Gottfried August
Bürger Der Entfernten
1747
– 1794 (gemeinsam mit A. Schlegel?)
1. Sonett
O wie soll ich Kunde zu ihr
bringen,
Kunde dieser ruhelosen Pein,
Von der Holden so getrennt zu sein,
Da Gefahren lauernd mich umringen?
Hüll ich, der Entfernten sie
zu singen,
In den Flor der Heimlichkeit mich ein:
Ach! so achtet sie wohl schwerlich mein;
Und vergebens muß mein Lied verklingen.
Doch getrost! Zerriß nicht,
als sie schied,
Laut ihr Schwur die Pause stummer Schmerzen:
»Mann, du wohnest ewig mir im Herzen«? –
Diesem Herzen brauchest du, o
Lied,
Des Verhüllten Namen nicht zu nennen:
An der Stimme wird es ihn erkennen.
2. Sonett
Du mein Heil, mein Leben,
meine Seele!
Süßes Wesen, von des Himmels Macht
Darum, dünkt mir, nur hervorgebracht,
Daß dich Liebe ganz mir anvermähle!
Welcher meiner todeswerten
Fehle
Bannte mich in diesen Sklavenschacht,
Wo ich fern von dir, in öder Nacht,
Ohne Licht und Wärme mich zerquäle?
O warum entbehret mein Gesicht
Jenen Strahl aus deinem Himmelsauge,
Den ich dürftig nur im Geiste sauge?
Und die Lippe, welche singt
und spricht,
Daß ich kaum ihr nachzulallen tauge,
O warum erquickt sie mich denn nicht?
Gottfried August
Bürger An August Wilhelm
Schlegel.
1747
– 1794
Kraft der Laute, die ich
rühmlich schlug,
Kraft der Zweige, die mein Haupt umwinden,
Darf ich dir ein hohes Wort verkünden,
Das ich längst in meinem Busen trug.
Junger Aar! Dein königlicher
Flug
Wird den Druck der Wolken überwinden,
Wird die Bahn zum Sonnentempel finden,
Oder Phöbus' Wort in mir ist Lug.
Schön und laut ist deines
Fittichs Tönen,
Wie das Erz, das zu Dodona klang,
Und sein Schweben leicht wie Sphärengang.
Dich zum Dienst des
Sonnengotts zu krönen,
Hielt' ich nicht den eignen Kranz zu werth;
Doch – dir ist ein besserer beschert.
Gottfried August
Bürger An das Herz
1747
– 1794
Lange schon in manchem Sturm'
und Drange
Wandeln meine Füße durch die Welt.
Bald den Lebensmüden beigesellt,
Ruh ich aus von meinem Pilgergange.
Leise sinkend faltet sich die
Wange;
Jede meiner Blüten welkt und fällt.
Herz, ich muß dich fragen: Was erhält
Dich in Kraft und Fülle noch so lange?
Trotz der Zeit
Despoten-Allgewalt,
Fährst du fort, wie in des Lenzes Tagen,
Liebend wie die Nachtigall zu schlagen.
Aber ach! Aurora hört es kalt,
Was ihr Tithons Lippen Holdes sagen. -
Herz, ich wollte, du auch würdest alt!
Gottfried August
Bürger Auf die Morgenröte
1747
– 1794
Wann die goldne Frühe,
neugeboren,
Am Olymp mein matter Blick erschaut,
Dann erblaß ich, wein und seufze laut:
Dort im Glanze wohnt, die ich verloren!
Grauer Tithon! du empfängst
Auroren
Froh aufs neu, sobald der Abend taut;
Aber ich umarm erst meine Braut
An des Schattenlandes schwarzen Toren.
Tithon! Deines Alters
Dämmerung
Mildert mit dem Strahl der Rosenstirne
Deine Gattin, ewig schön und jung:
Aber mir erloschen die
Gestirne,
Sank der Tag in öde Finsternis,
Als sich Molly dieser Welt entriß.
Gottfried August
Bürger Der versetzte Himmel
1747
– 1794
Licht und Lust des Himmels zu
erschauen,
Wo hinan des Frommen Wünsche schweben,
Muß dein Blick sich über dich erheben,
Wie des Betenden voll Gottvertrauen.
Unter dir ist Todesnacht und
Grauen.
Würde dir ein Blick hinab gegeben,
So gewährtest du mit Angst und Beben
Das Gebiet der Höll und Satans Klauen.
Also spricht gemeiner
Menschenglaube.
Aber wann aus meines Armes Wiege
Mollys Blick empor nach meinem schmachtet:
Weiß ich, daß im Auge meiner
Taube
Aller Himmelsseligkeit Genüge
Unter mir der trunkne Blick betrachtet.
