1806 – 1876
I.
Ein
stilles Eiland in entlegnen Meeren,
Ein
Hort der Einsamkeit, den Störer mieden,
Der
liebste Traum der Herzen ist’s, die Frieden
Und
tiefste Abgeschiedenheit begehren.
Ein
Schiff, hinsteuernd in die schicksalschweren,
Verhüllten
Reiche der Okeaniden,
Das
lockenste der Bilder ist’s hienieden
Für
Herzen, die im Drang zur Ferne gären.
Kein
Zauber doch ist deinem gleich von allen,
Umflorter
Sarg! Im Banne deiner Truhe
Vereint
das Bleiben sich und Weiterwallen;
Du
bist das Wanderschiff durch wilde Brandung,
Du
bist das stille Inselland der Ruhe,
Bist
Rast und Reise, Fahrt zugleich und Landung.
II.
Ein
reizvoll’ Eiland lieblichster Umschränkung
Dünkt
das Sonett mir in der Dichtung Meere,
Ein kunstreich’
Schiff, in dessen enger Fähre
Den
Weltenreichtum führt maßvolle Lenkung.
Ein
Sarg auch ist’s, des tiefere Versenkung
Zur
Ganzheit ein geschloss’nes Sein verkläre;
Der
Bau der Bretter selbst und Brettchen kehre
In das
Sonett als sinn’ge Reimverschränkung.
Im Maß
die Macht, Gewähren im Entbehren,
Das
ist sein Zauber, das ist auch der deine,
Du
roter Fels, selbst ein Sonett von Steine!
So
will dein eigner Spiegel dich verklären,
Dein
Abbild wird zum Kranze deiner Ehren,
Dir
blühend aus dem eignen Widerscheine.
III.
Alt
Heiligland, sieh, welch unheilig Hasten,
Die
große Meeresstraß’ entlang welch Jagen!
An dir
vorbei in hohen Wogen schlagen
Des
Lebens tolle Wirbel, die nicht rasten.
Da
steuern hin, die liebten und die haßten,
Da segeln,
die gewonnen, die noch wagen,
Der
Tor, der Weise, Hoffnung und Entsagen
Und
des Verbrechens Last mit andern Lasten.
Doch
du blickst ernst und streng ins Weltgetriebe
Voll
Ruh, fast priesterhaft, und wahrst beflissen
Dein
Rettungsboot und deines Leuchtturms Flamme;
So
übst du still ein Prieseramt der Liebe,
Bringst
Hilf’ in Nöten, Licht in Finsternissen,
Ein
heilig Land nicht bloß dem Friesenstamme.
IV.
Wer
dieses Eilands Herr? Kein Mal gibt Kunde,
Kein
Pfahl in Landesfarben ist zu schauen,
Kein
Schilderhaus, kein Wappen steingehauen,
Kein
Mörser, der es spräch’ aus eh’rnem Schlunde.
Nur
Sonntags, mit dem Glockenklang im Bunde,
Aufsteigt
die stolze Britenflagg’ im Blauen;
Hier
bin ich! mahnt sie landwärts deutsche Gauen,
Doch Schmerz
und Scham nur grüßt aus deutschem Munde.
Mir
soll’s die kurze Sonntagslust nicht kränken,
Zu
freun mich solcher Macht und Kraft und Ehre
Auch
fremden Volks, als ob’s das eigne wäre!
Der
Abend wird die Flagge wieder senken;
Dann
gibt’s sechs Tage schmerzlich zu bedenken:
Warum’s
so kam? und wie’s zum Bessern kehre?
V.
O
stillen Fleißes rührend schöner Reigen,
Wenn
zarte Frauen hier mit schweren Lasten
Hinan,
hinab die Inseltreppe hasten,
Wie ab
und auf am Bronn die Eimer steigen!
Der Hochsinn
ging in Dienstbarkeit sich neigen,
Tatkraft
und Schwäche sich so hold umfaßten,
Herkulisch
Tagwerk übend ohne Rasten
Und
magdlich fromm es bergend tief in Schweigen.
