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Die Krone der Dichtkunst
#1
Die Krone der Dichtkunst

In Foren, Blogs, in Rezensionen und Klappentexten ist immer wieder vom Sonett als Krone der Dichtkunst, als Königsdisziplin oder dergleichen zu lesen.
So umstritten die Behauptung ist, wird diese Krone auch von den größten Kritikern keiner anderen Gedicht-Gattung zugesprochen, sondern gewissermaßen antimonarchistisch argumentiert.

Zeigte sich in der Schwierigkeit die Meisterschaft, so sollten wir uns eher Sestinen oder sapphischen Oden widmen, oder Palindromen. Woher kommt also der Mythos des Sonetts?

Ich habe mir mit der Zeit eine eigene Theorie dazu zugelegt, aber vielleicht möchte jemand anders den Anfang machen.


ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
Nach meinem ersten Sonett, welches ich hier ins Forum gestellt hatte, kam schon die Ernüchterung bei mir. Sehr taktvoll wurde ich auf einige Eigenheiten aufmerksam gemacht, denen ich keine, oder nur zu geringe Beachtung geschenkt habe. Beim bewussten Lesen einiger sehr gelungen Sonett habe ich den Wohlklang lieben und schätzen gelernt. Bevor ich weitere Sonetts veröffentliche, bedarf es noch einiger Nachhilfe. Vielleicht wird mir ja durch dieses Thread die Angst genommen. Ich bin gespannt, wie sich die Beiträge entwickeln.

Erwartungsvolle Grüße

detlef
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#3
Hallo in die Runde,

für mich war das nie eine Frage der Krone oder so. Soweit es möglich ist, sich in eine "Gedichtform" zu verlieben, ist das bei mir passiert und zwar beim sprichwörtlich ersten Blick. Diese Faszination hält nun ungebrochen schon so ca. 8 Jahre an. Das ist auch in etwa die Zeit, in der ich "schreibe". Naja, vielleicht ein halbes Jahr mehr, in dem ich zu schreiben versuche. Wasser auf nasser zu reimen ging immer leicht von der Hand, aber meine "formelle Ausbildung" habe ich in Internetboards wie diesem hier bekommen.

Was ist nun das Faszinierende. Es gibt Regeln, die das Chaos binden, der Text kann nicht ausufern, es muss Klang und Bewegung da sein, Gefühl. Wie wärs mit Dante Rossetti?

Sonette gleichen marmornen Sekunden,--
sind Bilder aus der Ewigkeit der Seelen
von zeitlosen Momenten. Ihre Stelen
- ob Leid, ob Freude darin eingebunden -
müssen den vollen, wahren Geist bekunden.
Nimm Ebenholz, nimm Elfenbein, lass wählen
ob Tag, ob Nacht regiert, und Zeit erzählen
man hab`s perlmuttern, schaumgeküsst empfunden.

Sie gleichen Münzen, Kopf bezeugt das Licht,
die Seele,-- die Zahl beherrscht ein andrer Sinn : --
man opfert sie, wenn man zur Gottheit spricht,
schenkt sie als Aussteuer der Liebe hin,
und zahlt damit am am Hafenkai der Nacht
noch Charons Preis für eine letzte Fracht.
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#4
Hallo Detlef,

Wenn ich mich recht entsinne (nein, ich habe auch nochmal nachgeschaut) dann sahst du dein Hauptproblem in der Metrik, wobei deine freien Verse durchaus rund gelaufen sind. Auf Metrik basieren aber alle klassischen Gedichtformen, die alleine macht das Sonett noch nicht zu etwas Besonderem.
Kritik sollte allerdings helfen, nicht einschüchtern. Und auch der gemeine Leser wird an einen Forenbeitrag, der immer ein vorläufiger ist, nicht die selben Ansprüche stellen, wie an ein gedrucktes Buch. Also keine falsche Scheu.

