Hirn:

„Herr Psycho-Therapeut: Kühl er doch meine Stirn:

Ich fühl mich hündisch klein, ich stöhne, schluck und röchle!

 

Reich er mir ein Klistier, vollende er den Akt!

Habt Dank! Schon fließt der Druck hinaus in Artefakt!“[3] -

Ich fühl mich schweinisch frei und gähne, staun und lächle.

 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Die Parabel von den Stachelschweinen   

*1952                                                   (Sonett-Stückchen nach Arthur Schopenhauer)

© beim Autor

Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte

an einem Wintertag sich eng zusammen,

sodass ein jedes, seine kälteklammen

Glieder erwärmend selber Wärme schenkte.

 

Als jedes dann des Nachbarn Stacheln fühlte,

ward es getrieben diesen mehr zu meiden,

doch als ihm selbst darauf die Wärme fehlte,

drängt es sich an ihn – an das erste Leiden.

 

So, zwischen diesem Übel und dem andern

begannen sie nun hin und her zu wandern

und fanden endlich halb-bequeme Mitte.

 

So, zwischen Eintracht, zwischen Streit

sie nannten’s – glaub ich -  Höflichkeit

und feine Sitte.

 

 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Super-Marktlücke - Saurier-Relaunch     

*1952

© beim Autor                             Es kam die Kreidezeit mit üppigem Gewächs;

auch bei den Tieren ward Gigantisches geboren:

auf riesig großem Leib nur Minihirn und -ohren

wie Stegosaurus und Tyrannosaurus Rex.

 

Sie stampften plump dahin, nach Nahrung unterwegs,

bis sich dann eines Tags – Einfall von Meteoren? –

das Klima änderte. Nun waren sie verloren

und starben jämmerlich als Genus, Rasse, Sex.

 

Indes: es war ihr Glück, dass ihre so enormen

Skelette, dem Morast entrissen, ihre Formen

uns aufbewahrten: welch phantastischer Relaunch!

 

Auf T-Shirts und auf Slips erstanden sie uns wieder,

als Gummifrucht und Keks: Opinion-Leader

sind Kinder: ihnen dankt und prostet zu die Branche. 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Die Redemaschine 

*1952                                                   (Hommage an H. Kohl, A. Merkel zur Einübung)

© beim Autor

Dies ist das Top-Gerät mit Argument-Vernichter

und Kontrahent-Membran; es misst die Akzeptanz

der Gegner, wandelt sie in eigene Brillanz.

Die lose Sympathie saugt ab der Beifall-Trichter.

 

Wir wählen „Interview“: gleich wird der Satzbau schlichter,

der Sinn-Verdreher wirkt, es steigt die Penetranz,

und unser Kandidat gewinnt die Dominanz,

was klar der Messwert zeigt. Wir hören mal - so spricht er:

 

„Ach wissen Sie, Herr Lueg, wir führen Diskussionen

in aller Deutlichkeit um Sachen, nicht Personen.

Ich äußere mich dann, wenn wir beraten haben!“

 

Moral-Gebläse ein! Wie leidend und betroffen

sitzt unser Held das aus – „Ich sag das hier ganz offen:

Mit Herz und Augenmaß mach ich die Hausaufgaben.“  

 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Elefantenrunde nach der Buchmesse

*1952                                                   (MRR seligen Angedenkens)

© beim Autor

Macht hoch die Tür! Jetzt kommt das Kritiker-Quartett:

Ranicki moderiert die Schlacht der klugen Hirne.

Karasek schwitzt und presst sich Phrasen aus der Birne.

Die Löfflerin aus Wien schaut angeekelt nett.

 

Von Matt bleibt vorerst matt, wird bei Bedarf konkret.

Aufschäumend deklamiert Ranicki, er erzürne

ob dieser Bücher-Flut. Wer biete dem die Stirne

als er? – und grabscht die Hand der Löfflerin kokett.

 

Zuviel gedruckter Schund, der besser nicht geschrieben,

der Walser ohne Kraft, der Handke muss noch üben,

wann kommt er, der Roman, den er erwartet seit...

 

Das war sie wieder mal, die schöne Sende-Zeit.

Ranicki bleibt im Bild als fletschende Grimasse,

durch die ein Wortbrei fließt – der Abspann erster Klasse.

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Liebesbriefe hin und her

*1952

© beim Autor

1

 

„Auf rundem Höcker, grünem Schwarzwaldhügel

da sitz ich einsam, doch in schöner Höhe,

und talab, rings um mich, soweit ich sehe,

zinnoberrot der Scheunendächer Ziegel.

