Adelbert von Chamisso          Am 3. August 1835 in Reinerz

1781 – 1838

Wir trinken Wasser hier und Molken nur,

Und das ist gut, doch könnt es besser sein;

Ich lobe vor dem Wasser mir den Wein

Und kann nicht lassen von der alten Spur.

 

Begeistert uns der Anblick der Natur,

So nüchtert uns sehr bald der Regen ein;

Auch gut! ich habe nichts dawider, nein,

Das ist Zugabe zu der Brunnenkur.

 

Ich wollt am Quelle, wo Champagner rinnt,

Als Becher einen großen Kübel fassen

Und voll ihn bei den Henkeln mundrecht heben

 

Und rufen: Tu mir’s nach, wer gleich gesinnt!

Mit einem Zuge, hoch! vorbei nichts lassen! –

Der König soll, der gute König leben.

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Vom Einsamen wird schwer der Kampf bestritten,

Der zu der Wallfahrt Ziel durch öde Kreise

Auf unbefahrenem, nachtumhülltem G’leise

Den fernen Weg ihm bahnt durch Feindes Mitten.

 

Wir aber hielten uns umfaßt und schritten

So fest und ruhig auf der frommen Reise,

Und Lilien sprossen wunderbarer Weise

Aus dunklem Grunde vor den sichern Tritten.

 

Doch neidvoll bald den Bund, der uns vereinte,

Gewahrte der Erdgeist: ihn zu zerschlagen,

Erhob er sich vor uns auf dunklen Schwingen.

 

Da mußte stumm ich mit dem Schmerze ringen,

Mich einsam abwärts durch die Öde schlagen

Und ach die Tränen sehen, die sie weinte!

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An den Dichter der Andromache

1781 – 1838

Ein unaufhaltsam schreitendes Aufklären

Durchwandelt, Riesenschrittes Deutschlands Fluren,

Und Merkel, Kotzebue die Dioskuren

Sie leuchten in der Nacht und sie bekehren.

 

Und Hellas’ Söhne lassen sich belehren;

Veredelt folgen sie den bessern Spuren,

Werden moralisch rührende Naturen

Und locken häuslich-jammernd unsre Zähren.

 

O Dichter der Andromache, dir lohne

Dir neuem Stern am Himmel aufgegangen

Die Bürger Krone, die hochedle Meinung!

 

Warum entziehn dein Haupt der Bürger Krone

Soll vaterlos, soll namenlos denn prangen

Die übermerkelwürdige Erscheinung?

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Der Schwur bei dem Siebengestirne

1781 – 1838

Sterne der Nacht, ihr zahllos ew’ge Sphären,

Die in den Räumen wallt im gleichen Schweben,

Zu euch entwagte sich der Blick zu streben –

Muß zaghaft nieder sich zur Erde kehren.

 

Was ihrem Schoß entkeimet darf nicht währen.

Geschlechter sinken, andre sich erheben,

Der Zeiten Fittig rauscht, und sie entleben –

Ihr strahlet ew’gen Glanzes Ephemeren.

 

Bei deinem Lichte, ew’ges Sterngebilde

Bei deinem Lichte ward der Schwur geschworen.

Noch glänzt im Norden deines Scheines Milde.

 

Auf meine Trauer blickest du hernieder,

Verhallet ist der Schwur im Wehn der Horen,

Und Seufzer dringen in den Klang der Lieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Flecks Gedächtnis

1781 – 1838

Des Mannes Taten, Spiel von fremden Mächten,

Sind nur vom kühnen Willen ernst geboren;

Im raschen Flug entführen sie die Horen:

Den Lorbeer wird ein blinder Zufall flechten.

 

Der Sänger nur, in heilich dunklen Nächten,

Erhebt, zu schönen Siegen auserkoren,

Des Liedes Töne, dringend unverloren

Zur Nachwelt, werden Lorbeer sie erfechten.

 

Er lieget nun in dunklem, stummem Grabe,

Den sich Natur und Kunst zum Priester weihten,

Des hohe Kraft das Leben gab dem Schönen.

 

O wäre mir des Liedes Götter Gabe!

Ich griffe mächt’gen Klanges in die Saiten

Und ew’ger Nachruhm würde Dir ertönen

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Berührt vom gottgesandten Dämon fallen

Verjährte Formen krachend, Männer springen

Aus trägem Schlfe zürnend und es schallen

Die freien Stimmen, die aus Trümmern dringen.

