Adelbert von Chamisso          Der ausgewanderte Pole

1781 – 1838

Noch hält auf uns der Zwingherr seine Hand,

Wir werden in die Heimat heimgetrieben.

Nicht wahr, man soll sein Vaterland doch lieben

Und nicht zerreißen dieses letzte Band?

 

Nicht wahr, der Mannestugend erstes Pfand,

Der reinste, heiligste von allen Trieben,

Die selbst Natur uns in das Herz geschrieben,

Das ist die Liebe zu dem Vaterland?

 

Das weiß ich an den Fingern herzuzählen,

Und mag dir meinen Haß – was wirst du sagen? –

Zu meinem Vaterlande nicht verhehlen.

 

Weh, daß ich Vater bin und frönen muß!

Eh sollte mich zum Blutgerüste tragen

Als in das fluchbeladene Land mein Fuß.

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Mahnung

1781 – 1838

Willst deines Hauses Glanz du aufrecht halten?

Laß rosten deiner Väter Schild und Schwert!

Die tun es nicht, die geben nicht den Wert,

Die Zeit ist abgelaufen, wo sie galten.

 

Das Neue wird, das Alte muß veralten.

Die Meinung hat im Lichten sich verklärt

Und von der rauhen Faustkraft abgekehrt;

Das Wort ist’s, der Gedanke, welche walten.

 

Dort magst du die verfehmten Häupter sehen,

Männer des Wortes, welche tüchtig waren,

Und sehen ihre Sitze ledig stehen.

 

Von dir laß die Geschichte Gleiches melden!

Tüchtig, wie sie, erwirb’ und lasse fahren,

Und Deutschland rechnet dich zu seinen Helden!

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Mich ärgern höchlich.

1781 – 1838

Mich ärgern höchlich alle die Versuche,
Die Welt von Ost in West zurückzudrehen;
Ich möcht' hinwiederum es gerne sehen,
Daß man ihr, West in Ost, zu helfen suche.

 

Du Narr! du Narr! Wie es im großen Buche
Geschrieben stehet, wird es doch geschehen;
Die Welt wird ihren richt'gen Gang schon gehen,
Dein Zorn gereicht dir einzig nur zum Fluche.

 

Ich weiß wohl, daß es nichts zu Sache thut,
Und, wenn es gleich mir so im Sinne steht,
Wohlan, sei still, mein Herz, schon gut, schon gut!

 

Nur, hör' ich sie, wie sie im Übermut
Einander rühmen: „Ei! Wie gut es geht!“
Zum Henker! Macht es mir doch böses Blut.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Vom Pythagoräischen Lehrsatz

1781 – 1838

Die Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit,
Wenn erst die blöde Welt ihr Licht erkannt;
Der Lehrsatz, nach Pythagoras benannt,
Gilt heute, wie er galt zu seiner Zeit.


Ein Opfer hat Pythagoras geweiht
Den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt;
Es thaten kund, geschlachtet und verbrannt,
Einhundert Ochsen seine Dankbarkeit.


Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern,
Daß eine neue Wahrheit sich enthülle,
Erheben ein unendliches Gebrülle;


Pythagoras erfüllt sie mit Entsetzen;
Und machtlos, sich dem Licht zu widersetzen,
Verschließen sie die Augen und erzittern.

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An die Apostolischen

1781 – 1838

 

I. Ev. Matth. Kap. 24.

 

Ja, überhand nimmt Ungerechtigkeit,

Und Not, Empörung, Haß, Verrat befährden.

Die falschen Christi wollen sich gebärden

Als mit dem Unrecht, nicht dem Recht, im Streit

 

Bald aber, nach der Trübsal dieser Zeit,

Wird den Geschlechtern allen auf der Erden

Des Menschen Zeichen offenbaret werden

Mit großer Kraft und hoher Herrlichkeit.

 

Vom Feigenbaume lernt: an seinen Zweigen

Erkennet ihr des Sommers Anbeginn,

Wann steigt der Saft und Blätter schon sich zeigen.

 

Wo habt ihr, blöde Thoren, doch den Sinn?

Ihr seht den Saft in alle Zweige steigen,

Und leugnet euch den Sommer immerhin!

 

 

II. Ev. Matth. Kap. 15 - 23

 

Senkt sich die Sonn’ in klarer Herrlichkeit,

So sagt ihr: Morgen wird das Wetter gut:

Und hüllt der Morgen sich in trübe Glut,

Urteilt ihr: ein Gewitter ist nicht weit.

 

Könnt ihr denn nicht die Zeichen dieser Zeit

Auch deuten, wie ihr doch den Himmel thut?

