Theodor Däubler                   Das Herz im Delta

1876 – 1934

Die Lieder verlieben sich still mit dem Nile.

Dort hockt ein Flamingo auf blutender Glut;

Am Tag meine Lampe; und leuchtet so gut.

Kein Dort, wo es Wortlosen kommend gefiele.

 

Gedichte ersammelt sich Fortflut wie Spiele.

Der Vogel hat nie bis zu Gott hin geruht:

Auf einziger Stelze entflammt seine Hut:

Flamingo ersichtet vor fließendem Ziele.

 

Gesegnetes Ebben im Schenkel der Wüste,

Dort wittert das Tier, feuerflügelnd, nach mir:

Einst hab ichs gewahrt, noch Löwin, halb Büste.

 

Oft Ei und dann Vogel, erwarte mich, Tier!

Dich findet Gesang, weil ihn Atem lebendigt:

Beim Herz ward der Hauch unsrer Herkunft umendigt.

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Elefanten

1876 – 1934

Gar hochgesteilt in spitzgefrornen Mondlichthallen

Lustwandeln lose große Silberelefanten.

Ein altes Sternenbecken mit sechs Marmorkanten

Läßt seine Fülle in den Tempelweiher fallen.

 

Nach heilgem Schritte müssen still die Tiere wallen:

Sie ahnen wohl, daß Götter sie um Säulen bannten,

Und treten vor ihr Bild, wie wissend, zu Bekannten:

Die Hufe sind besetzt mit seltsamen Metallen.

 

Das Wasser spricht allein: muß jubeln und kann klagen.

Den Tempel kennt kein Mensch – und kaum geträumte Wesen:

Im Urwald, heißt ein Spruch, mag er bei Nacht entragen!

 

Die Elefanten scheint ein Zauber zu erlesen:

Sie bleiben einsam, merken nie die bleichen Fische;

In ihrem warmen Schlaf kommt einst der Schwan der Frische.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                  

1876 – 1934

Die Nacht bricht auf in uns, mit Schreck und Sternen;

Der Mönch sang ihr Beruhigung in Kammern,

Die unsern alten Ball zusammenklammern:

Sonst stürzte jäh die Welt durch Weltenfernen.

 

Gesang erfaßt sein Volk an heilen Kernen

Und treibt den guten Keim aus Glutentstammern

Zu Gott im Wort, das Menschen laut erjammern:

Damit Drumhorchende Bestehn erlernen!

 

O Sterne zittern: Kloster, birgst du Frieden?

Sonst faßt der Welten Wehung uns: wir stürzen!

Noch hält die Nacht ein fester Mönch hienieden.

 

Der Tag im Menschen wird zerzaust verrinnen,

Ein Klosterbrand kann ihn unnennbar kürzen;

Der Erdbruch kommt! Hält uns Durchbetung innen?

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Jacopo Bellini

1876 – 1934

Wahrhaftig die Trauer der salzigen Meere

Erwacht uns in Jesu, dem herrlichen Knaben.

Er öffnet den Mund zu erstrahlenden Gaben:

Die Welt überglüht seine menschliche Lehre.

 

Das Weltherz ist klar, wie der Schmerz einer Zähre.

Und Sterne, die nur noch ein Muttermeer haben,

Empfangen Gescheiterte, um sie zu laben,

Denn oben enttauchen wir, - sanft, ohne Schwere.

 

Maria, die Kummer der Engel erlitten,

Blickt still auf die Wunder des leuchtenden Kindes

Und hofft, für die Unschuld der Menschen zu bitten.

 

So wünscht euch die Reinheit des künftigen Windes!

Er weht und er naht uns mit meerfeuchten Schritten:

Er hilft euch, als Hauch eines Lichtangebindes.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Die Irrsinnige

1876 – 1934

 

I.

 

Madonna, ich sah dich am sternhellen Meere,

Da kamen im Winde die Toten zu mir,

Dann wuchs eine Sichel mit grausamer Gier

Und schnitt in die Weihe der Seelenverkehre.

 

Ich suchte und fand keine Hilfe zur Wehre.

Schon ward jene Schlange ein blendender Stier,

Und sieh, jenes Tier ist jetzt immer noch hier!

Das Kind und den Gatten erdrückt seine Schwere.