Gottfried August
Bürger Die Eine
1747
– 1794
Nicht selten hüpft, dem Finken
gleich im Haine,
Der Flattersinn mir keck vor's Angesicht.
»Warum, o Thor, warum ist denn nur Eine
Dein einziges, dein ewiges Gedicht?
Ha! Glaubst du denn, weil
Diese dir gebricht,
Daß Liebe dich mit Keiner mehr vereine?
Der Gram um sie beflort dein Augenlicht,
Und freilich glänzt durch diesen Flor dir Keine.
Die Welt ist groß, und in der
großen Welt
Blühn schön und süß viel Mädchen noch und Frauen.
Du kannst dich ja in manches Herz noch bauen.«
Ach, Alles wahr! Vom Rhein an
bis zum Belt
Blüht Reiz genug auf allen deutschen Auen.
Was hilft es mir, dem Molly nur gefällt?
Gottfried August
Bürger Die Erscheinung
1747
– 1794
Staunend bis zum Gruß der
Morgenhoren
Lag ich, und erwog den freien Schwur,
Welchen mir ein Kind der Unnatur
Beispiellos gebrochen, wie geschworen.
Da erschien, begleitet von
Auroren,
Die empor im Rosenwagen fuhr,
Jene Tochter heiliger Natur,
Ah! zu kurzer Wonne mir geboren.
Weinend, wie zur Sühne, hub
ich an:
»Wahn, ich fände dich, o Engel, wieder,
Zog ins Netz der Heuchelei mich nieder.«
»Wisse nun, o lieber, blinder
Mann,
Sagte sie mit holdem Flötentone,
Daß ich nirgend als im Himmel wohne!«
Gottfried August
Bürger Für sie mein Eins und Alles
1747
– 1794
Nicht zum Fürsten hat mich das
Geschick,
Nicht zum Grafen, noch zum Herrn geboren,
Und fürwahr nicht hellerswert verloren
Hat an mich das goldbeschwerte Glück.
Günstig hat auch keines Wesirs
Blick
Mich im Staat zu hoher Würd erkoren.
Alles stößt, wie gegen mich verschworen,
Jeden Wunsch mir unerhört zurück.
Von der Wieg an, bis zu meinem
Grabe,
Ist ein wohl ersungnes Lorbeerreis
Meine Ehr und meine ganze Habe.
Dennoch auch dies Eine, so ich
weiß,
Spendet' ich mit Lust zur Opfergabe,
Wär, o Molly, dein Besitz der Preis.
Gottfried August
Bürger Liebe ohne Heimat
1747
– 1794
Meine Liebe, lange wie die
Taube
Von dem Falken hin und her gescheucht,
Wähnte froh, sie hab ihr Nest erreicht
In den Zweigen einer Götterlaube.
Armes Täubchen! Hart
getäuschter Glaube!
Herbes Schicksal, dem kein andres gleicht!
Ihre Heimat, kaum dem Blick gezeigt,
Wurde schnell dem Wetterstrahl zum Raube.
Ach, nun irrt sie wieder hin
und her!
Zwischen Erd und Himmel schwebt die Arme,
Sonder Ziel für ihres Flugs Beschwer.
Denn ein Herz, das ihrer sich
erbarme,
Wo sie noch einmal, wie einst erwarme,
Schlägt für sie auf Erden nirgends mehr.
Gottfried August
Bürger Naturrecht
1747
– 1794
Von Blum' und Frucht, so die
Natur erschafft,
Darf ich zur Lust, wie zum Bedürfnis, pflücken.
Ich darf getrost nach allem Schönen blicken,
Und atmen darf ich jeder Würze Kraft.
Ich darf die Traub', ich darf
der Biene Saft,
Des Schafes Milch in meine Schale drücken.
Mir front der Stier; mir beut das Roß den Rücken;
Der Seidenwurm spinnt Atlas mir und Taft.
Es darf das Lied der holden
Nachtigallen
Mich, hingestreckt auf Flaumen oder Moos,
Wohl in den Schlaf, wohl aus dem Schlafe hallen.
Was wehrt es denn mir
Menschensatzung, bloß
Aus blödem Wahn, in Mollys Wonneschoß,
Von Lieb und Lust bezwungen, hinzufallen?
1747
– 1794
Junger Leu! Zu meiner Ehre
Frommen
Schau’ das beigereichte
Herzgedicht.
Brumm’ und schilt nicht eh’
und richte nicht,
Bis du Hindernis und Anstoß
erst vernommen.
