Sonett-Forum

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Ich schrei im Halsumdrehen ein Gedicht,
in dem ich Wort um Wort für Wort verschwende,
und jedes Ungefühl darin beende;
doch bleibt es mir Bericht, verinnerlicht,

denn hilflos schweige ich ins Angesicht,
verrate mich, wenn ich mich von ihm wende,
als sei die Gegenwart gleich einer Blende,
in der selbst Urvertrauen jäh zerbricht.

So fall ich doch aus jedem Gleichgewicht,
und schriebe ich mich gänzlich nieder, fände
die Feder keinen Fluchtpunkt dieser Sicht,

denn ich bin Kür im Konterfei der Pflicht,
wo Löschpapier verbaler Flächenbrände
die wahre Liebe nur von fern bespricht.
Hallo Fabian,

das beschriebene Gefühl kenne ich nur zu gut. In reiner Selbstreflektion spielen auch Wünsche und Hoffnungen eine Rolle, die nicht alle begründet sind. Nicht gleich der ersten Gefühlswallung nachzugeben und der angebeteten den Himmel zu versprechen ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der eigenen Ernsthaftigkeit, wenn man sein Bekenntnis nicht zum Sankt-Nimmerleinstag hinausschiebt.

Nun aber zum Literarischen:

Zitat:und jedes Ungefühl darin beende;
doch bleibt es mir Bericht, verinnerlicht,

Wenn du jedes Ungefühl beendest, so lese ich daraus daß du dich dem Gefühl hingibst. Deine Aussage, daß es nur ein innerlicher Bericht ist, scheint dem zu widersprechen. 'Bericht' ist mir viel zu nüchtern. Oder meinst du daß die Träumereien, wie du dich ihr offenbarst, dann nachträglich, wenn du ihr gegenüberstehst zu einem innerlichen Bericht verblassen?

In der letzten Zeile sprichst du von wahrer Liebe. Wenn du (bzw das Lyrich) sie als wahr erkennst, sollte es kein Hindernis mehr geben, sich zu ihr zu bekennen. Oder meinst du mit der wahren Liebe nicht diese Partnerschaft über die es zu entscheiden gilt, sondern ein unerreichtes und unerreichbares Ideal?

Diese beiden Punkte finde ich etwas vage formuliert.


LG ZaunköniG
Sorry für die späte Antwort. War etwas stressig in der letzten Zeit.

Danke für deinen Kommentar.
Ich habe neulich in einem anderen Forum eine Antwort zum Inahlt geschrieben und werde die hier mal reinkopieren.
Dort wurde das Fehlen von These-Antithese bemängelt und noch andere seltsame Äußerungen gemacht, die aber nicht relevant sind. Deshalb jedenfalls die detailierte Aufschlüsselung.

1.Quartett - These: "Ich kann meine Gefühle auf Papier schreiben und ganz toll ein Gedicht daraus machen. Das mache ich mit Links und ich bin gut darin, ein großer Macker der Theorie."

2.Quartett - Gegenthese: "Aber ich kann diese Gefühle nicht aussprechen, denn sobald ich jemandem gegenüberstehe, kriege ich keinen Ton heraus und verschließe mich, bin ein Häufchen Elend in der Praxis."

Terzette - Synthese (Zusammenführung): "Das macht mich unausgeglichen, ich bin unglücklich und werde es nie schaffen, durch mein Schreiben zu dem zu gelangen, was ich sein will. Es reicht nicht einmal zum Verdrängen (Fluchtpunkt) und das wird sich auch nicht ändern, solange ich mich diesen Ängsten nicht stelle und versuche, meine Gefühle offen zu zeigen (Pflicht).
Ich fühle doch und es brodelt in mir (verbale Flächenbrände), doch bevor ich spreche, verziehe ich mich wieder und schreibe es doch nur irgendwo hin (Löschpapier).
Konklusion: Ich werde alleine bleiben und nie eine abkriegen.

Hier öffnet sich eine zweite Sinnebene. Die wahre Liebe wird angesprochen und in der Vorstellung der Romantik heißt es, dass eine unerfüllte, stille Liebe aus der Ferne die eigentlich wahre Liebe ist. Sie ist nämlich frei von Nutzen für den Liebenden und somit die aufrichtigste Form der Liebe, jedenfalls soweit man es von außen betrachtet. Außerdem wird die eigene Freiheit nicht gefärdet, denn man hat ja auch keine Verpflichtungen.
Also wären These und Anthithese, dass die Liebe zu einer Person besteht und auch durchlebt wird, abr nicht mitgeteilt, weil man um die Reaktion und den Verlust der unschuldigen Liebe fürchtet, das Spiel von haben und geben wollen, Erwartungen und Verpflichtungen einzugehen.
Eine Zerreißprobe zwischen Verlangen und Eigenständigkeit.
Am Schluss bleibt die Eigenständigkeit Sieger und auch die Liebe unschuldig.