 

Und wie ich schaue, wachsen mir wohl Flügel

der Sehnsucht, fast greif ich der Wolken Nähe...

und plötzlich merk ich, dass ich irrend gehe:

Da finden meine Sinne wieder Zügel.

 

So geht’s all denen, die sich leicht vergessen

um einer Schönheit, einer Sehnsucht willen:

Zuletzt muss der Verstand die Sinne kühlen.

 

Doch immer werden Menschen sich vermessen,

die so ihr Liebstes tragen und im Stillen

und in die Ferne sich gebunden fühlen.“

 

 

 

2

 

„Die volle Woche ist nun hingegangen,

seitdem wir uns den letzten Abschied gaben.

Ich sah dich an, gestand nicht, Furcht zu haben

und hatt sie doch und war darin gefangen.

 

Die Zeit verging, wie Schatten aber schlangen

die Sorgen sich dir nach. Der Weg, der Graben,

das Wirtshaus, wo du anhältst, dich zu laben:

Das alles macht mich unruhig, lässt mich bangen.

 

Ich sehe dich erwachen früh am Morgen,

ich seh dich rasten in der Bäume Kühle,

wenn heiß am Mittag dich die Sonne quält.

 

Hab ich dich eingeholt mit meinen Sorgen?

Nun glaub ich fast, dass ich dich atmen fühle –

Was hab ich nur getan, dass mir nichts fehlt?“

 

 

(abgedruckt in: Wir träumen uns. Gedichte über Sehnsucht, Liebe, Heimat und Abschied, Edition L, Hockenheim 2005, S. 26)

 

 

3

 

„Ob du’s errätst, mein kleines Spielchen heute?

Die Briefe all, die du mir lieb geschrieben,

als bunte Reihe vor mir umzuschieben

wie kleine Schicksalskarten, ausgestreute.

 

Ich denke, wie mich jeder traf und freute

und öffn’ ihn wieder, lese nach Belieben

vergangnes Scherzen, Lachen und Betrüben

und seh den Abschiedstag, als wär er heute.

 

Ich hatte schon gepackt die Reisetasche –

die Stunde kam, ich sah mich bang mich wenden,

war so gelähmt und wollt doch so gern handeln.

 

Schon griffst du Tasche, Beutel, Wasserflasche –

Ich suchte, einen Gruß dir nachzusenden –

Fandst du im Mantel sie, die Zuckermandeln?“

 

 

 

4

 

„Nun sitz ich stundenlang schon über Zeilen

und weiß mich nicht zu regeln, nicht zu fassen -

so eifrig! Aber glaube mir, es lassen

die Worte sich nicht öffnen ohne Feilen.

 

Da packt mich zwanghaft lähmendes Verweilen,

ich breche aus, ich schreibe Seitenmassen;

zum Schluss will ich mein eignes Machwerk hassen

und kann’s nur halb und will es halb noch heilen.

 

Doch ist’s ein Brief! Nur Mut, dass ich ihn falte

und gleich versiegle und nicht wieder lese

und gleich zur Post ihn gebe, gleich – ich wag es.

 

Nur, Liebster, frage nicht, was er enthalte:

es ist ja nur mein Alltag – sei nicht böse –

es ist der Spiegel meines guten Tages.“

 

 

5

 

„Zum guten Schluss bist du mir hier geblieben,

obwohl mir schien, da sei heut kein Erweichen,

denn also deutlich setztest du mir Zeichen,

die neue Arbeit dulde kein Verschieben.

 

Du seist gefragt und offen angeschrieben,

was anderen versagt, auszugleichen.

Mit Kraft und Mut sei an das Ziel zu reichen –

so sagtest du um vier – jetzt ist es sieben.

 

So sehr ich mich des schönen Auftrags freue,

gewöhn ich mich noch längst nicht an dein Denken

und frag nur: Musst du mich nicht bald verlassen?

 

„Natürlich, aber glaub nicht, ich zerstreue

mich leicht bei dir und weiß nicht einzulenken:

Ich kann doch hier nur Mut und Kräfte fassen.“ 

 

 

6

 

„So nimm noch dies und das und dieses kleine,

dies letzte Wort soll mich zu dir geleiten,

und spricht es auch so manche Nichtigkeiten,

die mir entgleiten, die ich so nicht meine –

 

ich weid mich doch so gerne an dem Scheine,

dir voll und reich zu geben: all die Seiten

geschriebner Neigung gütig auszubreiten,

ich weiß, du tust es, setzt es Dir ins Reine.

 

Wie schwankt mein banges Selbst dann hin und wider -

das arme Herz, das schmachtet und zugleich ist

so aufgewühlt, so glücklich und zerrissen.

