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Wolkenseidenmeer
#1
Wolkenseidenmeer

Am Rande mokkadunkler Mooresflächen
Erzittern windzerzupfte Sommerflocken
Im stillen Moll versunk‘ner Kirchturmglocken.
Das Wolkenseidenmeer bezeugt Verbrechen.

Die Alten pflegten hier den Torf zu stechen,
Und was sie fanden, lässt den Atem stocken.
Im Geiste leg ich nun die Sümpfe trocken
Und höre nachts im Traum das Wollgras sprechen:

Wir woben seit Äonen Leichentücher
Aus unsren Toten - eure Opfer sanken,
Wir balsamierten sie im Erdfallwasser.

Wie lange wüten schon die Menschenhasser!
Ergründe deiner Brüder letzte Gedanken
Und lies vom Schmerz, gepresst in Blütenbüchern.
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#2
Hallo Artbeck,

Du hast da ein paar interessante und intensive Bilder, - und es drängt sich die Frage auf ob du einen realen Ort beschreibst.
Vielleicht das große Heilige Meer? Das Erdfallwasser brachte mich auf die Spur, aber sind dort Kirchenglocken versunken?

Aus der Kombination von Moor und Verbrechen denkt man unweigerlich an Moorleichen. Man muss sie nicht mehr explizit benennen, aber umgekehrt stellt sich die Frage, was denn auf Verbrechen schließen lässt? Vielleicht sind es Kriegstote? oder verunglückte Irrläufer? oder wurde die Todesstrafe an ihnen vollstreckt? Rituelle Menschenopfer? Nun,- ein Gedicht muss nicht alles erklären. Man darf sich auch einfach auf die Einschätzung der Alten einlassen, dennoch hätte ich mir dazu ein paar Details gewünscht.

Jedenfalls, gerne gelesen. Das Thema böte sicher Stoff für eine kleine der größere Sequenz

Die Terzinen haben etwas von einer Moritat und ein wenig erinnern sie mich auch an die Moorsoldaten.

In Zeile 13 hast du den Jambus gebrochen. Absicht?


Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Guten Morgen, ZaunköniG!

Vielen Dank für deine Rückmeldung!

Es ist kein konkreter Schauplatz gemeint, vielmehr hatte ich Bilder von mehreren Mooren, Sümpfen und Seen gleichzeitig im Kopf. Anregungen fand ich aber schon in meiner Region (im Nord-Westen), z. B. durch die Moore im Emsland (deswegen finde ich deinen Hinweis auf die „Moorsoldaten“ auch interessant!) und, genau! – das Große Heilige Meer in der Nähe von Hopsten, einem Erdfallsee, in dem bei seiner Entstehung, der Sage nach, ein Kloster urplötzlich verschwand.

Das mit den Moorleichen war tatsächlich beabsichtigt. Ein konkretes Beispiel ist der „Tollund-Mann“, eine in Dänemark gefundene, vollständig erhaltene Moorleiche mit sehr klar erkennbaren Gesichtszügen und einer Lederschlinge um den Hals (vielleicht geopfert, hingerichtet, zumindest aber gewaltsam ums Leben gekommen…). Der irische Dichter Seamus Heaney hat vor Jahrzehnten zu diesem Thema ein, wie ich finde, sehr eindringliches Gedicht mit dem Titel „The Tollund Man“ geschrieben.

Vielleicht gelingt es mir noch, durch Änderungen im Gedicht genauere Bezüge herzustellen. Danke für den Hinweis!
Es sollte sich nicht nur auf Moorleichen beschränken, sondern exemplarisch auf alle Opfer menschlicher Gewalt (die sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zieht) angespielt werden. Gewalt, wie sie auch in den Emslandlagern, z. B. im Konzentrationslager Börgermoor, stattfand und wo die „Moorsoldaten“ entstanden. Das müsste ich noch besser umsetzen.

Den Jambus in Zeile 13 habe ich nicht absichtlich gebrochen, sondern es einfach (noch) nicht besser hinbekommen.

Gruß aus Osnabrück,
Artbeck
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#4
(15.06.2017, 12:19)Artbeck Feierabend schrieb: ...
Es sollte sich nicht nur auf Moorleichen beschränken, sondern exemplarisch auf alle Opfer menschlicher Gewalt (die sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zieht) angespielt werden. Gewalt, wie sie auch in den Emslandlagern, z. B. im Konzentrationslager Börgermoor, stattfand und wo die „Moorsoldaten“ entstanden. Das müsste ich noch besser umsetzen.

...

Du solltest aber auch nicht versuchen zu viel hineinzupacken; Du hast nur vierzehn Zeilen.
Oder willst du einen ganzen Kranz entfalten? Den bräuchte es wohl um alle Facetten menschlicher Gewalt im Moor abzubilden. Aber nur zu!

"The Tollund Man" werde mal näher betrachten. Danke für den Hinweis.

Ich fand bei meiner Recherche interessant, dass das "Heilige" im Großen Heiligen Meer" etymologisch gar nicht heilig ist, sondern abgeleitet von Hel, der nordischen Unterwelt, also eigentlich ein großes Höllenmeer ist.
Sprache kann echt verwirrend sein.

Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Hallo, Zaunkönig!

Schon wieder etwas gelernt – das mit dem „Höllenmeer“ war mir bislang unbekannt. Wie immer, wenn man etwas erst einmal weiß, klingt es naheliegend. Umso mehr passt es zu diesem stimmungsvollen und sagenumwobenen Ort.

Zitat:Du solltest aber auch nicht versuchen zu viel hineinzupacken; Du hast nur vierzehn Zeilen. Oder willst du einen ganzen Kranz entfalten? Den bräuchte es wohl um alle Facetten menschlicher Gewalt im Moor abzubilden. Aber nur zu!


Es stimmt schon, man sollte die Kirche auch im Dorfe lassen, sonst könnte es überladen wirken. Habe mich mit dem Thema schon länger beschäftigt und deshalb wahrscheinlich viele Bilder im Kopf.

Von einem Sonettenkranz mag ich noch gar nicht reden, dies ist mein erstes Sonett.

Gruß,
Artbeck
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#6
Zitat:Von einem Sonettenkranz mag ich noch gar nicht reden, dies ist mein erstes Sonett.

Es muss ja kein streng gebauter Kranz sein. 14 Sonette sind dann auch gleich wieder sehr viel, aber wenn Du genug Stoff hast, einfach eine lose Folge von 3 oder 5 Sonetten zum Thema aus vielleicht verschiedener Perspektive?

Für einen Erstling ist es jedenfalls aller Ehren wert. Da solltest du weiter machen, aber ich will dich auch nicht bequatschen (oder doch?), Du hast bestimmt noch andere Themen im Kopf.


Gruß
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#7
Guten Abend, ZaunköniG!

Vielen Dank für die motivierenden Worte! Da werde ich noch einmal in mich gehen - ab dann hieße es "Es gibt nichts Gutes - außer man tut es...".

Schönes Wochenende!

Gruß,
Artbeck
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