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Krzysztof Kamil Baczyński: Elegia o...[chłopcu polskim]
#5
Hallo nochmal,


Karl Dedecius ist natürlich nicht ein renomierter Übersetzer, sondern DER Übersetzer polnischer Lyrik in Deutschland. Da liegt die Latte schon ziemlich hoch. Und im Gegensatz zu Kemp beispielsweise, der zugunsten der Inhaltstreue gerne mal auf Reime verzichtet ist Dedecius auch als Übersetzer ein wirklicher Dichter obwohl er anscheinend keine eigene Lyrik verfasst hat.

Wenn ich eure beiden Übersetzungen vergleiche und es auf einen knappen Satz bringen müsste, würde ich sagen, dass seine Übersetzung wohl das bessere Gedicht ist. Aber so einfach ist es natürlich nicht, denn je enger man sich an die Form hält und je mehr man den Text der Zielsprache anverwandelt, desto größer sind ja tendenziell die Abweichungen vom Original.

Nun verstehe ich Original nahezu nichts, aber der direkte Vergleich zweier Übertragungen ist vielleicht doch ganz aufschlusreich, oder wirft zumindest ein paar interessante Fragen auf:

Da ist zunächst eine auffällige Grammatik: Das Original besteht aus nur 4 Sätzen, wenn man die Punkte zählt. Tatsächlich aber sind es Aufzählungen von Hauptsätzen, die je eine Zeile einnehmen. Man könnte also fast an jedes Zeilenende einen Punkt setzen. Diese Grundstruktur sehe ich in beiden Übertragungen, aber ist das Original auch so klar strukturiert? Jedenfalls sehe ich Unterschiede in der Übertragung, die ich mir nicht mit Formzwängen erklären kann:

Z.2/3: Bei dir malten sie in die Augen und strickten das weite Land, während es bei Dedecius genau umgekehrt ist: Sie malten die Landschaft und strickten feuchte Augen!
Daher meine Vermutung, dass die Grammatik im Original vielleicht doch komplexter ist und in beide Richtungen deutbar.
Diese Vertauschung wirft eine weitere Frage auf:

Zitat:Sie strickten dir das weite Land mit feuergelbem Faden
Das ist in sich ein schlüssiges und auch kraftvolles Bild, wenn aber Dedecius schreibt:

Zitat:Sie strickten feuchte Augen dir, mein Sohn, die rot verbluten,

dann scheint mir eine Stricknadel recht stumpf. Klar kann man auch mit der ein Auge ausstechen, aber eine spitzere Nadel fände ich an der Stelle passender. Eine Sticknadel z.B., die noch den weiteren Vorteil hätte, dass sich komplexere Motive (Eine Landschaft) viel leichter sticken als stricken lässt.
Ist das ein Tippfehler oder bezeichnet das polnische Verb Handarbeiten ganz allgemein?

Aber von vorne:

In Zeile 1 hatte ich deinen Wechsel von Jambus zu Daktylus gelobt, und auch neben Dedecius würde ich das rechtfertigen wollen, einfach weil Schmetterling ein schöneres Wort ist, als Falter.
Dedecius hat sich hier für das aubere Metrum entschieden, was man natürlich genauso rechtfertigen kann. Ich frage mich aber warum in seinem Fall nur ein Falter zittert, wo es doch um mehrere Träume geht. Das Metrum wäre hier kein Problem, aber auch die besten ihres Fachs stehen vielleicht einfach mal auf dem Schlauch. Jedenfalls ginge es auch im Plural:

Sie trennten dich, mein Sohn, von Träumen, die wie Falter zittern.

In Zeile 4 schreibst du von fließendhohen Bäumen, was ein sehr starkes, geradezu syrreale Bild ergibt, aber bei Dedecius finde ich nichts vergleichbares wieder. Sind es doch die Fluten, die du als Reim in die erste Zeile gezogen hast? oder hat Dedecius die Stelle geglättet zugunsten einer leichteren Lesbarkeit im Deutschen?

In Zeile 6 schreibst du,

Zitat:die Wege in der Erde schnittest du mit Eisentränen

Dedecius erwähnt an der Stelle die Erde nicht, - und es scheint mir auch plausibler wenn die Eisentränen Spuren im Gesicht hinterlassen.

Zeile 7 endete bei Dir ursprünglich "Sollte Brot dein sein", was du auf meinen Vorschlag in "sollte dein Brot sein" geändert hast, was grammatisch korrekt ist, aber nun metrisch nicht mehr passt. Vielleicht geht an der stelle auch: "Sollte Brot dir sein". Das ist dann zwar wieder eine Inversion aber mit "dir" klingt es doch gebräuchlicher.

In Zeile 11 streckte er bei dir "im Heil die Hand", während er bei Dedecius die Welt bekreuzigte. Hier mutmaße ich mal, dass du näher am Original bist, aber "Heil", gerade in Verbindung mit der gestreckten Hand ist in Deutschland eine heikle Vokabel, weil sie eng mit dem Führerkult der Nazis verbunden ist. Natürlich ist die Geste älter und weiter verbreitet, aber in einem deutschen Text wird ein "Heil" leicht missverstanden.

Soweit meine Gedanken zu den beiden Versionen....



Liebe Grüße
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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RE: Krzysztof Kamil Baczyński: Elegia o...[chłopcu polskim] - von ZaunköniG - 06.08.2017, 11:12

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