1806 – 1876
Wenn, deutsche Herzen,
deutsches Land zu spalten,
Aufs neu die Blitze sprühn vom
Vatikane,
Seh ich im Geist als Vorbild,
das ich mahne,
Zwei deutsche Freunde, die
durch Rom einst wallten.
Getrennt, verspengt im
Menschenozeane,
Sucht irrend Freund den Freund
– vergeblich Walten!
Bis von Sankt Peter
Glockenrufe hallten,
Der Pontifex sich zeigt auf
dem Altane.
Er spendet Segen, schleudert
Bannesstrahle,
Aufs Knie sinkt alles Volk mit
einem Male,
Sich beugend vor dem Haupt
tiar’umwunden;
Wie Säulen blieben nur zwei
Männer stehen,
Die Freunde sind’s, sie haben
sich ersehen
Und, aufrecht stehend, wieder
sich gefunden.
1806 – 1876 1848
Nicht im Orkane singt die
Philomele,
Sie lauscht im Buschverstecke,
wie’s gewittert,
Wie Sturm die Orgel schlägt
und Eichen splittert;
Das Grauen schnürt ihr zu die
zarte Kehle.
Der Sturm doch bleibt gewonnen
ihrer Seele. –
Wenn Tau und Duft um deine
Rosen zittert,
O Mainacht, mondgekrönt und
sternbeflittert,
Dann jauchzt ihr Sang durch
deine Blütensäle.
Und weißt du gut mit feinerm
Ohr zu lauschen,
So hörst du nur den Sturm von
damals rauschen,
Durch ihre Kehle jene Donner
schmettern;
Du hörst den Angstschrei,
banges Wipfelsausen,
Den nahen raschen Schlag, ein
fern verbrausen, -
Doch süßer Wohllaut nur rollt
in den Wettern.
1806 – 1876 1850
Wo sie die wilde Schlacht
geschlagen haben,
O lauscht nicht auf dem Feld
nach Lerchensange!
Da kreischt die Krähe nur nach
blankem Fange,
Dann kommen erst die Geier und
die Raben;
Sie kommen zu beerben, zu
begraben;
Dann kommt Erstarrung,
Schweigen, lange, lange,
Bis spät der Sämann kommt vom
nächsten hange,
Zu streuen seines Saatkorbs
neue Gaben.
Als läg’ im Körnlein eine
Liederseele,
Erhebt sich dann aus seinem
Ährenmeere
Die Lerche, eine sangbegabte
Ähre. –
„Wann steigt aus goldner Saat die
goldne Kehle?“
Mich dünkt, die Toten sind
noch unbegraben,
Noch währt die Zeit der Geier
und der Raben.
1806 – 1876 1855
„Eripuit coelo fulmen,
sceptrumque tyrannis.“
Es geht durchs All ein unerhörtes
Wettern,
Der Blitz umzüngelt den
gehäuften Zunder;
Wie fallen sie so schnell aufs
Knie jetzunder,
Wie flink bekreuzen Basen sich
und Fettern!
Des Schlags gewärtig, der den
Erdenplunder
In Lüfte sprengte, winseln sie
nach Rettern,
Nachstammelnd des Vorbeters
heil’gen Blättern;
Er ist ihr Paraklet, ihr Hort,
ihr Wunder!
Mir wär’s ein Größrer, der in
den Gewittern,
Ein andrer Franklin, mit
gefeiter Spitze
zur Zinne klömm’, indes sie
unten zittern;
Auf daß er, wie das Zepter den
Tyrannen,
Dem Himmel auch entwinde seine
Blitze,
Bis sie am eh’rnen Stab
machtlos zerrannen.
1806 – 1876
I.
Zwei Hirtenkinder, Knab’ und
Mädchen, spielen
Am Felsen bei erloschner
Feuerstelle,
Die glatte Steinwand zeigt in
Sonnenhelle
Die Schatten von zwei
kindlichen Profilen.
