Andreas Gryphius                   Als er aus Rom geschieden

1616 – 1664

Ade, Begriff der Welt, Stadt, der nichts gleich gewesen

Und nichts zu gleichen ist, in der man alles sieht,

Was zwischen Ost und West und Nord und Suden blüht,

was die Natur erdacht, was je ein Mensch gelesen.

 

Du, derer Aschen man nur nicht vorhin mit Besen

Auf einen Haufen kehrt, in der man sich bemüht

Zu suchen, wo dein Graus (flieht, trüben Jahre, flieht),

Bist nach dem Fall erhöht, nach langem Ach genesen.

 

Ihr Wunder der Gemäld, ihr prächtigen Paläst,

Ob den die Kunst erstarrt’, du stark bewehrte Fest,

Du herrlichs Vatikan, dem man nichts gleich kann bauen,

 

Ihr Bücher, Gärten, Grüft, ihr Bilder, Nadeln, Stein’,

Ihr, die dies und noch mehr schließt in die Sinnen ein,

Ade! Man kann euch nicht satt mit zwei Augen schauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Callirrhoen

1616 – 1664

Wie kommt’s, Callirrhoe, was mag die Ursach sein,

Daß du mich gestern hast so traurig angeblicket,

Wie, daß du alle Lust und Freundlichkeit verschicket?

War meine Gegenwart ein Ursprung neuer Pein?

 

Verdroß dich Flacci Kuß? Fürwahr, ich meine nein.

Hat dich der süße Schlaf verzaubert und umstricket?

Hat dich der grimme Schmerz, die Liebespest gedrücket?

Mißfiel dir, was ich sprach? Mir fällt die Ursach ein,

 

Da als dein Schlafgemach ward von uns eingenommen,

Da sind wir, werte Nymph, dir viel zu nahe kommen.

Wohl, folge meinem Rat, wo du dich rächen willt.

 

Wenn sich die schwarze Nacht wird für dem Monden schämen,

Magst du mein Schlafgemach, ja selbst mein Bett einnehmen.

Die Rach ist mehr denn recht, die gleich mit gleich vergilt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Cleandrum

1616 – 1664

Du fragst, wie Bibulus die Zeit zu Rom vertreibe.

Er sucht kein’ alte Schrift, noch Bild, noch Buch wie du,

Er kümmert sich nicht viel, was man zu Hofe tu,

Er fragt nicht, ob der Papst Bann oder Ablaß schreibe.

 

Er acht’ kein Vatikan, da ich voll Wunder bleibe,

Er spricht Gesandten nicht, nicht Kardinälen zu,

Er gönnt Gelehrten wohl die hochgewünschte Ruh,

Du weißt, daß er sich nicht an Ketzermeister reibe.

 

Von Kirchen hält er nichts, von Gärten nicht zu viel,

Er lacht, wenn ich die Gruft der Märter suchen will,

Gut ist’s, daß er sich nicht auf Lieben hat verliebet.

 

Kein Schauplatz steht ihm an, kein Singen geht ihm ein,

Er schläft, wenn man dem Volk ein künstlich Feurwerk gibet.

Was hält ihn denn zu Rom lang auf? Albaner Wein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Clelien

1616 – 1664

Zeit, mehr denn über Zeit, die Brüste zu verdecken,

Indem der Jahre Reif sich an die Schläfe legt.

Deckt zu, was Grauen, Haß und keine Lust erregt!

Verdeckt, vor was Ihr selbst (beschaut Euch!) mußt erschrecken!

 

Der Rosen Schnee ist weg, versteckt die dörren Hecken!

Ob Chloris, ob Dian nackt einzuziehen pflegt,

Steht’s dennoch der nicht an, die nichts als Knochen trägt,

Gehüllt in schrumpfend Fell voll schwärzlich gelber Flecken.

 

Legt ein, Eur Markt ist aus. Schließt Kram und Laden zu!

Fragt nicht, was Lieben sei! Denkt an die lange Ruh!

Doch nein, was fällt mir ein? Entblößet Hals und Brüste!

 

Entdeckt (damit Ihr noch was nützet auf der Welt),

Wie Seuch und lange Zeit und Schmink hab Euch verstellt,

Dämpft durch dies fremde Bild der tollen Jugend Lüste.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An die Freunde

1616 – 1664

Gehabt euch alle wohl! O Erden, gute Nacht!

