Joseph Eichendorff Jugendandacht
1788 – 1857
Was wollen mir vertraun die
blauen Witen,
Des Landes Glanz, die Wirrung
süßer Lieder,
Mir ist so wohl, so bang! Seid
ihr es wieder
Der frommen Kindheit stille
Blumenzeiten?
Wohl weiß ich’s – dieser
Farben heimlich Spreiten
Deckt einer Jungfrau strahlend
reine Glieder;
Es wogt der große Schleier auf
und nieder,
Sie schlummert drunten fort
seit Ewigkeiten.
Mir ist in solchen linden,
blauen Tagen,
Als müßten alle Farben
auferstehen,
Aus blauer Fern sie endlich zu
mir gehen.
So wart ich still, schau in
den Frühling milde,
Das ganze Herz weint nach dem
süßen Bilde,
Vor Freud, vor Schmerz? – ich
weiß es nicht zu sagen.
IV
Viel Lenze waren schon lange
vergangen,
Vorüber zogen wunderbare
Lieder,
Die Sterne gingen ewig auf und
nieder,
Die selbst vor großer
Sehnsucht golden klangen.
Und wie so tausend Stimmen
ferne sangen,
Als riefen mich von hinnen
sel’ge Brüder,
Fühlt ich die alten Schmerzen
immer wieder,
Seit deine Blicke, Jungfrau,
mich bezwangen.
Da war’s, als ob sich still
dein Auge hübe,
Langst sehnsuchtsvoll nach mir
mit offnen Armen,
Fühlst selbst den Schmerz, den
du mir süß gegeben. –
Umfangen fühl ich innigst mich
erwarmen,
Berührt mit goldnen Strahlen
mich das Leben,
Ach! daß ich ewig dir am
Herzen bliebe!
V
Wann Lenzesstrahlen golden
niederrinnen,
Sieht man die Scharen
losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der
Schmuck geliehen,
Die lust’ge Jagt nach Lieb und
Scherz beginnen.
Den Sänger will der Frühling
gar umspinnen,
Er, der Geliebteste, darf
nicht entfliehen,
Fühlt rings ein Lied durch
alle Farben ziehen,
Das ihn so lockend nimmer läßt
von hinnen.
Gefangen so, sitzt er viel
sel’ge Jahre;
Des Einsamen spottet des
Pöbels Scherzen,
Der aller Glorie möchte Lieb
entkleiden.
Doch er grüßt fröhlich alle,
wie sie fahren,
Und mutig sagt er zu den süßen
Schmerzen:
„Gern sterb ich bald, wollt
ihr von mir je scheiden!“
VI
Wann frisch die buntgewirkten
Schleier wallen,
Weit in das Land die Lerchen
mich verführen,
Da kann ich’s tief im Herzen
wieder spüren,
Wie mich die Eine liebt und
ruft vor allen.
Wenn Nachtigalln aus grünen
Hallen schallen,
Wen möchten nicht die tiefen
Töne rühren;
Wen nicht das süße Herzeleid
verführen,
Im Liebesschlagen tot vom Baum
zu fallen? –
So sag auch ich bei jedem
Frühlingsglanze:
Du süße Laute! laß uns beide
steren,
Beklagt vom Widerhallen zarter
Töne,
Kann unser Lied auch nie den
Lohn erwerben,
Daß hier mit eignem, frischem
Blumenkranze
Uns endlich kröne nun die
Wunderschöne! –
VII
Der Schäfer spricht, wenn er
frühmorgens weidet:
„Dort drüben wohnt sie hinter
Berg und Flüssen!“
Doch seine Wunden deckt sie
gern mit Küssen,
Wann lauschend Licht am
stillen Abend scheidet.
Ob neu der Morgenschmuck die
Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und
Stern’ begrüßen,
Stets fern und nah bleibt
meine Lieb der Süßen,
Die in dem Lenz mich ewig
sucht und meidet. –
Doch hör ich wunderbare
Stimmen sprechen:
„Die Perlen, die du treu
geweint im Schmerze,
Sie wird sie sorglich all
zusammenbinden,
Mit eigner Kette so dich süß
umwinden,
Hinaufziehn dich an Mund und
blühend Herze –
Was Himmel schloß, mag nicht
der Himmel brechen.“
VIII
Wenn du am Felsenhange standst
alleine,
Unten im Walde Vögel seltsam
sangen
Und Hörner aus der Ferne
irrend klangen,
Als ob die Heimat drüben nach
dir weine,
War’s niemals da, als rief die
Eine, Deine?
Lockt dich kein Weh, kein
brünstiges Verlangen
Nach andrer Zeit, die lange
schon vergangen,
Auf ewig einzugehn in grüne
Scheine?
Gebirge dunkelblau steigt aus
der Ferne,
Und von den Gipfeln führt des
Bundes Bogen
Als Brücke weit in unbekannte
Lande.
Geheimnisvoll gehn oben goldne
Sterne,
Unten erbraust viel Land in
dunklen Wogen –
Was zögerst du am unbekannten
Rande?
IX
Es wendet zürnend sich von mir
die Eine,
Versenkt die Ferne mit den Wunderlichtern.
Es stockt der Tanz – ich stehe
plötzlich nüchtern,
Musik läßt treulos mich so
ganz alleine.
Da spricht der Abgrund dunkel:
Bist nun meine;
Zieht mich hinab an bleiernen
Gewichtern,
Sieht stumm mich an aus
steinernen Gesichtern,
Das Herz wird selber zum
kristallnen Steine.
Dann ist’s als ob es dürstend
Schmerzen sauge
Aus lang vergeßner Zeit
Erinnerungen,
Und kann sich rühren nicht,
von Frost bezwungen.
Versteinert schweigen muß der
Wehmut Welle,
Wie willig auch, schmölz ihn
ein wärmend Auge,
Kristall zerfließen wollt als
Tränenquelle.
X
Durchs Leben schleichen
feindlich fremde Stunden,
Wo Ängsten aus der Brust
hinunterlauschen,
Verworrne Worte mit dem
Abgrund tauschen,
Drin bodenlose Nacht nur ward
erfunden.
Wohl ist des Dichters Seele
stumm verbunden
Mit Mächten, die am Volk
vorüberrauschen;
Sehnsucht muß wachsen an der
Tiefe Rauschen
Nach hellerm Licht und nach
des Himmels Kunden.
O Herr! du kennst allein den
treuen Wilen,
Befrei ihn von der Kerkerluft
des Bösen,
Laß nicht die eigne Brust mich
feig zerschlagen!
Und wie ich schreibe hier, den
Schmerz zu stillen,
Fühl ich den Engel schon die
Riegel lösen,
Und kann vor Glanze nicht mehr
weiterklagen.