Gottfried August Bürger        

1747 – 1794

...Denn unter andern auch darum entledige ich mein Herz über Nachahmung, oder vielmehr Nachäffung, welche anstatt des Kernes die Schale ergreift, weil ich eine Ueberschwemmung von schlechten Sonnetten befürchte, wenn die wenigen, die ich versucht habe, Beifall gewinnen sollten. Diese Gedichtform, deren sich die neuern Ausländer, besonders Italiäner, noch bis auf den heutigen Tag sehr häufig bedieen, war auch bei unsern ältern Dichtern nicht wenig im Gange. Der Zwang aber, die Plumpheit und der Uebelklang, womit die meisten, wo nicht alle deutschen Sonnette dahinstolperten, brachte vermuthlich nachher, bei mehrerer Cultur des Geschmackes, diese Form bis auf wenige Ausnahmen in neuern Zeiten*, aus dem Gebrauch oder fast ganz in Vergessenheit. Wenn bessere Dichter oder Kunstrichter ihrer ja noch erwähnten, so geschah es mit einer art Geringschätzung, womit man etwa von der Kunst sprechen möchte, Hirsenkörner durch ein Nadelöhr zu wrfen. Die undankbare Schwierigkeit des Sonnettes wurde beinahe, und zwar in Sonetten selbst, zum Sprichworte. Kurz, man hielt die Kunst des Sonettes nicht viel besser als die Kunst con Anagrammen, Logogryphen, Akrostichen, Chronogrammen und Räthsel. Allein mir däucht denn doch, man sprach davon nur wie der Fuchs von den Tauben, indem der Vorwurf des Zwanges und der Unbehülflichkeit mehr dem Dichter als der Form und unserer Sprache gebühret. Ein gutes deutsches Sonnett kann demjenigen, der nur einigermaßen Ohr hat, seiner Sprache mächtig ist, und ihren Knoten, deren sie freilich leider! genug hat, auszuweichen verstehet, nicht viel schwerer sein als jedes andere kleine Gedicht von diesem Umfange; und wenn es gut ist, so schlägt es mit ungemein lieblichen Klängen an Ohr und Herz. Das Hin- und Herschweben seiner Rhythmen und Reiome wirkt auf meine Empfindung beinahe eben so als ein von einem schönen, anmuthigen, beschweidenen jungen Paare schön und mit bescheidener Anmuth getanztes kleines Menuett, in dieser Stimmung halte ich es für sehr wahr, was Boileau sagt:

 

               Un sonnet sans défaut vaut seul un long poëme.

 

Es ist aber, glaube ich, nicht allein alsdann gut, wenn seine mechanische Regeln, die nach Boileau Apoll aus Bizarrerie für dasselbe erfunden und festgesetzt haben soll, auf das genaueste beobachtet werden, wiewohl man, pour pousser au bout tous les rimeurs, und um die Unberufenen abzuwehren, wohl thut, dieselben auf das genaueste beizubehalten. Sondern vornehmlich alsdann ist das Sonnett gut, enn sein Inhalt ein kleines, volles, wohl abgerundetes Ganzes ist, das kein Glied merklich zu viel, oder zu wenig hat, dem der Ausdruck überall so glatt und faltenlos anliegt, ohne jedoch im mindesten die eichte Grazie seiner hin- und herschwebenden Fortbewegung zu hemmen.

Es muß aus der Seele, es muß von Zunge und Lippen gleiten, glatt und blank, wie der Aal, welcher der Hand entschlüpfend auf dem bethauten Grase sich hinschlängelt. Wenn man versuchte, das gute und vollkommene Sonett in Prose aufzulösen, so müßte es einem schwer werden, eine Sylbe, ein Wort, einen Satz aufzugeben, oder anders zu stellen, als alles das im Verse stehet. Ja, sogar die überall äußerst richtig, voll und wohltönenden Reimwörter müssen nicht nur irgendwo i Ganzen, sondern auch gerade an ihren Stellen, um des Inhalts willen, unentbehrlich scheinen. – Und ist denn das etwa nicht schwer genug? –

Allerdings! Allein dem meister der Kunst doch nicht so gar viel schwerer und zwangvoller als jedes andere kleine Lied. Darf denn dieses etwas anderes seyn, als gleichsam ein Hauch, leicht aus der Brust emporgehoben und von den Lippen weggeblasen, nicht aber weit ich meinen eigenen Forderungen Genüge geleistet, das ziemet mir nicht zu entscheiden. So viel aber darf ich behaupten, daß mein junger vortrefflicher Freund, August Wilhelm Schlegel, dessen großem poetischen Talent Geschmack und Kritik, mit mannigfaltigen Kenntnissen verbunden, schon sehr frühe die gehörige Richtung gaben, nach jenen Forderungen ohne Anstoß Sonette verfertigt hat, die das eigensinnigste Ohr des Kenners befriedigen müssen. Ich kann mich nicht enthalten, mit einem derselben diese Vorrede zu würzen, und mich zugleich dadurch zu rechtfertigen, daß ich das Wort der weihe, in meinem ganzen Leben das erste, an diesen Lieblingsjünger, dessen Meister ich gern heißen möchte, wenn solche Jünger nicht ohne Meister würden, nicht wider Gebühr verschwendet habe:

 

               è Sonett

 

Das Sonnett ist übrigens eine sehr bequeme Form, allerlei poetischen Stoff von kleinerm Umfange, womit man sonst nichts anzufangen weiß, auf eine sehr gefällige Art an den Mann zu bringen. Es nimmt nicht nur den kürzern lyrischen und didactischen sehr willig auf, sondern ist auch ein schicklicher rahm um kleine Gemählde jeder Art, eine artige Einfassung zu allerlei Bescherungen für Freunde und Freundinnen.

 

 

* S. T. Merkur von 1776. Zweites und drittes Vierteljahr.

 

 

 

Brief an F. L. Meyer

 

...Übrigens komen meine Gedichte im ganzen Ernst auf Ostern noch heraus, und zwar mit lieblichen Vermehrungen, daß Ihr Convulsionen vor Entzücken bekommen sollt. Ihr werdet glauben, der selige Petrarca sei von den Todten auferstanden, wenn Ihr mein hohes Lied und – und – meine Sonette nur von fern werdet tönen hören; denn Ihr sollt wissen, daß ich fast Tag für Tag ein Sonett producire. Eine sonderbare Wuth, die auch Schlegeln angesteckt, der sich seit Eurem Abschiede eine sehr große Strecke zum Sonnentempel näher geschwungen hat. – Den meisten Spaß machen mir hierbei die zukünftigen Sonetten-Überschwemmungen, die ich schon im Voraus sehe und das Zetergeschrei der Kunstrichter höre, die darin werden herumzuschwimmen haben. ...