Der Shwester Anmut fesselt den
Gespielen
Im Dunkelbilde selbst. Daß es
zu schnelle
Nicht fliehe mit des Lichtes
flücht’ger Welle
Erkürt er sich der Kohlen Rest
zu Kielen.
Mit schwarzem Stift verfolgt
er die Konturen,
Die auf der Wand zur holdsten
Form sich schlingen,
Und schmückt mit Lieblichkeit
die Felsenwildnis.
Aus rauhem Steine, dunklen
Kohlenspuren
Und düstern Schatten, - traun,
unschönen Dingen! –
Erstand durch Kindeshand der
Schönheit Bildnis.
II.
Von dieses Kindes rstem
Künstlerlallen
Bis zu den Harmonien, die von
den Schwingen
Des seraphs Raphael in Wonne
klingen,
Welch unermeßner Flug, welch
Steigen, Fallen!
Von diesem Fels bis zu den
Bilderhallen
Des Vatikans, zu Pittis
Wunderdingen,
Durch Dorn und Lorbeer welch
ein Mühn und Ringen!
Welch weite Bahnen muß die
Kunst durchwallen!
Ob sie an Arno siedle oder
Elbe,
In Farben dichte, oder mal’ in
Tönen,
Ihr Geist bleibt einer doch,
ihr Ziel dasselbe:
Rauheit zu sänf’gen, Schatten
zu versöhnen,
In holdem Bann die Schonheit
festzuhalten,
Ihr Sterbliches zu Ew’gem zu
gestalten.
1806 – 1876
Reich ist das Meer! Gestirn’
und Sonne prägen
Ihr Bild in sein Brokatgewand;
ihm wallen
Ins Becken, das voll Perlen
und Korallen,
Zinspflicht’ge Ströme,
schüttend Goldessegen.
Schmuckkästchen gleich die
Silberflotten wägen,
es leert, zerschlägt sie
spielend nach Gefallen!
Doch welche Botschaft macht so
eilig wallen,
Wildbächlein, dich aus armen
Waldgehegen?
„Reich ist das Meer, die
Fürstin, die zum Feste
Kostbar geschmückt mit
Stoffen, Steinen, Ringen;
Doch fehlt der Blumenstrauß
ans Herz, das Beste!
Das Meer sehnt sich nach
fernem Waldesbildnis,
Ich nahm es auf, ihm’s unentstellt
zu bringen:
Der Schönheit Macht ergänzt
die arme Wildnis.“
Da ruhst du, stiller See, im
Waldesbette,
engherzig, selbstisch, unserm
Weh verschlossen! –
„Weit übers Land war einst
mein Born ergossen,
Jed irdisch Leiden spiegelnd
um die Wette.
Da, zu entfliehn den
Schmerzensbildern, flossen
Die Wasser scheu zu
engbegrenzter Stätte,
Mir folgt’ als ob ein lieblich
Los uns kette,
Der Wald und stellt’ ums Ufer
seine Sprossen.
Sein grünster Frieden deckt
mich mit dem Schilde;
Der Schmerz doch geht ins
kleinste Haus zu Gaste:
Sieh dort das Nest an dürrem
Zweige beben!
Bewegung und erstarren, Tod
und Leben,
Die Weltgeschichte, spiegl’
ich in dem Aste
Und sinn’ in meinen Tiefen
nach dem Bilde.“
Strom
Das Bächlein lärmt, ein spielend
Kind am Pfad;
mit Lasten zieht der mächt’ge
Strom indessen
Unhörbar fast, geräuschlos und
gemessen,
Schweigsam dahin, ein Mann der
Pflicht und Tat.
Sein Wort: das Brausen ganz
nicht zu vergessen,
Mahnt ihn des Frachtschiffs
Kiel, des Dampfers Rad;
Doch lauter tobt der Werkfleiß
am Gestad’,
Des Marktes Ruf, Getös von
Hämmern, Essen.
