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Charlotte Smith: Sonnet XLIV. Written in the Church-Yard at Middleton in Sussex
#1
GB 
Press'd by the Moon, mute arbitress of tides,
While the loud equinox its power combines,
The sea no more its swelling surge confines,
But o'er the shrinking land sublimely rides.
The wild blast, rising from the Western cave,
Drives the huge billows from their heaving bed;
Tears from their grassy tombs the village dead,
And break their silent sabbath of the grave!
With shells and sea-weed mingled, on the shore
Lo! their bones withen in the frequent wave;
But vain to them the winds and waters rave;
T h e y hear the warring elements no more:
While I am doom'd - by life's strong storm opprest,
To gaze with envy to their gloomy rest.


Charlotte Smith

Sonett XLIV. Geschrieben auf dem Friedhof von Middleton in Sussex

Vom Mond, der schweigend die Gezeiten teilt,
Gepresst, wenn sich der Sturm im Herbst erhebt,
Die See in anschwellenden Kämmen bebt,
Und über’s abreißende Land hin eilt.
Der wilde Wind, er treibt von Westen zu,
Holt hohe Brecher aus dem Meer heraus
Und spült aus Grassoden die Toten aus,
Den Sabbat endend ihrer Grabesruh.
Mit Muscheln, grünem Seetang aus dem Meer
Sieht man die bleichen Knochen hier vernetzt,
Doch weder Wind noch Salz sie mehr verletzt,
Sie spür’n vom Elementenkampf nichts mehr:
Und ich – vom Sturm des Lebens all die Zeit
Gepresst – seh’ ihren armen Rest voll Neid.
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#2
Ah, da ist es ja!

Du hattest mir die Übersetzung ja bereits per Post geschickt, daher bin ich jetzt nicht ganz unvorbereitet.


Deine Verse laufen rund, es ist inhaltlich stimmig, aber bei genauerem Vergleich, fallen mir dann doch noch ein paar Punkte auf.

"arbiter" ist im Original "arbitress". Ein Tippfehler, im Brief hattest du es noch richtig.
Ich würde es hier als Herrscher, Lenker, Gebieter übersetzen. Richter finde ich hier unpassend, da im ganzen Text keine Schuld, kein Ungehorsam oder ähnliches thematisiert wird.

"equinox" hast du hier mit "Frühjahrssturm" übersetzt.
Es wird nicht ausdrücklich gesagt, aber ich denke, dass hier eher der Herbst gemeint ist. Abend und Herbst alst Ende des Tages / Jahres wurden gerne als Analogie für den menschlichen Lebensabend / - Ende verwendet. Zudem passen Herbststürme besser ins Klimadiagramm von Südengland.

In Zeile 7 sind die -soden falsch betont. An der Stelle mein Vorschlag:
und spült aus Rasensoden Tote aus.

"Sabbat" bezeichnet die Ruhezeit, hier hast du also eine Tautologie.

in der Schlusszeile würde ich nicht vom "armen Rest" schreiben. "arm" klingt mir sehr nach "bedauernswert", aber das sind sie ja gerade nicht. Lyrich beneidet sie.


Ich habe auch eine eigene Version in Arbeit. Da brauche ich aber noch die eine oder andere Mußestunde.


