Ferdinand Freiligrath             Noch zwei Sonette

1810 – 1876

 

I.

 

Von Nassau's Burg der edle Herr vom Steine
Und noch ein Wackrer, derb und turnerfahren,
Ein Bürgerkind mit langen Burschenhaaren
Die fuhren einst zusammen auf dem Rheine.

 

Wie war er grün von Wallnußlaub und Weine!
Wie grau von Trümmern, die sonst Vesten waren!
Anschaut' in seinem Spiegel sich, dem klaren
Raubnest um Raubnest, schroff, in rost'ger Bräune!

 

Dem Stein, wie billig, schwoll die Freiherrnader:
„O Glück, ein Kind sich des Geschlechts zu wissen,
Das also trotzig Quader hob auf Quader!"

 

Der Andre drauf: „Meins hat sie abgerissen!
Und das ist mein Stolz - doch darum kein Hader!" -
Der Freiherr hat die Lippe sich gebissen.

 

 

 

 

II.

 

O, drückt' auch uns nur landlos ein Johann!
Kein größer Heil, bei Gott, als solche Johne!
Ihr wißt, wie Kühnheit zorniger Barone
Die Freiheit Englands Jenem abgewann!

 

Ein schlaffer König und ein feiger Mann,
Schmachvoll vom Papste hielt er Land und Krone;
Trieb sich umher auf blut'gem Wanderthrone,
Zu gleicher Zeit ein Schwächling und Tyrann!

 

So schafft' er sich und seinem Volke Noth,
Bis jach ein Herr vor seinem Zelte scharrte,
Bis ihn sein England wild die Stirne bot.

 

O, wie beredt war dessen Kriegsstandarte!
Geht mir mit „guten Fürsten!" - ein Despot
Gab Englands Männern ihre große Charte!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Freiligrath             An Eduard Paulus*

1810 – 1876

So ist es recht! Noch einen wackern Schwaben

zur lustgen Fehde wider Niederland!

Willkommen, Paule! Gruß und Druck der Hand

Laß dir gefallen von mir altem Knaben!

 

Noch ist es Zeit! Auf denn, ins Feld zu traben!

Nachdrücklich sei der Nachdruck heut berannt!

Was gilt es, Freund? bald zappelt er im Sand, -

Dann magst du forschen wiederum und graben.

 

Magst deinen Alten ins Gebirg entfliehn,

Durch alter Städte graue Tore ziehn,

Auf Burgen stehn, ein sinniger Viator!

 

So wehrst du Schwabens, mehrst du deinen Ruhm!

Nur tief hinein in „Kunst und Altertum,“ –

Baumeister, Dichter, Landeskonservator!

 

 

 

* Antwort auf ein Sonett von Eduard Paulus, den der Dichter aufgefordert hatte, sich seinem Protest gegen den holländischen Nachdruck anzuschließen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Freiligrath             Die Linde bei Hirzenach

1810 – 1876

Nur leis’ bewegt vom lauen Uferwinde,
Roth noch vom Abend, dem erst halb verglühten,
Dein friedlich Dörfchen friedlich zu behüten,
Wie stehst du schön am Rheine da, 0 Linde!

 

Nun wird es Nacht! Nun eilt mit ihrem Kinde
Die junge Bäurin unter deine Blüthen!
Nun kühlst du auch, die sich am Tage mühten,
Den alten Winzer und sein Hausgesinde!

 

Der Gute spricht von längst verfloss’nen Jahren;
Er hat als Kind den Freiheitsbaum umsprungen,
Und der warst du - so melden die Berichte.


Nun spielt dein Wehn zahm mit des Greises Haaren
Abtrünnige! Noch hast du nicht geschwungen
Dein letztes Laub! Vorwärts geht die Geschichte!

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Freiligrath             Moderne Metamorphose

1810 - 1876

Es meldet uns die heilige Geschichte

Wie Abraham den Sohn nahm bei den Ohren,

Den er dem Herrn zum Opfer wähnt erkoren;

Doch brach´ der Herr es gnädig in die Richte.

 

Wo aber melden Klio, wo Gedichte,

Daß eine Mutter grausam sich verschworen,

Den Herzenssohn, den schmerzvoll sie geboren,

Mit eigner Hand zu schleppen vor Gerichte?

 

Der Neuzeit war die Blutthat aufbehalten;

Das Messer zuckt, - o grausenhaftes Walten!

Kannst, Mutter, Du im eignen Blute schalten?

 

Doch, Götter! - welch ein Wunder ist geschehen!

Den Sohn - im Unterrock alsbald wir sehen

Als Primadonna nun auf Reisen gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Freiligrath             Sonett

1810 – 1876

Den ersten Frost des Winters hab’ ich gerne,

Wenn unterm Fuß des Jägers knarrt der Schnee,

Wenn auf die Felder krächzend zieht die Kräh’,

Und wenn der Dammhirsch Reif trägt im Gehörne!

 

Jetzt nach Paris! – Jüngst kehrt’ ich aus der Ferne

In seine Mauern! Ernst aus ihrer Höh’

Sahn Säul’ und Louvre, Nebel zog am Kai,

Drin glommen rötlich Fackel und Laterne.

 

Wie liebt’ ich diese graue Zeit! – die Seine

Begrüßt ich jubelnd, die in ihrem Bette

Wie eine Fürstin normandiewärts schwamm!

 

Du ja warst in Paris! - Ho, eine Träne? –

Daß sich ihr Herz so bald geändert hätte,

Wie konnt’ ich es denn wissen auch, Madame?

 

 

 

 

 

 

 

Ferdinand Freiligrath             Sonett

1810 – 1876                                        1843

 

Wo sind die Adler, die mit kühnem Feuer

Aus unsern Wäldern auf zur Sonne flogen?

Und die gesangreich prächt’ge Kreise zogen,

Wohin entflohn die Schwäne doch vom Weiher?

 

Wo sind die süßen Nachtigallen heuer?

Und wo die Lerchen? Haben zorn’ge Wogen

Um ihre Rückkehr neidisch uns betrogen?

Zerbrach ein Sturmwind ihrem Flug das Steuer?

 

Sie sind verstummt, ach! oder sind gestorben!

Kein Adler mehr in deutschen Dichterhainen!

Schwan, Lerche, Sprosser – hin sind ihre Tage!

 

Ein neu Geschlecht doch haben wir erworben:

Es brüstet sich mit gallischen Refrainen

Ein Gimpel Berangers auf jedem Hage!