Betrachten wir mal genauer, was Rossetti (zweifellos einer der besseren Sonetteure) zu sagen hat:


Zitat:Sonette gleichen marmornen Sekunden,--
sind Bilder aus der Ewigkeit der Seelen
von zeitlosen Momenten.

Im Gegensatz zur Prosa oder epischen Langformen werden, hat das Sonett nicht genug Zeit um eine Geschichte zu entwickeln. Es gibt Ausnahmen, wo Minimalstorys auch in Sonette verpackt werden, aber die Stärke der Kurzformen liegt schon darin, einzelne Augenblicke oder Geistesblitze einzufangen. Nur, hebt sich das Sonett hier von Sestinen, Vilanellen oder Madrigalen ab?

Zitat:Ihre Stelen
- ob Leid, ob Freude darin eingebunden -
müssen den vollen, wahren Geist bekunden.

Was nichts anderes ist als das antike und humanistische Ideal von der Einheit des Guten, Wahren und Schönen. Dabei war das Sonett in der Antike noch nicht bekannt.

Zitat:Nimm Ebenholz, nimm Elfenbein, lass wählen
ob Tag, ob Nacht regiert, und Zeit erzählen
man hab`s perlmuttern, schaumgeküsst empfunden.

Sie gleichen Münzen, Kopf bezeugt das Licht,
die Seele,-- die Zahl beherrscht ein andrer Sinn : --

Hier arbeitet Rossetti eine Dialektik heraus, die auch Schlegel, in Deutschland der wichtigste Theoretiker in Sachen Sonett, vom Idealsonett einfordert. Tatsächlich eignet sich das Sonett für dialektische Inhalte besonders gut. Idealerweise wird eine These im ersten Quartett präsentiert, der im zweiten Quartett widersprochen wird. Die Synthese folgt in den Terzinen.
Wie im richtigen Leben könnte man eine Diskusion beliebig weiterführen und so noch Strophe um Strophe anhängen, bzw einschieben. In der Praxis wird das auch gemacht, in Form der Tenzone, aber Tenzonen sind ein Widerstreit zweier oder mehrer Dichter mit naturgemäß offenem Ausgang. Wenn ich das Ergebnis meiner Überlegungen aber schon kenne, macht ein ewiges hin und her kaum Sinn. Dann kann man die Hauptargumente gleich zusammenfassen, wie es das Sonett verlangt. Der asymetrische Aufbau (Der Abgesang ist zwei Zeilen kürzer als der Aufgesang) zwingt den Dichter geradezu zur Verdichtung. Eine Pointe entsteht da fast beiläufig, wenn man der Form folgt.
Ein Pluspunkt für das Sonett, aber auch für die Alkäische Strophe, das Distichon oder die Kanzonenstrophe.

Zitat:man opfert sie, wenn man zur Gottheit spricht,
schenkt sie als Aussteuer der Liebe hin,
und zahlt damit am am Hafenkai der Nacht
noch Charons Preis für eine letzte Fracht.

Die Schlußzeilen scheinen mir auch weniger auf die Eigenheiten des Sonetts einzugehen als auf allgemeines dichterisches oder künstlerisches Empfinden. Ich habe die Übersetzung jetzt nicht mit dem Originaltext verglichen, aber hier scheint mir Rossetti auch ein schiefes Bild zu verwenden. Den Gegensatz Kopf/Zahl den Rossetti hier aufzeigt erklärt er nur zur Hälfte. Wenn er den Kopf mit Licht und Seele gleichsetzt, wäre der Gegensatz dazu Dunkelkeit und Körper/Materie. Eigentlich ein klassischer Gegensatz von irdischen und ewigen Werten, von Qualität und Quantität. Aber was hat das mit der Sonettform zu tun? Als metrisch gebundene Form lebt das Sonett von der Zahl, die die Pythagoräer als Grundlage der Musik (auch der Himmelssphären) erkannt haben. Das Ideal von der Einheit des Guten, Wahren und Schönen in der Dichtung wird gerade durch Zahlenverhältnisse begründet. Die Zahl gilt es also nicht zu opfern. Nicht als Humanist und nicht als Sonett-Dichter.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Bevor der Tread einschläft, möchte ich noch meine These vorstellen:

