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Sappho: Ich aber schlafe alleine / ἔγω δὲ μόνα κατεύδω
#1
Griechenland 
.

.

Ich aber schlafe alleine / ἔγω δὲ μόνα κατεύδω // Sappho (ca. 622 - 570 v. u. Z.)


In Beschlag genommen wurden bereits Luna,
die Plejaden. Inmitten der Nacht
gleitet die Deutung der Stunde,
ich aber schlafe alleine.




ἔγω δὲ μόνα κατεύδω / Ψάπφω / Psapphō


Δέδυκε μὲν ἀ σελάννα
καὶ Πληίαδες· µέσαι δὲ
νύκτες, πάρα δ᾿ ἔρχετ ὤρα·
ἔγω δὲ μόνα κατεύδω

(Altgriechisch / äolischer Dialekt)

Déduke mèn a selánna
kaì Pläïades . mésai dé
núktes, parà d’ érchet’ hora,
égo dè móna kateúdo.

.

.
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#2
Hallo Alcedo,


Ich kann ja weder Griechisch, noch Altgriechisch, aber eine Sapphische Strophe scheint es nicht zu sein, dafür ist die vierte Zeile zu lang.
Kennst du das Versmass? Bzw. Welches hast du benutzt?


Gruß
ZaunköniG
Hallo nochmal,


Wenig überraschend, wurden die Zeilen schon vielfach übersetzt. Wenn ich die verschiedenen deutschen und englischen Fassungen vergleiche, so ist in den ersten Zeilen stets die Rede davon, dass Mond und Plejaden untergehen oder verschwinden.
Du schreibst "In Beschlag genonmmen". Das verstehe ich im Sinne von "sind vergeben" wie ein geliebter Mensch vielleicht schon vergeben ist. Da bist du also einen anderen Weg gegangen als andere Übersetzer. Klar scheint hingegen zu sein, dass sowohl Mond als auch Plejaden personifiziert sind.
Auch ist mir nicht klar, was du mit der "Deutung" meinst. Etwas wie "erwarten" oder "betrachten" scheint mir an der Stelle stimmiger als "deuten".

Zum Versmaß:

Bei Wikipedia fand ich unter der Liste griechischer Phrasen
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_grie...asen/Delta
einen Hinweis auf den

Enhoplios X x x X x x X


Bei mir würde es also etwa so lauten:


Luna verließ den Plafond,
auch die Plejaden sind fort.
Schon ist die halbe Nacht um,
Ich aber schlafe allein.




.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
hallo ZaunköniG

ja, Sapphos Verse gehören wohl zu den meistübersetzten der Antike.

selbst kann ich auch nur ein paar Brocken Griechisch, nicht der Rede wert.
den Text, samt Aussprache und Metrum, bin ich mit einem griechischen Freund durchgegangen, konnte aber keine eindeutige Regelmässigkeit in heutigem Sinne ausmachen. Sappho und Alkaios arbeiteten damals mit äolischer Metrik, deren wohl ureigenster Erfindung. die quantitierende Metrik jener Schule hat keine unmittelbare Entsprechung in der deutschen Sprache. sie zeichnet sich unter anderem durch Verzicht auf Kontraktionen und Resolutionen aus und die Kola (Gliederungseinheiten) haben dabei immer die gleiche Silbenanzahl, sagen die Fachleute.

Beispiele zur Aussprache:
https://www.youtube.com/watch?v=o-BMrwdMLBY
https://www.youtube.com/watch?v=EN9HE3f4SsM
https://www.youtube.com/watch?v=_mV7HFMGqK0
https://www.youtube.com/watch?v=vfnv-wT9ggI

wenn ich es Aufixen sollte, dann würde es für mich so aussehen:
Déduke mèn a selánna
XxxXxxXx
kaì Pläïades . mésai dé
xXxxXxXx
núktes, parà d’ érchet’ hora,
XxXxXxXx
égo dè móna kateúdo.
xXxxXxXx

im Deutschen und in unserer derzeit gängigen Aufixerei würde wir Sapphos Arbeitsweise wohl als Uneinheitliches Metrum bezeichnen, mit eigener Rhythmik, gegliedert durch eine gewisse Regelmäßigkeit bei den Synkopen und Zäsuren. es ergibt sich praktisch ein rhythmisches Leitmotiv der Kola, also der Gliederung.
das habe ich oben durch den allmählichen Schwenk vom Anapäst zum Daktylus einigermaßen zu Veranschaulichen versucht (mit ausdrücklicher Betonung auf dem Versuchen
Come build in the empty house of the stare
- Yeats -
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#4
Hallo Alcedo,

Mit der Aussprache ist das so eine Sache. Da aus der Antike keine Tondokumente erhalten sind, können wir dazu nur mehr oder minder plausible Mutmaßungen anstellen.
Wichtiges Indiz war neben dem modernen Griechisch immer die metrische Dichtung und die entsprechenden Beispieltexte, aber sind gleiche Worte in den verschiedenen Dialekten auch gleich betont?
Wir werden es nicht abschließend klären können, aber dass der Text metrisch so unregelmäßig sein soll stellt mich nicht wirklich zufrieden.

Mit dem Plafond hast du natürlich Recht. Er passte besser ins Metrum als der Himmel, aber vielleicht geht es auch noch ganz anders:


Luna verließ ihr Revier,
auch die Plejaden sind fort.
Schon ist die halbe Nacht um,
Ich aber schlafe allein.


oder

Nun ist Selene davon,
auch die Plejaden sind fort.
Schon ist die halbe Nacht um,
Ich aber schlafe allein.


oder


Nun sank Selene dahin,
und die Plejaden sind fort,
Schon ist die halbe Nacht um,
ich aber schlafe allein.