 

Ein herrliges Gebäude zu vollbringen,

Muß über alte die Zerstörung wallen.

Der Deutsche wird erschaun, und Hymnen singen,

Die selbstgegründeten, die stolzen Hallen.

 

Doch feindlichen Dämonen muß er frönen,

Mit Schweiß und Blut die Mutter Erde tränken,

Bevor die Himmlischen das Werk ihm krönen.

 

Drum, Söhne Deutschlands, auf! nicht scheues Denken,

Nicht müß’ger Worte eitel leeres Tönen!

Nein kräft’ger Taten müßt ihr kühn gedenken.

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Ein Rosenstrauß aus Pilnitz

1781 – 1838                                        an die Königin von Sachsen zu Berlin

 

In Pilnitz’ Gärten trauern alle Rosen,

Die nicht dein Blick, o Herrin, mehr beglücket,

Und streun, von langer Winternacht bedrücket,

Den Schmuck der Krone in des Sturmes Tosen.

 

Doch wir, erkoren nur zu mildern Losen,

Dem Grame wir der Schwestern nun entrücket,

Geben der Sonne, welche zu uns blicket,

Von ihrem Schmachten Kund’ in leisem Kosen.

 

Von Frieden reden Menschen und vom Glücke –

Verwaiste Liebe muß in Gram vergehen

Kein Lenz erscheint den Schwestern, keine Sonne!

 

O Herrin, komm in unsern Hain zurücke,

Und mildre Lüfte werden für uns wehen,

Höher erglühn in Purpur unsre Wonne.

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Es hat ein Fuchs jüngst den Comment verletzt,

Und koramiert, sein Urteil selbst gefällt,

Daß für ´nen dummen Jungen er sich hält.

Sie haben mit der Peitsche ihn gehetzt.

 

Ein Offizier, der außer Acht gesetzt,

Was seinem Kleid er schuldig vor der Welt,

Hat gleich Abbitte schriftlich ausgestellt,

Und weggejagt hat ihn das Corps zuletzt.

 

Was sollen die Beispiele die du gabst?

Die Offizier’ und Bursche wissen’s schlecht. –

Ich schwöre zu und schwöre wieder ab.

 

Ein König war’s, der mir das Beispiel gab,

Und seinesgleichen hielten es für recht,

Die Könige, die Kaiser und der Pabst.

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Das wissen wir: Die Herrscher, deren Macht

Und Willkür kein gesetzlich Band beschränkt,

Haben, zu Zeiten, in ihr Amt versenkt,

Den Völkern, weis und gut, nur Heil gebracht.

 

Und wo an böse Fürsten ward gedacht

Und Satzungen den Völkern Schutz geschenkt,

Haben sie nicht das Unheil abgelenkt,

Zog erst herauf der argen Zeiten Nacht.

               Das wissen wir!

 

Von Staatsverfassungen urteilt auch ärmlich

Das Volk, das, seinen Vorteil wohl verstanden,

Die sicher kennt, die seines Heiles warten.

 

Da freilich, wo der Herrscher selbst erbärmlich,

Und keine Staatsverfassung ist vorhanden,

Läßt sich auch nichts Erkleckliches erwarten.

               Das wissen wir!

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An Eduard

1781 – 1838                                        Arocha! nue. nue. arocha !

 

Geschaukelt ward ich von des Sturmes Wut

Bei Unalaschka mit zerschelltem Mast,

Es sah der Tod mich an, bedrohlich fast,

Ich rief aus Langeweil ihm zu: „Schon gut!“

 

Besänftigt legten drauf sich Wind und Flut,

Die Sonne schien, ich dachte dein, zur Rast

Ward fürder ich gewiegt, ein müder Gast,

Und sprach hinwiederum dazu: „Auch gut!“

 

So kehrt ich heim und dachte: Deutsches Land,

Laß finden mich auf deinem Grund den Stein

Darunter sich’s zum letzten Schlafe ruht.