Ein Paar Stichworte habe ich in meinem letzten Kommentar schon genannt. "Das Gute, Wahreund Schöne" und der "Humanismus" Grundgedanke des Humanismus war die Entwicklung des ganzheitlichen Menschen in dem Vernunft und Moral eine Symbiose ergeben. Es war keine fortschrittsgläubige Ideologie die nach dem "neuen Menschen sucht, sondern an die Hochkulturen der Antike anknüpfen wollte. Konsequenterweise schloß die humanistische Bildung auch das Quellenstudium lateinischer und altgriechischer Texte ein. Diese Rückbesinnung auf das "Wahre Menschentum" das im "dunklen Mittelalter" verloren ging und in der "Neuzeit" wieder erstehen sollte hieß, bevor sich der Begriff Humanismus entwickelte auch "Renaissance".

Einer ihrer wichtigsten Theoretitiker war kein geringerer als Francesvo Petrarca (und später sein Schüler Boccacio). Ausdrücklich empfaht Petrarca das Studium der álten römischen Autoren, vor allem Ovid. Von einer besonderen Stellung des Sonetts ist bei ihm nichts zu lesen. Zumindest nicht in seinen theoretischen Schriften. Aber sein Canzoniere, der vorwiegend in Sonetten geschrieben ist, setzte Maßstäbe in der Dichtung der Neuzeit. Er war so populär, das die römische Tradition der "poete laureate", der Krönung eines Dichterfürsten für ihn wieder aufgenommen wurde, ja eine Literaturepoche nach im benannt wurde: Petrarcismus.
Deine Theoretischen Schriften in denen er die Einheit von Inhalt und Form verlangte, weil ein guter Gedanke nur in einer harmonschen Form zur Geltung kommt, wurde gut aufgenommen. Zum Vorbild neuer Dichtung wurden aber nicht die Klassiker, wie von Petrarca gefordert, sondern seíne eigene Dichtung.
Meine These ist also, daß das Ideal von der Einheit von Inhalt und Form auch in anderen Textgattungen umzusetzen ist. Die Sonderstellung des Sonetts beruht zum Großteil auf dem Persionenkult um Francesco Petrarca.
Ein Weiterer Aspekt ist vielleicht die klare Gliederung. Denn wenn es um die "Erziehung zum wahren Menschen" geht, ist neben der Wirkung als Kunstform auch die Vermittelbarkeit von Bedeutung. Die klare Gliederung und Begrenzung auf 14 Zeilen eignet sich auch für die Lehre besser als längere und komplexere Formen, wie z. B. die Kanzone.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
Hallo ZaunköniG,

das ist ein äußerst interessantes Thema und deine Ausführungen haben auf jeden Fall etwas für sich, auch wenn ich glaube, dass die Bezeichnung auf Klappentexten mit schon in der Schule vermittelten Ehrfurchtsgedanken zu Werbezwecken spielt. Soll heißen: Frag einen durchschnittlichen Abiturienten nach einer Gedichtform, an die er sich erinnern kann und du wirst (wenn er sich überhaupt an eine erinnert) "Sonett" als Antwort hören, mit einem Schaudern in der Stimme, das besagt, dass waren diese allerwichtigsten dinger, deren äußere Form ich mal für ne ätzende Gedichtanalyse auswendig gelernt habe... aber gut, dieser Sarkasmus gehört hier nicht her.

Dass du die Stellung Petrarcas hervorhebst, ist nachvollziehbar. was allein all die Nachahmungen, Kontafakturen, Parodien und Übersetzungen zur Gattungstradierung beigetragen haben, ist unschätzbar. Aber erklärt es, warum das Sonett noch heute eine der beliebtesten (die beliebteste?) (un)feste Gedichtform und gleichzeitig wohl auch die umstrittenste ist?