Ihr Heuchler, Pharisäer, Otterbrut,

Wohl hat von euch Jesaias prophezeit:

 

Es spricht der Herr: dieweil ich es erfahren,

Daß, wenn sie mich bekennen mit dem Munde,

Sie mit dem Herzen ferne von mir sind,

 

Will seltsam ich mit diesem Volk verfahren,

Daß seiner Weisen Weisheit geh’ zu Grunde

Und seiner Klugen Klugheit werde blind.

 

 

III.  Schiller

 

Ihr wollt zurück uns führen zu den Tagen

Charakterloser Minderjährigkeit?

Ihr hängt umsonst an der Vergangenheit,

Ihr werdet nicht die Zukunft unterschlagen.

 

Es ist ein eitel, ein vergeblich Wagen,

Zu greifen ins bewegte Rad der Zeit;

Der Morgen graut, verscheucht die Dunkelheit,

Und leuchtend stürzt hervor der Sonnenwagen.

 

Die, blind und taub, ihr Augen habt und Ohren,

Nicht Stimmen hören wollt, nicht Zeichen sehen,

Ich zittre nur für euch, ihr blöden Toren!

 

Denn Gottes Ratschluß wird dennoch bestehen,

Die Frucht der Zeit zu ihrer Zeit geboren

und das, was an der Zeit ist, doch geschehen.

 

 

IV.

 

Die öffentliche Meinung schreit und klagt:

Ihr habt von mir erborget eure Kraft;

Durch mich geschah, was Großes ihr geschafft,

Durch mich gelang, was siegreich ihr gewagt.

 

Und nun ich euch erhört, wollt ihr als Magd

Mich züchtigen mit Ruten und mit Haft;

Ihr schämt euch flüchtiger Genossenschaft

Und habt mir, eurer Herrin, widersagt?

 

Und doch, ihr hörtet meine Donner rollen,

Und der Koloß der Zeit war schon zerstoben,

Von dessen Joch ich kam euch zu erlösen. –

 

Ihr Seifenblasen, die mein Hauch geschwollen,

Und flücht’gen Schimmers meine Huld gehoben,

Ihr eitle Seifenblasen – seid gewesen!

 

 

V.

 

Wer hat zum Schreier also dich bedungen?

Es möchten Lieder besser dir gedeihen,

Welchen auch gern das Ohr die meisten leihen;

Hast du nicht sonst von Lieb’ und Wein gesungen?

 

Könnt’ ich aus ehrner Brust doch tausend Zungen

Mit Hauch beleben, alle wollt’ ich weihen

Gellend das eine, alte Lied zu schreien,

Bis in verschloßnen Ohren es erklungen.

 

Es ist hoch an der Zeit, sie aufzuschrecken,

Die taumelnd um den Rand des Abgrunds wallen,

Ob schlafend nicht, dennoch nicht zu erwecken;

 

O muß die schwache Stimme so verhallen!

Es drohet euch der Sturz, mir bloß das Schrecken; -

Ein Vogel schwingt sich auf, wo Eichen fallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Die letzten Sonette

1781 – 1838

I.

 

„Du sangest sonst von Frauen-Lieb’ und -Leben,

Mein trauter Freund, mir schöne Lieder vor;

An deinen lieben Lippen hing mein Ohr,

Ich fühlte mich in Lieb und Lust erbeben.

 

Du singst nicht mehr; - um deine Lyra weben

Die Spinnen, dünkt mich, einen Trauerflor;

Sprich, wirst du nie die Lust, die ich verlor,

Du süßer Liedermund, mir wiedergeben?“

 

Ich trage selbst – still, still! mein gutes Kind –

Geduldig und entbehre sonder Klage;

Bin müde jetzt, verklungen ist mein Singen.

 

Ein Sänger war ich, wie die Vögel sind,

Die kleinen, die nur zwitschern ihre Tage. –

Der Schwan nur ... – Reden wir von andern Dingen!

 

 

II.

 

Ich fühle mehr und mehr die Kräfte schwinden;

Das ist der Tod, der mir am Herzen nagt,

Ich weiß es schon; und was ihr immer sagt,

Ihr werdet mir die Augen nicht verbinden.

 

Ich werde müd’ und müder so mich winden,

Bis endlich der verhängte Morgen tagt,

Dann sinkt der Abend, und wer nach mir fragt,

Der wird nur einen stillen Mann noch finden.

 

Daß so vom Tod ich sprechen mag und Sterben,

Und doch sich meine Wangen nicht entfärben,

Es dünkt euch mutig, übermutig fast.

