2022 Ihmezentrum

[ZaunköniG]

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Ihmezentrum

I.

Es mag nur noch an seine Zukunft glauben,
wer keine wahl hat. Offene Fassaden
zum Innenhof sind wie gemacht für Tauben.
Hier irgendwo der größte Plattenladen
der Achtziger; es musste überhaupt
nur alles groß sein. Das war zukunftsträchtig.
Der alten Zukunft nun schon lang beraubt,
sind diese Utopien noch immer mächtig:

Architekturentwürfe, mit mehr Licht
und stylischen Passanten illustriert,
geben den den Sichtbetonkomplex  noch nicht
verloren. Auch Balkonbepflanzung wird
zum Stellungskampf, sich Schönheit zu bewahren.
Auf keinen Fall lässt man die Hoffnung fahren.



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[ZaunköniG]

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II.

Im Treppenhaus vermischen sich die Wind-
geräusche mit dem Taubengurren. Splitter
zerschlag'ner Flaschen, graue Absperrgitter
und Flatterbänder. mancher Gang ist blind

geworden bei den langen Bauarbeiten
und angesichts des Schutts, des Staubs, des Drecks
sehn manche Graffiti und bunten Tags
nach Notwehr aus. Wie ein Myzel verbreiten

sie sich in der entkernten Ladenzeile
an Pfeilern, Brüstungen und Außenmauer.
Ein Gang im zweiten Stock, sperrholzverschalt,

zieht sich betextet eine ganze Weile.
Dann doch, von einfühlsamer Hand gemalt
ein Frauenbild voll Schönheit, Stolz und Trauer.




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[ZaunköniG]

   


III.

Wenige Striche bilden einen Rahmen
für das Gesicht. Ein großes Muttermal
vermag ein Ast im Sperrholz nachzuahmen.
Die Lippen voll, die Brauen schwarz und schmal,

der Schleier überm Haar ornamental
mit Wellen und spiralen knapp skizziert...
was sie uns sagen möchte? nonverbal
spricht sie uns an. Worin jedoch verliert

sich ihre Sehnsucht? Sie sieht überall,
wo ihr die Absperrung noch Sicht gewährt,
nur Abgründe, Sackgassen und Verfall.

Schön ist, wer trotzdem noch die Schönheit ehrt.
Und ist sie manchmal selber nah am Weinen:
Noch lebt die Hoffnung und gedeiht im Kleinen.


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