Ihr Himmel, ich vergeh! Umsonst hat meine Wunden

Mit soviel wertem Fleiß Callirhoe verbunden.

Man hat umsonst an mich so liebe Schreiben bracht.

 

Uranie, umsonst hab ich so viel gewacht!

Eugenie, ich bin eh als Ihr meint verschwunden.

Die kalte Brust erstarrt, der Puls wird mehr nicht funden,

Die Augen brechen mir, der matte Geist verschmacht.

 

Soll ich, mein Vaterland, soll ich dich nicht mehr schauen?

Soll ich mein totes Pfand der fremden Gruft vertrauen?

Scheid ich, Eugenie, ohn Euren Abschied-Kuß?

 

Mein Licht, Ihr werdet mir die Augen nicht zudrücken

Und mit Zypressen mich und Lorbeerzweigen schmücken,

Der Myrten acht ich nicht, weil ich verwelken muß.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An eine höhnische und mehr als kluge Person

1616 – 1664

Ihr glaubet’s wahrlich nicht, wie schön es sei zu sehen,

Wenn Ihr den krumen Hals noch dreimal krümmer macht

Und durch den weiten Mund so wunderlieblich lacht,

Mit dem Ihr jedes Mal wißt höhnisch zu verschmähen.

 

Der weiß vor Hoffart nicht, wie ihm doch sei geschehen,

Und zeucht zu närrisch auf mit seiner neuen Tracht.

So hat Euch jener nicht des Grußes wert geacht’,

Dem mußt Ihr seine Sprach und alle Wort verjähen.

 

Dem mangelt’s an der Stirn, und jener sieht nicht recht,

Der dort ist gar zu schön, der hier ist gar zu schlecht.

Weil aber Ihr so klug seid, Mängel anzuschauen,

 

So faßt den Spiegel doch in Eure schwarze Hand,

Ich weiß, eh denn Ihr Euch sollt haben drin erkannt,

Werd’ Ihr mehr Mängel sehn, denn Ihr wohl itzt dörft trauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An eine hohen Standes Jungfrau

1616 – 1664                                        (Eugenien)

 

Ein wohlgestalter Leib ist billig zu erheben,

Noch billiger, wenn er von edlem Blut herrührt

Und ein geschickte Seel in selbten einlosiert,

Welch einig sich bemüht der Weisheit nach zu streben.

 

Der Weisheit, so uns lehrt der Richtschnur gleiche Leben,

Die Frömmigkeit ausstreckt, so mag ein solche Zierd

Durch keine Menschenzung recht werden ausgeführt.

Ist denn Aufrichtigkeit ihm noch darzu gegeben

 

Und Demut, die man kaum bei hohen Leuten find’,

Und Freundlichkeit, die fast bei Reich und Arm verschwind’

So mag die schöne Welt wohl solche Schönheit nennen

 

Das schönste Wunderwerk. Wer dies zu schaun begehrt,

Wird seines Wunsches sein zum Uberfluß gewährt,

Wofern er Euch nur kann, o Schönste, recht erkennen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An eben Dieselbe

1616 – 1664

Was wundert ihr euch noch, Ihr Rose der Jungfrauen,

Daß diese Purpurros, die Ihr kaum aufgefaßt

In Eur schneeweißen Hand, so unversehs erblaßt?

So wird Eur schöner Leib, nachdem er abgehauen

 

Von Todes scharfer Sens, in kurzem sein zu schauen.

Dies, was Ihr itzt an Euch so lieblich fünkeln laßt,

Der Hals, der Mund, die Brust, soll werden so verhaßt,

Daß jedem, der sie sieht, davon wird heftig grauen.

 

Eur Seufzer ist umsonst! Nichts ist, das auf der Welt,

So schön es immer sei, Bestand und Farbe hält.

Wir sind im Mutterleib zum Untergang erkoren.

 

Mag auch an Schönheit was der Blum zu gleichen sein,

Doch eh sie recht noch blüht, verwelkt und fällt sie ein.