Meine Gedanken zu diesem Thema kann ich im Moment nicht wirklich wissenschaftlich untermauern, leiten sich aber zum einen von der Länge und der Form her (was du ja auch beides erwähnst).

Die Länge hat wirklich etwas für sich - wie Mönch so schön geschrieben hat: Sie eignet sich perfekt, um eine Frage oder einen Gedankengang zu formulieren, weshalb sie als Kommunikationsform auch so beliebt war/ist - so seine These). Dazu kommt mMn die relative Abgeschlossenheit der Form. Hänge so viele Kanzonenstrophen oder Distichen (ein einzelnes wird normalerweise Sentenzhafter als ein Sonett) aneinander, wie du willst, das Sonett ist erstmal abgeschlossen (Variationen sind normalerweise, wenn gut gemacht, inhaltlich motiviert).

Zweitens, die Form: Die formale Zweigliedrigkeit, die fest eingebrannten Regelpoetiken im Kopf (auch wenn man sich von ihnen lösen will, sie hängen fest, wenn man sich mal damit beschäftigt hat) - beides führt zu einer Mischung aus Besonderheit wegen der Anwechslung innerhalb einer Form und wegen der "Schwierigkeit" der Form, die aber, selbst für einen Dilettanten leichter regelhaft zu erfüllen ist als eine Ode oder ähnliches. Dazu kommt dann noch, dass eben diese Regelpoetiken ziemlich dazu reizen, mit ihnen zu brechen, was das Sonett eben doch zu einer unfesten Form macht (nach Greber - aber Gattungsdiskussionen brauchen wahrscheinlich einen gesonderten Platz, weshalb ich das nur anschneiden will, wichtig ist es für mich in diesem Zusammenhang aber schon).
Diese gegensätzlichkeiten innerhalb der Form, innerhalb der gattung, innerhalb der wechselhaften Geschichte des Sonetts halten es in meinen Augen aktuell, und durch die Aktualität vermischt mit der Tradition könnte man die Bezeichnung "Krone" erklären. Zumindest erkläre ich sie mir so.


Liebe Grüße
yaira
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#7
Hallo Yaira,

Klappentexte sind natürlich Werbung, den Mythos von der Krone der Dichtkunst hat sich kein Werbetexter ausgedacht. Die nutzen ihn nur für ihre Zwecke. Bei deinen durchschnittlichen Abiturenten stellt sich die Frage, warum das Sonett in der Lehre so beliebt ist. Interpretiert werden wohl auch andere Texte, aber das Zusammenspiel von Inhalt und Form läßt sich an einer knappen, fest definierten Form leichter Veranschaulichen als an den lyrischen Großformen.
Mehr als einem Schüler ist über den Weg der Gedichtinterpretatonen die Lyrik für immer verleidet worden. Unter denen die sich dennoch in eigener Dichtung versuchen, reizt es allerdings manchen sich doch auch in dieser "Königsdisziplin" zu versuchen, ohne sich mit den Feinheiten anderer Gattungen überhaupt zu befassen, und ist stolz, wenn man zumindest die formalen Kriterien erfüllt. Ab einem gewissen Punkt hat sich dieser Nimbus verselbständigt.

Und wo du Mönch zitierst. Ja für Fragen oder Gedankenlyrik, für dialektische Inhalte eignet es sich in der Tat gut. Und ist die Philosophie nicht die Königin der Wissenschaften? Das ist kein echtes Argument, aber als Assoziation schwingt das vielleicht auch noch mit, ala: Wenn eine Form, den höchsten, wertvollsten Inhalten angemessen ist, ist sie dann nicht auch die höchste und wertvollste Form?

Aber diese Diskusion ist nicht ganz neu. Nachdem die erste deutsche Sonettwelle der schlesischen Schule abgeebbt war, war es lange Zeit verpönt, bis Schlegel und Bürger es für die Romantik wiederentdeckten. Goethe, anfangs skeptisch wurde, obwohl er selbst nur eine Handvoll Sonette geschrieben hat, zu einem wichtigen Fürsprecher als Voß sich über das Geklingel ereiferte. Viel Feind viel Ehr?