 

Ich flog zu dir, bei dem ich Ante fand,

Gar bald auch fanden Ernst und Max sich ein,

Und alle, dich umschwärmend, rufen: „Gut!“

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Ferdinand VII. von Spanien

1781 – 1838

Meineidig, schmachbedeckt, mit blut’gen Händen

Wirst du den Scepter noch der Rache führen,

Bis Feige, was die Feigheit fromme, spüren

Und sich verzweiflungsvoll zum Bessern wenden.

 

Kommt aber diese Zeit, wie sollst du enden?

Der Strick? das Rad? wird man den Holzstoß schüren?

Wo findet sich, dich, Schandbub, zu berühren,

Ein Schinder, der nicht scheuet sich zu schänden?

 

Du darfst doch auch nicht unterm Stocke sterben!

Es wäre schad auf deine Sünderknochen

Auch nur das schlechtste Krummholz zu zerbrechen.

 

Sie werden dir von Prügeln, Ledergerben,

Erzählen, und von Knochen, die zerbrochen:

Die Furcht vor Schmerzen wird dem Zweck entsprechen.

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Ich rechte mit den Göttern nicht, allein

Der Frauen Zustand ist beklagenswert!

Zu Haus und in der Fremde wird beschwert

Das Weib nur mit der Herrschaft Not und Pein.

 

Wozu gab Gott uns Nasen? wißt ihr’s? – nein.

Es haben’s unsre Frauen so begehrt.

Die Nase ward dem Manne nur beschert

Bequem der Frau beim Führeramt zu sein.

 

Ja der Pantoffel Herrschaft ist (gewiß, o

Gewiß, in aller Welt, ich sag es kurz) Jus

Und unabänderlich allgült’ge Sitte.

 

Dies schrieb am Tag, wo mit Amalie Witte

Ins heil’ge Joch der Eh’ trat Julius Curtius

Ein Doktor – Adalbertus v. Chamisso.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso         

1781 – 1838

Entkräftet lag ich mit erschlafften Sehnen,

Als ich zuerst, genesend, mich besann;

Sie saß auf meinem Bett und sah mich an,

Ihr liebevolles Auge schwamm in Tränen.

 

Da fühlt ich meine welke Brust sich dehnen

Und neues Leben meinem Herzen nahn;

Es trieb mich, die Geliebte zu umfahn

Ein heimlich schnell erwachtes, süßes Sehnen.

 

Doch wie ich meine Hände sah sich recken

Nach ihr, so hager, bleich, gerippenhaft,

Da überfiel mich Schwindelnden ein Schrecken.

 

Ich trieb sie fort aufschreiend: „Gott behüte!

Der Tod! der Tod! entfleuch! der Unhold rafft

Die reife Frucht nicht, nein, die frische Blüthe!“

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Reinerz

1781 – 1838

Zu sterben kann dem Besten arrivieren,

Und man ertappt vielleicht auch mich dabei;

Mir scheint demnach, daß es vernünftig sei,

Auf jeden Fall beiläufig zu testieren.

 

So fing ich an bedächtig zu notieren

Für Überbleibende so mancherlei,

Und schrieb auch, daß den Ärzten stünde frei

Nach meinem Tode mich zu obduzieren.

 

Wie das ich schrieb, so sah ich’s sich gestalten,

Mich dünkte meine Leiche selbst zu sehen

Und das dabei mir wohlbekannte Treiben.

 

Wie da mir ward, ich will’s für mich behalten,

Doch muß ich’s unumwunden eingestehen,

Ich möchte selb’gen Tags nicht weiter schreiben.

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Aus der Vendee

1781 – 1838

2. Im Jahre 1833

 

„Und überlaßt dem Höchsten das Gericht!“

So sprach ich einst, und seht: Er hat gerichtet.

Nicht ward im Blute dieser Zwist geschlichtet,

Es hatte da das Eisen kein Gewicht.

 

Die blinden, schwachen Menschen haben nicht

Durch Weisheit oder Kraft es ausgerichtet;

Blickt hin! die Macht des Gegners ist vernichtet;

Der Höchste sprach im Zorn: Es werde Licht!

 

Seht! strahlend regt die Frucht sich ihres Leibes,

Zerstoben ist des Widersachers Reich,

Sein Stolz und seine Hoffnung sind gewesen.

 

Kein Spott, kein Hohn dem Jammer dieses Weibes!

Sie ist, dem blitzgetroffnen Felsen gleich,

Ein von dem Waltenden gezeichnet Wesen.