So greift der Tod nach uns, sobald wir sind geboren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An eine Jungfrau

1616 – 1664

Was ist Eur zarter Mund? Ein Köcher voller Pfeile,

Dardurch manch weiches Herz wird bis in Tod verletzt.

Der hellen Augen Glanz ist Flammen gleich geschätzt,

An welchen jeder sich verbrennt in kurzer Weile.

 

Die wunderschönen Haar sind lauter Liebesseile.

Wer durch der Stirnen Glanz nicht wird in Euch verhetzt,

Wer sich den Lilien des Halses widersetzt,

Muß doch gewärtig sein, daß ihn der Blitz ereile,

 

Der von der bloßen Brust herstrahlt so unverdeckt.

So sprecht Ihr, und ist wahr, wer voll von Zunder steckt,

In dem kann auch ein Funk leicht großes Feur erregen.

 

Wer aber bei sich selbst, dies was Ihr so hoch acht’,

Die schöne Nichtigkeit und was Ihr seid, betracht’,

Den sollt Ihr, glaubt mir’s fest, zu keiner Brunst bewegen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An einen falschen Zweizüngeler

1616 – 1664

Du falscher, böser Mensch, aus dessen krummen Rachen

Die schwarzen Schlangen sehn, in dessen schlimmen Mund

Das Natterzischen pfeift, du mehr als tober Hund,

Du ganz verschalkter Fuchs, du Haus der grimmen Drachen,

 

Will dir denn nicht einmal der Leib vor Gift zukrachen?

Es ist ja nichts an dir (ich red’s mit gutem Grund)

Von deinem Lästerkopf bis auf die Zeh gesund.

Du bist so teufelschwarz als du dich weiß kannst machen,

 

Ein jeder Wort aus dir schmerzt als ein schneidig Schwert.

Du leichter Ehrendieb bist Rad und Feuers wert.

Ja, so Gerechtigkeit hier auf dem Erdkreis wohnet,

 

So wird es deiner Zung so ubel noch ergehn,

Daß jeder, der dich sieht, mit Zittern soll gestehn,

Daß der sonst sanfte Gott dir schrecklich abgelohnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An einen seiner Bekannten

1616 – 1664                                        welcher sich in unzeitige Ehe eingelassen

 

Daß du, mein Pöte, nun die Musen pflegst zu hassen

Durch Weiberlist verführt, auch aller Einsamkeit

Und Keuschheit abgesagt, im Lenzen deiner Zeit,

Und dich durch schnöde Lust und Geld betören lassen,

 

Meinst du sei wohlgetan, ja daß auf allen Gassen

Ein jeder nur von dir und deinem Glücke schreit.

Schau, daß dir’s nicht zu bald von Herzen werde leid,

Daß dein verblendet’ Geist sich itzt so läßt anfassen.

 

Was deucht dich, wenn hernach dir deine Braut vorsingt,

Daß dies ihr Teller sei, der auf dem Tische klingt;

Wenn nicht ihr Taler wär, so mußt du Hungers sterben.

 

Wie wird dir sein zumut? Du meinst, wie möcht’s geschehn?

Sie liebt mich viel zu sehr, sonst pfleget’s so zu gehn,

Wenn nicht ein Ehmann kann sein eigen Brot erwerben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Eugenien

1616 – 1664

Ich finde mich allein und leb in Einsamkeit,

Ob ich schon nicht versteckt in ungeheure Wüsten,

In welchen Tigertier und wilde Vögel nisten.

Ich finde mich allein, vertieft in herbes Leid,

 

Ach mitten unter Volk, das ob der neuen Zeit

Des Friedens sich ergetzt in jauchzenvollen Lüsten,

Find ich mich doch allein. Wir, die einander küßten

In unverfälschter Gunst, sind leider nur zu weit.

 

Ich finde mich allein und einsam und betrübet,

Weil sie so fern von mir, mein Alles und mein Ich,

Ohn die mir auf dem Kreis der Erden nichts beliebet.

 

Doch tritt ihr wertes Bild mir stündlich vor Gesichte.

Sollt ich denn einsam sein? Ihr Bild begleitet mich.