Sage selbst, sag’, kann ich
nun wohl kommen,
Da Cythere mir dies Netzchen
flicht,
Und mit diesem neuen
Sonnenlicht
Mir ein frischer Sommer ist erglommen?
Horch’, was dieses einz’ge
Blättchen spricht!
Und hast du die Liebe je
verstanden,
Gib Geduld und hemme dein
Gericht.
Neuer Neigung wirre Wogen
branden,
Und mein Boot – ob Steu’r und
Mast auch bricht, -
Edler Leu, muß – vor in
Schwaben landen.
Gottfried August
Bürger Täuschung
1747
– 1794
Um von ihr das Herz nur zu
entwöhnen,
Der es sich zu stetem Grame weiht,
Forschet durch die ganze Wirklichkeit,
Ach umsonst! mein Sinn nach allem Schönen.
Dann erschafft, bewegt durch
langes Sehnen,
Phantasie aus Stoff, den Herzchen leiht,
Ihm ein Bild voll Himmelslieblichkeit.
Diesem will es nun statt Molly fröhnen.
Brünstig wird das neue Bild
geküßt;
Alle Huld wird froh ihm zugetheilet;
Herzchen glaubt von Molly sich geheilet.
O des Wahns von allzu kurzer
Frist!
Denn es zeigt sich, wenn Betrachtung weilet,
Daß das Bild leibhaftig – Molly ist.
Gottfried August
Bürger Trauerstille
1747
– 1794
O wie öde, sonder
Freudenschall,
Schweigen nun Paläste mir, wie Hütten,
Flur und Hain, so munter einst durchschritten,
Und der Wonnesitz am Wasserfall!
Todeshauch verwehte deinen
Hall,
Melodie der Liebesred' und Bitten,
Welche mir in Ohr und Seele glitten
Wie der Flötenton der Nachtigall.
Leere Hoffnung! nach der
Abendröthe
Meines Lebens einst im Ulmenhain
Süß in Schlaf durch dich gelullt zu sein!
Aber nun, o milde Liebesflöte,
Wecke mich beim letzten Morgenschein
Lieblich statt der schmetternden Trompete.
1747
– 1794
In
die Nacht der Tannen oder Eichen, In
der stummen Heimlichkeit Gebiet, Das
der Lebensfrohe schauernd flieht, Such’
ich oft der Ruhe nachzuschleichen. Könnt’
ich nur, wie allem meinesgleichen, Auch
sogar der Wildniß, die mich sieht Und
den Sinn zu neuer Arbeit zieht, Bis
hinein ins leere Nichts entweichen! Denn
so allgemein ist kein Revier, Nirgends
ist ein Felsenspalt so öde, Daß
nicht Liebe mich auch da befehde; Daß
die Allverfolgerin mit mir Nicht
von Molly und von Molly rede, Oder,
wann sie schweiget, - ich mit ihr. |
In die Nacht der Tannen oder Eichen, Könnt ich nur, wie allem meinesgleichen, Dennoch ist so heimlich kein Revier, Liebe, die Verfolgerin, befehde; |
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Gottfried August
Bürger Verlust
1747
– 1794
Wonnelohn getreuer
Huldigungen,
Dem ich mehr als hundert Monden lang,
Tag und Nacht, wie gegen Sturm und Drang
Der Pilot dem Hafen, nachgerungen!
Becher, allgenug für
Götterzungen,
Goldnes Kleinod, bis zum Überschwang
Stündlich neu erfüllt mit Labetrank,
O wie bald hat dich das Grab verschlungen!
Nektarkelch, du warest süß
genug,
Einen Strom des Lebens zu versüßen,
Sollt er auch durch Weltenalter fließen.
Wehe mir! Seitdem du
schwandest, trug
Bitterkeit mir jeder Tag im Munde.
Honig trägt nur meine Todesstunde.
1747
– 1794
Welch Ideal aus
Engelsphantasie
Hat der Natur als Muster
vorgeschwebet,
Als sie die Hüll’ um einen
Geist gewebet,
Den sie herab vom dritten
Himmel lieh?
O Götterwerk! Mit welcher Harmonie
Hier Geist in Leib und Leib in
Geist verschwebet!
An Allem, was hienieden
Schönes lebet,
Vernahm mein Sinn so reinen
Einklang nie.
Der, welchem noch der Adel
ihrer Mienen,
Der Himmel nie in ihrem Aug’
erschienen,
Entweiht vielleicht mein hohes
Lied durch Scherz.
Der kannte nie der Liebe Lust
und Schmerz,
Der nie erfuhr, wie süß ihr
Athem fächelt,
Wie wundersüß die Lippe
spricht und lächelt.