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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - Dirk Schindelbeck - 23.01.2009 Nach dem Spiel ist vor dem Spiel „Ein Null zu Null steht gar nicht zur Debatte, schon immer lag im Angriff unser Heil, denn den Erfolg, den meine Mannschaft hatte, errang sie im Direktspiel, schnell und steil: Der Offensivgeist hat sie meist zum Sieg geführt, doch kontrolliert.“ Noch kontrolliert der Mann in schwarz die Spieler, die Stollen, Schoner mit geübtem Blick. Das Stadion brodelt. Plötzlich wird es stiller: Soeben aus dem Presseraum zurück Tritt auf der Admiral und wird bestaunt, und alles raunt. Und alles raunt, der Sprecher mahnt zur Wahrung Von Anstand, Fairness, was eh jeder weiß. Kondome gegen Klebstoff: welche Paarung: Sie macht seit Wochen die Gemüter heiß. Die Seite ist, der Anstoß ausgelost - ab geht die Post. Ab geht die Post, jetzt wird nicht mehr gefackelt, Arthur spielt auf, und Charly geht ans Werk. Fritz bricht schon durch – die Klebstoffabwehr wackelt – und Rudi Raser, der kompakte Zwerg flankt scharf herein zu Boss, der haut das Ei knallhart vorbei. Knallhart vorbei und in die Fotografen schlägt ein das Ding, dann legt es sich ins Gras ganz still und sanft, erlaubt sich abzuschlaffen. Ein Extra-Punkt für den gekonnten Spaß. Der Fotograf beweint die Kamera. Die Fans sind da. Die Fans sind da und schwenken ihre Fahnen, sie klatschen, grölen Lieder, pfeifen laut, skandieren, Fäuste reckend und Bananen: „Hier werden auch die Bayern noch verhaut!“ Und aus der Kurve raunt der Gegen-Chor: „Kondome vor!“ Kondome vormarschiert auf beiden Flügeln Mit starkem Antritt, aber Ballgefühl: Es sind die guten mit den Gütesiegeln (und noch nicht ganz so gutem Stellungsspiel), es scheint der Strafraum wie ein Hindernis: da fehlt der Biss. Da fehlen Biss und Witz im Spiel der Grünen, im Aufbau wirkt schon alles so verkrampft; die Gelben aber, die am Ende schienen, sie wachen plötzlich auf, ihr Kessel dampft, ihr Manfred wühlt sich durch die Mitte vor – ein Schrei, ein Tor! Ein Schrei, ein Tor aus Radiogeräten: In Köln führt Meppen jetzt schon sechs zu zwei. Hier aber scheint man geistig weggetreten, doch plötzlich steht der Bruno drüben frei allein vorm Tor, hat alle Zeit der Welt und rennt und fällt. Und rennt und fällt und fasst sich an die Stollen, Gesicht verzerrt von schicksalsschwerer Pein, der Schmerzensmann, und er markiert den Tollen, haut seine Schuhe auf dem Rasen klein und schreit: „Die Stollen sind noch immer nix! Kreuz Kruzifix!“ „Kreuz, Kruzifix um Hals und goldnes Kettchen an Handgelenk, einher kommt Fußballstar, hat Kondition nur nachts mit Zigarettchen und Sekt und Mädchen in die Altstadtbar. Und der da drüben nickt noch, was weiß er, ich leide mehr. Ich leide mehr wie zwanzig Direktoren, ich lieben Mannschaft, Söhne sind für mich. Doch Vater immer predigt taube Ohren – Jungs spielen heute wieder jämmerlich: Wenn nicht bald Tor fällt und bleibt Null zu Null – O weh mein Stuhl.“ „Uwe, mein Stuhl“, herrscht auf der andern Seite der Admiral den Assistenten an. Zu lang geht ihm das Spiel schon in die Breite, jetzt will er näher an das Spielfeld ran. Da hört auch niemand, wenn er leise stöhnt... Der Sponsor gähnt. Der Sponsor gähnt und knistert mit den Scheinen, aus seiner Gondel unterm Zeppelin verfolgt er dieses Auswärtsspiel der Seinen: Wie quält ihn dies vergebliche Bemühn. Er funkt zur Bank hinunter: „Ich erhöh die Prä – mi –e.