Emanuel Geibel                     Neues Leben

1815 – 1884

Verhalle nun Gesang der Liebesklagen,

Du langes Echo meiner Leiden!

Der Tag erscheint, die trübe Nacht muß scheiden,

Die Stunde der Erlösung hat geschlagen.

 

Nicht länger sollt ihr Trauerfarben tragen,

Ihr meine Lieder! Nein, in bunte Seiden,

In Gold und Purpur will ich nun euch kleiden

Zu würd’ger Feier diesen Jubeltagen.

 

Auf denn ! Im Festgewandt den Tanz zu schlingen,

kränzt euch mit Blumen, zündet luft’ge Kerzen,

Die vollsten eurer Töne laßt erklingen!

 

Nun gilt es leicht in holder Form zu scherzen;

Denn Frühling kam auf Regenbogenschwingen

Und Frühling blüht und leuchtet mir im Herzen.

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     O schöne Zeit

1815 – 1884

O schöne Zeit, da mich noch jede Stunde

Zu einer frischerschloßnen Blüte rief

Da jeder tag, ein goldner Freudenbrief,

Sich vor mir auftat mit beglückter Kunde;

 

Da, wie die Ros’ in dunklem Alpengrunde,

Ihr liebes Bild mir blüht im Herzen tief,

Und ich mit ihrem Namen sanft entschlief,

Als würd’ er zum Gebet in meinem Munde!

 

Du bist dahin, und doch du bist noch mein:

Es fließt das Lied von deinen Nachtigallen

Ein Frühlingsgruß in meinen Herbst herein.

 

Allabendlich, wenn Stadt und Flur verhallen,

Kehrt die Erinnrung tröstend bei mir ein,

Mit mir im Traume durch die Nacht zu wallen.

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Pfingsten

1815 – 1884

Das Fest der Pfingsten kommt im Hall der Glocken,

Da jauchzt in Frühlingsschauern die Natur;

Auf jedem Strauch des Waldes und der Flur

Schwebt eine Ros’ als Flamme mit Frohlocken.

 

O Geist, der einst in goldnen Feuerflocken

Aufs Haupt der Jünger brausend niederfuhr,

Von deinem Reichtum einen Funken nur,

Hernieder send ihn auf des Sängers Locken!

 

Ich weiß es wohl, nicht würdig bin ich dein;

Doch hast du nie die Tugend ja gemessen,

Der Glaube zieht, die Sehnsucht dich allein.

 

Der Armen hast du nimmermehr vergessen;

Du kehrtest in der Fischer Hütten ein,

Und an der Sünder Tisch bist du gesessen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Rechte Weihe

1815 – 1884

Kalt sind sie, kalt, und kalt ist ihr Gedicht;

Sie waren nie vom Hauch des Frühlings trunken,

Nie in des Gottes Melodie versunken,

Der durch die heil’ge Nacht vernehmbar spricht.

 

Auch fühlen sie’s, was ihrem Lied gebricht,

Und lassen zum Ersatz der Lebensfunken

Mit Schmink’ und Flittergold die Leiche prunken,

Mit eitlem Schimmer, der den sinn besticht.

 

Doch wen der Geist beseelet, unerschrocken

Verschmähen mag er, was der Markt erhebt,

Und dennoch, singt er, bleibt kein Auge trocken.

 

Dem Gotte gleicht er, den der Aar umschwebt;

Er schüttelt leise nur die dunklen Locken,

Und der Olymp und jedes Herz erbebt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Schill

1815 – 1884

O eine Eiche pflanzt auf diesen Hügel!

Die grünste sucht, so weit die Amsel ruft!

Sie streue Schatten auf des Helden Gruft,

Und Lieder rausch in ihr des Windes Flügel.

 

Dem gleich dem Roß, das knirschet in die Zügel,

Und scharrt und stampfet, spürt es Morgenluft:

So wittert’ er zuerst der Freiheit Duft,

Da Alles schwieg und schwang sich in die Bügel.