 

Bald zieht’s mich hoch – ich folg – bald stößt’s mich nieder,

da graust es mir, wie das so abgrundreich ist

und endet immer gleich: Ich will dich küssen.“  

 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Mein Klongerät und ich

*1952                                                     (alles in OBI)

© beim Autor

 

„Ich brauch ein Klon-Gerät“ – „Wie bitte?“ – „Was zum Klonen,

verdoppeln will ich mich, ich bin zu sehr gestresst,

die Nerven liegen blank. Mein Wille steht längst fest,

dass ich mich jetzt verteil auf vier bis sechs Portionen.“

 

„Wie bitte?“ – „Besser zehn! Das dürfte sich dann lohnen,

wenn sich, sofern die zehn sind makellos gepresst,

mein Ich in Serie dann produzieren lässt:

Auch ließ ich zwei bis drei der Burschen bei mir wohnen.“

 

„ Verstehn Sie...“ – „Wenn ich nur schon diese Hohlform hätte:

Ein Abguss macht sich schnell, und meine Silhouette

steht auf als Dummy Eins und läuft...“ – „Mein Herr, ich glaub...“

 

„Nimmt man als Menschenteig noch Lehm und bläst dem Teigling

danach das Leben ein?“ – „O Herr...“ – „Und das Recycling?

zerfallen sie wie ich auch rückstandslos zu Staub? - - -“ 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Deutschlandrausch 1989/90

*1952

© beim Autor                                      Triumph! Dies deutsche Land - Triumph! - brutal zerrissen

- Triumph! – ist wieder eins und feiert sich! Triumph!

Dies Monstrum zweier Köpf’ auf einem einzgen Rumpf

wird bald zum Super-Ich – Triumph! – zusammenfließen.

 

Triumph! Geschichte lebt! O lasst uns sie genießen!

Ihr weiter Mantel rauscht und riecht nicht einmal dumpf!

O dies ist Qualität – Triumph! Triumph! Triumph! –

von Revolution mit reinlichstem Gewissen!

 

Die Mauer schnell beklebt mit bunter Sticker Flut:

„Go west!“ – „Ich bin so frei!“ und  „Otto find ich gut!“

Da kommt McChicken! Sieg! Und jagt hinweg den Broiler!

 

Wir steigen jetzt – Triumph! – aufs Brandenburger Tor!

Wir stehen oben: Volk! Und unten schiebt sich vor

ein Trabi frech und grün mit einem neuen Spoiler.

 

 

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Alternative Stadtrundfahrt

*1952

© beim Autor                                      „Und Achtundachtzig gabs die letzte Hausbesetzung

hier in dem Block: legal, sogar mit Mietvertrag.

Die Maske aber fiel dem Spekulantenpack

bald runter: Ihnen stank, was abging an Vernetzung.

 

Prozess, dann Bullen dick: Nach einer echten Schätzung

dreihundert Mann. Das Haus war danach nur noch Hack.

Stark unsre Demo drauf, ging bis zum nächsten Tag:

Spießbürger, wutentbrannt, beklatschten die Entsetzung.

 

Die Demo supergeil - ein halber Karneval -

selbst Junkies machten mit und eine große Zahl

an Alkis, Schwulen, Punks, Anarchos und Emanzen.

 

Dann blies der Bullen-Boss zur Demonstranten-Hatz:

Wir tankten uns noch durch bis auf den Rathausplatz

und sahn noch den OB sich auf dem Klo verschanzen.“

 

 

 

 

Dirk Schindelbeck               Baugrube

*1952

© beim Autor

Der Baggerführer prüft den Untergrund:

Hier scheint der große Löffel angemessen;

Der Bagger baggert flott, es läuft recht rund.

Dann Pause: BILD mit Busen, Stullen essen.

 

Die Kipper fahren Schutt und Abraum weg.

Gebunkert ist für alle schon das Bier.

Die Spatenknechte stehn nur faul im Dreck

und schippeln müde. Dann kommt der Polier. 

 

Am Abend ist das Aushubziel erreicht.

Es ragt ein letztes korrodiertes Rohr

links unten aus der Lehmwand dreist hervor.

 

Ein Spatenknecht geht hin und dirigiert

den Löffelzahn. Der reißt am Rohr, es explodiert,

der Bagger mit. Sei ihm die Erde leicht.

 

 

 



[1] Cabrio

 

 

 

 

[2] Als „Kling-Gedicht“ wurde das Sonett zu Barockzeiten bezeichnet.

[3] Das Sonett als Gedichtform ist sicherlich ein an dieser Stelle sich vollendendes „Artefakt“