Nur wenn das Tagwerk ruht,
lautlos die Menge,
Erhebt der Strom die Stimm’:
ein heilig Rauschen!
Durch schweigend Dunkel
zieht’s wie Orgelklänge;
Vernehmbar sei’s nur für die
reinen Sterne
Und für die ernste Nacht! –
Doch ihm auch lauschen
Mit Stern und Nacht schlaflose
Träumer gerne.
Meer
Ein Frager fragt: Meer, deine
Farbe nenne!
Bald bist du grün, als ob die
Lenze sprossen,
Bald blau, als ob dich nichts
vom Himmel trenne,
bald rot, wie blutend von
Apolls Geschossen;
Nun grau, wie einer Wüste
sand’ge Tenne,
Nun braun, von finsterm
Bußgewand umflossen,
Goldhell, als ob dein Salz als
Lava brenne,
Milchweiß, wie Mähnenflug von
weißen Rossen!
Antwortet drauf das Meer: „O
schlauer Frager,
Du hast gezählt an mir die
Farben alle
Und wähntest doch, daß ich an
Farben darbe!
Die Erde frag’: in welchem
Hain ihr Lager?
Den Himmel frag’: mit welchem
Stern er walle?
Der Farbenreichtum nur ist
meine Farbe.“
1806 – 1876
Die Rose sieht vorbei den
Falter fliegen,
Sie selbst ein Schmetterling,
nur festgebannt;
Da klagt sie: „Ach, wer löst
mein fesselnd Band?
O könnt’ auch ich in Lüften
frei mich wiegen!“
Der Falter sieht die Ros’ ins
Laub sich schmiegen,
Er eine Blume selbst, die
Flügel fand;
Da klagt er: „Hätt’ ich doch
so sichern Stand!
O könnt’ ich so an fester
Stätte liegen!“
Mit sonn’gem Lächeln hört der
Lenz ihr Klagen,
Erhörung bringt nur der, vor
dem sie zagen,
Der rauhe Herbst mit Frost und
wildem Wetter;
Er gibt ihm sichre Statt, löst
ihr die Kette:
Frei fliegen hin die welken
Rosenblätter,
Der Falter liegt erstarrt an
fester Stätte.
1806 – 1876
Die Zeit hat deiner Ahnen Burg
zerschlagen,
Dein prunkend Pergament
verzehrt in Bränden;
Was dir an Flittern blieb, wen
soll’s noch blenden?
Ein Rest, nicht wert, des
Volkes Haß zu tragen! –
Lord Spenser seliig ließ im
Kirchturmjagen
Des Frackes einen Schoß in
Dornstrauchs Händen,
Der andre trauert’ einsam an
den Lenden,
Als säh’ Orest um Pylades man
klagen.
Seltsam Kostüm dem Spotte der
Genossen!
Der Lord, eingehend in des
Dornstrauchs Possen,
Reißt flink den zweiten Flügel
von den Weichen.
Sein Name schallt volkstümlich
drum mit Lobe,
Ein neu Gewand bereichert die
Gard’robe,
Drin steckt für dich ein
Zettel: „Zu desgleichen!“
1806 – 1876
I.
„Poet, geschmiedet an die
Staatsgaleere
Auf Lebenszeit, wo bleibt dein
helles Singen?
Wenn mühsam nur die Ruder
vorwärts dringen,
Sprich, wird zur Strafe nicht
dir solche Ehre?“ –
Mir ist, als ob ich einst auf
Adlerschwingen
Im Nu zu Alpenhöhn geflogen
wäre;
Jetzt muß ich, keuchend unter
Lastenschwere,
In Stein die Stufen brechend,
aufwärts ringen!
Als Bergmann in die Tiefen
einst gestiegen,
zu Hausrat jetzt und
Paragraphendrähten
Muß des Gedankenschachtes Erz
ich biegen!