Gruß
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
"Herbst" statt "Frühjahr" o.k., aber den Richter habe ich nicht wegen des Umfeldes von Schuld oder Verfehlung gewählt, sondern wegen der alten Bedeutung von Richter als "Entscheider" mit der Nebenassoziation des "Etwas-Einrichtens"/ "Schlichtens" im Sinne des Friedensrichters etwa. Auch der Arbiter im lateinischen Sinn als Richter oder etwa in Quo Vadis von H. Sienkiewicz, wo eine Hauptperson als arbiter elegantiarum bezeichnet wird, also etwa als Geschmacksrichter in Fragen der Eleganz. So ist die Übersetzung mehr im Sinne des Schiedsrichters im "Kampf" von Ebbe und Flut, den Gezeiten, gemeint.
Ich bin schon der Meinung, dass die bleichen Knochen am Strand einen armen, sprich armseligen Rest repräsentieren. Dass das lyrische Ich selbst diese noch beneidet, soll wohl doch die Verzweiflung andeuten, in der es sich befindet. Es ist noch schlimmer dran als diese Knochen, die immerhin in ihrer Armseligkeit nicht mehr verletzt werden können.
Die Betonung von "Grassoden" ausnahmsweise auf der 1. und 3. Silbe erscheint mir vertretbar, vielleicht ist es aber auch ein Durchschlagen von dialektaler Eigenart ( ich bin im Bereich der rheinfränkischen Mundarten (Mainz am Rhein)) aufgewachsen. Manche Worte werden da anders betont. Einen besonderen Lacher hatte ich einmal in Norddeutschland, als ich vergaß, dass man hier das "O" in Obst lang ausspricht.
Bei "Sabbat" den ich beibehalten habe, habe ich allgemein an die Bedeutung der "heiligen Zeit" gedacht. Natürlich ist das auch die Ruhezeit, wodurch sich eine Sinnverdopplung mit "Totenruh'" ergibt. Ich verstehe das aber als zusätzliche Erklärung der Totenruhe im Sinne von endgültiger, kompromissloser, heiliger, nicht zu störender Ruhe - die dann freilich doch gestört wird, was ja die Spannung des Gesichtes ausmacht. Selbst der Sabbat der Toten wird gestört! Deswegen ein wenig dick aufgetragen. Charlotte Smith trägt hier ja selbst besonders dick auf und hatte vielleicht selbst ein etwas ungutes Gefühl. Deshalb hat sie zu dem Gedicht ja eine Fußnote geliefert, die meist auch abgedruckt wird. Ich habe sie hier (noch) nicht wiedergegeben, weil sie eigentlich alles das in Prosa nennt, was auch das Gedicht beschreibt - Zeit, Ort, Friedhofsgeschehen - Ich vermute, sie wollte dadurch einfach die "Authentizität" des Beschriebenen klar machen, damit man sie nicht in die Ecke einer phantasievollen Erzählerin von Gruselgeschichten rücken kann. Es soll eine Realitätsschilderung sein. Ich habe selbst bereit einen solchen Friedhof in Dänemark an der Nordseeküste gesehen.
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#4
Dass "arbiter" verschiedene Bedeutungen oder konotationen hat, liegt natürlich am lateinischen Ursprungswort. Der Richter im Deutschebn ist schon jemand, der ein Urteil fällt und damit, auch als Friedensrichter einen Streit beendet. Dies aber ist beim Kampf der Gezeiten nicht gegeben, auch nicht beim Elementenkampf. Würde sie das Naturgeschehen als ausgewogen betrachten, wäre die ganze schauerliche Stimmung dahin. Nun, wir sind hier nicht beim Kreuzworträtseln. Oft gibt es mehr als eine Lösung. Übersetzen ist immer auch ein Stück Interpretation. Um so mehr wird sich meine Fassung unterscheiden.

Beim Sabbat hast du insofern Recht, dass "silent sabbath" natürlich auch eine Tautologie ist. Die Frage ist, ob man Stilblüten unbedingt mitübersetzen muss. Wobei es im Original nicht unbedingt eine sein muss, aber in deutscher Sprache finde ich es sehr dick aufgetragen.

Bei den Grassoden, geht es nicht um dialektische Eigenart. Dort die dritte Silbe zu betonen geht schon, und du wirst auch in meinen Übersetzungen und eigenen Dichtungen viele vergleichbare Fälle finden. Das ist kein großes Ding, Ich dachte nur, weil es so leicht auszubessern wäre. Es entfiele andererseits der Artikel der Toten, was ein wenig unpersönlich wirkt. Auch hier Interpretationssache, was man haben will, bzw. was wichtiger ist.

