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William Wordsworth: Lucy Gray - Druckversion

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William Wordsworth: Lucy Gray - Josef Riga - 30.03.2016

William Wordsworth


Lucy Gray
Or, Solitude

Oft I had heard of Lucy Gray:
And, when I crossed the wild,
I chanced to see at break of day
The solitary child.

No mate, no comrade Lucy knew;
She dwelt on a wide moor,
– The sweetest thing that ever grew
Beside a human door!

You yet may spy the fawn at play,
The hare upon the green;
But the sweet face of Lucy Gray
Will never more be seen.

'To-night will be a stormy night –
You to the town must go;
And take a lantern, Child, to light
Your mother through the snow.'

'That, Father! will I gladly do:
'Tis scarcely afternoon –
The minster-clock has just struck two,
And yonder is the moon!'

At this the Father raised his hook,
And snapped a faggot-band;
He plied his work; – and Lucy took
The lantern in her hand.

Not blither is the mountain roe;
With many a wanton stroke
Her feet disperse the powdery snow,
That rises up like smoke.

The storm came on before its time:
She wandered up and down,
And many a hill did Lucy climb:
But never reached the town.

The wretched parents all that night
Went shouting far and wide;
But there was neither sound or sight
To serve them for a guide.

At day-break on a hill they stood
That overlooked the moor;
And thence they saw the bridge of wood,
A furlong from their door.

They wept – and, turning homeward, cried,
'In heaven we all shall meet;'
– When in the snow the mother spied
The print of Lucy’s feet.

Half breathless from the steep hill’s edge
They tracked the footmarks small;
And through the broken hawthorn-hedge,
And by the long stone-wall;

And then an open field they crossed:
The marks were still the same;
They tracked them on, nor ever lost;
And to the bridge they came.

They followed from the snowy bank
Those footmarks, one by one,
Into the middle of the plank;
And further there were none!

–Yet some maintain that to this day
She is a living child;
That you may see sweet Lucy Gray
Upon the lonesome wild.

O’er rough and smooth she trips along,
And never looks behind;
And sings a solitary song
That whistles in the wind.


William Wordsworth

Lucy Gray

Ich hörte oft von Lucy Gray
Und ging so gern im Wind,
Und hofft’ am Morgen, dass ich seh’
Das einzigart’ge Kind.

Wenig Gefährten hatte sie,
Sie wohnte im weiten Moor;
Aus dessen Häusern ging wohl nie
Ein hübsch’res Mädchen hervor!

Du magst das Kitz noch seh’n am See,
Den Hasen tief im Fehn,
Doch das Gesicht von Lucy Gray
Wird nirgends mehr geseh’n.

'Heut Nacht wird eine Sturmesnacht,
Du musst zur Stadt hingeh’n,
Und nimm ein Licht – so angebracht,
Dass Ma im Schnee kann seh’n'.

'Da, Vater, bin ich gern dabei,
Ist grad erst Nachmittag,
Die Münster-Uhr schlug eben zwei,
Bei Mondlicht ich es wag’!

Der Vater bald drauf etwas nahm,
Womit er Reisig band;
Er plagte sich – Lucy bekam
Die Lampe in die Hand.

Noch schneller als vorm Berg das Reh
Hinspringt von Strauch zu Strauch,
Sah man wie sie den Pulverschnee
Aufwirbelte wie Rauch.

Der Sturm kam schneller als gedacht,
Da irrt’ sie hin und her;
Zwischen den Hügeln fiel die Nacht,
Die Stadt fand sie nicht mehr.

Die Eltern, jammernd, ließen nicht
Vom Rufen all die Nacht.
Doch da war weder Laut noch Licht
Und nichts, was Hilfe bracht’.

Bei Taglicht gingen sie ein Stück
Zum Hügel über’m Moor;
Von dort sah’n sie die kleine Brück’,
Nicht weit von ihrem Tor.

Weinend die Mutter rief zum Schluss:
'In einer bess’ren Welt
Sehn wir uns ...' – da fand sie die Fuß-
Spur im beschneiten Feld.

Schwer atmend ging es unentwegt
Auf steilem Weg, so schmal,
Dort wo die die Weißdornhecke trägt
Der langgestreckte Wall.

Und dann zum Feld, das halb erfror’n –
Die Spuren blieben gleich –
Rasch eilten sie, nichts war verlor’n,
Zum Steg über den Teich.

Die Spuren auf der Uferbank
Sah man noch ungefähr,
Doch mittig war die Brücke blank,
Gab’s keine Spuren mehr!

Sie wird noch jetzt gewähnt im Schnee
Als ein lebendig’ Kind,
Und manche sehen Lucy Gray,
Wie man Gespenster find’.