Was kann sie, wenn ihr Bild mein Trauren macht zunichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Faustinen

1616 – 1664                                        In schwerer Krankheit

 

Als ich mit Blut bedeckt, bei noch nicht hellem Tage

Nächst aus dem Schlaf Euch jagt’, habt Ihr mir, was verletzt,

Verbunden und was sich den Schmerzen widersetzt,

Hervorbracht und in Eil gewendet Weh und Klage.

 

Itzt nun ich Hitz und Angst und Ach und Pein ertrage,

Nun sich die grimme Not und Seuch auf mich verhetzt,

Nun der gerufte Tod auf mich die Pfeile wetzt,

Schickt Ihr bald dies bald das, zu wenden meine Plage.

 

Wenn hab ich wohl verdient, daß Eure Gunst so fest

Und standhaft bei mir hält, nun Freund und Feind mich läßt?

Wenn werd ich und mit was die Wohltat je vergelten?

 

Mein Untergang ist dar, mich schmerzt der Tod nicht sehr,

Weil alles doch vergeht. Dies schmerzt mich vielmal mehr,

Daß man mich in der Gruft noch wird undankbar schelten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An Herrn Guilhelm Schlegel in Castain und Möhringen

1616 – 1664                                        Auf seinen Namenstag

 

Der, welchen Euch ein Herz und Treu verbunden,

Den Ihr zwar unerkennt, doch mehr denn hochgeliebt,

Gibt, weil bei grauen Frost Euch Frankreich Blumen gibt,

Was weniger anitzt als Blumen wird gefunden.

 

Die Pracht der alten Welt ist mit der Welt verschwunden;

Die Hoheit wird durch Fall und grimmen Sturm betrübt;

Die Zeit hat ganze reich als Asch in Wind gesiebt,

Was tausend Jahre baun, vergeht in wenig Stunden.

 

Nichts ist ohn seinen Tod, nur treue gunst besteht,

Wenn Pergamus in Glut und Rom in Staub vergeht,

In Staub der Tiber Last, das Gaukelspiel der Winde.

 

Sie kennt, was ewig ist, und pocht der Gräber Not,

Macht Menschen Göttern gleich, sie macht den Tod ohn Tod.

Durch sie lebt, was nur lebt, die ist’s, mit der ich binde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An H. Johan. Baptista Carminelli J.U.D.,

1616 – 1664                                        als er auf seinen Namenstag von dreien Freunden in Frankreich gebunden

 

Drei Seelen binden dich, die ein’ in einem Mund,

Drei Geister, doch ein Herz, drei haben dies geschrieben,

Doch nur durch eine Faust, dir, den sie einig lieben,

Verknüpft durch eine Treu und ewig festen Bund.

 

Drei binden mit sich selbst, drei wünschen dich gesund,

Drei geben, was bisher nach Leichen überblieben,

Was keiner Zeiten Grimm, was keine Pest vertrieben,

Freundschaft, die über Tod und Leben, Zeit und Stund.

 

Dies, was der Himmel kennt, was in den Lüften schwebt,

Was durch die Wasser geht, was auf der Erden lebt,

Dies alles, was du siehst, Herr Bruder, muß verschwinden.

 

Doch Freundschaft pocht den Tod und trotzt die Ewigkeit.

Sie ist das stärkste Band, sie lacht in höchstem Leid

Und zwingt dich selbst, mein Freund, den drei nur können binden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   An H. Johann Christoph von Schönborn

1616 – 1664                                        über meine Zurückkunft in Deutschland

 

Der, den Ihr oft gewünscht, der, der Euch oft begehret,

Der unter fremder Schar den neunten Frühling zählt,

Den seiner Grenzen Angst abwesend auch gequält,

Der, den der Feinde Neid, der Freunde Tod beschweret;

 

Der, nun der Erden Haupt ihm sein Gesicht gewehret,

Nun nach der röm’schen Pracht kaum was zu schauen fehlt,

Nun sich ihm Thetis nicht und Vesta nicht verhöhlt,

Hat seinen Weg zurück ins Vaterland gekehret.

 

Ins Vaterland, ach nein, er misset die Bekannten,

Er findet kaum die Gruft so vieler Anverwandten,

Weil auch die Erden selbst durch Glut und Flut vergeht.

 

Was will er denn bei Euch? Was hat er vorgenommen?

