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Stadtfriedhof
#1
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Stadtfriedhof


Man hört das Schluren richtungsloser Schritte;
leise tröpfelt hier ein Wasserspeier.
Nur die Familie kam zur Totenfeier:
Der Sohn, die Schwiegertochter, in der Mitte
die Schwägerin ergreift das Wort persönlich:
"Ja, Calla hatte Anne stets gemocht.",
mach Späße über den obszönen Docht. -
Sie wählt' erst Rosen. - Nein, die wär'n gewöhlich.

Bevor sie geht, legt sie die Blumen nieder.
Betreten stehn noch zwei am frischen Grab:
Er stützt sich auf sie, wie auf einen Stock.

"Komm, Schatz, wir brechen das hier jetzt mal ab."
Sie wenden sich zum Gehn, dann schaut er wieder, -
kurz innhalten, - dann geht es ad hoc.



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#2
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Stadtfriedhof


01


Kurz innehalten - dann geht es ad hoc
aufs schwere Eisentor zu: Es steht offen.
Er überfliegt den Aushang und betroffen
bleibt er an Annes Namen hängen. Schock!

Ein Anzugträger nähert sich, befleißt
sich diesen Zettel wieder abzunehmen,
erklärt: "Man feiert," scheint sich fast zu schämen,
"auf Wunsch der Kinder nur im engsten Kreis."

"Die Kinder!" denkt noch unser Mann: "Es gibt
doch nur den einen Sohn." Er mag ihn nicht
und wird auch umgekehrt nicht grad geliebt.

"Sich hier versöhnen, wäre gute Sitte."
Er zögert, - geht ein Stück, "Ach, besser nicht...
Man hört das Schluren richtungsloser Schritte.



02

Man hört das Schluren richtungsloser Schritte
auf festgestampftem Mineralgemisch:
Mit hochgestelltem Kragen, (es ist frisch)
schleicht jemand auf und ab. Gelb glänzt die Quitte,
damit die Brise nicht nur Trübsal bläst
an diesem meist verhangnen Nachmittag.
Er kam und sah sich um und - er erschrak,
geht einen Schritt beiseit, späht durchs Geäst

und weiß nicht, was er hier erwartet hatte.
Natürlich keine große Totenfeier
mit allem Pomp und langer Prozession,
doch drei Besucher nur, das ist dann schon
sehr dürftig. Schmucklos wird sie nun bestattet.
Leise tröpfelt hier ein Wasserspeier.


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#3
Hallo Zaunkönig,

das ist starker Tobak und in der stillen Tristesse mit dem Wasserspeier hinten raus ein echter Stimmungsdrücker. Großes Kino.

Wenn du noch was polieren willst, ist vielleicht in der Zeile "mit allem Pomp und langer Prozession" ein Priester verlorgengegangen? "mit Priester, Pomp und langer Prozession". Aber das muss nicht wirklich. Ist auch so wies dasteht sehr bedrückend und beeindruckend.

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#4
Hallo Sneaky,


Den Priester habe ich nicht zu den Besuchern gezählt. Geh mal davon aus, dass der dabei war.
Vielleicht beleuchte ich den noch mal einzeln?
Auf jeden Fall brauche ich noch einen weiteren Handlungsstrang. Sonst wird es etwas knapp für einen ganzen Kranz.


Gruß
ZaunköniG
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#5
Hallo Zaunkönig,

mir gings eigentlich vor allem darum, das "allem" in Verbindung mit "Pomp" zu bekritteln. Ich finde, dass das Adjektiv das Nomen abschwächt. Pomp hat schon Durchschlag und den Priester in Zusammenhang mit Pomp zu bringen ist nicht schwer, wenn er in vollem Ornat auftritt. (Ich bin Kathole, da sind die Priester manchmal ganz schön aufgeputzt).

Das mit dem Handlungsstrang ist sicher nicht einfach. Auf einem Friedhof gibt's nicht viel an Action. Ich lehn mich mal zurück und genieß die Show Smile

lG

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#6
Hallo Sneaky,

Ich bin zwar lutherisch, aber den Pomp katholischer Priester kenne ich von Feiertagsgottesdiensten.
Treten die bei Beerdigungen auch so aufgeputzt auf? Beim Pomp dachte ich ganz preußisch-protestantisch an die Sargträger in Frack und Zylinder und den üppigen Blumenschmuck der zunächst in der Kapelle ausgestellt wird und später auch zum Grab getragen wird. Vielleicht noch die Ehrengarde des Schützenvereins oder der Feuerwehr, Die Jägerkameradschaft bläst "Die Sau ist tot" ... - aber ich schweife ab. Das soll es ja alles nicht sein.


Gruß
ZaunköniG
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#7
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Stadtfriedhof

03


Leise tröpfelt hier ein Wasserspeier
und penetrant verbreitet sich Gestank
von faulen Lilien. Auf einer Bank
sitzt nett, adrett, wie aus dem Biedermeier

ein schmales Frauchen und lässt ihre Kanne,
ganz in Gedanken, grade überlaufen,
spricht mit sich selbst: Sie muss noch Blumen kaufen.
"Wie sie dort sitzt", denkt er, - wie seine Anne,

wenn sie im Stadtpark nach den Schwänen sah.
Auch als sie selbst nicht mehr im Stande war
die letzten zwanzig Schritt allein zu gehen,
war sie oft dort. "Man atmet hier viel freier!",
hat sie ihm mal gesagt. Nun muss er sehen:
Nur die Familie kam zur Totenfeier.