Etwas anders gelagert war der französische Sonettenstreit von 1648/49, wo sich sie ganze höfische Gesellschaft bekriegte wer denn das bessere Sonett verfasst hätte, Yoitures oder Benserades. Auch solche legendären Dispute mögen zum Ruf des Sonettes beigetragen haben.

Übrigens: Die Gedichte selbst zählt man heute nicht mehr zu den Bedeutensten, nur der Streit ist Legende geworden.


Hier das eine:
Vincent Voiture
1597 – 1648

Sonnet d'Uranie

Il faut finir mes jours en l’amour d’Uranie !
L’absence ni le temps ne m’en sauraient guérir,
Et je ne vois plus rien qui me pût secourir,
Ni qui sût rappeler ma liberté bannie.

Dès longtemps je connais sa rigueur infinie !
Mais, pensant aux beautés pour qui je dois périr,
Je bénis mon martyre et, content de mourir,
Je n’ose murmurer contre sa tyrannie.

Quelquefois ma raison, par de faibles discours,
M’incite à la révolte et me promet secours.
Mais lors qu’à mon besoin je me veux servir d’elle ,

Après beaucoup de peine, et d’efforts impuissants,
Elle dit qu’Uranie est seule aimable et belle,
Et m’y rengage plus que ne font tous mes sens.


Vielleicht kann ja noch jemand das zweite auftreiben, Ein Hiob-Sonett von Isaac de Benserade?


LG ZaunköniG
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#8
Hallo Sonettliebhaber!
Schöner Thread!

Ich kann meine Faszination im Wesentlichen nur aus der Zeit beschreiben, wo ich ganz am Anfang war, etwas von den vielen formalen Aspekten und ihrer Herkunft zu verstehen. Und dies ist bis heute noch gültig und ist kaum erzählbar ohne pathetisch zu werden:
auf engen Raum öffnet sich mir eine Welt
das Für und Wieder öffnet hinter den Gedanken einen weiten Raum
der Wohlklang fügt sich angenehm, fast singend
die Idee, die Gegensätze vereint
es macht Gesagtes erlebbar, bewegt Gedanken und Gefühl
und wenn es ganz besonders gut ist, sinkt es in meiner Erinnerung nur ganz langsam, wie eine Daune und es bleibt lange in meinem Sichtfeld
es gibt den großen Moment, der alles Vorherige transformiert, etwas das beständig bleibt...
die Dichte der Sprache, der Einfallsreichtum
und keines gleicht dem anderen.
sie sind trotz der großen Welt hinter den Zeilen kurzweilig-nie langweilig
und nicht wenige lösen sich von Gewohntem, bekannten Sichtweisen, in eine andere Dimension

erst sehr viel später kam die Faszination hinzu, wie all das auch in der inneren Struktur von Sonetten zu bewältigen ist.
und die fast vergessene Beweglichkeit und Variationsvielfalt einer Formidee.

und ich weiß auch was mich an Sonetten am meisten nervt:
regide Formaldiskussionen, berichtender eindimensionaler Stil, Einfallslosigkeit, Abostrophenhäufungen, Inversionen...
nur...sind dann Texte noch Sonette?

Die literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse durch Studium einiger Quellen erspare ich mir und euch an dieser Stelle. Ich bin kein wirklicher Fachmann dafür und habe mein begrenztes Wissen aus zweiter Hand.
Doch als Sonettliebhaber kann ich mich outenBig GrinBig Grin und finde es toll, daß ich meine "Übungsergüsse" auch mit eurer Hilfe etwas mehr auf den Weg helfen kann.

