Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

Es hat das Meer mit seinem Wogenschlage,

Es hat der Wald mit seinen grünen Zungen

Bis diesen Tag dasselbe Lied gesungen,

Das einst sie angestimmt am Schöpfungstage.

 

Wie sich auch wandeln möcht’ in Kampf und Plage

Die Welt umher, von Menschenwitz bezwungen:

Noch klingt der Gruß, der dermaleinst erklungen,

Von Flut zu Flut, von Blatt zu Blatt im Hage.

 

Drum, wenn ich sinnen will von ew’gen Dingen,

Such ich den alten Forst an hoher Küste,

Wo Meer und Wald ihr rauschend Wort verschlingen;

 

Mir ist es, wenn ich dort zum Werk mich rüste,

Als ob des Weltgeists Stimme zu mir dringen

Und mich sein Odem nah durchschauern müßte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Alte Poeten

1815 – 1884

Jetzt erst erkenn’ ich euren Wert, ihr Alten,

Seit ich auf eurem heil’gen Boden schreite;

Lebendig wandelt ihr mir nun zur Seite,

Ein hoher Chor befreundeter gestalten.

 

Nun lehret mich der Götter ew’ges Walten

Der Greis von Chios in der Helden Streite,

Und mächtig trägt mich Bindars Lied ins Weite,

Dem wie im Sturm die Flügel sich entfalten.

 

Sanft spielt Horaz mit seinem leichten Spotte

Mir um die Brust, indes den Blitz ergrimmet

Sich Juvenal erborgt vom Donnergotte.

 

Doch wehmutsvoll zu süßer Klage stimmet

Tibull die Zither in umlaubter Grotte,

Wenn fern im Blau der Abendstern entglimmet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     An -

1815 – 1884

Weil ihren Witz dein hoher Sinn vernichtet

Und ihre Schmeichelei für dich verloren,

So heißt dich marmorn dies Geschlecht von Toren,

Das frostig jede große Seele richtet.

 

Doch willig hast du auf ein Lob verzichtet,

Das für den Kern die Schale stets erkoren;

Du gleichst dem Wein, der, äußerlich gefroren,

So Geist als Glut im Innersten verdichtet.

 

Heil aber jenem, der dich einst erkennet,

Und, in der Seele stillen Reiz versunken,

Nicht eher rastet, bis er sein dich nennet!

 

Bei deinem Kuß empfinden wird er trunken,

Um wie viel heißer heimlich Feuer brennet,

Als was für jeden sich versprüht in Funken.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     An den Grafen von Platen

1815 – 1884

Wenn auch nur wen’ge deine Größe ahnen

Von jenem Volk, für das du hast gesungen,

Für das du hast gefochten und gerungen,

Voran ihm wandelnd auf der Schönheit Bahnen:

 

Doch sammelt schon im Schatten deiner Fahnen

Ein Häuflein sich von edlem Mut durchdrungen,

Und ob dein eigner Feldruf auch verklungen,

Wir schlagen fort die Schlacht für deine Manen.

 

Wir sind die Schar, die nie von Schrecken bleiche,

Die mitten durch des Feinds gesenkte Speere

Den Weg erkämpft für eine Königsleiche.

 

Verpfändet haben wir die eigne Ehre,

Daß keines Buben Hand mit frechem Streiche

Die Schulter, die den Purpur trug, versehre.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     An Ernst Curtius

1815 – 1884

Wer hat der Sorge je sein Herz verschlossen?

Und flöhn wir zu des Poles eis’gen Strecken,

Sie würde dort auch uns vom Lager schrecken,

Wenn auf die Wimper kaum sich Schlaf ergossen.

 

Wir sehn von hellem Kerzenglanz umflossen

Sie flattern an des Prunksaals goldnen Decken;

Dem Schiffer folgt sie durch das Meer, dem kecken,

Den Reiter holt sie ein auf flücht’gen Rossen.

 

Drum suche nicht ihr töricht zu entfliehen,

Mit Lächeln wolle das Geschick versöhnen,

Da keinem noch ein reines Glück gediehen.

 

Doch kannst du dich der Klage nicht entwöhnen,

So reife sie zum Lied, der dir verliehen,

Der leise Hauch der griechischen Kamönen.

