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Wolkenschiffe
#1
Wolkenschiffe

I.

Für Ingeborg Schenk

Azur - so lockt die See hoch über mir,
Verebbt gedankenschwer in blasser Ferne,
Auf weißen Wolkenschiffen zög’ ich gerne,
Vom Wind getragen, weit, weit fort von hier.

Geräuschvoll wogt das Feld im Mittagslicht,
Ein Schritt nur, schaumgekrönte Meereswellen
Gepflügt am Bug zu wilder Gischt zerschellen,
In voller Fahrt das Oben mit dem Unten bricht.

Beglückend frei bereis’ ich Himmelssphären,
Der Kurs allein von meinem Selbst bestimmt.
Wer könnte da mich noch das Fürchten lehren?

Ein Glockenschlag mir jäh die Träume nimmt,
Die Zeit, sie ruft mich, schleunigst umzukehren -
Doch wenn mein Sinn schon längst die Rah erklimmt?
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#2
II.

Doch wenn mein Sinn schon längst die Rah erklimmt,
Wenn er nicht Wind, noch Wetterleuchten scheut?
Die Wellen aufgepeitscht, Das Sturmgeläut
Verhallt; Wenn mir kein Richtungsfeuer glimmt,

Meit Blut kocht kabbelig rauh wie die See,
Weil es die ferne Meerverwandschaft fühlt,
Wird jeder Vorsatz vom Gefühl verspült.
Die Sehnsucht wendet sich von Luv auf Lee

Und umgekehrt. Nun gilt es zu erleben.
Zweck und Ziele bleiben unbestimmt.
Die Wogen die mein Schiffchen tragen, heben

Auch den Himmel, der sich wolkig dimmt.
In Visionen soll mein Sinnen schweben,
Wenn Traum und Plan am Horizont verschwimmt.
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#3
III.

Wenn Plan und Traum am Horizont verschwimmt
Und achteraus die Kimm noch letzte Pforten
Zum Rundum schließt und Sehnen allerorten
Dem Raum das Blau, der Zeit das Weiß entnimmt,

Genau ab Amphitrites erstem Kuss
Vollführt die Kompassnadel Kreiseltänze,
Das Steuerrad blockiert, sie lenkt zur Gänze
Mein Schiff und inn’re Weite wird Genuss -

Sie folgt den Albatrossen, deren Schwingen
Befreit von jeder Erdenschwere schier
Arkaden gleich den Raum umgreifen. Klingen

Die schrillen Rufe nicht vertraut in mir?
Ihr Klang verhallte nie, doch durch sein Singen
Erwacht am Meeresboden dieses Tier!
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#4
IV.

Erwacht am Meeresboden dieses Tier
Und zieht die Schattenspur am Grund entlang,
So muschelschwer und tintig schwarz wie Tang,
Gebietend seiner Meeresströme vier,

Vibriern die Wellen im Sirenensang
Und in unendlich sehnsüchtiger Bläue.
Die alte Sucht ist jeden Tag die Neue,
Jeden Tag erwartest du den Fang.

Ich kriege Dich! Ich weiß es. Ja, ich kann’s!
Nur einen Splitter habe ich erwischt
Des Meeresspiegels, dessen Silberglanz

Durch meine Finger rinnt und schnell verlischt.
Und wieder lädt mich dieses Tier zum Tanz;
Die Wogen wölben sich, es spritzt die Gischt...
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#5
V.

Die Wogen wölben sich, es spritzt die Gischt,
Es stöhnt, es ächzt, es knarrt die Karavelle,
Wenn sie, am Bug das Spriet gezückt, der Welle
Frontal den Bauch durchsticht – als Aufschrei zischt

Die Wut Neptuns noch mittschiffs ins Gesicht,
Verbrennt mir Augen, raubt die Sicht, mein Frevel,
geentert tief in meiner Brust, wie Schwefel
Versprüht er blau als Mastenspitzenlicht.

Die Tarantella tost im Donnertakt,
Das Tier, mit ihm der Wolkenozean,
Umwirbeln mein fragiles Artefakt,

Bis mir die Sinne schwinden, momentan
Verlischt die Szene, löst sich der Kontakt…
Es dreht sich richtungslos mein schwanker Kahn.
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#6
VI.