Liebe Grüße
gitano
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#9
Hallo Gitano,

Zitat:und ich weiß auch was mich an Sonetten am meisten nervt:
regide Formaldiskussionen, berichtender eindimensionaler Stil, Einfallslosigkeit, Abostrophenhäufungen, Inversionen...
nur...sind dann Texte noch Sonette?

Diese Frage kann man viel allgemeiner stellen: Können schlechte Texte Gedichte sein?

Es gibt zwar vereinzelte hoffnungslose Fälle die bewußt Apostrophierungen und Inversionen gebrauchen, weil sie es für ein Kennzeichen von Lyrik halten (Wunder dich nicht, ich habe da jemand konkretes im Sinn), aber solche Fehlgriffe sprechen nicht gegen die Form, sondern belegen nur, daß der Autor die Form nicht beherrscht.

Wichtiger in diesem Zusammenhang finde ich ich deine Anmerkung:

Zitat:es gibt den großen Moment, der alles Vorherige transformiert, etwas das beständig bleibt...

Ist es der "Knick", der Übergang zwischen Quartetten und Terzinen, den manche Theoretiker anführen, und der Charakteristisch ist für das Sonett, oder sind es, wie bei vielen guten Gedichten die Schlußzeilen?
Wenn wir nach Qualitäten der Form fragen, sollte das nicht mit Einfallsreichtum oder anderen eher inhaltlichen Kriterien vermengt werden. Die Frage muß lauten:
Warum ist ein gegebener Stoff im Sonett besser aufgehoben als in einer anderen literarischen Gattung?

Was den besagten Knick betrifft, die Einleitung der Synthese nach der achten Zeile, so halte ich ihn für ein wirkungsvolle Mittel, aber entgegen mancher Puristen möchte ich mich nicht auf eine rhetorische Figur festnageln lassen.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#10
Lieber Zaunkönig!
Das ist alles sehr interessant für mich!
Innerhalb von Modeepochen (siehe Barock) ga es trotz der "vollgeladenen" Bilder auch sehr schöne und stilistisch mich ansprechende Sonette. Ich denke da natürlich an den virtuosen Gebrauch des Alexandriners durch Gryphius in z. B. "Der Abend".

Nach Dante A., Petrarca, Rimbaud, Rilke, Dante Rosetti, Baudelaire, Brecht, Goethe, Shakespeare u. vielen anderen, wollte ich es auch mal philologisch wissen. Nach Schlegel, Borchard, Borgstedt, einigen frühen italenischen Poetiken etc. vielen philogischen Einzelschriften, war dann für mich persönlich Peter Weinmanns "Sonett-Idealität und Sonett-Realität" (1989 Gunther Narr Verlag Tübingen, Reihe Romanica Monacensia Bd.30) sowas wie eine Erlösung von allen Formalstreitigkeiten.

Die Beweglichkeit der äußeren und inneren (je nach begründetem inhaltlichen Anliegen) Form ist auch für mich inzwischen ein wesentliches Merkmal des Sonetts.
Das inhaltliche Anliegen bestimmt letztendlich wie das Sonett beschaffen ist.
Es ist egal, ob die Synthese in Zeile 9 oder erst in Zeile 13 beginnt. Primärer erscheint mir die innere Rethorik, die Disposition von Gedanken (in teilweise kunstvollen rethorischen Figuren, sehr typisch: Anaphern>Rückbezüge). Dementsprechen kann ein Gedanke über viele Zeilen übergreifen (in der Vertiefung). Die heute übliche 4-4-3-3 bzw. 4-4-4-2 Aufteilungen waren von früher her jedenfalls nicht als starre Formen indetiert. Die Grenzen setzen die Vers-oder Argumentlängen. Man verfuhr variabel (siehe Handschriftenfotographien früher ital. Sonette in Weinmann). Ein nur "reiner" Dialog, wäre da nicht genug. Das argumentierende Moment (vor der Synthese), klare Grenzen zwischen den Argumenten. Eine lineare Erzählung wäre meiner Meinung nach sonettuntypisch.