 

Der Tod! – der Tod? – Das Wort erschreckt mich nicht,

Doch hab ich im Gemüt ihn nicht erfaßt

Und noch ihm nicht geschaut ins Angesicht.

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Für Madame Adelbert

1781 – 1838

Ob ich dich liebe? kannst du wohl es fragen?

Und können Worte deine Zweifel heben?

Die einz'ge Antwort ist das volle Leben.

Fürwahr, die Worte wissen's nicht zu sagen.

 

Ob ewig lieben werde? Zu beklagen

Ist die, der Schwüre nur Gewißheit geben;

Sind Schwüre doch nur Schwüre, Worte eben,

Wie welkes Laub im Winter anzuschlagen.

 

"Wie kannst du, roher Mann, mich so betrüben?

Was kann ich, Böser, Guter, sonst begehren,

Als, was mich freut, aus deinem Mund zu hören?"

 

Du reinster, frommster, aus der Engel Chören,

Und mein, mein Kind, mein Weib, mein, sonder Wehren

Mein ganzes Sein, mein Leben und mein Lieben!

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Der einst zum Grabstein Blüchers bestimmte

1781 – 1838                                        Granitblock am Zobten.

 

Was dieser mächt’ge Stein der künft’gen Zeit

Von uns erzählen wird? Ihr mögt ihn fragen;

Er wird euch schroff und kalt die Antwort sagen:

Ich bin der Denkstein der Vergessenheit.

 

Um Freiheit ward und Unabhängigkeit

Begeistert manche Völkerschlacht geschlagen,

Ein Held war Völkerfürst in diesen Tagen

Und Vorwärtsführer in den heil’gen Streit.

 

Ich ward bestimmt, als Grabstein dieses Helden

Der späten Nachwelt die Begeisterung,

Die schnellverrauchende des Tags, zu melden.

 

Doch, als sie her mich zogen, war indessen

Das Rad der Zeit gerollt in schnellem Schwung,

und er und ich, wir waren schon vergessen.

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Dichters Unmut

1781 – 1838                                        (nach Fouque)

 

Wir tragen gar im Herzen manche Pfeile,

Und blutet’s in dem stillen Schoß der Nacht,

So wird vom Schmerz das Lied hervorgebracht,

So reihet wunderbar sich Zeil’ an Zeile.

 

Sie lesen’s nun, so, für die Langeweile,

Wann träg und laß sie die Verdauung macht,

Und finden’s hübsch, und finden’s schlecht erdacht,

Und hier ist’s schwach, und dort entbehrt’s der Feile.

 

Wir haben’s aber so in der Natur,

Wir schreiben ganz mit unsers Herzens Blut,

Was sie bekritteln zwischen Schlaf und Wachen.

 

O Pelikanes-Wirtschaft! wär’s doch nur

Für keine gar so miserable Brut!

Was thut’s, wir werden’s drum nicht anders machen.

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An Trinius

1781 – 1838

Der Unhold, der im Schlaf mich überfallen,

Brach meine Kraft ohn’ allen Widerstreit;

Auf meine Brust sich legend schwer und breit

Riß er ins Fleisch mir schmerzlich seine Krallen.

 

Ich sprach: Geschehe, was dem Herrn gefallen!

Rufst du, sein Knecht, mich ab? ist’s an der Zeit?

Du findest mich gerüstet und bereit. –

Er ließ ein Hohngelächter gellend schallen.

 

Ich schaute scharf ihn an; da troff ein kalter

Angstschweiß von meiner Stirn herab, da hatt’s

Ein Ende bald mit meinem kecken Mut.

 

Er sprach: Geduld! ich sauge bloß dein Blut;

Du meintest schon den Tod? nicht also, Schatz;

Ich bin, von dem du fabeltest – das Alter.

 

 

 

Es ist ja Sommer, wie die Leute sagen;

Du, Sonne, scheinst erkaltet und verblaßt;

Sprich, bist auch du denn alt geworden, hast

Nicht mehr die Kraft, wie in der Jugend Tagen?

 

Das Alter, ja! was frommte da zu klagen,

Das ist ein arger, unbequemer Gast!

Man lernt wohl noch sich fügen seiner Last,

Das unvermeidliche getrost ertragen.

 

Es ist ja nur um eines Tages Lauf;

Nacht wird’s, ich kann zum Werke nicht mehr sehen

Und muß wohl schon die Abendfeier halten.

 

Ein Vorhang fällt, ein andrer wallet auf;

Viel gab, des Wille soll und wird geschehen;

Ich will zum Dankgebet die Hände falten.