Gruß, Fabian

PS: Verstehst du jetzt, warum es Bericht heißt?
Hallo Fabian,

Dieses Liebesideal haben nicht erst die Romantiker erfunden, sondern ist im Grunde der Kern der mittelalterlichen Minne. Als Ritter oder fahrender Händler sucht man sich eine höfische dame als Ziel seiner Liebe, gerade weil sie unerreichbar ist. Aber das nur am Rande.

Was du als Synthese bezeichnest, ist in deinem Gedicht keine, da der Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit bestehen bleibt. Allein das "nur" in der letzten Zeile zeigt schon, daß das Lyrich unter der Ferne leidet, sie sich nicht bewußt gewählt hat.
Eine Synthese wäre es z. B. wenn der Bericht abgeschickt wird und so tatsächliche Nähe herstellt. Ich halte aber nichts von dem Dogma, daß ein Sonett antithetisch aufgebaut sein muß. Es eignet sich zwar sehr gut für solche Themen, aber man kann Spannung auch anders erzeugen, oder wenn man die nicht will, eben auch Harmonie.

Zitat:Am Schluss bleibt die Eigenständigkeit Sieger und auch die Liebe unschuldig.
Ist die Eigenständigkeit Sieger, wenn eine Entscheidung aus Furcht getroffen wird?
Die viel interessantere Frage ist doch, wie man Eigenständigkeit in einer Beziehung bewahren / behaupten kann. Und wenn du sie sowieso nicht kriegen kannst, aus welchen Gründen auch immer, so kannst du dich doch viel leichter wieder frei machen, wenn es auch ausgesprochen wird, wenn also keine Illusionen mehr möglich sind.
Ich kenne zwar auch diese beschriebene Gefühlslage, das Sonett scheint mir sehr authentisch, aber deine Erklärungen überzeugen nicht so sehr, wie das Gedicht.
Ich denke, das Lyrich weiß selber daß es nicht um eine unschuldige Liebe geht. Hätte er das volle Bewußtsein seiner Unschuld, d. h. Reinheit seiner Liebe, so hätte er keine Angst abgewiesen zu werden, sondern könnte ganz natürlich und frei darüber reden, und hielte sich bestenfalls zurück um sie nicht in Verlegenheit zu bringen.

LG ZaunköniG
Na, dann erklär ich lieber nichts mehr, wenn das Gedicht besser überzeugt.
Was will ich mehr?

Zum Thema Liebe: Die absolute Eigenständigkeit gibt es in einer Beziehung ja nicht mehr, weil man zwangsläufig Kompromisse eingehen muss und man gegenseitige Erwartungen aufbaut. Das ist eben die idealistische Betrachtung. Liebe bedeutet Abhängigkeit und damit ein Stückweit den Verlust des Selbst.

Übrigens erstaunt mich deine Ansicht, dass das Sonett authentisch ist, in positiver Hinsicht. Wenn es so wirkt, dann habe ich einiges richtig gemacht.
Bin mal gespannt, wie du das nächste Sonett siehst. Wink

Gruß, Fabian
Zitat:Zum Thema Liebe: Die absolute Eigenständigkeit gibt es in einer Beziehung ja nicht mehr, weil man zwangsläufig Kompromisse eingehen muss und man gegenseitige Erwartungen aufbaut. Das ist eben die idealistische Betrachtung. Liebe bedeutet Abhängigkeit und damit ein Stückweit den Verlust des Selbst.

Wie eigenständig ist man, wenn man noch Wünsche hat oder Ziele?
Um einmal Oskar Wilde zu zitieren:
Zitat:Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.

Ansonsten denke ich, daß man seinem Partner so viel Freiheiten lassen sollte, wie möglich. Moralische Maßstäbe sind nur für einen selbst bestimmt. An den Partner sollte man keine Bedingungen stellen; entweder es passt oder nicht.
Klar, es ist ja auch nicht ansatzweise meine Einstellung.

Ich halte es dann schon eher mit Goethe: "Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand, und wie wäre der möglich, ohne Liebe?"

Gruß, Fabian