 

Maria, verscheuche den Bringer der Schrecken,

Ich schenke dir gerne mein gischtweißes Haar,

Das Meer aber möge sich wieder verstecken.

 

Ich bringe die Milch meiner Weiblichkeit dar.

Ich will deinen Hauch milder Hilfe erwecken,

Erwehe das Schweigen: ein Wird-wie-es-war.

 

 

II.

 

Um Neumond ist traumblau der Gatte erschienen.

Sein Kommen verbreitete heimliches Schweigen,

Es mochte mein Wesen sich gleich zu ihm neigen,

Da war er um mich, wie ein Schwärmen von Bienen.

 

Ich wollte sein Nahesein treulich verdienen

Und gab ihm, was irdisch der Seele zu eigen,

Um Liebe und Reinheit vereint zu erzeigen:

Da schwirrte es licht, wie das Knistern von Kienen.

 

Ich ah ihn: schon war seine Mannheit vergangen,

Das bartlose Antlitz allwissend verjüngt,

Der Mund ohne Purpur und farblos die Wangen.

 

Ich habe mich seiner teilhaftig bedünkt:

Sein Wollen durchwogte mein herzhaftes Bangen,

da ward meine Weichheit mit Tränen gedüngt.

 

 

III.

 

O Meer! du, ich brauche von dir eine Träne!

Oft mag sie dein Anblick der Seele gewähren,

Da lächelt mein Kind durch den Schimmer der Zähren,

Das hold ich sein Mündlein im Augenrot wähne!

 

Ach, wo ich das ferne Getändel ersehne,

Kann rasch sich der Salzquell der Schmerzen entleeren:

Und wenn auf den Händen die Tränen sich mehren,

So glaube ich, daß sich ein Hauch an mich lehne.

 

Bald perlen die Finger von kindlichem Blicken:

Auch streichle ich leicht meinen flimmernden Arm

Und fühle ihn, hingeküßt, Kühle erquicken.

 

Mein Glück ist nun zart mein zertränender Harm.

Das Kind scheint dem sickernden Naß zuzunicken:

es ist ja wie Milch so beseligt und warm.

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Gewißheit

1876 – 1934

Es rollt der Löwe zweiunddreißig Sonnen,

Zu seinen Füßen und im eignen Leibe,

Im Sommer, nahe vor die Sonnenscheibe,

Und lose Wolken sind sogleich zerronnen.

 

Die Erde aber bleibt von Gold umsponnen

Und fast verschleiert nackt, gleich einem Weibe,

Für das es schicklich, daß es übertreibe,

Was Triebe ihm und Sitte angesonnen.

 

Dann schlafen alle Träume, alle Schäume.

Bloß Mittagswissen loht auf jedem Zweige,

Und wie entirdischt stehn die stillen Bäume.

 

Da ist’s, als ob der Geist zum Dingsein neige:

Um die Gestalten schwirren Atemsäume,

Kein Wesen wünscht, daß wahr ein Gott entsteige.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Des Liedes Wesen

1876 – 1934

In einem Land, wo alle Dinge traumhaft schauen,

An einem blauen Wundermeer kam ich zur Welt.

In einer Au, die ihre Pracht verborgen hält,

Begann mein wesen seinen Rätselturm zu bauen.

 

Aus allen Mienen dort glüht gütiges Vertrauen:

Was sanft in jenen Fernen in die Augen fällt,

Erbaut dich Zaghaften, von Seelentum erhellt!

Das tiefe Schauen schweigt vor solchem Weltergrauen.

 

Ich glaube noch an jene blauen Morgenmeere,

Und oftmals blickt mich, was ich nie bemerkte, an.

Ja, Lieder perlen, wie in fremdem Augenbann.

 

Mein Träumen taut auf Blicken ohne Ort und Schwere.

Mein Sang, der nirgendwo und so von selbst begann,

Will fragen, sehn und sein: und funkelt in die Leere.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Einsam

1876 – 1934

Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.

Da ist ein alter, lauteleerer Wald.

Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.

Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.

 

Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?

Ist das mein Herbst, der schweigsam weiterhallt?

Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.

Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.

 

Erinnern kann ich mich, erinnern, bloß erinnern.

Mein Wald war tot. Ich lispelte zu fremden Linden,

Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.

 

Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.

Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.