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An den Träumer

1781 – 1838                                        1829

 

Wach’ auf! du träumst, kein Schatten ist zu sehen;

Der alte Held ist tot und soll es sein;

Um das zerbrochne Schwert, das ehmals sein,

Bemühen, eitlen Wahnes, sich Pygmäen.

 

Der andre - - schweig! er wird dich nicht verstehen;

Der ist von einem Schatten nur der Schein;

Du rufest in das leere Nichts hinein,

Und dennoch kreist die Zeit in Kindeswehen.

 

Kein Riese taugt die Zwerge zu erschlagen,

Sie freuen sich der Nacht, die sie geboren,

Und können nicht des Tages Schein ertragen.

 

Laß triumphieren diese eitlen Thoren.

Es graut im Osten und beginnt zu tagen;

Die Sonne bricht hervor – sie sind verloren.

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Sängers Lohn

1781 – 1838                                        1832

 

Kommt über dich der Geist mit mächt’gem Rauschen.

Entzündet deine Seele sich zum Tone:

Du, Sänger, singest, wie der Vogel, ohne

Zu forschen, wer dem Liede werde lauschen.

 

Du hoffst nur, die du meinest, zu berauschen,

Begehrst nur ihrer Liebe Stolz zum Lohne,

Und reicht die Mitwelt dir die Lorbeerkrone,

Willst du mit Myrt’ und Rose sie vertauschen.

 

Doch sie dafür, je näher dir, je blinder,

Vergilt’s mit häuslichem Verdruß und Hader:

Derweil du schreibst, versäumst du Weib und Kinder.

 

Und achselzuckend fragen die Genossen:

Ob je gemünztes Gold aus deiner Ader

In deiner Wirtschaft Kasse sei geflossen.

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Zu Stägemanns Jubiläum

1781 – 1838                                        1834

 

Laß zu Minervas Ölzweig sich gesellen

Apillos Lorbeer, deutsches Laub der eiche,

Und, was der höchste Stolz von Florens Reiche

An Blumen ist, Sternblumen, Immortellen.

 

Mischt Rosen ein; von frischen Rosen schwellen

Soll dieser Kranz, dem keiner sich vergleiche,

Und prunkend schmücke sich der farbenreiche

Mit bunten Blumen und mit hellen.

 

Dem Jüngling dort den Kranz, den ihr gewunden!

- Laßt euch nicht irren sein fast weißes Haar,

Er trägt’s im Scherze, weise zu erscheinen. –

 

Ihr habt in ihm den würdigen gefunden,

Der, wie dem Vaterland, euch teuer war,

Den Kanzler und den Sänger gleich im Einen

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Vor dem Bilde von Karl Lessing

1781 – 1838

„Das trauernde Liebespaar“

nach Uhlands Gedicht: „Das Schloß am Meer“

 

Wer ist’s, der dieses Bild gemalt? wie heißt er? –

Karl Lessing heißt er, und die Leute sagen,

Er sei noch in der Jugend ersten Tagen,

Daß aber er ein Künstler ist, beweißt er.

 

Und sich zu Uhland, meinem hohen Meister,

Zu setzen darf der stolze Knabe wagen

Und hoffen, ihn vielleicht zu überragen!

Ach, täglich wird die Jugend dreist und dreister!

 

Du, Lessing, solltest, mein’ ich, Ehrfurcht haben

Vor uns, die wir ein halbes Hundert Jahre

Gewollt, versucht, gestrebet und gerungen.

 

Und wie ich zürne, hast du mich bezwungen;

Den Nacken beug’ ich, schüttle graue Haare,

Und küsse dir die Hand, der Greis dem Knaben!

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An Friedrich Schiller

1781 – 1838

Des heil’gen Herzens tiefstem Grund entschweben

Der Ideale göttliche Gestalten;

Den Stimmen gleich der himmlischen Gewalten,

Erstrahlen deine Lieder in das Leben.

 

Dir müßte sich das junge Herz hingeben,

Da glühend ihm die starken Töne hallten;

Ich sah des Lebens Blüten sich entfaltan,

Den Retter, dich, in fernem Lichte schweben.

 

Dir wollt’ ich nahn in Geistes Umarmungen,

Nach jenem Lichte wollt’ ich stark mich schwingen;

O, höhne nicht des Strebenden Erkühnen!

 

Vom Lorbeer nicht das Haupt mir zu umgrünen,

Nicht, um gemeinen Lobpreis zu erzwingen:

Um deines Herzens Preis hab’ ich gerungen.