 

Fürwahr, o Schill, du warst ein echter Reiter,

Und schneller als die Zeiten rittst du gern,

Mit dir wie Blitze deine blanken Streiter.

 

Dein Jagthorn klang: „Der Tag ist nicht mehr fern!“

Da ging der Morgen auf so rot und heiter;

Doch unter gingst du, schöner Morgenstern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Sommer im Süden

1815 – 1884

In Teppichzelten, die zum Schlummer taugen,

Am Spiele der Gedanken sich vergnügen,

Dazwischen dann und wann in langen Zügen

Den kühlen Rauch der Wasserpfeife saugen,

 

Bald einsam träumen von geliebten Augen

Und mit dem Traum die Gegenwart betrügen,

Bald mit den Freunden bei gefüllten Krügen

In leichtem Witz der Toren Werk durchlaugen,

 

Das ist das Einz’ge, was in diesen Tagen,

Wo alle Blumen vor der Sonne flüchten,

Mir tunlich noch erscheint und zu ertragen.

 

Doch wollt mich drum des Leichtsinns nicht bezüchten;

Ein Dichter darf schon auszuruhen wagen,

Denn auch sein Müßiggang ist reich an Früchten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Unbekümmert

1815 – 1884

Bist du als Künstler, als Poet gesendet,

O laß dich nicht vom Preis des Marktes leiten!

Denn sinnlos hat die Welt zu allen Zeiten

An Mittelmäß’ges ihre Gunst verschwendet.

 

Zeig’ ihr ein Bild vom Genius vollendet,

Drauf alle Himmel stille Glorien breiten,

Und eins, wo grell und roh die Farben streiten:

Du wirst es sehn, wohin ihr Herz sich wendet.

 

Nein, ihrem Tadeln lächle, ihrem Loben;

Du hast genug der Wonnen eingetauscht,

Kam dir der sel’ge Schöpfungsdrang von oben.

 

Der Nachtigall sei gleich, die duftberauscht

Noch stets dem Lenz den Brautgesang erhoben,

Ob ihr auch niemand als die Nacht gelauscht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Unruhiger Sinn

1815 – 1884

Es treibt mich stets ein wechselndes Verlangen;

Bald möcht’ ich unter meiner Heimat Linden

Am eignen Herd ein schattig Plätzchen finden,

Um dort zu rasten ohne Wunsch und Bangen;

 

Bald wieder möcht ich, sonnverbrannt die Wangen,

Des Südens Meer durchschweifen mit den Winden,

Bis Ferne, wo die letzten Pfade schwinden,

Der Wüste Palmenschatten mich umfangen.

 

Der jähe Wechsel ruht auf einem Grunde;

Zur Heimat leitet mich ein süßes Träumen,

Sie bringe mir ein Wort aus liebem Munde.

 

Doch bin ich dort, so fühl ich ohne Säumen:

Noch immer nicht erschien das Glück zur Stunde,

Und wieder such’ ich’s in den fernsten Räumen.

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Vergänglichkeit

1815 – 1884

Das Alles uns so rasch vorübereilet,

Und sich die Zeit nicht läßt in Fesseln schlagen,

Es war mir nimmermehr ein Grund zu klagen,

Wenn ich im Kreis der Fröhlichen verweilet.

 

Denn öfter noch hat mir es Trost erteilet,

Wenn auf der Seele tiefe Schatten lagen;

Der bangen durft’ ich dann vertrauend sagen:

Getrost! Der Sand verrinnt, die Wunde heilet.

 

So hofft’ ich stets dem jungen Lenz entgegen,

War ich vom Frost des Winters kalt umschauert,

Und sah mit Ruh den Herbst ins Grab sich legen.

 

Nur Eines hab ich immer tief betrauert,

Daß auch die schönste Blum’ auf unsern Wegen,

Die Liebe selbst nur zwei Minuten dauert.