An Rauem, Zartem zieht sie lang,
Und schaut, als wär’ sie blind,
Haucht ihren einsamen Gesang
Flüsternd in den Wind.


RE: William Wordsworth: Lucy Gray - Sneaky - 31.03.2016

Hallo Josef,

diese kurzzeiligen Verse wiederzugeben ist ganz schön vertrackt. Ich hab eine Version in Arbeit. Mal sehen ob ichs durchgezogen bringe

Gruß
Sneaky


RE: William Wordsworth: Lucy Gray - Sneaky - 01.04.2016

(31.03.2016, 13:58)sneaky schrieb: Hallo Josef,

diese kurzzeiligen Verse wiederzugeben ist ganz schön vertrackt. Ich hab eine Version in Arbeit. Mal sehen ob ichs durchgezogen bringe

Gruß
Sneaky

Soweit mal der Anfang. Der Rest dann übers Wochenende (hoffe ich)

Ich hörte oft von Lucy Gray
sah sie im Querfeldein
so manchen Morgen, sie war scheu
als Kind und stets allein.

Kein Freund spielt mit ihr je im Moor
Lucy war dort zuhaus
so süß wie sie sah kaum zuvor
ein kleines Mädchen aus..

Das Rehkitz spielt dort immer noch,
der Hase springt im Klee
die kleine Lucy Gray jedoch
ists, die ich nicht mehr seh‘.

Heut Nacht gibt’s Sturm, der Mutter geh
entgegen, liebes Kind
mit der Laterne, dass kein Weh
euch trifft in Schnee und Wind.

Gern tu ichs, Vater, frank und frei,
noch ist der Abend weit
vom Kirchturm schlug es eben Zwei,
dort steht der Mond bereit.

Der Vater hörts, sein Beil holt aus,
hackt Reisig mit viel Fleiß,
Lucy geht mit dem Licht hinaus
auf Ihres Pa’s Geheiß.

Sie springt noch flinker als ein Reh
das sich im Bergland zeigt,
der Pulverschnee stiebt himmelhoch
gleicht Rauch fast, wenn er steigt.

Der Sturm brach früh los, viel zu früh,
trieb Lucy hin und her,
sie klomm die Hügel hoch mit Müh,
zur Stadt kam sie nicht mehr.

Die armen Eltern riefen sie
die ganze lange Nacht,
doch Laut und Zeichen gab es nie
das Hilfe hätt gebracht.

Am höchsten Hügel überm Moor
Fand beide dann der Tag ,
ihr Heim, die Brücke kurz davor,
aus Holz, dem Schnee auflag.

Voll Tränen gings nach Haus, voll Weh,
„ im Tod sind wir vereint “
Da sah der Mutter Blick im Schnee
wie Lucys Spur erscheint.

Ihr Atem keucht vom Hügelan
doch folgten sie der Spur,
entlang des Mauerwalls und dann
durchs Dickicht der Natur,

aufs Feld hinaus, das weit und leer,
die kleine Fußspur trug,
die Eltern rannten hinterher,
zur Brücke wie im Flug.

Und bis zur Brückenmitte zeigt
der Schnee des Mädchens Schritt,
bleibt weiß danach, verstummt, verschweigt,
was Lucy wohl erlitt.

Doch mancher meint, sie lebe noch,
hin bis zum heutgen Tag,
sie spiele heute noch am Loch
am Sumpf, im dichten Hag.

Sie laufe über Fels und Ried,
das kleine arme Kind
den Blick voraus und säng‘ ein Lied,
das kenne nur der Wind.


RE: William Wordsworth: Lucy Gray - Josef Riga - 18.07.2016

Hallo Sneaky,

in der Tat waren die kurzen drei- und vierhebigen Zeilen das größte Problem dieses bewußt einfach gehaltenen, balladenhaften Gedichts. Ich habe es noch einmal in einigen Strophen überarbeitet, um auch die letzten nicht korrekten jambischen Endungen zu eliminieren. Jetzt endet jede Zeile auf einer Hebung. Dadurch wirkt das Gedicht geschlossener, was der hermetischen Vorstellungswelt entgegen kommt, die hier gezeigt wird: das rätselhafte Verschwinden eines Kindes und sein spekulatives Weiterexistieren als "Teil" der Natur, zu der es quasi mehr gehört als zur Welt der Menschen. W. soll dieses Gedicht während einer Deutschlandreise nach einer Zeitungsmeldung verfasst haben. Die Leiche von L.G. wurde nach Tagen im Moor gefunden; ertrunken, ein Unglücksfall ohne Fremdverschulden offensichtlich.
Nebenbei: ich würde Konstruktionen wie im Querfeldein vermeiden.