Gruß
ZaunköniG


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Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
(26.02.2017, 11:08)ZaunköniG schrieb: Nun sank Selene dahin,
und die Plejaden sind fort,
Schon ist die halbe Nacht um,
ich aber schlafe allein.


.

das ist mein eindeutiger Favorit aus deiner Auswahl, ZkG. es gefällt mir wegen Präzision und Knappheit, die trotzdem dem sinnlichen Klang Raum lässt.

ja, wer wüsste nicht gern, wie Sappho mit Alkaios sprach? der Äolische ist einer der ältesten griechischen Dialekte, aber es ist, meines Wissens, noch recht viel davon bekannt. zu deiner gewählten Metrumsvorgabe, möchte ich aber anmerken, dass das Äolische stets Endbetonungen vermied, oder vermeidet (ich hab gehört es wird stellenweise noch auf Lesbos und in der Türkei, von einigen älteren Menschen gesprochen - keine Ahnung ob das stimmt).

so finde ich diese Zeile metrisch korrekter als die anderen drei, im Bezug zum Original:
Schon ist die halbe Nacht um,
XxxXxXx

die harten Kadenzen bei dahin, fort und allein fallen mir deshalb ein wenig aus dem Rahmen.

insgesamt lese ich es so:

Nun sank Selene dahin,
xXxXxxX
und die Plejaden sind fort,
XxxXxxX
Schon ist die halbe Nacht um,
XxxXxXx
ich aber schlafe allein.
XxxXxxX


Gruß
Alcedo
Come build in the empty house of the stare
- Yeats -
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#6
Hallo Alcedo,


In der oben genannten Liste griechischer Phrasen wird ja erwähnt, dass der Vers sonst nicht vorkommt bei Sappho. Vielleicht weil er für den äolischen Dialekt nicht typisch ist? Ich finde ihn hier ganz passend. Ich würde in meinen Nachdichtungen auch jeweils alle Verse XxxXxxX betonen. Bei den Folgen einsilbiger Worte ist das vielleicht nicht so eindeutig, aber solche Diskrepanzen in der Wahrnehmung kommen immer wieder vor und zeigen eigentlich, wie schwierig es ist, antike Versmasse zu bestimmen, wenn aus der Sprache keine Tondokumente überliefert sind. Dass es heute noch Sprecher eines äolischen Dialektes gibt, heißt ja nicht, dass der Dialekt noch genauso klingt wie vor 2500 Jahren. Der wird ähnlich große Verschiebungen durchgemacht haben wie die Hochsprache.


Gruß
ZaunköniG
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Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#7
(27.02.2017, 09:39)ZaunköniG schrieb: Hallo Alcedo,


In der oben genannten Liste griechischer Phrasen wird ja erwähnt, dass der Vers sonst nicht vorkommt bei Sappho. Vielleicht weil er für den äolischen Dialekt nicht typisch ist? Ich finde ihn hier ganz passend. Ich würde in meinen Nachdichtungen auch jeweils alle Verse XxxXxxX betonen. Bei den Folgen einsilbiger Worte ist das vielleicht nicht so eindeutig, aber solche Diskrepanzen in der Wahrnehmung kommen immer wieder vor und zeigen eigentlich, wie schwierig es ist, antike Versmasse zu bestimmen, wenn aus der Sprache keine Tondokumente überliefert sind. Dass es heute noch Sprecher eines äolischen Dialektes gibt, heißt ja nicht, dass der Dialekt noch genauso klingt wie vor 2500 Jahren. Der wird ähnlich große Verschiebungen durchgemacht haben wie die Hochsprache.


Gruß
ZaunköniG
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hallo ZaunköniG

ja, Dialekte sind genauso lebendig wie die Hochsprachen. sie unterliegen dauernden Veränderungen. und 2500 Jahre oder mehr sind eine lange Zeit. bei einem angenommenen Generationenabstand von 25 Jahren, ergibt das nach Adam Riese 100 Generationen! der Unterschied bei diesen vier Zeilen vom äolischen zum heutigen Griechisch ist aber trotzdem nur unwesentlich. jeder heutige Grieche kann sie geschrieben verstehen. es differiert weniger als zum Beispiel das heutige Bayrische mit dem Hochdeutschen.

was den Enhoplios betrifft, habe ich Zweifel ob das so stimmt. ich denke wir sollten unterscheiden zwischen musikalischen Takten, Tanz und der Rhythmik gesprochener Sprache. ich habe diesen Vierzeiler nach letzterem analysiert, nach der Aussprache eines griechischen Freundes.

in diesem Textbeispiel hier wird über den Enhoplios berichtet, wie ihn Sokrates (der relativ kurz nach Sappho wirkte und lebte), Platon und Damon empfanden: https://books.google.de/books?id=1qnOCb5...os&f=false

demnach entspricht der Enhoplios einer „Fußbewegung“ beim Tanzen.
dass man tanzend und singend bald jedes Versmaß hingebeugt bekommt, wissen wir. auch Dylan sprechsingt dann demnach sein „How many roads must a man walk down“ XxxXxxXxX in den Enhoplios hinein, aber wie es sich bei gesprochener Sprache anhört, steht auf einem anderen Blatt.

Gruß
Alcedo
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- Yeats -
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