Ich kann in keinem Wald das Echoschweigen finden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Odysseus

1876 – 1934

Das Leid, in dem ich willenlos ertrinke,

Entfernt und wellt mich oft an einen Strand,

Vielleicht in aller Sehnsucht Mutterland,

Von dem aus ich den andern Träumen winke:

 

Und wenn ich drüben meinem Selbst entsinke,

So bin ich nackt und doch im Schamgewand

Und nehme scheulos einer Jungfrau Hand

Und freu mich, daß ich frei von Schäumen blinke.

 

In jenem Osten bin ich oft gewesen.

Von dort weht holde Hoffnung noch herbei:

Hat drüben eine Seele mich erlesen?

 

Man wandelt dort fast schein- und schattenfrei,

Und doch voll Sonnenwohl sind jene Wesen!

Was schöpf ich noch im trüben Allerlei?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Der Gesandte des Heiligen Antonius

1876 – 1934

An hellen Tagen, wenn die Stunden gelber blinken,

Befährt ein Mönch in einem kleinen Segelboote

Die braune Flut, die eben voll im Golde lohte,

Und er vermag sanft, Fische fern herbeizuwinken.

 

Sie tauchen still und silbern auf, das Licht zu trinken,

Und da erklärt ihnen der Mönch die zehn Gebote,

Verteilt unter die Horcher sieben große Brote

Und zieht dann fort, wenn tot die Tagesfalter sinken.

 

Er kann auch ruhig ohne Wind und Ruder fahren,

Denn immer, wenn er auftaucht, folgt ihm eine Brise,

Und oft vermag ein Auge nah ihn zu gewahren.

 

Da ists, als ob ein Geist bloß in das Segel bliese,

Denn gar nichts regt sich dann in seinen blonden Haaren,

Und ungekräuselt bleibt das Gras der nahen Wiese.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Grau

1876 – 1934

Ich singe, wenn die seltnen Sterne glänzen,

Der Halbmond sich dem Meer entgegenneigt,

Das dunkle Friedensblau der Au entsteigt

Und alle Fluren sich mit Tau bekränzen.

 

Ich singe zu den Mondschrittänzen,

Bevor das sanfte Perlengrau sich zeigt,

Wenn spät die leise Windesstimme schweigt,

Und muß in mir die Furcht der Flur ergänzen.

 

Doch auch in meinen blassen Tagesträumen

Erwacht gar bald der Farbenklang der Nacht

Und hält mich unter frischbetauten Bäumen.

 

Ein fernes Meer vermute ich dann sacht,

Und auch der Hauch von goldnen Ginstersäumen

Sei mir mit seinem Rauschen nahgebracht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Das Eiland

1876 – 1934

Das Eiland meiner Wünsche ist vergessen,

Verträumt der Hauch seiner Nachmittagswärme,

Hinweg der Trauer traute Bienenschwärme,

Umsonst muß ich die Lider niederpressen.

 

Ich sehe wohl des Felsens Strandzypressen,

Doch nie die Au, für die ich draußen schwärme:

Und wie ich mich am Meer um Frieden härme,

So muß mein Herz sein Fernehin ermessen!

 

So bleib ich denn in meinem Hain von Lichtern:

Berauscht vom Glühgeblüt in düstern Lauben,

Begegne ich dort andrer Welten Dichtern.

 

Mich wiegt ein Meer. Ein Leib schnürt meinen Glauben.

Und dennoch pflücke ich mit Traumgesichtern

Die holden Hoffnungen von Sternentrauben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Die Efeuranke

1876 – 1934

Der Efeu dort am gotischen Palaste

Verschlängelt sich zum marmornen Balkone:

Sein Schattenwesen gleicht einem Spione,

Den irgendwie ein Rachewunsch erfaßte.

 

Du lauerst, ob er wachsend weitertaste,

Um klarzuwerden, wer das Schloß bewohne

Und ob sich dorthin ein Verrat verlohne:

Er winkt ja schon mit einem freien Aste!

 

Nun blickt der Mond um eine hohe Ecke:

Und sieh, ein Weib erscheint hinter den Scheiben,

Was hält es bleich verwelkt an einem Flecke?