Diese Fußnote kenne ich nicht. Solche Friedhöfe gibt es aber auch im Binnenland, wenn Berghänge ins Rutschen kommen, daher stand die Authentizität für mich nie in Zweifel.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Geschrieben am Kirchhof von Middleton, Sussex.


Bedrängt vom Mond, dem Lenker der Gezeiten,
als sich der Herbstorkan zusammenzog,
schwillt an die See; Sie bricht sich und sie wogt
um an der Küste mit dem Land zu streiten.

Der Sturm will sich aus wildem West erheben
und treibt die See zu moosbewachsnen Steinen;
Die muss an diesem Dorf der Toten weinen
und bricht den stillen Sabbat dieser Gräber.

Mit Tang und Muscheln dort am Strand vermischt,
wo ihre Knochen in den Wellen bleichen,
kann sie das Tosen rings nicht mehr erreichen;
der Elementenkampf, wie fort gewischt.

Verdammt des Lebens langen Sturm zu leiden,
muss ich 's den schauerlichen Resten neiden.
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#6
In der von mir benutzen Ausgabe: British Women Poets of the Romantic Era ist die Fußnote von Charlotte Smith zu ihrem Sonett wie folgt angegeben:

Middleton is a village on the margin of the sea in Sussex, containing only two or three houses. There were formerly several acres of ground between its small church and the sea; which now, by the continual encroachments, approaches within a few feet of this half ruined and humble edifice. The wall, which once surrounded the church-yard, is entirely swept away, many of the graves broken up, and the remains of bodies interred washed into the sea: whence human bones are found among the sand and shingles on the shore. [p. 686]

Wie schon gesagt, die Fußnote fügt dem Inhalt des Sonetts eigentlich nichts hinzu, deshalb habe ich auch darauf verzichtet, sie dazu zusetzen, obwohl das von Smith sicherlich immer so vorgesehen war (mit Hinweissternchen schon in der Überschrift).
Sie diente wohl wirklich nur der Unterstreichung des "Realitätsgehalts" des Dargestellten. Ich finde diese Fußnoten, die in der Zeit der Romantik aufkommen in so weit interessant,, als sie ein Symptom dafür zu sein scheinen, dass man der Lyrik/ seinem eigenen Text?, nicht mehr ganz zutraut alleine, für sich selbst sprechen oder stehen zu können.

Deine Übersetzung finde ich auch sehr gut. Es gibt tatsächlich immer einen Interpretationsbedarf, wenn man nicht sklavisch am Text hängen und dann verzweifeln will, weil es sich einfach nicht fügen will. Nur die Zeilen 5 und 8 würde ich mir noch mal vornehmen: des Reimes wegen von "erheben/Gräber".
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#7
Vielen Dank für die Fußnote.

Sie enthält tatsächlich nichts wesentlich neues. Der Realitätsbezug unterstreicht allerdings schon die Bedeutung / Wahrnehmung des Textes. Auch heute werden viele Spielfilme mit dem Hinweis versehen, dass sie einer wahren Begebenheit folgen. Und tatsächlich sieht man diese Filme oft anders, wenn sie ausdrücklich als Non-Fiktion präsentiert werden.

Zitat:Es gibt tatsächlich immer einen Interpretationsbedarf, wenn man nicht sklavisch am Text hängen und dann verzweifeln will, weil es sich einfach nicht fügen will.

Es geht ja nicht nur um die Bedeutungsfelder einzelner Begriffe, die in den Sprachen nicht deckungsgleich sind. Es geht auch um Konzessionen an die Form, die nicht nur der Übersetzer macht, wenn er die Form erhalten will, sondern bereits der Autor. Gerade bei Reimworten kann man sich schon die Frage stellen, ob es auch inhaltlich erste Wahl war, oder ob es mit anderen Begriffen stimmiger wäre.

