1863 - 1920
Es mag mir oft nicht in den
Mienen stehen,
wie tief ich in mein Innres dich geschrieben;
ach, oft schon hat es mich zum Wort getrieben
und wortlos mußt ich meines Weges gehen.
So ist, wie sehr du suchtest,
es zu sehen,
ein Ungesehnes zwischen uns geblieben:
die alte Mühsal, daß sich Menschen lieben
und doch im eignen Kreis sich weiterdrehen.
Wie fruchtlos schon des Kindes
Spiel sich mühte,
daß jeder Kreis sich glatt auf jeden lege!
Bald glitt der eine und durchschnitt den andern,
und bald verschob ein dritter ihre Wege.
In Einem Kreis nur läßt sich einig wandern:
dem allumschlingenden grundloser Güte.
1863 – 1920
Ich sah im Traum Apollos
Tempelhallen,
doch ringsum hört ich dunkle Donner grollen;
ich sah vom blassen First die unruhvollen
gebrochnen letzten Sonnenblicke prallen.
Herab zu mir vom schroffen
Abhang quollen
die Schatten, schwer, wie Trauertücher fallen;
als wollt er drüberher ein Grabmal ballen,
so schaufelte der Sturm die Wolkenschollen.
Und ich verstand des Gottes
Gram und Zorn
und brach mir Bahn zu seinem heiligen Born
und schöpfte Urglut aus den Finsternissen
und hob die Schale auf zu
seinem Thron:
entflamme, großer Vater, deinen Sohn,
es gibt so Wenige, die zu opfern wissen!
1863 – 1920
Du wünschtest dir und deinem
Haus ein Zeichen,
das euch für alle Zeit ein Glücksbild sei;
doch welches Gleichnis ist so reich und frei,
so vieler Seelen Wünsche auszugleichen!
Wir möchten Alle gern das
Glück erreichen,
daß endlich eint dies ewige Zweierlei;
doch fass ich meins, geht deins vielleicht entzwei.
So lag und sann ich über solch ein Zeichen.
Da träumte mir: Gewappnet mit
zwei Schwingen
kam eine Fackel durch die Nacht geweht.
Sie loderte; die Sterne alle hingen
wie Mücken nach der Flamme hingedreht.
Und ihr Emporflug trieb mich aufzuspringen:
dies Zeichen gilt für Jeden, der's versteht!
1863 – 1920
Erwachen endlich denn die Töne
wieder,
die mir so dumpf und schwer im Herzen schliefen?
O steigt empor aus euren grauen Tiefen,
steigt rauschend auf zum Lichtreich, meine Lieder!
Nehmt mit die Tränen alle im
Gefieder,
die Tränen der Geliebten, die euch riefen!
Aus euren goldnen Höhen laßt sie triefen
wie Tau des Paradieses auf mich nieder!
Daß sie mir fluten durch die
trübsten Gründe
der kranken Seele und gesund sie baden,
bis ich, versöhnt mit aller meiner Sünde,
mich vor mir selbst kann zu Gerichte laden
und jubelnd vor mir selbst entsühnt mich künde,
weil jede Träne eine Welt voll Gnaden!
1863 – 1920
Nun haben wir den schwersten
Kampf gerungen
im heiligen Krieg um unser Reich der Einheit,
als heiß wir rangen mit der eignen Kleinheit,
bis Seele ganz in Seele war gedrungen,
bis endlich von den Herzen uns
gesprungen
das letzte Band selbstsüchtiger Alleinheit,
bis meine Rauhheit ganz von deiner Reinheit,
dein blasser Trotz von meiner Kraft bezwungen.
Und ob wir nur mit Mühe uns
gefunden,
und ob sich unsre Herzen blutig stießen
im harten Zwiespalt dieser wilden Stunden:
so inniger dürfen wir des Siegs genießen,
denn in der Tiefe sahn wir durch die Wunden
die vollen Pulse unsrer Liebe fließen.
1863 - 1920
Ich wüßte nicht mich nach der
Form zu richten,
wird mir bedeutet von euch Anstandsrichtern.
Und freilich: leicht ereignet sich's an Dichtern,
daß sie formloser leben als sie dichten.
Denn leider müssen sie die
Menschen sichten
und sehn den Inhalt hinter den
Gesichtern;
zwar mancher hält's mit aufgeblasnen Wichtern,
doch mancher wägt nach schwereren Gewichten.
Ihr aber tut wie steife
Dreierlichter,
wenn ihr auf euerm flachen Sumpf irrlichtert.