Er sucht den Geist, der noch, nun alles um ist kommen,

Auf fester Treue Grund aufrichtig vor ihm steht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Auf den Anfang des 1650sten Jahres

1616 – 1664

Nachdem das müde Land in harter Dienstbarkeit,

In Schmerzen, Krieg und Ach und unerschöpften Tränen

Schier zweimal sechzehn Jahr geschmachtet, hört auf Sehnen,

Auf Seufzen, auf Gebet der Herzog aller Zeit.

 

Er reißt die Fahnen ab und bricht den grimmen Streit

Und will uns selbst den Weg zum süßen Friede bähnen.

Die Zunge will sich schon ans Lobgeschrei gewehnen

Und singt vom neuen Jahr des friedens weit und breit.

 

Herr, muß ganzer Länder Kriegen

Auf dein Wort in Ruh verfliegen,

Ach warum denn willst du nicht mein bestritten Herz erquicken?

 

Soll in dem Jubeln aller Heiden

Nur einig meine Seele leiden,

Oder willst du mit Ergetzen auch ein Jubeljahr zuschicken?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Auf die letzte Nacht seines XXV. Jahrs

1616 – 1664                                        den 11. Octobr. St. Gregor

 

Komm, Mitternacht, und schleuß dies tränenreiche Jahr,

Die schmerzenvolle Zeit, die mich so tief verletzet,

Die dich, mein Bruder, hat in jenes Reich versetzet

Und, Schwester, deine Leich gestellet auf die Bahr.

 

Die Zeit, die auf mich Angst und grimmer Seuchen Schar

Und Trauren und Verdruß und Schrecken hat verhetzet.

Wer hat noch neulich mich nicht schon vor tot geschätzet,

Da, als ich mir nicht mehr im Siechbett ähnlich war.

 

Wenn deine Treu, o Gott, mich nicht mit Trost erquicket,

Als so viel grause Not den blöden Geist verstricket,

So wär ich ganz in Angst ertrunken und verschmacht’.

 

Herr, dessen linde Faust wischt die betränten Wangen,

Laß doch nach so viel Sturm mich linder Zeit anfangen

Und heiß die herben Jahr vergehn mit dieser Nacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Auf einen ungeschickten Römer

1616 – 1664

Kann Rom dich nicht gelehrt und nicht geschickter machen

Wo es an keiner Kunst, an keiner Weisheit fehlt,

Wo die Scharfsinnigkeit selbst ihren Sitz erwählt,

Wo die Vernunft durchsucht der Fürsten höchste Sachen?

 

Was täglich wächst, was steht, was sich dem grimmen rachen

Der Zeit, die alles frißt, entzeucht, was sich vermählt

Der greisen Ewigkeit, was lange Jahre zählt,

Siehst du; doch wer dich sieht, muß deiner Grobheit lachen.

 

Hier haut man Marmel aus, hier schleift man Diamant,

Porphyr, wie hart er auch, weicht der gelehrten Hand.

Von welchem Steinriß hat man dein Gehirn genommen?

 

Man glaubt, daß diese Luft den Fremden schädlich sei.

Ich schau das Widerspiel, ich bin von seuchen frei,

Dir ist die röm’sche Luft in Wahrheit nicht bekommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Auf H. Dietrich Baums und

1616 – 1664                                        Jungfr. Annae Mariae Gryphiae Hochzeit

 

In dieser Kriegesernt und überheißen Zeit,

In der man, was man schaut, vor Hitze schaut verschmachten,

Seid Ihr, o Jungfrau Braut, glückselig wohl zu achten,

Weil Euch der Liebe Glut selbst Schatten hat bereit’.

 

Ihr sitzt bei Eurem Baum und trotzt das grimme Leid,

Das unser Vaterland, eh als wir noch gedachten,

Versenget und verbrannt, das, was die Felder brachten,

Was in den Gärten blüht, mit Schwert und Flammen mait.

 

Der Baum, den Ihr erkiest, wird jederzeit euch decken,

euch wird kein trüber Sturm, kein Ungewitter schrecken,

Die Zweige werden stets voll schöner Blätter stehn.