Da begibt sich der Nachdichter natürlich auf Glatteis und zumindest bei verstorbenen Autoren bleibt es in der Regel Spekulation, aber die Frage bleibt wie man mit Stilblüten und inhaltlichen Fehlern des Originals umgeht. Die Tautologie in Zeile 8 ist noch ein minder schwerer Fall. Da gibt es bei anderen Autoren viel krassere Beispiele.
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#8
Was Tautologien betrifft, kann man vielleicht sagen, dass sie nur selten verwendet werden sollten und das gute Schriftsteller das auch nur selten getan haben. Nun ist m. E. Charlotte Smith nicht gerade einer der stärksten Autorinnen der Epoche, obwohl sie vielleicht im Moment ein gewisses Revival als Sonettistin erfährt, was teilweise sicher der Genderdiskussion geschuldet ist: mehr Frauen in die Anthologien u.s.w.
Sie schreibt manchmal schon so, das man denkt, ja, jetzt muss sie die Zeile aber noch irgendwie voll kriegen, und dann ist der Weg zum überflüssigen Adjektiv oder Vergleich auch schon nicht mehr fern.
Ob man Tautologien "mitübersetzen" sollte ist eine Frage ähnlich der, was mache ich, wenn ich eine Schwäche des Gedichts (glaube...) wahr nehmen zu können. Darf, muss ich dann den Fehler des Autors abbilden, sollte ich stillschweigend verbessern? Ist das nicht Arroganz und Beckmesserei oder ist es sogar Pflicht, die Aufgabe des Übersetzers, auch mal was "auszubügeln"? Bei Prosawerken würde sicherlich niemand sich beschweren wollen, wenn der Übersetzer z. B. eine falsche Jahreszahl oder einen falsch wiedergegebenen Namen stillschweigend korrigiert. Als Beispiel kann das berühmte Gedicht von John Keats dienen: On first looking into Chapman's Homer, wo Keats einen falschen historischen Namen einsetzt, CORTEZ statt NUNEZ DE BALBOA. Er hat es zwar vor Drucklegung noch bemerkt, aber selbst die Kurzform Balboa ist noch zu lang um sie einfach gegen den 2-silbigen Cortez einzuwechseln, also entschied er sich fürs Stehenlassen. Und wenn es nicht das gemeine Internet gäbe, wüsste ich auch bis heute nicht, " wer als erster den Pazifik sah"! Ich habe mich bei der Übersetzung anders aus der Affäre gezogen. An passender Stelle stelle ich den Keats ein.
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#9
Als Knecht des Monds, der die Gezeiten zwingt,
zur Stunde, da nicht Tag noch Nacht mehr wiegt,
erhebt die See sich und die Sturmflut ringt
dem Land die Küsten ab. Im Westen liegt
der Hort des Sturms, sein Horn erweckt die Wut
der Wellen aus dem Wogenbett der See,
spült aus, was in bemoosten Grüften ruht,
zerbricht den Sabbat stiller Gräber jäh.
Vermischt mit Muschelbruch und Algen blecken
die Knochen nun ihr Weiß im Takt der Wellen,
doch Wind- und Wasserwut kann sie nicht schrecken,
sie hören nicht das Horn der Stürme gellen.
Doch ich, ich bin verflucht – Leben heißt Leiden–
sie um den Rest der Ruhe zu beneiden.
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#10
Hallo Josef,

auch inhaltliche Fehler sind heikel.

Man muß unterscheiden, ob es eine Schludrigkeit des Autors war, oder einfach der Wissensstand der Zeit. So würde ich einem antiken Autoren nicht die Zahl der Planeten korrigieren.
Im Fall von Keats, der es offenbar besser wusste, bzw. eines besseren belehrt wurde, aber aus metrischen Gründen auf eine Korrektur verzichtete, sollte man es als Übersetzer wohl verbessern, wenn der eigene Vers die Chance bietet. Es bräuchte dann wohl eine Fußnote um den Austausch von Eigennamen zu erklären, aber wenn die Fußnoten nicht länger werden als das Gedicht, kann man das auch Lyrik-Lesern zumuten.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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