Barthold Hinrich Brockes         Sonett auf den berühmtesten Portrait-Schilderer unserer Zeit

1680 – 1747

Ich füle das Gefül den Augen widerstreben,

Und mein betrog’nes Aug betreugt fast den Verstand;

Denn, er mein Denner, reicht mit seiner Wunder-Hand

Dem Schatten Licht und Leib, den Farben Sel’ und Leben.

 

Der Schönen Liebreiz kann sein Strich so hoch erheben,

Daß vom gemal’ten Stral man spüret wahren Brand:

Es scheinet Zauberey, wenn er, aus Öl und Sand

Formir’tem Fleische, weiß auch Geister einzugeben.

 

Ein Licht, von ihm gemahlt, glänzt mit so lichten Stralen,

Daß oft ein Mücken-Schwarm um kalte Flammen schweb’t.

Würd’ er sein eig’nes Bild in Lebens-Grösse mahlen;

 

Glaub’ ich (da sein Gemähld mehr als das Leben leb’t)

Es ließ sich selbst der Tod, durch solche Gleichheit, äffen,

Und dürft’ aus Irrtum leicht sein Bild, statt seiner treffen.

 

 

 

 

Barthold Hinrich Brockes         Sonnet auf den berühmtesten Componisten dieser Zeit

1680 – 1747

Des grauen Alterthums noch ungeschliffne Zeiten

Beherrscht’, in strenger Wut ein-häuptger Tyrannei,

Bloß durch Unwissenheit, die rauhe Barbarey:

Die denn zwar schwehr, doch nicht unmöglich, zu bestreiten.

 

Durch neuer Lieder Reiz, durch rein gestimmte Saiten,

Macht’ Orpheus grosser Geist aus ihrem Joch von Bley,

Die Thracier, die wild, doch beu-begierig, frey:

Die Löwen liessen sich von ihm, wie Schaafe, leiten.

 

Itzt aber, da die Welt ein schlimmer Joch beschwehrt,

Da aller Wissenschafft Verachtung allgemein,

Da jeder die Music verschmäht, verwirfft, entehrt;

 

Durch Töne bändigen selbst Hertzen, die von Stein:

Scheint Zauberey, Daher es mehr Bewunderns wehrt,

Anitzo Telemann, als damals Orpheus seyn.