Sinnvoll,
ihr Frauen, sprecht ihr’s aus im Kleide:
des
Hauptes schwarze Hülle sagt von Leide,
Das
euch in Dunkelheit die Tage spinnen;
Doch
fürstlich schwebt der Fuß hinan die Treppe
Im
schönverbrämten Rot der Purpurschleppe:
Demüt’ge
Mägde, hohe Königinnen!
VI.
Der
Geiger fiedle und der Pfeifer blase,
zum Hochlandsreihn
euch Mägdlein aufzufrischen,
Daß
die Gestalten sich, hinschwebend, mischen,
Wie
Gold- und Silberfischlein in dem Glase!
Gleicht
ihr nicht selbst den Fischlein in der Base?
So was
vom Nixenhaften, Meeresfrischen,
Ein
Zug der Sippe läßt sich nicht verwischen;
Die
Meerfei, traun, ist eure holde base.
Mir
sei’s kein Wunder, wenn die Budenwände
Mit
einem Schlag als blanke Wogen steigen!
Die
Spielleut’ stört es nicht und nicht den Reigen:
Auf
Muscheln blasen sie das Stück zu Ende,
Ihr
tanzt zu End’ im Meerschloß von Kristallen
Und
geht dann ruhn zum Lusthain der Korallen.
VII.
Der
Lotse lehnt am Fall’m mit seiner Sippe,
Im
Teergewand, nicht regend Arm’ und Beine,
So
fahl und starr wie Stein von diesem Steine,
Nur wachen
blicks, doch redescheuer Lippe.
So
liegt der Robbe wohl auf fahler Klippe
Mit
klugen Äuglein träg im Sonnenscheine,
Lautlos
und unbeweglich, daß man meine,
Er sei
ein Stück nur dieser Felsenrippe.
Da
rauscht der Sturm und löst ihn aus dem Banne!
Vielleicht
entzaubernd – wie in alten Mären
Ein
Held, ein Prinz ersteht aus Wolf und Bären –
Verwandelt
Hilferuf auch ihn zum Manne,
Zum
Lotsen, der da steure durch die Wetter,
Dem
Volk in Todesnot von Gott ein Retter.
VIII.
Nun
auf dem Meer die Regenschauer lasten,
Was
sucht dein Lotsenaug’ im Dunstgebrause?
„Notflaggen,
die mich rufen, morsche Taue,
verlorne
Anker und bedrohte Masten!“
Wie
kann dein altes Aug’ durch Nebel tasten,
Wo
sich mein jüngres senkt am wirren Graue?
„Das kommt,
weil ich in See mein Lebtag schaue
Und
Eures auf Papier nur pflegt zu rasten.“
Ein
Meer ist auch das weiße Blatt nicht minder,
Hat
reiche Frachter, kühne Weltenfinder,
Manch
treuen Lotsen, der zur Ferne schaue,
Hat
Wolken auch, die um die Sterne lasten;
Mein
Auge sieht, wie deins, gefällte Masten,
Zerbrochne
Anker und zerrißne Taue.
IX.
Zum
Fall’m vo Lotsen in die ernteeichen
Meerfluren
kühn und hoffnungsfreudig spähen,
Auf
Grabbesuch sieht man die Witwe gehen,
Ihr
trägt das Meer nur eines Friedhofs Zeichen:
Die
weißen Segel Sterbelinnen gleichen
Und
Mast’ und Rah’n als Gräberkreuze stehen,
Die
Wellen sich zu Totenhügeln blähen,
Ihr
bergend tief die teuerste der Leichen. –
Ihr
Lustgang doch führt an des Kirchhofs Schwellen;
Dort im
Gewoge grüner Rasenwellen
Ein
reiches Meer sieht ihre Sehnsucht wallen;
Sie
grüßt die schwarzen Boote, die’s befahren
Hinsteuernd
mit den stillen Wanderscharen,
Und
ihre Hoffnung läßt die Anker fallen.
