Richard Dehmel                An eine Gütige

1863 - 1920

Es mag mir oft nicht in den Mienen stehen,
wie tief ich in mein Innres dich geschrieben;
ach, oft schon hat es mich zum Wort getrieben
und wortlos mußt ich meines Weges gehen.

 

So ist, wie sehr du suchtest, es zu sehen,
ein Ungesehnes zwischen uns geblieben:
die alte Mühsal, daß sich Menschen lieben
und doch im eignen Kreis sich weiterdrehen.

 

Wie fruchtlos schon des Kindes Spiel sich mühte,
daß jeder Kreis sich glatt auf jeden lege!
Bald glitt der eine und durchschnitt den andern,


und bald verschob ein dritter ihre Wege.
In Einem Kreis nur läßt sich einig wandern:
dem allumschlingenden grundloser Güte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                     Das Opfer

1863 – 1920

Ich sah im Traum Apollos Tempelhallen,
doch ringsum hört ich dunkle Donner grollen;
ich sah vom blassen First die unruhvollen
gebrochnen letzten Sonnenblicke prallen.

 

Herab zu mir vom schroffen Abhang quollen
die Schatten, schwer, wie Trauertücher fallen;
als wollt er drüberher ein Grabmal ballen,
so schaufelte der Sturm die Wolkenschollen.

 

Und ich verstand des Gottes Gram und Zorn
und brach mir Bahn zu seinem heiligen Born
und schöpfte Urglut aus den Finsternissen

 

und hob die Schale auf zu seinem Thron:
entflamme, großer Vater, deinen Sohn,
es gibt so Wenige, die zu opfern wissen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                     Die geflügelte Fackel

1863 – 1920

Du wünschtest dir und deinem Haus ein Zeichen,
das euch für alle Zeit ein Glücksbild sei;
doch welches Gleichnis ist so reich und frei,
so vieler Seelen Wünsche auszugleichen!

 

Wir möchten Alle gern das Glück erreichen,
daß endlich eint dies ewige Zweierlei;
doch fass ich meins, geht deins vielleicht entzwei.
So lag und sann ich über solch ein Zeichen.

 

Da träumte mir: Gewappnet mit zwei Schwingen
kam eine Fackel durch die Nacht geweht.
Sie loderte; die Sterne alle hingen


wie Mücken nach der Flamme hingedreht.
Und ihr Emporflug trieb mich aufzuspringen:
dies Zeichen gilt für Jeden, der's versteht!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                     Sühne

1863 – 1920

Erwachen endlich denn die Töne wieder,
die mir so dumpf und schwer im Herzen schliefen?
O steigt empor aus euren grauen Tiefen,
steigt rauschend auf zum Lichtreich, meine Lieder!

 

Nehmt mit die Tränen alle im Gefieder,
die Tränen der Geliebten, die euch riefen!
Aus euren goldnen Höhen laßt sie triefen
wie Tau des Paradieses auf mich nieder!

 

Daß sie mir fluten durch die trübsten Gründe
der kranken Seele und gesund sie baden,
bis ich, versöhnt mit aller meiner Sünde,


mich vor mir selbst kann zu Gerichte laden
und jubelnd vor mir selbst entsühnt mich künde,
weil jede Träne eine Welt voll Gnaden!

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                     Sieg

1863 – 1920

Nun haben wir den schwersten Kampf gerungen
im heiligen Krieg um unser Reich der Einheit,
als heiß wir rangen mit der eignen Kleinheit,
bis Seele ganz in Seele war gedrungen,

 

bis endlich von den Herzen uns gesprungen
das letzte Band selbstsüchtiger Alleinheit,
bis meine Rauhheit ganz von deiner Reinheit,
dein blasser Trotz von meiner Kraft bezwungen.

 

Und ob wir nur mit Mühe uns gefunden,
und ob sich unsre Herzen blutig stießen
im harten Zwiespalt dieser wilden Stunden:

 

so inniger dürfen wir des Siegs genießen,
denn in der Tiefe sahn wir durch die Wunden
die vollen Pulse unsrer Liebe fließen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                     Wechselwirkung

1863 - 1920

Ich wüßte nicht mich nach der Form zu richten,
wird mir bedeutet von euch Anstandsrichtern.
Und freilich: leicht ereignet sich's an Dichtern,
daß sie formloser leben als sie dichten.

 

Denn leider müssen sie die Menschen sichten

und sehn den Inhalt hinter den Gesichtern;
zwar mancher hält's mit aufgeblasnen Wichtern,
doch mancher wägt nach schwereren Gewichten.

 

Ihr aber tut wie steife Dreierlichter,
wenn ihr auf euerm flachen Sumpf irrlichtert.
Seid, wie ihr seid-und gebt euch nicht als Richter,


wenn ihr nach leeren Formen splitterrichtert!
Sonst geb' ich mich so formvoll wie ein Trichter,
der von sich gibt, was ihr ihm selbst eintrichtert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                Ecce Poeta

1863 – 1920

Doch hör ich noch der Tausende Entzücken

und Ihn von seinen goldnen Sternen sprechen,

und sehe noch ihn seine Rosen brechen

und noch den Kranz das Haupt ihm blutig drücken.