 

Die Äste, die ihr schon seht voll von Blüten schweben,

Die werden künftig Euch gewünschte Früchte geben,

Dies Laub wird, glaubt gewiß, von keinem Frost vergehn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Auf H. Sigmund Gutsche

1616 – 1664                                        Ratsverwandten zu Freystadt

als er zum ersten nach dem Brande der Stadt geheiratet und gebauet

 

Stellt eure Schmerzen ein, obschon das grimme Toben

Der Flammen eure Stadt zu Aschen hat gemacht,

Ob Kirch und Held gleich hin, obschon in einer Nacht,

Was so viel Zeit gebaut, in Rauch und Glut verstoben.

 

Obgleich der Mauren Pracht, der Türme Last von oben

Nun auf die Erde stürzt, die Gutsche doch bedacht,

Wie, was die Glut auffraß, euch werde wiederbracht.

Weint nicht mehr über die, die wir im Grab auch loben!

 

Grüßt den, der so mit Rat als Tat sein Haus aufbaut

Und mit dem Ehgemahl, die gestern ihm vertraut,

itzt ratschlägt, wie er mög auch junge Bürger geben.

 

Ja freilich wird er’s tun. Mein Phoebus zeigt mir an,

Daß, eh’r der Mond neunmal besucht den Wassermann,

Was mehr noch werd als itzt auf seiner Gutsche leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Beschluß des XXIII. Jahrs

1616 – 1664

In Angst, in trüber Not, in Hoffnung, Schmerz und Pein,

In Sorgen und in Ach, hab ich dies kurze Leben,

Wofern es Leben heißt, der Eitelkeit gegeben.

Hab ich von Ach und Furcht je ledig mögen sein?

 

Ade Welt, Gunst, ade, jetzt bin ich nicht mehr dein.

Ich will den freien Geist nun wehmutfrei erheben,

Ich will mit freiem Sinn weit uber alle schweben.

Die strenge Dienstbarkeit schleußt in viel Ketten ein!

 

Mich soll kein Glimpf, kein Schimpf, kein Weh und Wohl mehr binden,

Man soll fortan mich frei von Zweifelstricken finden,

Ich mag nicht toller Lust mehr zu Gebote stehn.

 

Gib allzeit freier Gott, der du dich frei heißt ehren,

Daß ich dich mög allzeit mit freien Ohren hören,

Bis ich durch dich zu dir werd in die Freistatt gehn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Beschluss-Sonett

1616 – 1664

Mehr hat ich vor der Faust, doch wer tar hier was schreiben,

Wenn eine Frau dem Mann ein Leinentuch versagt

Ins Grab, und wenn sie kaum den andern hat, der Magd

Beut hundert Taler an, daß sie ihn helf aufreiben,

 

Durch Lügen oder ja durch Zeugnüs Eil zutreiben

Dem Henker in sein Schwert; und hier kein Armut klagt,

Die doch wohl sonst für Gott nicht einen Kreuzer wagt,

Will sie doch, daß ihr Tun soll ungetadelt bleiben.

 

So geht es hin und her, man sündigt frei hinein

Ganz ohne Scheu und Scham und soll doch niemand sein,

Der dies, was jeder tut, dörft öffentlich erzählen.

 

Denn Wahrheit schmerzt und reißt, doch kommt gar oft an Tag

Dies, was nach vieler Sinn gar tief verborgen lag,

Und muß der Wahrheit nie Luft, Red und Freiheit fehlen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Deficit in Dolore Vita mea!

1616 – 1664                                        Psal. XXXI

 

Mit Tränen und mit Ach, mit Arbeit, Weh und Zagen

Verschließ ich Stund und Tag. Der Feber grimmes Leid

Nimmt mit dem Jahr mich hin; die Flucht der schnellen Zeit

Läßt mich mein herbes Weh, mein Elend kaum beklagen.

 

Sobald die Sonn uns bringt den lichten Tag getragen,

Ruft Jammer mich zu Kampf. Dafern mir in dem Streit

Die Hoffnung Hülf einspricht, fällt der erhitzte Neid

Mich mehr denn hündisch an und läßt nicht ab, zu nagen.

 

Wenn Cynthie ihr Horn steckt auf den Abend an,

Ist nichts, das mich mit Ruh und Rat ergetzen kann.

Wie lange soll ich noch in diesem Kummer stecken?

