Georg Heym Die
Züge
1887 – 1912
Rauchwolken, rosa, wie ein
Frühlingstag,
Die schnell der Züge schwarze
Lunge stößt,
Ziehn auf dem Strom hinab, der
riesig flößt
Eisschollen breit mit Stoß und
lautem Schlag.
Der weite Wintertag der
Niederung
Glänzt fern wie Feuer rot und
Gold-Kristall
Auf Schnee und Ebenen, wo der
Feuerball
Der Sonne sinkt auf Wald und
Dämmerung.
Die Züge donnern auf dem
Meilendamme,
Der in die Wälder rennt, des
Tages Schweif.
Ihr Rauch steigt auf wie eine
Feuerflamme,
Die hoch im Licht des Ostwinds
Schnabel zaust,
Der, goldgefiedert, wie ein
starker Greif,
Mit
breiter Brust hinab gen Abend braust.
1887 – 1912
Ein
roter Donner. Und die Sonne tost,
Ein
Purpurdrachen. Sein gezackter Schwanz
Peitscht
hoch herauf der weiten Himmel Glanz,
Der
Eichen Horizont, drin Flamme glost.
Der
großen Babel weiße Marmorwand,
Und
riesiger Pagoden goldnen Stein
Zerschmettert
fast der ungeheure Schein,
Mit
lauten Beilen eine Feuerhand.
Musik,
Musik. Ein göttlicher Choral.
Das
offne Maul der Sonne stimmt ihn an,
Das
Echo dröhnt vom weiten Himmelssaal.
Und
ruft hervor der dunklen Nacht Tyrann,
Den
Mond, Tetrarchen, der im Wolkental
Schon seltsam lenkt das fahle Viergespann.
1887 – 1912
Schon hängen die Lampions wie
bunte Trauben
An langen Schnüren über kleinen Beeten,
Den grünen Zäunen, und von den Staketen
Der hohen Bohnen leuchtend in die Lauben.
Gesumm von Stimmen auf den
schmalen Wegen.
Musik von Trommeln und von Blechtrompeten.
Es steigen auf die ersten der Raketen,
Und platzen oben in den Silberregen.
Um einen Maibaum dreht sich
Paar um Paar
Zu eines Geigers hölzernem Gestreich,
Um den mit Ehrfurcht steht die Kinderschar.
Im blauen Abend steht Gewölke
weit,
Delphinen mit den rosa Flossen gleich,
Die schlafen in der Meere Einsamkeit.
1887 – 1912
Die Trommeln schallen am
Schafott im Kreis,
Das wie ein Sarg steht, schwarz mit Tuch verschlagen.
Drauf steht der Block. Dabei der offene Schragen
Für seinen Leib. Das Fallbeil glitzert weiß.
Von vollen Dächern flattern
rot Standarten.
Die Rufer schrein der Fensterplätze Preis.
Im Winter ist es. Doch dem Volk wird heiß,
Es drängt sich murrend vor. Man läßt es warten.
Da hört man Lärm. Er steigt.
Das Schreien braust.
Auf seinem Karren kommt Capet, bedreckt,
Mit Kot beworfen, und das Haar zerzaust.
Man schleift ihn schnell
herauf. Er wird gestreckt.
Der Kopf liegt auf dem Block. Das Fallbeil saust.
Blut speit sein Hals, der fest im Loche steckt.
1887 – 1912
Schwarzblau der Alpen, und der
kahlen Flur,
Die Südsturm drohn. Mit Wolken tief verhangen
Ist grau das Feld. Ein ungeheures Bangen
Beengt den Tag. Den Atem der Natur
Stopft eine Faust. Hinab die
Lombardei
Ist Totenstille. Und kein Gras, kein Baum.
Das Röhricht regt kein Wind im leeren Raum.
Kein Vogel streift in niedrer Luft vorbei.
Fern sieht man Wagen, wo sich
langsam neigt
Ein Brückenpaar. Man hört den dumpfen Fall
Am Wasser fort. Und wieder droht und schweigt
Verhängnis dieses Tags. Ein
weißer Ball,
Die erste der Granaten. Und es steigt
Der Sturm herauf des zweiten Praerial.