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     An Hermann Kretzschmar, den Maler

1815 – 1884

Es nahn und fliehn die wechselnden Gestalten,

Und was wir kaum im Herzen lieb gewannen,

Die Ferne führt es neidisch uns von dannen,

Im Lauf der Stunden muß er rasch veralten.

 

Da greift der Künstler in des Schicksals Walten;

Ein Zaubrer weiß er Raum und Zeit zu bannen,

Er weiß den Augenblick, den wir umspannen,

In lichten Farben selig festzuhalten.

 

So hast nun du mit schöpfrischem gemüte

Die schönste Ros’ auf Hellas schönen Auen,

Dahingebannt in ewger Jugendblüte.

 

Und staunend wird es noch der Enkel schauen,

Dies Angesicht voll Majestät und Güte,

Der Königin der Griechen und der Frauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     An Ludwig Achim von Arnim

1815 – 1884

Wenn sich ein Geist erhebt in ungeschwächter

Erhabner Würde mit gewalt’gem Schritte,

Zu stolz, daß er des Haufens Gunst erbitte,

So wird er oft dem niedern zum Gelächter.

 

So gingest du, der treue Kronenwächter

Altdeutscher Gottesfurcht und edler Sitte,

Verkannt durch deiner Zeitgenossen Mitte,

Doch nur ein Lächeln gönnend dem Verächter.

 

Still schmückest du indes mit Kreuz und Blume

Den Dom, an dem du bautest, den weiten,

Zu Gottes Ehre, deinem Volk zum Ruhme.

 

Zwar sahst du nicht das Werk zum Ende schreiten,

Doch ragt’s gleich jenem Kölner Heiligtume

Ein riesig Bruchstück in den Strom der Zeiten.

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Auf der Akropolis zu Athen

1815 – 1884

Bei euch, ihr hohen Säulen, laßt mich weilen,

Ihr stummen Zeugen wechselvoller Tage,

Und laßt sich mein Gemüt ergehn in Klage,

Das nichts entrinnen mag des Schicksals Pfeilen.

 

Die Zeit des Glanzes saht ihr schnell enteilen

Und was ihr dann geschaut, war eitel Plage;

Kaum les ich noch die tausendjähr’ge Sage

Des Ruhms in euren unterbrochnen Zeilen.

 

Es will das Herz mir schauerlich bewegen,

Wenn ich betrachte solche Weltgeschicke,

Wie hier das freiste Volk dem Fluch erlegen.

 

Und wenn ich dann in meine Seele blicke,

Scheint mir der eigne Schmerz so klein dagegen,

Daß ich ihn lächelnd in der Brust ersticke.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Auferstehung

1815 – 1884

Wenn einer starb, den du geliebt hienieden,

So trag hinaus zur Einsamkeit dein Wehe,

Daß ernst und still es sich mit dir ergehe

Im Wald, am Meer, auf Steigen längst gemieden.

 

Da fühlst du bald, daß Jener, der geschieden,

Lebendig dir im Herzen auferstehe;

In Luft und Schatten spürst du seine Nähe,

Und aus den Tränen blüht ein tiefer Frieden.

 

Ja, schöner muß der Tote dich begleiten,

Um’s Haupt der Schmerzverklärung lichten Schein,

Und treuer – denn du hast ihn alle Zeiten.

 

Das Herz auch hat sein Ostern, wo der Stein

Vom Grabe springt, dem wir den Staub nur weihten;

Und was du ewig liebst, ist ewig dein.

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Bei einem Feste

1815 – 1884

O zieht nur an den flatternden Standarten!

Ruft euren Übermut von allen Zinnen!

Haut, wie Sir John, mit prahlendem Beginnen

Die Klinge, die zum Spiel ihr führt, voll Scharten!

 

Kampflieder auch stimmt an von allen Arten,

Indes statt blutes Ströme Weines rinnen!

Mir däucht es würd’ger, mit gefaßten Sinnen

Den größten Tag des Schicksals zu erwarten.

 

Er bleibt nicht aus. Doch seine Donner töten

Mit ihrem ersten Hall den Lärm der schreier,

Und seine Blitze sind wie Morgenröten.

 

Dann will ich fragen euch, ihr Weltbefreier:

Habt ihr ein Schwert in eures Volkes Nöten?

Und für die Schlachten habt ihr eine Leier?