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Der Sturm

1781 – 1838

Den stillen Schooß der dunklen Nacht durchdringen

Des Donners Schmettertöne; schwarz umzogen

Wölbt unheilsschwanger sich der hehre Bogen, -

Die Sterne löschen – Elemente ringen –

 

Der Feuerengel schüttelt wild die Schwingen;

Es stürzen Feuer-, stürzen Wasserwogen;

Des Windes Heulen stöhnet langgezogen –

Im Sturme ahn’ ich höh’rer Wesen Ringen.

 

Es muß die bleiche Furcht das Herz erschleichen,

Wenn Geister kämpfen in des Sturmes Wehen;

In banger Ahnung steht der Sohn der Erden.

 

Doch enden wird der Kampf, der Sturm entweichen,

Und der Natur ein neues Glück erstehen –

Fort kämpft des Herzens Kampf der Sohn der Erden.

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Vom wackern Reichhart

1781 – 1838

Ein altes Lied aus dem Französischen des XVI. Jahrhunderts

 

Von jenem Recken schreiben Hochgelahrte,

Daß nimmer ihm gegrauet vor Gefahren;

Verrückt vom Bösen, ehlich er sich paarte

Ihm, der da war in Frauens Leib gefahren.

 

Solch schlimmer Trug sich endlich offenbarte;

Er wußt’ vor Furcht, vor Leid sich zu bewahren,

Daß seinem Namen hoher Ruhm verklarte;

Lob war in allen Landen zu gewahren

                                               von jenem Recken.

 

Und einer Königstochter Wünsche waren

Zu ihm gewandt, die gern in diesen Jahren

Dem guten Reichhart werd’ in andrer Ehe,

 

Dieweil ob Weibern, Teufeln angebunden,

Man’s besser hat im Haus und stillres Wehe;

Wer darnach frage, mög’ es denn erkunden

                                               Von jenem Recken!

 

 

 

 

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          An Fichte

1781 – 1838

Indes die niedre Welt, gehüllt in Grauen

Vom Zeitgeist, Nacht und Schlaf verblinden,

Strebst, nachtentwachs’ner Fels, du, Licht zu finden,

Des Äthers Geister grüßend, voll Vertrauen.

 

Dein Haupt umkränzt vom Licht der luft’gen Auen,

Ziehst mit megnet’scher Kraft du aus den Gründen

Reine Metalle, die mit Klang verkünden

Ihr mut’ges Streben, höh’res Licht zu schauen.

 

Magnet, geheimnisvoller Stein, mir deuten

Willst du des Nordsterns ferne Klarheit,

Durch ihn der vier Weltstriche wahre Richtung.

 

So muß die strenge Wissenschaft mich leiten

Zu ew’ger Liebe, Sittlichkeit und Dichtung,

Im Kampf mich führen zur hochheil’gen Wahrheit.

 

 

 

 

Adelbert von Chamisso          Sie und Er

1781 – 1838

Sie

 

Ob ich es soll im raschen Wahne wagen,

Von deinem Arm umfangen mich zu lassen,

Ganz hin mich gebend, stark dich zu umfassen?

Ob nur der Liebe Sonne mir soll tagen?

 

Ob ich den schwachen Mächten soll entsagen,

Die, schüren sie, der Liebe Flammen hassen?

Ob ich dich soll, ob jene kühn verlassen?

Es will die angstbestürmte Brust verzagen!

 

So sturmgeschlagen rauschen auf die Wogen,

Doch ihr Ertosen klaget meiner Trauer:

In unsern Tiefen wohnt ein nächt’ger Schlummer.

 

Und abwärts ist mein Sehnen ernst gezogen,

Dem Kampf entweichend, dort mit Hoffnungsschauer

Erseh’ ich Rast von meinem heißen Kummer.

 

 

Er

 

Die zarten Saiten, stark erschüttert, lassen

Umleuchten nicht von himmlischen Akkorden

Der Harmonien Kelch; vom rauhen Norden

Erbrausen Stürme, die das Schöne hassen.

 

Auf raffe dich und wisse dich zu fassen,

Des Himmels Götterkraft ist dir geworden!

Des Himmels Feuer soll das Ird’sche morden,

Das Schreckbild der Gewöhnlichkeit erblassen.

 

Die Kraft der Liebe waltet unbestritten,

In Flammenfluten tauch’ und neugeboren

Entschwinge stark dich zu der blauen Klarheit!

 

Die Afterwelt entsinkt den Flammentritten;

Wir fanden uns, die wollend sich verloren;

Dem Doppeltod erstand das Uns zur Wahrheit.