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Verwünschung

1815 – 1884

Du willst dich nicht bei unserm feste zeigen,

Wo auf dem Rasen unter grünen Bäumen

Guitarren klingen und Pokale schäumen,

Und Reb’ und Rose sich zum Kranz verzweigen.

 

Du fliehst den scherz, den Becherklang, den Reigen,

Um stumm daheim von nicht’gem Leid zu träumen;

Des Lebens Liebesblick willst du versäumen,

Um einem Luftgebild das Ohr zu neigen.

 

Du willst an schöner Augen Blitz nicht glauben,

Und wendest scheu dich ab von den Genüssen,

Die uns gewährt, der süße Gott der Trauben.

 

So sei dir ewig denn von jenen Küssen

Die Glut verschlossen, die so sanft sich rauben,

Und ewig sollst du Wasser trinken müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Zur Einleitung

1815 – 1884

In Blüten sah ich Tal und Hügel prangen

Und tief im Grün die Spur des Winters schwinden,

Da ist auch mir mein Denken und Empfinden,

Luft, Zorn und Lieb’ in Liedern aufgegangen.

 

Oft ließ ich auch die Laut’ am Aste hängen;

Da kam der Lenz und harfte mit den Winden

Ein Stück dazwischen, eins von seinen linden,

Die wundermild das Menschenohr befangen.

 

Die Lieder alle hab ich hier gereiht:

Es ward ein Kranz – ich wand ihn leicht und lose –

Bunt wie mein Herz und bunt wie diese Zeit.

 

Die heiße Tulpe flammt bei dunklem Moose,

Beim Blütenschnee trägt die Zypresse Leid

Und unter wilden Nesseln lauscht die Rose.

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884                                        Der Acker, ewig umgewühlt vom Pfluge,

Erschöpft sich endlich, gute Frucht zu tragen:

So wird zuletzt nach höchster Blüte Tagen

Der Geist der Völker siech und lahm im Fluge.

 

Das Wissen überschärft sich selbst zum Luge,

Die Kunst wird Machwerk, alles Glauben Fragen,

Und Zweifel, wägend stets anstatt zu wagen,

Würgt jede Tat beim ersten Atemzuge.

 

Ausging die Zeugung, während tausend Zungen

Von Freiheit, Kraft und Größe prahlend dichten,

Als sei der Menschheit Gipfel nun erschwungen.

 

Doch plötzlich dann mit donnerndem Vernichten

Erbraust der Strom der Völkerwanderungen,

Aus Weltenschutt ein Brachfeld aufzuschichten.

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Für Schleswig-Holstein

1815 – 1884

Es sprach der Herr zu uns in Krieges Lohen:

seid einig, und wir waren’s eine Stunde,

Doch lachten wir des Worts aus seinem Munde,

Da kam Gewölk der Glutschein kaum entflohen.

 

Nun läßt er wieder seine Stimme drohen,

Und mahnt uns festzustehn im guten Bunde.

O hört den Ruf ihr Niedern in der Runde,

Und beugt euch ihm auf eurem Thron, ihr Hohen!

 

Denn also spricht Er: Habet ihr danieden

Vergessen schon der Trübsal eurer Herzen,

Die auf euch kam, da ihr euch jüngst geschieden?

 

Seid Eins, sonst muß Ich euch gleich spröden Erzen

Zerbrechen oder neu zusammenschmieden

Im Feuer meines Zorns und eurer Schmerzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                     Deutschland

1815 – 1884                                        1849

 

Ein Jahr lang rangest du in bittren Wehen

gleich einem Weibe, das da will gebären,

hinströmen sah ich deine blut’gen Zähren,

und deine Seufzer, Deutschland, hört’ ich gehen.

