Sonett-Forum

Normale Version: Gläserrücken
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Gläserrücken

Wir aßen und tranken als du (hochnotpeinlich!)
mein Wasserglas (oder war's Tee?) mitbenutztest
und grade das Glas angesetzt, schreckend stutztest,
du aufstandest und mir, im Übermaß reinlich,

mein Trinkgefäß gleich wieder sorgfältig putztest.
Ich sagte noch etwas; Ich weiß nicht - wahrscheinlich:
"Ich bin in dem Punkt nicht so fürchterlich kleinlich."
und wünschte mir nur, daß du mich so beschmutztest.

Doch heute, ich glaub es kaum, nun nimmst du endlich
mein Weinglas und nippst dran; ich staune und gucke:
Der Wechsel der Gläser ist offen erkenntlich!

Da nimmst du, weil's schmeckt, dir nochmal ein, zwei Schlucke
und hältst es inzwischen für ganz selbstverständlich.
Und ich? Ich berausch mich am Wein - und an Spucke.


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Als erstes meiner Sonette habe ich Gläserrücken auch versucht ins Englische zu übersetzen:
Glass moving
Hallo, Zaunkönig, ganz schön schwierig zu lesen, diese Zeilen. Kommt mir etwas holperig vor und sehr anders als deine mir bisher offenbarten Verse. Vom Inhalt durchaus nachvollziehbar; wenn die Nähe sich intensiviert, macht man alles mit.
Schöne Grüße
Margret
Hallo Zaunkönig,
ich muss mich meiner Vorrednerin insofern anschließen, dass obiges Sonett 'ganz anders' ist als was wir sonst so von dir gelesen haben. Es gefällt mir aber sehr gut, ist sehr schön leicht und heiter.

Ein paar ganz kleine Anregungen hätte ich, die auch mir das Lesen erleichtern würden, z. B.:

Z 5: mein T. wieder ganz sorgfältig putztest

Z. 9: ... nimmst du nun endlich

Z. 12: ... dir noch ein, zwei Schlucke

Man kann es sicher unterschiedlich lesen, aber diese winzigen Silben umgestellt bzw. unterschlagen würden für mich den Rhythmus bereinigen.

LG Silja
Ja, der geneigte Sonett-Leser ist seit Jahrhunderten auf den fünfhebigen Jambus geeicht, daß er bei anderen Versformen leicht ins Stolpern gerät, auch wenn sie regelmäßig sind.

Hier ein daktylischer Vers, oder genauer ein "Amphibrachys"

oder:

- ^ - - ^ - - ^ - - ^ -


so betont sollten die Verse eigentlich laufen

Wink ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

in Zeile 12 hast du [natürlich!] Recht.
Mein Vorschlag zu Zeile 5 zielte eher darauf ab, das wiederholte 'mir' zu vermeiden, und in Zeile 9 würde mir die Kombination 'nun endlich' eigentlich mehr zusagen.

Aber wie gesagt, das sind ja nur Winzigkeiten.

S.
Hallo Silja,

Dies ist zwar ein älterer Text, aber ich zähle ihn noch immer zu meinen besten, und tue mich ehrlich gesagt mit Änderungen recht schwer, zumal es auch ein persönlicher Text ist (keine reine Dichtung) dem "ganz" in Zeile fünf sähe man auch an, daß es nur ein Füllwort ist, insofern sehe ich das nicht als eine wirkliche Verbesserung. Über die Zeile 9 kann man noch nachdenken. Ich wollte den Akzent schon bewußt auf den Augenblick legen, also das nun, aber die zeitliche Dimension wird ja auch im "endlich" betont; und vorgetragen ist noch etwas anderes als gelesen... Ich denke, wenn ich noch länger drüber nachdenke, kann ich mich mit "nimmst du nun endlich" auch anfreunden...

LG ZaunköniG
Zitat:"nimmst du nun endlich"
kann natürlich auch als Aufforderung mißverstanden werden, ach, es wird immer schwieriger.

ZkG
Im Zusammenhang halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass jemand es als Aufforderung missverstehen würde. Da mach dir mal keine Sorgen!
Aus stilistischen Gründen hat sich die englischer Fassung etwas weiter vom Oririnal entfernt, als es für eine Übersetzung eigentlich statthaft wäre, und so stellt sich die Frage ob ich die deutsche Fassung anpasse.
Im Grunde gefällt sie mir so wie sie ist, aber für den Fall eines Parallelabdrucks kann man ja eine Alternative entwickeln:


Gläserrücken

Wir aßen und tranken als du (hochnotpeinlich!)
- wohl ganz in Gedanken - mein Glas mitbenutztest
und grade das Glas angesetzt, schreckend stutztest,
du aufstandest und mir, im Übermaß reinlich,

mein Trinkgefäß wieder poliertest und putztest.
Ich sagte noch etwas; Ich weiß nicht - wahrscheinlich
ich sei in dem Punkt nicht so fürchterlich kleinlich.
und wünschte mir nur, dass du mich so beschmutztest.

Doch heute, ich glaub es kaum, nun nimmst du endlich
mein Weinglas und nippst dran; ich staune und gucke:
Der Wechsel der Gläser ist offen erkenntlich!

Da nimmst du, weil's schmeckt, dir nochmal ein, zwei Schlucke
und hältst es inzwischen für ganz selbstverständlich.
Und ich? Ich berausch mich am Wein - und an Spucke.



Eine großere Abweichung bleibt dann noch in den Zeilen 6/7, aber den 4-fach-Reim möchte ich dafür nicht aufgeben.