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Gib mir deine Augen / Add nekem a szemeidet // Ady
#3
(01.07.2016, 18:10)ZaunköniG schrieb: Hallo Alcedo,

Ich habe mir sagen lassen, dass sich Ady von den französischen Symbolisten und Dekadenten hat inspirieren lassen. Namentlich wurde Baudelaire erwähnt. Diese melancholisch-düstere Grundstimmung, gerade eines Baudelaire hat ja ganze Generationen von Dichtern inspiriert, aber die alternde Fresse ist mir hier zu derb-vulgär. Ist das der Klang des Originals?

In den ersten Strophen hast du "mir" kursiv gestellt. Ist das ein Hinweis zur korrekten Betonung? Die Betonung auf "gib" fände ich metrisch, wie inhaltlich passender. Und warum hast du die mir es in der letzten Strophe normal gesetzt?
hallo ZaunköniG

für mich liest er sich stilistisch eher wie Trakl, Binding oder Rilke in dessen frei rhythmisierenden Reimen (z.B. „Der Wahnsinn“). aber ich lese schon stark Adys eigene Stimme. habe etwa gleich viel von Ady und Baudelaire bisher gelesen und wäre selbst nie drauf gekommen dass es Ähnlichkeiten gibt, oder eine Beeinflussung. formal und stilistisch überhaupt nicht, nein. allenfalls inhaltlich, ja, in der Symbolik und bei der behandelten Thematik.

in lyrischer Obszönität steht Ady da den Pariser Dekadenten in nichts nach. seine erotischen Gedichte haben einen mindestens so großen Skandal in Ungarn entfacht wie der damalige „Fleurs du Mal“ in Paris. aber meines Wissens wurde Ady deswegen nie strafrechtlich verfolgt, im Gegensatz zu Baudelaire.

ja, das mit der alternden Fresse ist für mich der etwas aggressive und derbe Klang des Originals.
arc ist zwar Gesicht oder Angesicht/Antlitz/Miene (Fresse/Visage/Schnauze/Gosche wäre in der heutigen Zeit ungarisch: pofa), aber das Verb dazu ist heftig: ásni = graben/eingraben/umgraben.

Interlinear sieht die erste Strophe für mich so aus:
Add nekem a te szemeidet,
Gib mir die deinigen Augen
Hogy vénülő arcomba ássam,
damit (ich sie) altwerdendes Gesicht eingrabe/damit umgrabe/einpflanze
Hogy én magam pompásnak lássam.
damit ich mich/selbst mich prachtvoller/geschmückter/pompöser sähe.

ja, das kursive „mir“ soll die anfänglich jambische Betonung (wie ich sie im Original empfinde) nachbilden. zum Ende hin lässt mir der aggressive Klang etwas nach, deshalb, und auch weil dann Gewöhnung einsetzt, habe ich es in der letzten Strophe weggelassen.

im Netz lässt sich bei verschiedenen Sprechern keine eindeutige Betonung ausmachen, aber überwiegend ist sie nicht amphybrachisch/jambisch (so wie ich sie empfinde) sondern daktylisch. die beste Sprecherstimme die ich für mich fand war diese, von Ati Répa:
https://www.youtube.com/watch?v=2o7hjHAK5qg

sie scheint mir aber viel zu soft für diesen Text zu sein. vielleicht sollte ich den Text auch mal einsprechen um meine Interpretation zu verdeutlichen.

Gruß
Alcedo
Come build in the empty house of the stare
- Yeats -
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RE: Gib mir deine Augen / Add nekem a szemeidet // Ady - von Alcedo - 09.07.2016, 15:24

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