 

Der Efeu muß noch viele Zweige treiben,

Damit er seinen Kundschaftsweg vollstrecke:

Die Dinge sterben ab, die Rätsel bleiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Einst aber

1876 – 1934

Der Vollmond naht des Meeres Silberrande,

Und geile Lippen schwellen ihm entgegen,

Du siehst am Seegrund sich Ertrunkne regen:

Gespenster lösen alle Leichnambande.

 

Das Totenflüstern aber zeitigt Schande,

Die Stunde siehst du seltsam Grauen hegen,

Den Vollmond sich bequem aufs Wasser legen,

Und Angstgekicher weht zum gelben Strande.

 

Einst wird der Leib im Seelenschlund ertrinken,

Was ich geschaut, ihn kurz und flink umgischten,

Dann jede Taggestalt zerblinken, sinken.

 

Gar oft, wenn sich Geschicke in mir trafen,

Erriet ich, daß um mich sich andre mischten,

Einst aber kann ich nackt und einfach schlafen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Der Herold des Sonntags

1876 – 1934

An perlenblassen Sommersonntagsmorgen

Erscheint ein Himmelskind unter en Dingen.

Ihm öffnet kühner Übermut die Schwingen.

Und selbst der Wind hat kaum was zu besorgen.

 

das freie Meer bedenkt kein frohes Morgen,

Denn wenn sich Träume über Tag verdingen,

So ist es nicht, um selber zu gelingen:

Ein Sonntag ist ja überall verborgen.

 

Der Sohn der Sonne wird in uns geboren.

Er strahlt aus Taten, die dem Tag entstammen,

In unsre Welt, die Gottes Wort verloren.

 

O bleiben wir doch ohne Ort beisammen!

Der Sonntag hat uns, wo wir sind, erkoren:

Die Werke, Wesen werden seine Ammen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Der Ruf

1876 – 1934

Der Sturm erfüllt das ganze Meeresdunkel.

So horcht, von Osten kommt das große Tosen.

Es möchte rufen, doch im atemlosen

Sichüberstürzen hörst du bloß Gemunkel.

 

Nun brüllt es auch, und zischendes Gefunkel

Umgeistert wunderlich geschrobne Hosen,

Die Stengel tanzvernarrter Wolkenrosen:

Und donnernd drohen oben Glotzkarfunken.

 

Der Stier beginnt im Winde hoch zu rufen.

Er bringt die Stille des bewußten Starken

Und tritt die blinde Wildheit mit den Hufen.

 

Die Murmenden beginnen abermals zu harken.

Man dient dem Stier in hundert Lebensstufen:

Die Arbeit wird die Wahrheit aller Marken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Der Löwe

1876 – 1934

Der Werktag schleppt sich fort in dickem Regen.

Ein Schiff wird in der Werft zurechtgemacht.

Dort drehn sich starke Krane rasch mit Fracht,

Und auch der Regen wird sich spät erst legen.

 

Das klare Wasser hört nicht auf zu fegen,

Zu Ende sei die Arbeit bald gebracht.

Da staunt: der Nachmittag zeigt seine Macht,

Der Markuslöwe spendet blauen Segen.

 

Im Westen ist er goldig klar erschienen,

Er wälzt sich zwischen Regenbogen vor

Und will, daß Flut und Wind ihm dienen.

 

Die Menschen wimmeln durch des Löwen Odemflor,

Die Boote auf der Goldsee scheinen Bienen,

Und unsre Blicke krönt ein Siegestor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Theodor Däubler                   Ein Wesen

1876 – 1934

Der Geist hat eine Eiche heute Nacht geknickt.

Ich sauste, lausche auf. Ein Riese war gefällt.

Der Hunger, samt der Brunst, hat durch den Sturm gebellt,

Und ein Gespenst urplötzlich unsichtbar genickt.

 

Von einer Eule ward ein Tier zu Tod gepickt,

Der Westwind wo an einer Waldeswand zerschellt,

Der Schreck befiedert übers Feld emporgeschnellt,

Das Wasser hat wie eine Schicksalsuhr getickt.

 

Es ist nun wo ein Ding beschlossen oder aus!

Ich starre ganz zugegen in den Geist der Welt.

Mein panisches Gehaben ist bei sich zu Haus.

 

Viel eher als ein Narr bin ich ein Held.

Ich brauche diesen rauschenttauchten Braus und Graus

Und bin der Saus, der kraus den Geist verzaubert hält.