Es dreht sich richtungslos mein schwanker Kahn.
Wohin wohl all die wilden Wolken wehen?
Darüber ungerührt die Zirren stehen
und Federwolken breiten sich als Schwan...

Sie dümpeln lautlos in den Wellentälern
Und ganz in sich gekehrt ruht Tal in Tal.
Es prallen ab von ihnen Strahl um Strahl,
Hell gleißend, daß sie mir die Aussicht schmälern.

Der Horizont glänzt wie ein Diadem,
Im Wasserspiegel schimmert Peristan,
Gott Neptun übt sich fernhin als Galan.

Ein Fingerzeig zurchzittert die Membran
Und feierlich ergebe ich mich dem
Was nun passiert, sei’s Wille oder Wahn.
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#7
VII.


Was nun passiert, sei’s Wille oder Wahn,
Betäubt mein Denken, holt es Kiel, bis Sinnen
Vom Fühlen eingepackt, vernäht in Linnen,
Beschwert mit Staunen, jäh in steiler Bahn

Nach unten sinkt. Mein Selbst nun sundbefreit
Geht über Bord in einem Heer aus Funken
Das sich, vom Nereidentanz volltrunken,
Als Spur am Firmament verliert. Wie weit

Mich wohl die Wellenwesen weitertragen?
Betörend wirkt ihr Wirbeln. Angst erlischt.
Und eine Brise Wahn weckt weitres Wagen:

Das Tier, die Jagd, der Fang – Doch wer entwischt
Hier wem? Gejagter oder Jäger? Fragen …
Es hat die Wasserfarben neu gemischt!
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#8
VIII.

Es hat die Wasserfarben neu gemischt
Ja was? Ein Fisch? Ein Krake? Ein Klabauter?
Ein tolles wildes Wellenwogen braut er.
Vom Bugspriet habe ich nach ihm gefischt

Dies Fangenspielen macht ihm sichtlich Spaß;
Wie eine Krone trägt er silbrig, zackig
die Brecher vor mir her, bis kalt und brackig
die Reeling überrollt das trübe Nass.

Schon wogt ein neuer Berg mit weißem Firnis,
verschäumt an Deck und hinterläßt nur Wirrniss.
Ich saufe diesen salzig-herben Sud.

Um meine Walnußschale tanzt der Nöck,
Der Himmel schwärzt sich, wie zu Ragnarök.
Zu Purpurrot verkocht die Brecherflut.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#9
IX.

Zu Purpurrot verkocht die Brecherflut,
Spiralt in zeitverformten Traumgedanken
Den Schlund, wo einst Gestirn und Schiff versanken
Im Angesicht der Himmelsgöttin Nut.

Am Steigblock Átum-Ré, den Falkenblick
Entschlossen westwärts nach Manú gerichtet,
Maát am Galion, im Sog verdichtet
Sie die Uräuskraft mit viel Geschick

Zum Ankh. Er wird die Sonne, die mit Wallen
Erstarkt im Meer versinkt, im goldnen Spalt.
Für einen Augenblick der Andacht ballen

Sich noch die Kräfte und infernal erschallt
Der Ibisruf des Thot - die Schleier fallen,
Fontänen zischen, sprühen feurig kalt.
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#10
X.

Fontänen zischen, sprühen feurig kalt
Die Klippen, ihren Grenzwall zu verdammen,
Hinauf als irisierend blaue Flammen
Und schleifen mit den Jahren den Basalt

Zu feinem Sand; die Wellenmuster stammen
Von dieser schöpferischen Urgewalt,
Die bald im Meer lebt, bald im Fels und bald
Zerstreiten sie sich, wirken bald zusammen.

Und immer forschend was die Regeln sind
Ruf ich in immer stürmerische See
Hinaus: „Frisch auf! Ich brauch zum Segeln Wind!“

Die Planken überschäumt der bracke Sud,
Schon weiß ich nicht mehr ob ich flieg, ob steh,
Es rast der Puls, das Blut, es flieht der Mut.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#11
XI.