“ Die Prämie bewirkt in der Kabine zur Pause Schenkelklatschen, Heiterkeit. Allein der Admiral mit kalter Miene verkündet grimmig: „Ich erwarte heut, dass ihr, indem ihr vorführt, was ihr könnt, das Spiel gewinnt.“ Das Spiel gewinnt nun wirklich Qualitäten, wie vor der Halbzeit nie. Der beißt ins Gras, der wird geklemmt und dieser breitgetreten, der umgenietet, diesen trifft etwas. Auf beiden Seiten zeigt sich neuer Mut: Der Ball läuft gut. Der Ball läuft gut hinaus bis an die Ecke, der Ball geht quer, wird elegant gestoppt, der Ball wird lang und geht die weite Strecke, tropft ab, springt hoch und tänzelt wie gedopt von Kopf zu Kopf und läuft im Augenblick zum Tor zurück. Vom Tor zurück, von wo es abgeschlagen, erreicht das Leder Arthur, der es drischt hinaus auf Rudi, der das ding jetzt jagen und scharf reinflanken will, doch da erwischt den Ball mit zartem Fuß Egidius Hinz, der Mätzchenprinz. Der Mätzchenprinz hat diesen Ball erbeutet, Egidius Hinz gibt ihn so schnell nicht her, Egidius weiß, was Ballbesitz bedeutet (und keiner wirbt für Klebstoff so wie er). Er dribbelt lang, er streichelt, küsst den Ball und kommt zu Fall. Und kommt zu Fall, muss raus, gar keine Frage, der Joker ist schon heiß, wird eingetauscht. Dass Rüpelmann auf seine alten Tage im Klebstoffhemdchen übern Platz noch rauscht, wer hätte das gedacht: der Oldie lebt, wenn auch verklebt. Wenn auch verklebt, so schleppt das Spiel sich weiter Kondome dümpeln lustlos übers Feld. Die Klebertruppe spielt jetzt immer breiter, man hat genug geackert für sein Geld. Ein Eckball trudelt noch nach innen und – der Ball ist rund. Der Ball ist rund. Des Sponsors Luftschiff wendet, doch dessen Imposanz ist heut verpufft. Er weiß es ja, wie die Begegnung endet – Da sieht er, so von oben, aus der Luft, die Klebstoffwerke liegen, weiß wie Schnee: welche Idee! Welche Idee entwirft sich ihm zu Plänen! Das Werk dort unten aufgekauft mal schnell sieht er und hört, wie sich die Kunden sehnen nach dem Produkt mit Pfiff: ein Service-Terminal: Kondom-Auswahl und Kleber drin als Set: Wär das nicht nett? „Wär das nicht nett, ein Sätzchen nur zu sagen zum Spielverlauf?“ – „Saison ist noch sehr lang, heut war sehr schwer, doch Mannschaft nie verzagen, zeigt großen Gegner Zähne.“ – „Es errang das Team trotz großem Druck geschickt und cool ein Null zu Null.“ Anmerkung: Eigenlich gehört das Opus rund gedruckt. Weil es 24 Strophen hat, die perfekt in einem Kreis (oder Ball?!) unterzubringende Anzahl. In dieser Optik entfaltet es auch erst seinen Hintersinn als ein halb barockes und halb konkretes Gedicht: Jetzt nämlich wird jede Strophe zu einem (konkreten) Spieler auf dem Feld, der den Ball aufnimmt und weitergibt. Um diese Idee zu demonstrieren, gibt's hier wenigstens ein Übersichtsbild (sozusagen aus der Zeppelin-Perspektive des Sponsors)... Die geniale Strophe (hat ein bisschen was vom Sonettkranz...) verdanke ich übrigens Johann Christian Günther (1695-1723), der sie in seinem Gedicht "An Leonore. Beim anderen Abschiede" erfand. Gedruckt gibt's dieses Fußball-Gedicht auch in: Günter Guben/Astrid Braun: Zur Zeit. Anthologie des Stuttgarter Schriftstellerhauses, Edition Kanalstr.4, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-00-025589-2, S. 158-163. |