Georg Heym                          Marathon

1887 – 1912

 

I.

 

Zehntausend steigen von den Bergen nieder,

Die Blüte Hellas’, sich dem Tod zu weihen.

Durch Morgendämmrung ziehen ihre Reihen.

Ein Wall von Erz ziehn hin des Heeres Glieder.

 

Die Lerchen singen ihre Morgenlieder,

Sie schwingen sich zum Himmel ohne Zahl.

Ihr helles Singen füllt das ganze Tal,

Sie steigen in den Blauen auf und nieder.

 

Noch sind die Morgenwinde nicht erwacht.

In süßem Schlummer liegt noch weit die Welt,

Der Morgenstern steht noch in keuscher Pracht.

 

Euböa nur ist weithin schon erhellt.

Da rauscht die Sonne aus des Meeres Schacht

Und vor dem Heere liegen Zelt bei Zelt.

 

 

II.

 

Voll brauner Zelte liegt der ganze Strand,

Heuschrecken gleich, die auf die Felder fielen.

Und tausend Schiffe mit den schwarzen Kielen

Stehn hochgezogen auf dem Ufersand.

 

Sie sehn der Griechenpanzer Sonnenbrand.

Die Hörner gellen, alle Pfeifen spielen,

Sie quellen aus den Gassen schon zu vielen,

Die weite Ebene ist mit eins bemannt.

 

Eunuchen mit den hohen Stimmen schreien

Ins Haremszelt nach dem Satrapenpaar.

Man führt herbei der Feldherrn Dromedar.

 

Sie treten vor, die Königswürden leihen,

Tiaren glänzen von dem schwarzen Haar,

Indes die Tore Volk um Völker speien.

 

 

III.

 

Langbärtige Perser ziehn in Heeres Mitten

Mit kurzen Schwertern und mit großen Bogen,

Die durch Ägyptens Wüstenein gezogen,

Die gegen Krösus einst am Halys stritten.

 

Die hagern Libyer mit den Eisensehnen

Auf Eilkamelen Afrikas beritten,

Die Skythen, die sich kurze Pfeile schnitten,

Ihr Haar in Zöpfen wie der Pferde Mähnen.

 

Des Sudans Neger, fettig und beleibt.

Die Luft durchschreiend, brüllend wie ein Stier.

Das Volk von Babylon, das Hennah reibt

 

und sich die Stirn bemalt mit Weiberzier.

Der Vögte Geißel, die die Menge treibt

Und sausend niederfährt auf Mensch und Tier.

 

 

IV.

 

Noch trunkne Thraker stürzen aus dem Zelt,

Dem Liber singen sie und dem Priap.

Streitwagen ziehen an dem Heer hinab,

Die Sicheln blinken wie im Erntefeld.

 

Der wilden Baktrer großes Schlachthorn gellt.

Die Inder führen Elefanten vor,

Die laut trompetend schwanken aus dem Tor,

Den Mann im Nacken, der den Stachel hält.

 

Von Rhodos Männer. Auf den Panzerringen

Und auf dem Schild, das mit dem Schwert sie schlagen,

des Sonnengottes Bildnis glänzt in Gold.

 

Die Kreter, die die Lederschleudern schwingen.

Die Lampsaker am Helm den Phallus tragen,

Abtrünnige Griechen in des Königs Sold.

 

 

V.

 

Orgie des Bunten. Pracht der Morgenländer.

Stets wechselnd wogt es an des Meeres Strande,

In Rot und Weiß und Gold im Sonnenbrande.

Der Krieger Panzer, Leiber und Gewänder.

 

Unendliches Geschrei und lautes Lärmen,

Wie Herden brüllen in den großen Ställen.

Die Klänge fallen und die Klänge schwellen,

Wie ein Orkan entsteigen sie den Schwärmen.

 

Die Opferstiere schrein, die Tod erleiden.

Die Priester, die Kybeles Brüsten dienen,

Verkünden Sieg aus ihren Eingeweiden.

 

Die Feldherrn thronen unter Baldachinen,

Und wo sie reiten, neigt das Volk sich beiden.

Es küßt nach Perserbrauch den Staub nach ihnen.

 

 

VI.

 

In ernster Strenge angeborner Zucht

Die Männer von Athen zur Wahlstatt steigen,

Wie auf dem Ringplatz stumm zum Todesreigen,

Doch hallt der Grund von der Sandalen Wucht.

 

Erhabne Größe der Demokratien,

Das Recht Europas zieht mit Euch zu Meere.

Das Heil der Nachwelt tragt Ihr auf dem Speere:

Der freien Völker große Harmonien.

 

Der Republiken Los in den Phalangen,

Der Haß der Freien gegen die Despoten.

Ihr kämpft für Recht, das macht Euch frei von Bangen.

 

Dem Morgen zu! Der Völkerfreiheit Boten,

Unsterblichkeit auf ewig zu erlangen,

Wenn Abend ruht auf Eurer Schlachtreihn Toten.