Mein Tagwerk üb’ ich treu,
doch muß ich beten:
Daß jene Schwinge mir nicht
ganz entsinke,
Des alten Grubenlichts ein Strahl
mir blinke!
II.
Und doch, und doch! – was
liegt an deinem Liede,
Wenn rüst’gen Tagwerks
Hammerschläge fallen,
Die edle Form zu schaffen
vielen, allen,
Drin Männerwürde lebt und
innrer Friede?!
Nicht Hausrat bloß, auch
Waffen zum Entschiede,
Auch Schild und Schwert
entflammen den Metallen,
Daß sie die Hütten schirmen,
wie die Hallen,
Ihr Gut und Recht; - drum
hämmre fort und schmiede!
Wohnt in den Tälern einst das
Glück beim Volke,
Dann zieht die Sehnsucht euch
nicht mehr zur Wolke,
Dann missest gern auch du die
Adlerschwinge;
Und euer Werk verklärt zum
Ehrenmale,
Statt deines Grubenlichts, mit
vollerm Strahle
Die Weltensonne! – O daß es
gelinge!
1806 – 1876 Im
Sommer 1870
I.
Hoch auf dem Eisendraht am Schienengleise
Ein Vöglein sitzt. Wohin den
Blick es wende,
Krönt Gottessegen reich den
Fleiß der Hände;
Und heller, freud’ger
trillert’s seine Weise.
Da wogt die Saat in grünem
Wälderkreise,
Dort trägt der Rhein zum Meer
die edle Spende,
Hier fließt das duft’ge Gold
vom Rebgelände;
Wohl klingt sein Lied solch
sonn’gen Gau’n zum Preise.
Das Vöglein ahnt nicht, daß zu
seinen Füßen
Im Draht, unhörbar,
Unheilsworte rauschen,
Die bald empor als Sturmgewölk
hier steigen;
Nicht wäre sonst sein Lied
solch jubelnd Grüßen!
Denn, könnt’ es jenen
Sturmesboten lauschen,
Sein Haupt in Trauer müßt’ es
schweigend neigen.
II.
Du hörst nicht, wie’s im Wort
schon vorgewittert,
O Sänger auf dem
Telegraphendrahte,
Wie mit der Untat prunkt der
Diplomate,
Das Vätererb’ um neuen Raub
versplittert;
Wie schnöde Ländergier, die
Beute wiitert,
Sich sonnt im Treubruch,
mästet im Verrate,
Wie Schelmenrat mitstimmt im
Fürstenrate,
Vor Unrecht nicht, vor größerm
Schelm nur zittert;
Wie jener ruft: „Du lügst, bei
meinem Eide!“
Und dieser drauf: „Du Lügner
selbst!“ entgegnet,
Doch jetzt zuerst die Wahrheit
sprechen beide.
O Sänger, wie ich fast dein
Lied dir neide,
Das fromm sich wiegt im Äther
gottgesegnet,
Nichts ahnend von so
ungeheurem Leide!
III.
Doch nein, o nein! – Wie arg
das Leid auch wäre,
Ob um die Wipfel Nebeldünste
jagen,
Die Sumpflust auf den Höhn
soll nicht verklagen
Das Tal und seines Stromes
Wellenkläre.
Im Tal, bei schlichtem Volke,
will ich fragen
Nach Rettern, nach den Rächern
deutscher Ehre:
Ha, wie Ein Wetterstrahl
flammt alle Wehre,
Und Eines Sinns die herzen
alle schlagen!
Wo solcher Zorn auf
Männerstirnen lodert,
Solch edler Trutz das Recht,
sein Recht nur, fordert,
Verzage, hüben, drüben, der
Bedränger!
Wer dieses Volkes Ringen und
Vollbringen
Einst jubelnd darf den freien
Enkeln singen,
Sei mir begrüßt als
glücklichster der Sänger.