 

Ich weine, doch umsonst; sooft die schwarze Nacht

Den trüben Sternen ruft und wenn Matuta lacht,

Kein Abend deckt die Not, kein Tag kann Trost erwecken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Der Welt Wollust ist nimmer ohne Schmerzen

1616 – 1664

Kein Freud ist ohne Schmerz, kein Wollust ohne Klagen,

Kein Stand, kein Ort, kein Mensch ist seines Kreuzes frei.

Wo schöne Rosen blühn, stehn scharfe Dorn dabei,

Wer außen lacht, hat oft im Herzen tausend Plagen,

 

Wer hoch in Ehren sitzt, muß hohe Sorgen tragen,

Wer ist, der Reichtum acht’ und los von Kummer sei?

Wer auch kein’ Kummer hat, fühlt doch, wie mancherlei

Traurwürmlin seine Seel und matte Sinn durchnagen.

 

Ich sag es offenbar, so lang der Sonnen Licht

Vom Himmel hat bestrahlt mein bleichs Angesicht,

Ist mir noch nie ein Tag, der ganz ohn Angst, bescheret!

 

O Welt, du Tränental, recht selig wird geschätzt,

Der, eh er einen Fuß hin auf die Erden setzt,

Bald aus der Mutter Schoß ins Himmelslusthaus fähret.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Die Hölle

1616 – 1664

Ach und Weh !

Mord! Zeter! Jammer! Angst! Kreuz! Marter! Würme! Plagen!

Pech! Folter! Henker! Flamm! Stank! Geister! Kälte! Zagen!

Ach vergeh!

 

Tief und Höh!

Meer! Hügel! Berge! Fels! Wer kann die Pein ertragen?

Schluck Abgrund! ach schluck ein! die nichts denn ewig klagen!

Je und Eh!

 

Schreckliche Geister der dunkelen Höhlen, ihr, die ihr martert und Marter erduldet,

Kann denn der ewigen Ewigkeit Feuer nimmermehr büßen dies, was ihr verschuldet?

O grausam Angst, stets sterben sonder Sterben!

 

Dies ist die Flamme der grimmigen Rache, die der erhitzete Zorn angeblasen!

Hier ist der Fluch der unendlichen Strafe, hier ist das immerdar wachsende Rasen!

O Mensch! Verdirb, um hier nicht zu verderben!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Quantum est quod Nescimus!

1616 – 1664

Ist’s? oder ist’s ein Wahn, daß Anverwandter Blut

Sei kräftig, unsern Geist durch fremde Macht zu rühren?

Soll, wenn mein Freund betrübt, ich mich bekümmert spüren

Obschon mir nicht entdeckt wird seiner Schmerzen Glut?

 

Soll, wenn sein Körper fault, mein hochbestürzter Mut

In unbekannter Angst sich kränken und verlieren?

Soll mich sein Bild zu Nacht in Lust und Schrecken führen

Und trösten in der Pein und raten, was mir gut?

 

Mein Bruder, ehe man mir deinen Tod entdecket,

Hast du drei Nächte mich aus meinem Schlaf erwecket

Und mein unendlich Leid zu lindern dich bemüht.

 

Du hast mir Zeit und Ort der abgelegnen Reisen,

Da ich nicht reisen wollt, ausdrücklich wollen weisen.

Ist’s oder wissen wir weit minder, als man sieht?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Schluß des 1650sten Jahres

1616 – 1664

Nach Leiden, Leid und Ach und letzt ergrimmten Nöten,

Nach dem auf uns gezuckt- und eingestecktes Schwert,

Indem der süße Fried ins Vaterland einkehrt

Und man ein Danklied hört statt rasender Trompeten,

 

Indem wir eins aus Lust und nicht durch Glut erröten,

Schließ ich dies rauhe Jahr und was mein Herz beschwert,

Mein Herz, das nicht die Angst, die unser Land verheert,

Vermocht durch rauhen Sturm und linde Gift zu töten.

 

Gott, wir haben dies erlebet, was du uns verheißen hast,

Daß der unerhörten Schmerzen und der überhäuften Last

Letztes Ziel ist angebrochen.