Seid, wie ihr seid-und gebt euch nicht als Richter,
wenn ihr nach leeren Formen splitterrichtert!
Sonst geb' ich mich so formvoll wie ein Trichter,
der von sich gibt, was ihr ihm selbst eintrichtert.
1863 – 1920
Doch hör ich noch der Tausende Entzücken
und Ihn von seinen goldnen Sternen sprechen,
und sehe noch ihn seine Rosen brechen
und noch den Kranz das Haupt ihm blutig drücken.
Sie lagen jubelnd an den Silberbächen
und ließen sich mit seinen Blumen schmücken,
und sahn ihn Blüte nur um Blüte pflücken
und nicht die Dornen ihm die Stirn zerstechen.
Sie waren alle jammernd hergekrochen,
und Jeder sprach von Plagen ohne Zahl.
Er hatte Allen alle weggesprochen;
verschmachtet sank er hin am Bachesrande.
Da starrten sie, da sahn sie seine Qual.
So träumte mir in unserm Vaterlande.
1863 – 1920
Ich steh im Geiste an ein Grab geführt,
wo Eine ruht, die so beseelend lebte,
daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte;
ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt.
Und dort steht Einer, dessen Auge schürt
noch reiner an, was damals in mir bebte;
er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte,
und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt.
Du Hüter dieses Grabes, wehre
der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht;
es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere.
Die wirren Zeiten haben uns entzweit;
hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre
vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit.
1863 – 1920
Ich träume oft von einer bleichen Rose.
Hell ragt ein Berg; sie blüht in seinem Schatten,
zum fernen Licht aufschmachtend mit dem matten
Traumblumenblick aus ihrem dunklen Loose.
Dann bangt sie mich; tief stockt mein Schritt im Moose.
Doch weiter muß ich, muß das Ziel erreichen,
den Gipfel mit den immergrünen Eichen;
so steh ich schwankend zwischen Berg und Rose.
Denn wie sich auch mein Fuß bemüht zu kämpfen,
ich kann die süße Sehnsucht nicht mehr dämpfen,
aus ihrem Kelch den edlen Duft zu schlürfen.
Da -: Flügel -: frei! – und an der Brust die Blume!
Schon naht der Hain mit seinem Heiligtume,
wo auch die Rosen immergrünen dürfen.
1863 – 1920
Aus Mannesadel wächst des Weibes Tugend :
Götter vermag sein Gein ihr zu gebären.
Des Griechen Schönheitswille sah die Sphären
beherrscht von Aphroditens Reiz und Jugend; -
dem Christen aber ward die Reinheit Wesen,
selbst noch die Mutter will er sich verklären
und beugt sich vor Marias Hochaltären,
die keusch des Sohns, des keuscheren, genesen.
Nun kommt die Zeit, daß Männer freier denken
und ihren eignen Stamm von Gottessöhnen
hell mit dem Huldbild ihrer Freiheit krönen,
bis Alle Allen die erleuchtung schenken,
die Wir uns schenkten, Sonne meiner Wonne,
du keusche Venus, reizende Madonne!
1863 – 1920
Durch einen menschenleeren Garten irrend
geriet ich an ein Pfauenpaar; der Pfau
stand mit gespreiztem Rad vor seiner Frau,
die Flügel tief gesträubt, von Lichtern flirrend.
So stand er kreisend, sich die Henne kirrend,
und bannte sie zu feierlicher Schjau;
starr federte das goldne Grün und Blau
des steilen Schweifes, vor Erregung klirrend.
Jetzt überfällt er sie, und seine Zier
peitscht wild die Luft, die heiße; funkelnd spaltet
der Radsaum seine Speichen, daß sich mir
der Gartenkreis zum Paradies gestaltet –
O Mensch, wie herrlich ist das Tier,
wenn es sich ganz als Tier entfaltet! -
1863 – 1920
Du sahst durch meine Seele in die Welt,
es war auch Deine Seele: still versanken
im Strom des Schauens zwischen uns die Schranken,
es ruhten Welt und Du in Mir gesellt.
Dein Auge sah ich grenzenlos erhellt:
Erleuchtung fluteten, Erleuchtung tranken
zusammenströmend unsre Zwiegedanken,
in Deiner Seele ruhte Meine Welt.
Und ganz im Weltgrund, wo sonst blindgeballt
entzweite Lüfte hausen voller Fehle,
enthüllten sich auf einmal unsre Hehle
vereint als lauter Liebeslustgewalt.
Denn Liebe ist die Freiheit der Gestalt
vom Bann der Welt, vom Wahn der eignen Seele.