X. –
Dem Marinemaler und Ornithologen F. G.
Mann
mit dem schwarzen Bart und schwarzen Haar,
Hinschreitend
durch der Gäste bunte Reihn,
Du
scheinst von Art der Zaubrer mir zu sein,
Die
schwarze Blus’ ein magischer Talar;
Was
auf dem Eiland immer flüchtig war,
Du
bannst es fest mit deinen Zauberei’n:
Die
flücht’gen Vögel ausgebälgt im Schrein,
Auf
Leinewand der Wellen flücht’ge Schar.
Doch
solch bezaubert Vöglein bist auch du!
Vor
jenem Schranke stehend fühlst du’s klar:
Kein
Zaubrer, der nicht seinen Meister sind’!
Ein
Fremdling flogst du dieser Insel zu,
Da
hielt dich fest mit holdem Augenpaar
Des
Zaubereilands lieblich Feenkind.
XI.
Im
Predgergarten prunkt ein grün Geschmeide,
Der
Maulbeerbaum, mit so laubvoller Krone,
Wie
keiner seiner Art in Südens Zone;
Der Nord
erließ ihm den Tribut von Seide.
Hier
praßt der Flüchtling dem Geschick zum Hohne,
Kein
Seidenwurm wählt seinen Schmuck zur Weide,
Kein
Messer droht, das Laub und Ast verschneide,
Im
Reich der Bäume doch ist er die Drohne.
Dem
Baum im Süd riß man den Kranz vom Haupte,
Doch
reicher, stolzer ragt mir der Entlaubte,
Ob
sein Gezweig’ auch kahl zum Himmel starre;
Er
schattet fort im Baldachin der Throne,
Er
wipfelt noch im Flug der Luftballone,
Er
rauscht im Band der tönenden Gitarre.
XII.
Zugvögel
sanglos diese Lüfte teilen,
Kein
Sprosser flötet’s hier durch laub’ge Äste,
Kein
Hänfling zwitschert’s hier aus sichrem Neste,
Das
fromme Siedlerlied: „Da ist gut weilen!“
Wir
ziehen! tönt’s im Chor der flücht’gen Gäste,
Die Wellen
rauschen’s, die den Strand zerfeilen,
Die
Wolken dröhnens rollend hin: wir eilen!
Wir
fliehen! braust’s im Ostwind und im Weste.
Leis
in den Nebeln säuselt’s: wir zerrinnen!
zerrißne
Segel flattern: wir entwallen!
Die
Möwe kreischt im hast’gen Flug: von hinnen!
Verwitternd
springt der Stein vom Rand: wir wandern!
Vom
alten Felsen klingt es: wir zerfallen!
Er
singt es wohl sich selber und uns andern.
XIII.
Vom
Felsen rieseln rote Steinchen leise,
Als
rinne Blut vom Eiland in die Fluten;
Es
stirbt langsamen Tod, wie jener Weise,
Im Bad
aus offnen Adern zu verbluten.
Doch
grausam träg ist der Zerstörung Reise,
Kein
rascher Untergang in Sturm und Gluten!
Ein
Sturz, der einst kein Wellchen regt im Kreise –
Wie
herbes Menschenlos will mich’s gemuten:
Wenn
langsam niederrieselt ins Vergessen
Das
Dauernste, was unser Herz besessen,
Wenn
unser bestes Stück um Stück verwittert!
Wir
müssen erst die bittre Quelle trinken
Der
herben Flut, eh wir in sie versinken –
Wir
sinken ein, und keine Welle zittert.
XIV.
Du
hältst dich gut im Kampf, o Inselfeste,
Mit
Wog’ und Wind, mit Schmugglern und Korsaren;
Doch
schlimmer sind die schmeichelnden Gefahren,
Drum
fürcht’ auch Rosenblätter, laue Weste!