 

Wohl trug ich Leid, dich so in Qual zu sehen,

doch eine Hoffnung wagt ich fromm zu nähren,

es werd aus deines Schoßes dunklem Gären

die Eintracht wie ein lächeln Kind erstehen.

 

Mich trog ein Wahn. Dein Weinen ging verloren,

verloren alle Not, so du erlitten;

doch die darüber jauchzen, acht ich Toren.

 

Denn Ahnung sagt mir, stets umsonst bestritten,

nun werde solche Frucht einst ungeboren

mit scharfem Stahl aus deinem Leib geschnitten.

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

Wenn Kinder weinen, pflegt’s nicht lang zu währen,

Getröstet sind sie bald mit bunten Flittern,

Und Thränen, die in Mädchenaugen zittern,

Sind Perlen, die die Schönheit nur verklären.

 

Doch anders ist es mit des Mannes Zähren;

Vom Schmerz erpreßt, vom langgenährten bittern,

Sind sie den Tropfen gleich, die vor Gewittern

Unheilverkündend sprühn auf Laub und Aehren.

 

O böse Zeit, wo solch’ ein heißer Regen

An tausend Wimpern hängt, daß wir mit Zagen

Allstündlich schaun dem Wellenschlag entgegen!

 

Die Donner raunen fern, die Wolken jagen;

Und wogt auch heute noch der Felder Segen:

Was morgen übrig ist, wer mag es sagen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

Der Zweifel ist ein Falk mit starken Klauen;

Des Glaubens weiße Taube sieht er kaum,

So beizt er nieder durch den luft’gen Raum,

Die Krallen in ihr zitternd Fleisch zu hauen.

 

Da flockt zerrupft hernieder aus dem Blauen

Das schimmernde Gefieder Flaum für Flaum,

Mit jeder Feder fällt ein Gottestraum

Und langsam blutet hin das Gottvertrauen.

 

Ein Engel sieht herab vom Himmelszelt

Und wendet trüb’ mit fragenden Geberden

Das Angesicht empor zum Herrn der Welt,

 

Der aber spricht: Der Falk hat Macht auf Erden,

Doch seine Marken sind auch ihm bestellt;

Denn jede Taube kann zum Adler werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

O wär’ es eine Schuld nur, was uns trennte,

Und stände vorn sie in der Sünden Reihen:

Die Lieb’ ist Gnad’ und könnte sie verzeihen,

Wenn sie im Andern nur die Lieb’ erkennte.

 

Doch wo ist Feuer, das im Wasser brennte,

Wo Wasser, das in Flammen mag gedeihen?

Was uns für heut’ und immer muß entzweien,

Ist Widerspruch wie der der Elemente.

 

Du folgtest deinen Sternen, ich den meinen –

Seit man und schied – im Glauben, Denken, Lieben.

Ach, daß die Sterne so verschieden scheinen!

 

Nun muß dein Wort mir, leerer Schall, verstieben

Und meines dir. Wir aber stehn und weinen,

Daß nichts gemein uns als dies Leid geblieben.

 

 

 

 

 

 

Emanuel Geibel                    

1815 – 1884

O, Muttersprache, reichste aller Zungen,

Wie Lenzwind schmeichelnd, stark wie Wetterdröhnen,

In deren dreimal benedeiten Tönen

Zuerst erfrischt das Wort des Herrn erklungen.

 

Mit ehrnen Banden hälst du uns umschlungen,

Uns alle, die du zählst zu deinen Söhnen,

Daß keiner sich dem Machtspruch mag gewöhnen,

Der ihm mit anderm Laut ins Ohr gedrungen.

 

Nun aber wollen dir die Weltgestalter

Entziehn ein ganz Geschlecht nach ihren Launen,

Und dänisch welschen solls im neuen Alter.

 

Wohl mag dich, Mutter, fassen drob ein Staunen,

Doch zage nicht! Nein, greif auf deinem Psalter

Ein wehrhaft Lied, schmetternd wie Kriegsposaunen!