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Am liebsten rund mit Kanten
#1
Am liebsten rund mit Kanten

[Bild: 293.jpg]

Die Gruppe Poesie aus Hannover hat im Juni ihr 25. Jähriges Bestehen mit einer großen Lesung im KoKi (Kommunales Kino im Künstlerhaus) gefeiert. Zur Jubiläumslesung ist auch eine Broschur unter obigem Titel erhältlich. Mit dabei sind:

Tahere Ashary
Jürgen Borchers
Christa Eschmann
Karin Fischer
Monika Garn-Hennlich
Joachim Grünhagen
Klaus Hespe
Wulf Hühn
Barbara Macherius
Siegfried Macht
Dieter P. Meier-Lenz
Holger Nieberg
Susanne Schieble
Tarja Sohmer
Dirk Strauch (ZaunköniG)
Hans Ulle
Jacek T. Zielinski



Vorwort zur Jubiläumsbroschüre der Gruppe Poesie

Poesie, was ist das?


Wir nennen die Dichtkunst, insbesondere die Versdichtung, Poesie - und auch die Verzauberung, die eine Landschaft, eine Abendstimmung oder ein besonderer Augenblick auslösen können.

Man sagt, uns ginge Poesie mehr und mehr verloren. Halten wir in der heutigen Zeit nichts mehr von "flüchtigem Zauber"? Schlagen wir uns lieber auf "die sichere, kalkulierbare Seite"?

Und doch ist sie da, die Poesie. Sie erwartet uns überall, wir könnten ihr täglich begegnen, versuchen, sie zu ergründen und würden, wie so viele vor uns, auf jede Frage eine neue Frage oder eine weitere unzulängliche Antwort finden.

Zugegeben, das ist anstrengend. Die Poesie macht es uns nicht leicht. Sie lässt sich nicht einfach im Vorbeigehen in die Tasche stecken und abends in der Mikrowelle aufwärmen. Wir müssen uns schon zu ihr ins Gras hinabbeugen und "hallo" sagen, ihr Raum geben in uns, ihr nachschauen, wenn sie wenig später himmelwärts davonfliegt oder mit einem atemberaubenden Hüftschwung um die nächste Ecke verschwindet.

Vielleicht ist Poesie ja die verwunschene Zwillingsschwester der Liebe! Und jeder von uns könnte der Prinz sein, den sie wach küsst, wenn er nur dies Quäntchen Mut besäße, ihr in ein blühendes Rapsfeld zu folgen! Sie würde ihn sicher auslachen, wenn er dann begänne die Rapsblüten zu zählen. 30 Blüten je Rispe, 10 Rispen je Pflanze und das Feld wogend gelb bis zum Horizont. Doch unmittelbar nach diesem Lachen würde sie ihn durch einen einzigen Blick, all das verstehen lehren, was er bisher nie begreifen konnte, würde ihn in den Arm nehmen und hineinblühen mit ihm in dies Feld ohne Zahl mit seinem maßlosen Zwischenraum - Rapsduft bis unter die Haut auf Augenhöhe. Und später dann, auf dem Nachhauseweg, würde er sich nicht den Blütenstaub von Hemd und Hose klopfen, und er würde dem Pflasterstein zunicken, auf dem sie stand, als er Poesie erstmals erahnte.

Jemand, der Angst hat, einen anderen zu berühren, sich berühren zu lassen, berührt zu sein, mag Poesie anzweifeln, sie mit einem coolen Achselzucken zum Kitsch werfen und sie heimlich ersehnen, denn es gibt Tage, da ahnt er, was er nicht weiß.

Poesie ist alles, was uns menschlicher macht und was uns als Menschen zu tun gibt. Sie ist Haut und Häutung, Einklang und Frucht, Verwandlung, Ohnmacht, manchmal auch Flucht, ein imaginäres Geländer vielleicht, ein rettendes Wort und sie ist - unwiderlegbar.

Am Ende des letzten Gedichts unserer Broschüre steht ein "O" und mit solch einem erstaunten O fängt Poesie an. Sie werden ihre Schwingungen zwischen den Worten und Zeilen vieler Gedichte als treibende Kraft spüren können.

Aber Sie werden auch Gedichte finden, in denen sie die Abwesenheit von Poesie wahrnehmen. Sie verbirgt sich, mag sein, hinter Trotz oder in einem widerständigen Dennoch, das losläuft und nachschaut, "was sich bewegt" "in dürren Zeiten", wenn sich nichts einstellen will und wir von Hilf-, Hoffnungs- und Orientierungs-/ Losigkeiten gelähmt werden.

Sie streunt farblos umher, wenn sich die Menschen in solch zerstörerischen Wirklichkeiten wie Krieg, Terror oder einem globalen Dschungelgeräuschklima von ihrem Menschsein so weit entfernen, dass Poesie nicht mehr möglich scheint.

Und so gibt es auch Gedichte in dem Bändchen, in denen Poesie gerade an solchen Tiefpunkten unbeirrbar und unerwartet in zerstörten Räumen auftaucht, wenn ein Mensch, nur einer von vielen, seinen scheinbar unmöglichen Traum weiterträumt und weiterreicht oder wenn einer, nur einer von vielen, die Lächerlichkeit, Gedichte zu schreiben, weniger beunruhigend findet als das Fehlen eines Gedichts oder wenn zwei, nur zwei, Hand in Hand irgendwohin aufbrechen.

Barbara Macherius



Erhältlich ist das Büchlein für 5 € z. B. bei http://www.gruppepoesie.de/kontakt.html
oder bei mir.

ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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