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Verstand und Herz (ein Dialog)
#1
Für A.M.

Bedenke, Herz, du darfst dich nicht verlieren!
Du tauchst ins süße Zauberreich der Sinne,
doch bist du, eingetaucht, der Fährnis inne,
die Sinne könnten bald dich ganz regieren?

Verstand, dein redlich Sorgen mag dich zieren:
Du thronst in luft’ger Höh’ auf kühler Zinne
und schaust, was nüchterne Räson gewinne.
An deiner Kälte möcht’ das Herz erfrieren.


Sahst nie ein liebend Herz, das sich verirrte,
an eines Herzens Kälte du zerspringen,
als Sinnenreiz es unbewacht umflirrte?

Ein Herz glaubt allzeit an der Liebe Schwingen,
ob Kälte, Zwiespalt,Trauer, es verwirrte.
Ich werde stets das Lied der Liebe singen.
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#2
Das Bild mit der kühlen Zinne auf luftiger Höhe finde ich sehr schön! Formal will ich mal nicht analysieren, aber im gesamtheitlichen Durchlesen überzeugt mich das Sonett. Den Satz "Du tauchst ins süße Zauberreich der Sinne, doch bist du, eingetaucht, der Fährnis inne,
die Sinne könnten bald dich ganz regieren?" versteh ich nicht wirklich. Und persönlich find ich es schade, dass es zwischen der Oktave und dem Sextett keinen thematischen Bruch gibt - Verstand und Herz bleiben in Vorwurfshaltungen und bei sich selbst. Vielleicht siehst du das anders.
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#3
Hallo Pumukel,

vielen Dank für den netten Kommentar. Ein paar kritische Bemerkungen zur formalen Analyse hätten mich doch interessiert; vielleicht nachträglich bei Zeit und Lust in einer kleinen Privatnachricht?
Dass Oktett und Sextett sich nicht im Sinne von "These-Antithese: Synthese" zusammenschließen können, es aber auch keinen "Bruch" zwischen beiden Strophenpaaren geben sollte, erklärt sich aus dem Inhalt. Die Positonen lassen sich wohl nicht vereinbaren. Ich persönlich würde sie allerdings nicht als "Vorwurfshaltungen" bezeichnen. Ob die eine oder die andere Haltung das letzte Wort hat, ist eine persönliche Entscheidung.
Es ist aber die Frage, ob für ein solches Thema die Form des Sonetts überhaupt geeignet ist.

Gruß
Francesco
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#4
Hallo Francesco,

Ich finde die Anführungsstriche etwas verwirrend.
Wenn Du die wörtliche Rede schließt und eine neue eröffnest, vermittelt das zunächst den Eindruck, daß auch der Redner wechselt.
Wenn ich es richtig verstanden habe spricht von Zeile 5 bis zum Schluß aber nur noch das Herz?

Zu Pumuckels Einwand: Du hast sehr wohl einen Bruch, allerdings den deutlichsten zwischen den Zeilen 4 und 5.
Auch der Monolog des Herzens ist deutlich dreigegliedert, entlang deer Strophengliederung: Charakterisierung des Verstandes - Mutmaßungen über dessen Beweggründe - Entgegnung der eigenen. Da sehe ich kein Problem.

Zum Inhalt: Du stellst dein Thema wieder auf eine allgemeine Ebenene indem du nicht von Mir und Dir oder Ihr und Ihm sprichst, sondern quasi dem Herz an sich und dem Verstand an sich.
Du bist aber nicht sehr konsequent, wenn du einerseits das sprechende Herz allein als Symbol der Liebe beschreibst, statt als Symbol des reinen Gefühles, denn ein Herz kann auch traurig oder wütend sein, andererseits ein anderes Herz (Zeile 10) als kalt beschreibst.

Wenn der Verstand nur die "kalte Ratio" ist, wie im zweiten Quartett behauptet, daß ließe er sich auch von einem (fremden) heißen herzen nicht verleiten, bestenfalls vom eigenen überrumpeln. Es ist auch nicht der Verstand, sondern das Herz, das nach einer enttäuschten oder unerfüllten Liebe verletzt ist.

Das sprechende Verstand-Herz-Paar lese ich als zur selben Person gehörig, das erwähnte Herz in Zeile 10 aber als ein fremdes. Ich sehe das als einen Bruch deiner stilistischen Mittel. Denn Personifizierte Gefühle stehen gewissermaßen über den Individuen. Im Grunde ähnelt es dem klassischen Amor und Psyche-Motiv, nur daß dein Amor mit Psyche über einen anderen, kalten Amor spricht.

Gruß ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Hallo ZaunköniG,

vielen Dank für Deinen wiederum ausführlichen interessanten Kommentar.
Die Anführungsstriche habe ich inzwischen gelöscht, allerdings aus einem anderen Grund: Da die Wechselrede schon durch die Kursive markiert ist, sind die Anführungsstriche redundant, auch ästhetisch störend.
Es ist aber keinesfalls so, dass ab dem zweiten Quartett nur noch das Herz spricht. Der Redewechsel ist konsequent über die vier Strophen verteilt, d.h. das erste Terzett übernimmt wieder der Verstand, der das Herz an ein anderes, ein gebrochenes Herz (als Paradigma) erinnert, für das sich das angesprochene Herz in seiner Situation nicht interessieren kann. Ab hier gibt es kein Weiter.
Als "Bruch" - oder ist damit These und Antithese der Dialogpartner gemeint? - würde ich den/die Redewechsel nicht bezeichnen.

"Das sprechende Verstand-Herz-Paar lese ich als zur selben Person gehörig." - Nein, es war anders: Anlass für diesen Sonettversuch war die Geschichte eines unglücklich Liebenden gewesen, der sich von neunmalklugen Freunden immer wieder anhören musste, dass seine Liebe doch nichts weiter sei als vergebliche Liebesmüh, was er sich als animal rationale doch bitte endlich einmal vor Augen halten möge. Das aber half besagtem Liebenden nicht im geringsten. Welcher unglücklich Liebende kennte das nicht?

Gruß
Francesco
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