 

Sie lagen jubelnd an den Silberbächen

und ließen sich mit seinen Blumen schmücken,

und sahn ihn Blüte nur um Blüte pflücken

und nicht die Dornen ihm die Stirn zerstechen.

 

Sie waren alle jammernd hergekrochen,

und Jeder sprach von Plagen ohne Zahl.

Er hatte Allen alle weggesprochen;

 

verschmachtet sank er hin am Bachesrande.

Da starrten sie, da sahn sie seine Qual.

So träumte mir in unserm Vaterlande.

 

 

 

 

Richard Dehmel                Im Geiste

1863 – 1920

Ich steh im Geiste an ein Grab geführt,

wo Eine ruht, die so beseelend lebte,

daß ich nicht glauben kann, ihr Geist entschwebte;

ich steh wie einst vor ihr, so rein gerührt.

 

Und dort steht Einer, dessen Auge schürt

noch reiner an, was damals in mir bebte;

er wars, der zart ihr Reinstes mir verwebte,

und steht nun starr, als hätt er’s nie gespürt.

 

Du Hüter dieses Grabes, wehre

der Andacht nicht, die Geist dem Geist hier weiht;

es bebt in dir wie mir das seelvoll Leere.

 

Die wirren Zeiten haben uns entzweit;

hier aber rührt uns Klarheit, und ich kehre

vereint mit dir den Blick zur Ewigkeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                Venus Excelsior

1863 – 1920

Ich träume oft von einer bleichen Rose.

Hell ragt ein Berg; sie blüht in seinem Schatten,

zum fernen Licht aufschmachtend mit dem matten

Traumblumenblick aus ihrem dunklen Loose.

 

Dann bangt sie mich; tief stockt mein Schritt im Moose.

Doch weiter muß ich, muß das Ziel erreichen,

den Gipfel mit den immergrünen Eichen;

so steh ich schwankend zwischen Berg und Rose.

 

Denn wie sich auch mein Fuß bemüht zu kämpfen,

ich kann die süße Sehnsucht nicht mehr dämpfen,

aus ihrem Kelch den edlen Duft zu schlürfen.

 

Da -: Flügel -: frei! – und an der Brust die Blume!

Schon naht der Hain mit seinem Heiligtume,

wo auch die Rosen immergrünen dürfen.

 

 

 

 

 

Richard Dehmel                 Venus Madonna

1863 – 1920

Aus Mannesadel wächst des Weibes Tugend :

Götter vermag sein Gein ihr zu gebären.

Des Griechen Schönheitswille sah die Sphären

beherrscht von Aphroditens Reiz und Jugend; -

 

dem Christen aber ward die Reinheit Wesen,

selbst noch die Mutter will er sich verklären

und beugt sich vor Marias Hochaltären,

die keusch des Sohns, des keuscheren, genesen.

 

Nun kommt die Zeit, daß Männer freier denken

und ihren eignen Stamm von Gottessöhnen

hell mit dem Huldbild ihrer Freiheit krönen,

 

bis Alle Allen die erleuchtung schenken,

die Wir uns schenkten, Sonne meiner Wonne,

du keusche Venus, reizende Madonne!

 

 

 

 

Richard Dehmel                Venus Natura

1863 – 1920

Durch einen menschenleeren Garten irrend

geriet ich an ein Pfauenpaar; der Pfau

stand mit gespreiztem Rad vor seiner Frau,

die Flügel tief gesträubt, von Lichtern flirrend.

 

So stand er kreisend, sich die Henne kirrend,

und bannte sie zu feierlicher Schjau;

starr federte das goldne Grün und Blau

des steilen Schweifes, vor Erregung klirrend.

 

Jetzt überfällt er sie, und seine Zier

peitscht wild die Luft, die heiße; funkelnd spaltet

der Radsaum seine Speichen, daß sich mir

der Gartenkreis zum Paradies gestaltet –

 

O Mensch, wie herrlich ist das Tier,

wenn es sich ganz als Tier entfaltet! -

 

 

 

Richard Dehmel                Venus Universa

1863 – 1920

Du sahst durch meine Seele in die Welt,

es war auch Deine Seele: still versanken

im Strom des Schauens zwischen uns die Schranken,

es ruhten Welt und Du in Mir gesellt.

 

Dein Auge sah ich grenzenlos erhellt:

Erleuchtung fluteten, Erleuchtung tranken

zusammenströmend unsre Zwiegedanken,

in Deiner Seele ruhte Meine Welt.

 

Und ganz im Weltgrund, wo sonst blindgeballt

entzweite Lüfte hausen voller Fehle,

enthüllten sich auf einmal unsre Hehle

vereint als lauter Liebeslustgewalt.

 

Denn Liebe ist die Freiheit der Gestalt

vom Bann der Welt, vom Wahn der eignen Seele.