 

Bisher sind wir tot gewesen, kann nun Fried ein Leben geben,

Ach so laß uns, Friedenskönig, durch dich froh und friedlich leben,

Wo du Leben uns versprochen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Trauerklage des Autoris in sehr schwerer Krankheit

1616 – 1664                                        A. 1636. Mense Febr.

 

 

Ich bin nicht, der ich war. Die Kräfte sind verschwunden,

Die Glieder sind verdorrt, wie ein verbrannter Graus.

Hier schaut der schwarze Tod zu beiden Augen aus,

Nichts wird als Haut und Bein mehr an mir ubrig funden.

 

Der Atem will nicht fort, die Zung steht angebunden,

Mein Herz, das ubersteht numehr den letzten Strauß,

Ein jeder, der mich sieht, spürt, daß das schwache Haus,

Der Leib, wird brechen ein gar inner wenig Stunden.

 

Gleich wie die Wieenblum früh mit dem Licht der Welt

Hervorkommt und, noch eh der Mittag weggeht, fällt,

So bin ich auch benetzt mit Tränentau ankommen,

 

So sterb ich vor der Zeit. O Erden, gute Nacht!

Mein Stündlein lauft herbei! Nun hab ich ausgewacht

und werde von dem Schlaf des Todes eingenommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Trauerklage des verwüsteten Deutschlandes

1616 – 1664

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr als ganz verdorben.

Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun,

Das vom Blut feiste Schwert, die donnernde Kartaun,

Hat alles dies hinweg, was mancher saur erworben.

 

Die alte Redlichkeit und Tugend ist gestorben,

Die Kirchen sind vorheert, die Starken umgehaun,

Die Jungfraun sind geschänd’, und wo wir hin nur schaun

Ist Feur, Pest, Mord und Tod. Hier zwischen Schanz und Korben,

 

Dort zwischen Maur und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut.

Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut

Von so viel Leichen schwer, sich langsam fortgedrungen.

 

Ich schweige noch von dem, was stärker als der Tod,

Du, Straßburg, weißt es wohl, der grimmen Hungersnot,

Und daß der Seelenschatz gar vielen abgezwungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Über Abraham Ortels Parergon

1616 – 1664

Den Schauplatz alter Welt, im welchem noch zu finden,

Was harter Flammen Grimm und rauher Feinde Schwert,

Was der geschwinde Blitz und lange Zeit verkehrt,

Schleußt Ortels Hand hier auf. Muß gleich Athen verschwinden,

 

Bricht Pergamus schon ein, ob die von stolzen Winden

Hoch aufgeschwellte See weit uber Länder fährt,

Wird von der Erden Schlund die Erden selbst verzehrt,

Ist doch ein freier Sinn durch keine Macht zu binden.

 

Er reißt die Schranken durch, in den ihn Fleisch und Not

Und Sterben pochen will und pocht den blassen Tod,

Find’t alles in sich selbst und find’t sich selbst in allen.

 

Er sieht, was nicht mehr ist und was noch kommen soll,

Ihm ist im Untergang und Weh der Erden wohl

Und kann, obgleich der Leib, sein Wohnhaus, fällt, nicht fallen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Gryphius                   Überschrift an dem Tempel der Sterblichkeit,

1616 – 1664                                        aus A. Gryphii Meletomenus ersten Buch

 

Ihr irrt, indem ihr lebt; die ganz verschränkte Bahn

Läßt keinen richtig gehn. Dies, was ihr wünscht zu finden,

Ist Irrtum; Irrtum ist’s, der euch den Sinn kann binden.

Was euer Herz ansteckt, ist nur ein falscher Wahn.

 

Schaut, Arme, was ihr sucht! Warum so viel getan?

Um dies, was Fleisch und Schweiß und Blut und Gut und Sünden

Und Fall und Weh nicht hält? Wie plötzlich muß verschwinden,

Was diesen, der es hat, setzt in des Todes Kahn.

 

Ihr irrt, indem ihr schlaft, ihr irrt, indem ihr wachet,

Ihr irrt, indem ihr traurt, ihr irrt, indem ihr lachet,

Indem ihr dies verhöhnt und das für köstlich acht’,

 

Indem ihr Freund als Feind und Feind als Freunde setzet,

Indem ihr Lust verwerft und Weh vor Wollust schätzet,

Bis der gefundne Tod euch frei vom Irren macht.