Es rast der Puls, das Blut, es flieht der Mut
Beim Höllenritt auf finstren Wellenköpfen,
Sie rollen, bersten zu Medusenschöpfen,
Es brüllt die See in weißer Schlangenbrut.

Von Aiolos die Segel eingerefft,
Die Luken dicht, ich festgezurrt mit Trossen
Am Besanmast, als Köder, starr, umschlossen,
Gepackt von Geisterhand – vom Tier veräfft!

„Befrei dich!“, dröhnt es schmerzhaft in den Ohren.
Ich kann, ich will’s nicht hören! Nein! Es hallt
So unbarmherzig, höhnisch. Sein Rumoren

Zerreißt mir Fesseln, liege, festgekrallt
Am Himmelshaken, längst das Spiel verloren,
Tentakel züngeln, suchen, finden Halt...
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#12
XII.

Tentakel züngeln, suchen, finden Halt
und Sturm reiß unaufhörlich in den Wanten.
Bedrohlich knarren unter Deck die Spanten
wenn Menschenwerk auf Urgewalten prallt.

Für jene Spiel, ein Überlebenskampf
für mich; ich weiß, ich muß mich neu besinnen
„Die wahre Kraft entfaltet sich von innen“
uns schon sticht Sonne durch den Wetterdampf.

Wie wir beherzt einander aufgewiegelt,
das Tier und ich, wie wir uns angestiert,
so lassen wir einander nun der Flut.

Die späte Sonne seh ich wie gespiegelt,
als ob dort fern ein Mohnfeld explodiert.
Ich sinke, tauche ein in pure Glut.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#13
XIII.

Ich sinke, tauche ein in pure Glut,
Kopfüber in ein Flammenmeer, ein Anker
Gekettet an sein Selbst., gleich Ré, einst sank er,
Als Sonne, in und um mir pulst sein Blut.

Das Rasseln schwerer Eisenglieder stirbt
Allmählich, Ringe glühen, werden weicher
Und klaffen auf, gelöst, an Freiraum reicher,
Verfalle ich dem Tiefenrausch – es wirbt

Die Flut, die Wärme mit vertrauter Nähe,
Ich schwebe, federfrei, von ihr umschwallt,
Verfangen ineinander, ich vergehe

Und werde, ich bin jung und endlos alt,
All-Ein In diesem Spiel und ich verstehe,
Verbrenne wesensgleich zur Lichtgestalt.
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#14
XIV.

Verbrenne wesensgleich zur Lichtgestalt.
Ein Mohn bin ich im Meer von tausend Mohnen
und wie mein Rot, entsinkend tausend Thronen
sich wiedergibt der irdischen Gewalt

beginnen Korn um Korn in mir zu reifen.
Der Funke, der mich in der Tiefe traf
durchglüht ein Keimendes in mir. Wie Schlaf
bemächtigt er sich mir und will ergreifen

den Körper und die Seele, den Verstand,
die Sinne: Haptik, Augenlicht, Geruck
und finde doch nicht, was ich ewig such.

In mir verwachsen ist mein Wunderland.
Zum Himmel rankt ein Rosenholzspalier.
Azur, so lockt die See hoch über mir.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#15
Und das Meistersonett, das natürlich auch als Gemeinschaftswerk entstand:


XV - Magistrale

Azur, so lockt die See hoch über mir.
Doch wenn mein Sinn schon längst die Rah erklimmt,
Wenn Traum und Plan am Horizont verschwimmt
Erwacht am Meeresboden dieses Tier.

Die Wogen wölben sich, es spritzt die Gischt,
Es dreht sich richtungslos mein schwanker Kahn.
Was nun passiert, sei's Wille oder Wahn;
Es hat die Wasserfarben neu gemischt.

Zu Purpurrot verkocht die Brecherflut,
Fontänen zischen, sprühen feurig kalt,
Es rast der Puls, das Blut, es flieht der Mut,

Tentakel züngeln, suchen, finden Halt,
Ich sinke, tauche ein in pure Glut,
Verbrenne wesensgleich zur Lichtgestalt.

-------------------------------------F. K. / ZkG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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