1887 – 1912
Der graue Himmel hängt mit
Wolken tief,
Darin ein kurzer, gelber Schein so tot
Hinirrt und stirbt, am trüben Ufer hin
Lehnen die alten Häuser, schwarz und schief
Mit spitzen Hüten. Und der
Regen rauscht
In öden Straßen und in Gassen krumm.
Stimmen ferne im Dunkel. - Wieder stumm.
Und nur der dichte Regen rauscht und rauscht.
Am Wasser, in dem nassen
Flackerschein
Der Lampen, manchmal geht ein Wandrer noch,
Im Sturm, den Hut tief in die Stirn hinein.
Und wenig kleine Lichter sind
verstreut
Im Häuserdunkel. Doch der Strom zieht ewig
Unter der Brücke fort in Dunkel weit.
1887 – 1912
Er meckert vor sich hin. Die
Augen starren
Ins Wagenstroh. Der Mund kaut weißen Schleim.
Er zieht ihn schluckend durch die Backen ein.
Sein Fuß hängt nackt heraus durch zwei der Sparren.
Bei jedem Wagenstoß fliegt er
nach oben.
Der Arme Ketten rasseln dann wie Schellen.
Man hört der Kinder frohes Lachen gellen,
Die ihre Mütter aus der Menge hoben.
Man kitzelt ihn am Bein, er
merkt es nicht.
Da hält der Wagen. Er sieht auf und schaut
Am Straßenende schwarz das Hochgericht.
Die aschengraue Stirn wird
schweißbetaut.
Der Mund verzerrt sich furchtbar im Gesicht.
Man harrt des Schreis. Doch hört man keinen Laut.
Georg Heym Rußland
(März 1911)
1887 – 1912
Mit weißem Haar, in den
verrufnen Orten
Noch hinter Werchojansk, in
öden Steppen,
Da schmachten sie, die ihre
Ketten schleppen
Tagaus, tagein, die düsteren
Kohorten.
In Bergwerksnacht, wo ihre
beile klingen
Wie von Zyklopen. Doch ihr
Mund ist stumm.
Und mit den Peitschen gehn die
Wärter um.
Klatsch! Daß klaffend ihre
Schultern springen.
Der Mond schwenkt seine große
Nachtlaterne
Auf ihren Weg, wenn sie zur
Hütte wanken,
Sie fallen schwer in Schlaf.
Und sehen ferne
Die Nacht voll Feuer in den
Traumgedanken
Und auf der Stange, rot,
gleich einem Sterne,
Aus Aufruhrs Meer das Haupt
des Zaren schwanken.
1887 – 1912
Wie eine Lilie durch das
Dunkel brennt,
So brennt sein weißer Kopf in Weihrauchs Lauge
Und blauer Finsternis. Sein hohles Auge
Starrt wie ein Loch aus weißem Pergament.
Verzweiflung dampft um ihn,
furchtbare Qual
Des Höllentags. Wenn er die Hände weitet,
Wird er ein Kreuz, das seine Balken breitet
Auf dunklem Himmel, groß, und furchtbar fahl.
Er flüstert leise. Übertönt
vom Schrein.
Ein Riese tanzt, der mit den Geißeln fegt
Das Meer der Rücken. Blutdampf steigt wie Wein.
Und sein Gesicht wird von der
Wollust klein,
Vom Schauder eines Lächelns sanft bewegt,
Wie eine Spinne zieht die Beinchen ein.
1887 – 1912
Er stirbt am Waldrand, mit
verhaltnem Laut
Klagt schon sein Schatten an
des Hades Tor.
Der Kranz von Lattich, den
sein Haupt verlor,
Fiel unter Disteln und das
Schierlingskraut.
Den Pfeil im Hals, verschüttet
er sein Blut,
Das schwarze Faunsblut, in den
grünen Grund
Der abendlichen Halde, aus dem
Mund,
Drauf schon des Todes dunkler
Flügel ruht.
Der Himmel Thrakiens glänzt im
Abendgrün,
Ein Silberleuchter seinem
Sterbeschrei,
Aus fernen Bergen, wo die
Eichen glühn.
Tief unter ihm verblaßt die
weite Bai,
Darüber hoch die roten Wolken
ziehn,
Und fern ein Purpursegel
schwimmt vorbei.