Warum ein Sonett als Form wählen?
Um eine Fülle an Gedanken, Argumenten anzuführen und sie inhaltlich, klanglich später zu transformieren/synthestisieren, braucht es eine gewisse Kunstfertigkeit (Verdichtung,Klangmalerei etc. Argumentatiosstil...usw.) in der Sprache, Empfindsamkeit und eine "gewisse Bildung und Beweglichkeit des Geistes". (Klingt schlimm, ich weiß, aber so ist es eben...). Das Metrum ist dabei eher noch die geringste Anforderung. Die Pointierung, die klangliche Einheit/Kontrastierung, die Klarheit der Gedankengänge (es klingt immer so einfach geschrieben!), die Metrisierung durch Silbenlängen etc, machen viel von der inneren Dynamik aus. Auch innere Reflexionen eigenen sich hierfür bestens, wenn sie unterschiedliche Aspekte (scheinbar einander widerstrebend) enthalten. Dies alles auf engestem Raum unterzubringen,...eine verdammt hohe Latte! Hinzu kommt ja noch die Entscheidung welche Form des Sonettes nun wirklich zu alldem paßt! Bis hin zur Formenerweiterung (siehe die frühen Italiener, Rilke etc.)
Vieles davon habe ich in alten italienischen Sonetten (14.Jhd.) wiedergefunden. Themenbegrenzungen habe ich bisher kaum ausmachen können. Wenn das Thema die Beweglichkeit der Gedanken hergibt/entzünden kann, scheint es geeignet.

Ich denke, daß viele Moden, Überlieferungsverluste, andere Sprachkulturen, Veränderung der Bildungsethik sie bewußte Wahl für Sonettform beeinflußten. War die kunstvoll geschliffene innere Rethorik (auch emotional ausgeführte) früher (frühe Formen in Italien) sehr wichtig, wollte man später nur hübsche kleine Dinge darin unterbringen, die sonst nirgendwo unterkommen (O-Ton:Gottfired August Bürger).

Schlegel glaubte durch die Graphik Trennungen zu finden, die er gern auch als Argumentgrenze intendieren wollte...In den frühen Sonetten ist davon aber nichts zu sehen. Es gab viele Schreibweisen (in den Original-Handschriften). man verfuhr variabel. Die Grenzen setzten eher die Argumente-und leider später auch die Schreiber in einem Schriftsatz-der eher kalligraphisch begründet ist. Weinmann argumentiert und belegt auch, das die heute bekannte Schreibweise in den ersten Jahrhunderten des Sonetts nur eine unter vielen war.

Will man nun anerkennen, daß die heutigen Auffassungen zeitgemäß sind oder nicht? Die Wurzeln sind schwer zu ergründen. Viele Fragen bleiben offen. Für mich persönlich ist aber der große Moment des Sonettes immer zeitlos. Er gipfelt in der kunstfertigen Verarbeitung all dessen was ich oben (sicher lückenhaft) genannt habe. Und nur die Absicht und das Können, einen Gegenstand inhaltlich(argumentativ-syntetisierend) und sprachkünstlerisch so verarbeiten zu wollen, würde die Wahl des Sonetts (für mich) begründen. Das dies auch Übung braucht ist klar...in diesem Licht sehe ich meine eigenen, noch sehr stümperhaften Versuche. Immer wieder bemerke ich, das mir nicht nur das kunstvolle in der Sprache fehlt, sondern auch die Beweglichkeit des Geistes, die man in früheren Zeiten durch Rethorik beübte. Gute Sonette sind für mich zeitenüberbrückende (Moden/Kulturen/Stilepochen...) lyrische Monumente, die heute immernoch und wieder zu mir sprechen.

Ich hoffe, daß ich mit diesem Beitrag keinen Scheiß fabriziert habe der gar nicht hier her gehört. Verzeiht einfach großzügig (wie in einem Sonett) einem manchmal überschwänglichen Liebhaber dieser Form!
Liebe Grüße
gitano
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