 

 

VII.

 

Der Pfeile Wolken fliegen mit dem Winde,

Die runden Schilde von den Pfeilen starren.

Die Steine sausen, alle Schleudern knarren

Und der Ballisten ächzende Gewinde.

 

Die beiden Heere aufeinander prallen.

Sie beißen sich wie Hunde in sich ein.

Der Tod hält Schlachtfest in den weiten Reihn,

Die blutbeströmt sich ineinander krallen.

 

Die Sichelwagen mähen durch die Flur

Der Leiber hin, sie wirbeln Glieder auf.

Gassen voll Toter reißt der Wagen Spur.

 

Wenn sie der Lenker mit dem Stachel stach,

Die Elefanten brüllen allzuhauf

Und stampfen wilden Wütens alles brach.

 

 

VIII.

 

Der Griechen Mitte wankt schon in der Schlacht,

Die schwache Tiefe weicht vor den Barbaren,

Die, einem Sturmbock gleich, mit allen Scharen

Im Keile stürmen riesiger Übermacht.

 

Vor manches Griechen Augen wird es Nacht.

Ins Knie sinkt helmlos er, den Streichen offen

Das bare Haupt. Der stürzt, ins Herz getroffen,

Da eine Lanze durch den Panzer kracht.

 

Sie schleudern Brände von der Tiere Türmen.

Die Neger schlagen drein mit erznen Keulen.

Die wilden Skythen mit den Rossen stürmen.

 

Wie Fluten brechen durch der Deiche Haft,

So bricht das Schlachtvolk durch mit Schrein und Heulen

Zerreißt der Griechenkette stolze Kraft.

 

 

IX.

 

Laß reißen! Denn die Flügel fassen Bahn,

Wie Adler klafternd über dunklem Grunde.

Hör! Hör! Sie stimmen an mit lautem Munde

Den Kriegsgesang, den hallenden Päan.

 

Die Götter steigen in das Schlachtgetümmel,

Aus Griechenreihn des Phöbus Pfeile sausen,

Und Ares’ Stimme füllt mit lautem Brausen

Des Meeres Tiefen, Erd und weiten Himmel.

 

Wie eine Löwenmähne ragt sein Haupt.

Er schlachtet mit dem Schwerte in den Horden.

Da fliehn die ersten, ihres Muts beraubt.

 

Da stürzen viele zu der Schiffe Borden.

Doch Ares mäht noch blutig und bestaubt

Und führt die Griechen an zu wildem Morden.

 

 

X.

 

Wie dichte Wolken liegen Dunst und Hauch

Des heißen Mittags auf der Ebnen Weiten.

Die Sonnenstrahlen wie durch Nebel gleiten,

Schwarz wälzt sich hin verbrannter Felder Rauch.

 

Der Toten Blut und Wunden faulend stinken.

Die Sterbenden, die Durst wahnsinnig macht,

Kriechen auf vieren durchs Gewühl der Schlacht

Zu den schon Toten, um ihr Blut zu trinken.

 

Hier haben zwei im Staube sich gefunden.

Ein Perser und ein Grieche. Halb schon tot,

Der in der Brust, der in dem Bauch die Wunden.

 

Der stärkre Perser drosselt den Hellenen.

Dann läßt er des Erstickten Blut sich munden,

Das wie ein Bach tritt aus des Bauches Venen.

 

 

XI.

 

Nun stirbt auch er, vom bittern Los bezwungen.

Auf seine Beute stürzt ihn Todes Macht.

Verliebten gleich in süßer Liebesnacht,

Im Tode halten sie sich fest umschlungen.

 

Unzählige Geier schweben auf der Schlacht,

Auf jeden Fels der Berge hingeschwungen.

Sie spähen sorgsam in die Niederungen.

Des Schauspiels Wächter halten stumm die Wacht.

 

Wie sich die Menge drängt in die Arenen,

So fliegen neue stets von Meer und Land.

Schon grau von ihnen sind der Berge Lehnen.

 

Von Asiens Küste kamen sie zum Feste,

Da sie den Blutgeruch im Wind erkannt,

der großen Tafeln fürchterliche Gäste.

 

 

XII.

 

Die Perser, die den Sieg erstritten meinen,

Ruhn in der Ebne nach des Kampfes Toben.

Kein Feind vor ihnen, alle sind zerstoben.

Tot sind sie alle, tot in Sand und Steinen.

 

Die Neger hackten mit den Bronzebeilen

Die Hände ab den Toten in dem Staube

Und füllen Ledersäcke mit dem Raube.

Ihr Zanken schallt herum beim Beuteteilen.

 

Die Schnüre brechen von den Trankamphoren

Die Thraker schon. Sie lagern sich im Schatten.

Die Skythen lösen sich die blutigen Sporen.

 

Die Elefanten kauen in dem Sande,

Die Griechensöldner häufen Staub den Toten,

Daß ihre Seele käme zu des Hades Strande.