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Die alte Weide
#1
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Die alte Weide



Die Weide wird vom wilden Wuchs getragen.
Sie brach beim letzten Frühjahrssturm entzwei,
Holunder, Schlehdorn, Traubenkirschen, drei,
umwachsen, bergen, betten sie seit Tagen.

Sie treibt noch immer in der schiefen Lage,
sie trinkt sich immer noch am Regen satt,
ein Zilpzalp pflückt von ihrem zarten Blatt
den Schmetterling der letzten kühlen Tage.

Du wirst mein Maibaum, alte, morsche Weide!
Ich trage dich in Jamben in den Mai,
beschwere dich mit Blütenblätterblei,
bekleide dich mit Falterflügelseide,

und setze dich, als ob's ein Festtag sei,
allein in lichten Leseraugen frei!

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#2
Hallo Alcedo,

Eine schöne Beobachtung. Das Sonett lässt sich flüssig lesen.
In Zeile 4 reibe ich mich etwas an den Tagen, weil ich als Zeithorizont eher Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre sehe, wenn ringsum schon wieder Büsche hochgewachsen sind. Der Reim sollte natürlich stehen bleiben, aber wie wäre:

"umwachsen, betten sie seit jenen Tagen."

In den Quartetten entwirfst du ein wunderbares Stück Natur. Warum am Ende die Volte zu einem Gedicht übers Schreiben?
Dass du es niedergeschrieben hast ist ja offensichtlich und eigentlich nicht der Erwähnung wert. Es sei denn, dass das Niederschreiben auch deinen Blick verändert. (siehe meine Signatur).
Das Blei in Zeile 11 scheint mir sehr auf den Reim hingebogen. Es steht auch im Widerspruch, sowohl zu den Blütenblättern als auch zur ebenfalls leichten Seide.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Hallo Alcedo,

in der Tat ein schönes Stück, Alcedo. Das Bild des Baums, der trotz schwerer Verletzung weitermacht und bis zum letzten Moment lebt ist schön. Auch die handwerkliche Umsetzung mit Alliterationen gefällt mir.

In den Terzetten würde ich vorschlagen aus Maibaum Festbaum zu machen. Dass es ein Maibaum ist, sagt dein LI ja selbst (indirekt).

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#4
hallo ZkG

Vielen Dank für deine Rückmeldung.
der Sturm lag eigentlich wirklich nur ein paar Tage zurück. die Weide war in das bestehende Gehölz gekippt, und wurde zum Teil davon aufgefangen. ich kann nichts im Text ausmachen, was auf einen erweiterten Zeithorizont schließen ließe, außer dem "brach" natürlich. die Vergangenheitsform des Verbes ist zeitlich in eine Richtung weit offen. insofern kann ich deine Lesart verstehen. dein Vorschlag behagt mir deshalb nicht, weil die dreifache Stütze zu einer zweifachen reduziert wird und weil das "jenen“ mir unschön erscheint, sowohl klanglich als auch grammatikalisch.
es hat mir trotzdem keine Ruhe gelassen und ich war gestern nochmal an der Stelle gewesen um nach ihr zu sehen. sie starb mittlerweile. es ist nur abgestorbenes Holz übrig geblieben.

sie lebt jetzt also nur noch hier in diesen Versen. deshalb wohl auch diese Volte zum Schreiben, nehme ich an.

Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
dem stimme ich zu. nur hier bei der Weide wusste ich es aber erst im Nachhinein, dass ich sie lyrisch verwursten werde. wahrscheinlich entwickeln eindringliche Eindrücke eine eigene Dynamik und folgen einer eigenen Gesetzmässigkeit, welche vorsorglich Synapsen langfristiger aufs schärfste verknüpft.

das Blei bezieht sich auf das Druckhandwerk und den Schriftsetzer, Setzer, auch Bleisetzer genannt, der die Lettern für den Druck bereitete.

Gruß
Alcedo


hallo Sneaker

Danke. freut mich dass du das Staben bemerkt hast.

das Fest wollte ich erst im finalen Couplet haben und auf keinen Fall wiederholt.
das Maibaum-Wort steht ja für ein jahreszeitliches Symbol. und diese Umwandlung des Baumes zum Symbol, die möchte ich schon früh und sehr direkt in dieser ersten Synthesezeile bringen. was folgt ist zum Teil redundant, ja, aber das Aufstellen & symbolische Zurschaustellen habe ich leider nicht besser hinbekommen. habe da sowieso schon verknappt. der Text sah ursprünglich so aus, bevor ich ihn verkürzte: http://www.e-literatum.de/t79574169f11-D...Weide.html

auch gibt es einen Zwillingstext zu diesem hier (keine Eineiigen) und  "Maibaum" ist verbindendes Element.

Gruß
Alcedo
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#5
Hallo Alcedo,


Tatsächlich ist der Zeithorizont nicht klar definiert, und wenn die Tage sachlich korrekt sind, müssen sie bleiben.
Was mich auf einen erweiterten Zeithorizont schließen ließ?
Neben dem "brach", das eine keine vollendete Gegenwart darstellt sondern eine Vergangenheit
ist es auch die Bewegungsform "umwachsen", die ich mir bei Pflanzen eher langsam vorstelle. Ähnlich "treibt". Hier genügt zwar ein zartes Knospenspringen um von Treiben zu reden, aber wenn man einmal auf der falschen Spur ist....

Wenn es tatsächlich nur Tage waren, führen meine Vorschläge natürlich in die falsche Richtung.

Zitat:das Blei bezieht sich auf das Druckhandwerk und den Schriftsetzer, Setzer, auch Bleisetzer genannt, der die Lettern für den Druck bereitete.

Bleisatz ist eine aussterbende Technik und da sie kaum private Anwendung fand, hat sie sich nicht so sehr ins kulturelle Gedächtnis gegraben wie das Schreiben mit Feder. Ich sehe nicht das Motiv Blütenblätter und Blei zu verbinden. Drucker haben zwar einige eigenwillige Wortschöpfungen hervorgebracht (Fliegenköpfe, Augenpulver, Blindfisch...) aber mit Blütenblättern fällt mir da nichts ein und die Weide ist wohl auch nur für Biologen und Allergiker ein blühender Baum.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
Ich mag die Alliterationsdichte, v.a. auch in den Komposita!
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#7
@ZaunköniG:
die Blütenblätter sollen auch aufs Bücherblättern hindeuten und auf den Buchdruck.
es sind auch nicht die der Weide gemeint, sondern die unzählingen weißen der Vogelkirschen und anderen Gewächse, welche um die Zeit überall abgefallen & verstreut herumliegen.

@pumukel:
Dankeschön

Grüße
Alcedo
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