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Beim Tode eines Dichters

1815 – 1884

O Tod, du bist der wahre Fürst der Welt,

Der Priester bist du, der mit reinen Händen

Den Kranz der bleichen Stirn vermag zu spenden,

Und heil’ge Namen schreibt ans Sternenzelt.

 

Das Linnentuch, zu deinem Dienst bestellt,

Ein Purpur wirds, den Keiner wagt zu schänden,

Ein Demantschild, gesenkt an allen Enden,

Von dem zurück der Pfeil des Spottes schnellt.

 

Wohl höhnt die Welt in bloßem Frevelmute

Manch großes Herz, das ihr doch Alles gab,

Was reich und schön in seiner Tiefe ruhte;

 

Da schwebet, ein Trostesengel, du herab,

Und rührst es sacht, daß es nicht fürder blute –

Und pflanzest ew’gen Lorbeer auf das Grab.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Das Zauberschloß

1815 – 1884

Es gibt ein Königsschloß in alten Sagen,

Durch Zauberbann in wüsten Schutt zerfallen,

Doch wenn die rechten Lösungsworte schallen,

So steigt’s empor wie in der Vorzeit Tagen.

 

Da glänzt der Saal, die goldnen Zinnen ragen,

Jasmin und Ros’ umblühn die Säulenhallen,

Es tanzen Mädchen, Purpurkleider wallen,

Und Silberharfen hörst du lieblich schlagen.

 

Den Trümmern glich mein Herz. Es mußte lange

In Graus und Finsternis verödet liegen,

Und drinnen war es leer und dumpf und bange.

 

Da sprachest du, den Bannfluch zu besiegen,

Das Lösungswort, und sieh mit hellem Klange

Ist draus der Liebe Zauberschloß gestiegen.

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

Dem Winde möcht ich meine Sorgen geben,

Daß er hinaus ins weite Meer sie trüge,

Ich möchte, meiner Jugend Traumesflüge

Erneuernd, wieder kühn ins Blaue streben.

 

Doch ernster ward und bittrer ward das Leben,

Es gibt uns Seufzer statt der Atemzüge,

Ist jede Lust doch eine halbe Lüge,

Wenn Wetter so wie jetzt am Himmel schweben.

 

Der Lenz hat seinen Rosenduft verloren;

Die Hoffnung selbst, die jugendliche rasche,

Pocht wie ein Kind nur schüchtern an den Toren.

 

Die Lust versieget mit dem Gold der Flasche,

Und nur der Schmerz steigt ewig neugeboren

Ein dunkler Phönix wieder aus der Asche.

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Den Aufgeregten

1815 – 1884

Glaubt mir, dafern in Deutschlands Eingeweide

das Schwert ihr kehrt und schürt des Kriegs Verderben:

Nicht Freiheit werden eure Kinder erben;

Zum Baume tragt ihr selbst des Beiles Schneide.

 

Es wird ein Kampf von unermeßnem Leide,

Darin die Besten auf der Wahlstatt sterben:

Der Slave wird zuletzt das Reich erwerben,

Daß er auf Gräbern seine Rosse weide.

 

Schon hör ich als der Knechtschaft Siegeszeichen

Prophet’schen Ohrs den Klang von seinen Hufen –

Ihr aber glaubt es nicht, und ich muß schweigen.

 

So schwieg Kassandra auf des Tempels Stufen,

Da sie im Geist sah Trojas Flamme steigen,

Und niemand hört es, daß sie Weh gerufen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Den Verneinenden

1815 – 1884

Ich will es immerhin euch gern erlauben,

Daß ihr mich rechnet als der Schwachen einen;

Doch sollt ihr meinem Auge nicht das Weinen,

Noch meinem Mund der Freude Lächeln rauben.

 

Zu eurer Höhe kann ich mich nicht schrauben,

Wo statt der Sonne frost’ge Sterne scheinen;

Ich kann nicht hassen bloß und bloß verneinen;

Dies Herz bedarf’s, zu lieben und zu glauben.

 

Daß ihr euch Heiden nennt, hör’ ich sagen,

Doch jene sahn den Gott im Sturm der Meere,

Den Gott im Donner und im Sonnenwagen.

 

Ihr aber möchtet frech mit erznem Speere

In Trümmer jedes Götterbild zerschlagen –

So bleibt euch nichts denn, als die große Leere.