04


Nur die Familie kam zur Totenfeier;
Der Sohn nimmt eine Schaufel in die Hand;
Er murmelt etwas. Ein paar Krümel Sand
und wie aus einem dichten Nebelschleier
taucht immer wieder ihr Gesicht auf. - Anne!
"Was war denn damals nur mit uns geschehen?"
Der Süd lässt eine milde Brise wehen,
verständnisvoll nickt Hollerbusch und Tanne.

Sie hatte ihre Krankheit lang verschwiegen;
Man hörte keine Klage, keine Bitte.
Sie wollte ihre Lieben nicht belasten
und zog sich schließlich ganz zurück. - So passten
die schroffen Worte doch, - und das Bekriegen,
der Sohn, die Schwiegertochter in der Mitte.



05

Der Sohn, Die Schwiegertochter, in der Mitte
nun mit der Schaufel steht die Schwägerin
und weiß für den Moment wohl nicht wohin
mit ihr, - mit sich; Ein Sträußchen Margeritte

mit rosa Röschen fliegt noch hinterher.
Sie scheint nicht sicher, war das jetzt zu viel?
zu wenig? Fragen nach dem guten Stil
vertrudeln langsamer um schließlich schwer

vom plötzlichen Gewicht lang hinzuschlagen.
Man dreht sich um sich selber für gewöhnlich
und hat, wenn es drauf ankommt, nichts zu sagen.

Sogar der Pastor schaut schon auf die Uhr. -
"Mögt ihr noch einen Kaffee trinken?" Nur
die Schwägerin ergreift das Wort persönlich.



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#8
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06

Die Schwägerin ergreift das Wort persönlich,
auch weil ihr langes Schweigen nicht so liegt.
Ein wenig Smaltalk, der auch schnell versiegt...
Der Sohn wiegt ab und zu den Kopf, er klönt nicht

so gerne. - Nicht, nur um des Klönens Willen.
"Kaffee wär gut. " Doch mehr aus Höflichkeit
verspricht das Paar, sich dafür etwas Zeit
zu nehmen. "Empfehlenswert sind die Marillen-

Zitronen-Schnitten. Soll ich schon bestellen?"
Die beiden schau'n sich an: Ach, - eher nicht.
Was ihnen grad' unter der Schläfe pocht:
Warum ist diese Beisetzung so schlicht?
Von Blumen hielt sie nichts bei Trauerfällen, -
Ja. - Calla hatte Anne stets gemocht."


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#9
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07


"Ja, Calla hatte Anne stets gemocht,
doch nicht als tote Blume in Gestecken."
Man konnte ihren Widerspruch stets wecken,
litt irgendwo die Kreatur. Sie focht

für Tiewohl und natürlich seien auch Pflanzen
beseelt, besselt wie jedes andre Leben.
Ein bischen spinnert, doch so war sie eben.
Was ist die Seele? So, im großen Ganzen,

hat sie am Ende vielleicht sogar Recht,
wenn sie, fast missionarisch, davon sprach,
wie sich die Seele in den Körper flocht."

Der Schwägerin wird 's zu ätherisch: "Echt
ist, was ich sehe!" grinst noch kurz danach,
- macht Späße über den obszönen Docht.



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#10
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08


"Macht Witze über den obszönen Docht,
und Annes vegetarische Marotten,..."
Genug hat unser Mann von den bigotten
Allerweltsphilosophien. "Es kocht
doch jeder sich das Süppchen, das ihm schmeckt.
Das Leben, wenn man 's drauf verkürzt,
ist ungenießbar, wenn man es nicht würzt."
so murmelt er, noch immer gut versteckt

"Ach Anne, du warst vieles, nur obszön nicht!"
Er muss jetzt einfach ein paar Schritte laufen;
zu lange Grübeln macht am Ende krank.
Er möchte ihr noch einmal Blumen kaufen.


Im Laden steht das Frauchen von der Bank:
Sie wählt erst Rosen, - Nein... Die wär'n gewöhnlich...




09
(Ein älteres Sonett, hier schon unter dem Titel "Ein stiller Gruß" eingestellt)


Sie wählt erst Rosen, nein – die wär'n gewöhnlich,
die fallen jedem sonst als erstes ein.
Er band ihr Sonnenbraut und Akelein.
Sie denkt: „Wie er dem Kranz aus Tausendschön glich,

so unaufdringlich, treu.“ Sie macht sich fein -
und zögert. – Schlichter wär persönlich.
Es braucht nicht viel, und er zeigt sich versöhnlich.
Nun fall’n ihr all die kleinen Sünden ein. –

Die Stimme zur Unhörbarkeit gedämpft,
die Hand versteift sich, die die Blumen hält,
als sie vor ihm um rechte Worte kämpft.

Sie weiß um die Vergebung und hebt wieder
den Blick, in dem ein warmes Lächeln spielt.
Bevor sie geht, legt sie die Blumen nieder.






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#11
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Stadtfriedhof

10


Bevor sie geht, legt sie die Blumen nieder,
zwei Schritte vor dem namenlosen Stein
im Rosenkreis. Daneben sieht sie klein
ein offenes Stück Erde. Immer wieder

die Frage, was jemand dazu bewegt,
so spurlos zu verschwinden. Anonym.
Mal kommt die Frage wie ein Ungetüm,
das ihr die Luft abschnürt, dann wieder legt

sie sich wie Laub auf ihre Müdigkeit,
das sie bereit macht für den eignen Schlaf.
Sie kann ein Joch sein oder auch der Stab,
auf den sie sich ein Weilchen Stützen darf.

Dann holt sie Luft, dreht ihren Blick zur Seit:
Betreten stehn dort zwei am frischen Grab..


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