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Wortschein
#1
Wortschein*

Wie Wörter willig sich zu Worten fügen
vom Zeitgeist eben frisch gestylt und frech
dem Reim am Abgrund nahe beinah läch-
ehrlichen Herzens Versmaßen genügen

Das Spiel der Silben weist schon auf die Wahrheit
und fräst sich klangverstärkt im hohen Ton 
in Räume vor wo kürzlich noch ganz ohn-
mächtig gestolpert wurde bar der Klarheit 

Aufleuchten freudig weit vernetzte Lichter
umweben rhythmisch jeden blinden Fleck
des Wörterteppichs Fäden scheinen dichter
verzwirnten Hirnen wirbelwilde schreck-
sekundenlange Blitze zu vereinen...
Der Worte Wahrheit ist wo möglich
Scheinen


*Ursprünglich hatte ich als Überschrift Wörterleuchten gewählt, das mir noch besser gefiel. Dann habe ich entdeckt, dass diese Formulierung bereits von Peter von Matt verwendet wird. Da möchte ich nicht als Plagiator auftreten. Die Kolonialisierung der Wortlandschaft scheint weit fortgeschritten. Doch auf dem Mond sind noch Parzellen frei...
Hinter jedem Wort steht eine Geschichte.
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#2
Hallo Heinz,

Das ist doch mal ein gelungener Einstand!
Dennoch ein paar Anmerkungen:

Warum fügen sich Wörter zu Worten? Siehst du da einen Unterschied?

Zunächst mal fällt auf, dass du keine Satzzeichen verwendest. Ist das dein persönlicher Stil oder hast du dir das für diesen Text ausgedacht?
An manchen Stellen gibt es mehrere Möglichkeiten wie man die Sätze trennt. Das kann ganz reizvoll sein. Allerdings verwendest du in der zweiten Strophe das Gegensatzpaar Wahrheit / bar der Klarheit. Ein solches Stilmittel, das mehrere Interpretationen zulässt entspricht dann nicht dem Inhalt des Textes.

In Zeile 6 scheint mir "fräst" etwas zu martialisch. Vielleicht findest du da noch ein sanfteres Verb.

"Wörterleuchten" finde ich einen schönen Titel und ich denke nicht, das jemand auf Grund eines einzelnen Wortes einen Plagiatsvorwurf erhebt.
"Scheinen" halte ich, vor allem in der Schlusszeile für problematisch, weil es nicht nur ein Synonym für "leuchten" ist, sondern auch negativ assoziiert werden kann, im Sinne von, nur oberflächlich Anschein haben.

Der Gesammteindruck dennoch deutlich im positiven Bereich!

Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Lieber Zaunkönig,

herzlichen Dank für das herzliche Willkommen und die freundliche Besprechung meines ersten Beitrages!

Wenn ich auch schon viel in Worten gemacht habe, so bin ich doch, was Sonette anbetrifft, noch ein - wie es am Rande auch vermerkt ist :-) - ABC-Schütze.

Ich freue mich deshalb besonders über Möglichkeiten zum Gespräch, um Neues zu lernen und Feinheiten zu vertiefen. In diesem Sinne möchte ich auf Deine Anmerkungen eingehen:

1) Die Unterscheidung von "Wörtern" und "Worten" sehe ich darin, dass "Wörter" bloße Vokabeln sind, während unter "Worten" auch Gedanken, Trostworte, geflügelte Worte usw. begriffen werden, vor allem aber die vielen Worte, die immer wieder gemacht werden.

2) Auf Satzzeichen habe ich hier bewusst verzichtet, um - wie Du es auch gesehen hast - mehrere Verknüpfungs- und Interpretationsmöglichkeiten zu ermöglichen. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wäre die durchgängige Kleinschreibung. (Ich komme vom Haiku her, wo der offen gehaltene "Nachhall für den Leser" eine wichtige Rolle spielt und der Text mehr andeutet und anstößt als festzurrt und abrundet.) Ist das für ein Sonett ungewöhnlich oder gar unschicklich? Hier bitte ich schlicht um Aufklärung!