Jetzt
landen hier, Parfüm in Wort und Haaren,
Mit
seidnem Kleid und Sinn, die schlimmern Gäste;
Wegspült
das Meer vielleicht ihr Leibgebreste,
Doch
nicht, woran die Seele krankt den Scharen.
Der
alte Feind nagt an dem Felsenneste,
Der
neue Freund an deiner alten Sitte,
Doch
Fels und Sitte ruhn in festem Kitte;
So
wahrst du noch von beiden heil’ge Reste,
Doch
Stück um Stück zerbröckeln sie, und leise
Ins
Meer auch sinkt der Väter schlichte Weise.
XV.
Die
Insel birgt ihr Haupt in Dämmernissen, -
Der
Sterbeschleier ist’s der Todgeweihten,
Den um
ihr Antlitz Nebelflöre breiten;
Das
Opfer will im Opferkleid sich wissen.
Drum
mag den Sonnengott sie gerne missen,
Er
lächelt ihr kaum im Vorüberschreiten,
Wenn
Ost, der Wolkenspalter, ihr zuzeiten
Vom
Haupt den Schleier frevelnd weggerissen.
Die
milde Nacht doch kommt, ihn neu zu spinnen,
Sie
wirft ihr flatternd Mondlicht auf die Welle
In
blankem Streif als weißes Totenlinnen,
Verhängt
mit schwarzem Tuch des Himmels Zinnen
Und
zündet Stern an Stern zur Lichterhelle
Als
Trauerkerzen einer Sterbkapelle.
I.
Öd ist
dies Eiland, baumlos, windversengt,
Die
starre Burg und Warte der Orkane;
Bleifarbig
um die morschen Zinnen hängt
Das
Nordgewölk wie eine graue Fahne.
Lenzschwalbe
flieht, aus ihrem Nest verdrängt,
Der
tolle Bube Sturm warf’s vom Altane,
Er
brach die jungen Wipfel und versprengt’
Zerpflückte
Blumen überm Ozeane.
Wild
ist dies Meer, unwirtbar, unbezwinglich,
Schiffsrümpfe
schwanken auf dem unruhvollen,
Mastlos
uns schwarz, gleich fortgeschwemmten Särgen;
Es
rauscht empor, wie Wände undurchdringlich,
Als
dunkler Vorhang muß die Woge rollen,
Der
Tiefen Grauenvollstes zu verbergen.
II.
Doch
wenn einmal verbraust des Sturmes Schwinge
Und
Ruh’, so tiefe seltne Ruh’ im Alle,
Daß
störend dir der eigne Atem walle,
Und daß
dir bang vor jedem Schmetterlinge;
Wenn
klar und rein und glatt im weiten Ringe
Das
Meer, wie eine Scheibe von Kristalle,
Daß du
am Grunde zählst die Steinlein alle,
Dann
steig ins Boot, seewärts dein Ruder schwinge!
Die
Sage führt dich an die heil’ge Stelle
Im
Meer weit draußen; dort zur Tiefe schaue!
Du
siehst, o Wunder, Wald und grüne Wiese,
Siehst
fruchtbeladne Bäume, Blütenbälle,
Und
Palmen fächelnd über goldner Aue,
Ein
wonnig Stück versunkner Paradiese.
III.
Ob dir
die Brust unstet und stürmisch schwelle,
Gleich
jenem Meer im rauhen Nordensunde,
Wohl
kommt dir einst solch seltne gute Stunde,
Wohl
blüht auch dir noch jene heil’ge Stelle.
Verbrausen
laß der Leidenschaften Welle,
Was
sie verdeckt, wird dir zu neuem Funde;
Ein mild
Vergessen schließe deine Wunde,
Die
Liebe dein Umwölktes dir erhelle.
Und
still in dir, so still und klar soll’s werden,
Daß
bis zum Grund der Seele du kannst sehen,
Dann
senke dich in deiner Brust Verließe!
Es ist
kein Herz so krank und arm auf Erden,
Dem
dort nicht Palmen noch des Friedens stehen
Und
Stücke blühn versunkner Paradiese.