Andreas Gryphius                   Tageszeiten

1616 – 1664

 

Morgen Sonnet

 
Die ewig helle schar will nun ihr licht verschlissen,
Diane steht erblaßt; die Morgenröte lacht
Den grauen Himmel an, der sanfte Wind erwacht
Und reizt das Federvolk, den neuen Tag zu grüßen.
 
Das Leben dieser Welt eilt schon die Welt zu küssen,
Und steckt sein Haupt empor, man sieht der Strahle Pracht
Nun blinken auf der See: O dreimal höchste Macht
Erleuchte den, der sich jetzt beugt vor deinen Füßen.
 
Vertreib die dicke Nacht, die meine Seel’ umgibt,
Die Schmerzen Finsternis, die Herz und Geist betrübt.
Erquicke mein Gemüt und stärke mein Vertrauen.
 
Gib, daß ich diesen Tag in deinem Dienst allein
Zubring’; und wenn mein End´ und jener Tag bricht ein,
Daß ich dich, meine Sonn, mein Licht, mög’ ewig schauen.
 
 
 

Mittag

 
Auf Freunde! Laßt uns zu der Tafel eilen,
In dem die Sonn ins Himmels Mittel hält
Und der von Hitz’ und Arbeit matten Welt
Sucht ihren Weg und unsern Tag zu teilen.
 
Der Blumen Zier wird von den Flammen Pfeilen
Zu hart versehrt, das ausgedörrte Feld.
Wünscht nach dem Tau´ der Schnitter nach dem Zelt
Kein Vogel klagt von seinen Liebes Seilen.
 
Das Licht regiert, der schwarze Schatten fleucht
In eine Höhl’, in welche sich verkreucht,
Den Schand’ und Furcht sich zu verbergen zwinget.
 
Man kann dem Glanz des Tages ja entgehn!
Doch nicht dem Licht, daß, wo wir immer steh’n 
Uns sieht und richt’ und Hell´ und Gruft durchdringet.
 
 
 

Abend

 
Der schnelle Tag ist hin; die Nacht schwingt ihre Fahn’
Und führt die Sterne auf. Der Menschen müde Scharen
Verlassen Feld und Werk; wo Tier und Vögel müde waren.
Traur’t jetzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
 
Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
Gleichwie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
Ich, du und was man hat und was man sieht, hinfahren.
Dies Leben kommt mir vor als eine Rennebahn.
 
Laß, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten,
Laß mich nicht, ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten,
Dein ewig heller Glanz sei vor und neben mir!
 
Laß, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen,
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu Dir!
 
 
 

Mitternacht

 
Schrecken und Stille und dunkeles Grausen, finstere Kälte bedecket das Land.
Jetzt schläft was Arbeit und Schmerzen ermüdet, dies sind der traurigen Einsamkeit Stunden.
Nunmehr ist, was durch die Lüfte sich reget, nunmehr sind Tiere und Menschen verschwunden.
Obzwar die immerdar schimmernde Lichter der ewig schitternden Sternen entbrannt!
 
Suchet ein fleißiger Sinn noch zu wachen? der durch Bemühung der künstlichen hand 
Ihm die auch nach uns ankommende Seelen, Ihm, die an jetzt sich hier finden verbunden?
Wetzet ein blutiger Mörder die Klinge? will er unschuldiger Herzen verwunden?
Sorget ein ehrenbegehrende Seele, wie zu erlangen ein höherer Stand?
 
Sterbliche! Sterbliche! lasset dies dichten! Morgen! ach! morgen ach! muß man hin ziehn!
Ach wir verschwinden, gleich als die Gespenste, die um die Stund uns erscheinen und flieh’n.
Wenn uns die finstere Gruben bedecket, wird was wir wünschen und suchen zu nichte.
 
Doch wie der glänzende Morgen eröffnet, was weder Monde noch Fackel bescheint:
So wenn der plötzliche Tag wird anbrechen, wird was geredet, gewirket, gemeint.

Sonder vermänteln eröffnet sich, finden vor des erschrecklichen Gottes Gerichte.

 

 

 

 

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