3) Nicht verstanden habe ich Deine Anmerkung zum Gegensatzpaar "Wahrhheit" / "bar der Klarheit" in der zweiten Strophe. Hier habe ich auch nicht mehrere Interpretationsmöglichkeiten im Blick gehabt, sondern genau den (ironisch zu verstehenden) Gegensatz zwischen dem heute vielerorts anzutreffenden Wortgeklingel, das den Schein der Wahrheit erzeugt, und dem (früher - "wo kürzlich noch") bieder eingeräumten Unwissen, was auch mit der Fähigkeit, Grenzen akzeptieren zu können, verbunden sein kann.

4) "Fräst" ist natürlich ein martialisches Wort, das ich aber in dem eben gerade erläuterten Zusammenhang bewusst gewählt habe, um diesen Eindruck zu erzeugen bzw. zu verstärken. Es scheint mir schon so, dass Wortgewerbetreibende heutzutage oft mit allen Mitteln versuchen (müssen), neue Räume aufzubrechen und Aufmerksamkeit zu erregen - nicht nur in der Werbung. Ein sanfteres Verb würde diesen gewollten Aspekt abschwächen. Außerdem sollen die beiden "ä"..."ä" in dieser Zeile den Zusammenhang gleichzeitig ironisieren.

5) "Scheinen" in der Schlusszeile und als Schlusswort soll diesen zwielichtigen Anschein haben, ja ich möchte vom Gesamtduktus her das negative "bloße Scheinen" sogar stärker betonen als das "Leuchten". Deshalb habe ich vor diesem Wort auch noch einen Zeilenumbruch eingefügt, um damit ein kurzes, bewusstes Innehalten anzudeuten.
Aus diesem Grund verzichte ich jetzt auch leichteren Herzens und ganz bewusst auf das schöne "Wörterleuchten" in der Überschrift. Es geht mir ja um den Wort-Schein. Da hat mir unser Austausch Klarheit gebracht.
Korrigieren werde ich die ursprüngliche Kleinschreibung von "scheinen" zu "Scheinen", denn es handelt sich hier um ein substantiviertes Verb.

Unsicher bin ich, ob ich meinen Text möglicherweise überfrachtet habe. Gerade als Einstiegsbeitrag ist er mit seinen Schlingen und Brüchen reichlich ambitioniert. Sollte das unpassend erscheinen, so bitte ich um entsprechende Hinweise und um Nachsicht.

Herzlich
Heinz
Hinter jedem Wort steht eine Geschichte.
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#4
Lieber Heinz,

"Worte machen" klingt für mich auch eher nach leeren Hülsen, also mehr wie eine nackte Vokabel. Ich glaube du kannst dich nicht darauf verlassen, dass der Leser die selben feinen Unterscheidungen macht, es sei denn du erklärst den Unterschied im Text selbst, aber das sprengt dann wohl den Rahmen des Sonetts.

Dem Leser mehrer Interpretationsmöglichkeiten zu geben ist durchaus auch im Sonett erlaubt. Mir ging es darum das die Form (hier der Verzicht auf Satzzeichen) und der Inhalt (hier die Forderung nach Klarheit) einander nicht entsprechen. Das ist natürlich etwas anderes, wenn du diese Passage ironisch gemeint hast. in dem Fall kann man aber auch noch deutlicher z. B. vom Wörterflirren sprechen. Die ironie erschließt sich jedenfalls nicht automatisch. So ist Zeitgeist nicht gleichzusetzend mit Anbiederung oder Effekthascherei. irritierend in dem Zusammenhang auch deine Schreibweise "läch-ehrlich". Gerade durch das H wird der Humor zum legitimen Mittel seine Wahrheiten an den Mann zu bringen. Ein leeres Wortgeklingel, wenn du das kritisieren willst, ist nur lächerlich.

LG
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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