1830 – 1914 Römische
Sonette
I. – Im Coliseo
Gelinder fließt in dieser Luft
das Blut.
Die Seele lernt ihr stürmisch
Weh bezähmen,
Des Hastens am Vergänglichen
sich schämen,
Wo eine stolze Welt in
Trümmern ruht.
Höhnt hier nicht jede Quader:
Eintagsbrut,
Willst du dein Zwergen-Ich so
wichtig nehmen?
Was ist dein Sehnen, Jauchzen
oder Grämen?
Ein Tropfen nur im All der
Geisterflut.
Doch während mich umrauscht
das ew’ge Fließen
Des uferlosen Meers, in dessen
Bette
Spurlos versinkt, was hoch und
herrlich war,
Kann wie ein schweres Unheil
mich verdrießen
Ein ungefügig Reimwort im
Sonette –
O Widerspruch, dein Nam’ ist
Mensch fürwahr!
II. – Am Tiberstrande
Wenn aus dem stadtlärm in der
Korsostunde
Ich an den öden Tiberstrand
mich rette,
Ist mir’s, als ob aus seinem
alten Bette
Der Fluß mir rauschte
schauerliche Kunde
Von Völkern, die er tief im
schlamm’gen Grunde
Begrub, von Greueln, die an
dieser Stätte
Jahrtausende verübten in die
Wette,
Da macht mit Niedertracht so
gern im Bunde.
Doch ist denn nicht der Strom
ein junger Wandrer,
Der frisch herabsteigt vom
Gebirg, dies Rom
Mit Neugierblick in seiner
Flut zu spiegeln?
Herüberdräut ein Wissender,
ein andrer
Blutzeuge: des Apostels
Riesendom,
Der nie ein Beichtgeheimnis
darf entsiegeln.
III. – Cives Romani
Neu überhäuft mit Macht und
Glanz und Ehren,
Könnt ihr euch nicht erneun an
Herz und Sinnen?
Nur eure Weiber sindnoch
Römerinnen,
Obwohl sie keine Römer mehr
gebären.
Mit Groll seht ihr die
Fremdenflut sich mehren,
Italiens Banner wehn von euren
Zinnen.
Nur daß ihr jetzt am Mietzins
mögt gewinnen,
Vermag die finstren Stirnen
aufzuklären.
Und doch – statt des Geplärrs
der Bettlerorden
Wie munter klingt der
kriegerischen Banden
Musik, ein frischer
Zukunftshauch aus Norden!
Und wenn die päpstlichen
Karossen schwanden
Und Rot- und Violettstrumpf
rar geworden,
Blaustrümpfe doch sind
reichlich noch vorhanden.
IV. - Begegnung
Sie stieg vom Kapitol die
Stufen nieder,
Da pupurn schon die Sonne Roms
versank.
Nie sah mein Auge, seit es
Schönheit trank,
So stolzes Haupt, so
königliche Glieder.
Die junge Brust quoll trotzig
aus dem Mieder,
Leis bebten ihre Nüstern,
bleich und schlank.
Als früg’ ihr Reiz nach keines
Menschen Dank,
Hielt sie gesenkt die breiten
Augenlider.
Wie sie mich sah versunken
ganz in Schauern,
Fuhr eine Flamm’ aus ihrem
Blick, dem stieren,
Als spräche sie: Wie wagst du,
mich zu grüßen?
Ich bin von dem Geschlechte
jener Frauen,
Die Macht besessen, Kaiser zu
regieren,
Und Päpste knien sahn zu ihren
Füßen.
V. – Nach der Beichte
Ich las heut ein Novellchen in
der Frühe
Am Tor von sant’ Andrea delle
Fratte;
Es stand auf einem dunklen
Rosenblatte,
Und zu enträtseln lohnte
sich’s der Mühe,
Warum von Mutwill’ dieses Lärvchen
sprühe,
Das eben noch zerknirscht
gebeichtet hatte:
Ob es schon neue Sünden sich
gestatte,
Ob noch vom schwülen Hauch der
alten glühe?
Stark realistisch klang mir
manche Stelle;
Die Lippen sprachen von
verstohlnen Küssen,
Nur auf der Stirn sah ich ein
Wölkchen liegen.
Da brach ein Lächelglanz
hervor, so helle,
So süß – im stillen hab’ ich
seufzen müssen.
Den Schluß vermut’ ich nur:
daß sie sich kriegen.
VI. - Antiquitäten
Etruskervasen, Urnen,
Opferschalen,
Amphoren, schön bemalt, mit
mächt’gem Bauch,
Pompejis Lämpchen, noch
geschwärzt vom Rauch,
Und Ring’ und Münzen, Spangen
und Sandalen –
Was nur verschonten Goten und
Vandalen,
Damit wir lernten aller Zeiten
Brauch,
Hier liegt’s gehäuft, und mit
der Ehrfurcht Hauch
Beschleichen sacht dich der
Begierde Qualen.
Doch tröste dich, wenn dir die
Reisekasse
Entsagung auferlegt zu deiner
Pein
Bei all den teuren Schätzen
dieser Bude.
Man fabriziert hier Altertum
in Masse;
Echt ist und alt der Händler
nur allein,
Ein echter alter Fuchs und
Ghettojude.
VII. – Andre Zeiten
Sieh nur, wie strömt’s hinein
in Sant’ Agnese!
Ist denn der guten heil’gen
Festtag heute?
So triumphierend stürmt das
Turmgeläute,
Als ob der Papst heut selbst
die Messe läse.
Zu Fuß, zu Wagen – Bettler und
Marchese
Im Kampf, daß man ein
Plätzchen noch erbeute –
Sagt, was begibt sich drin,
ihr guten Leute?
„Eh!
Fra Giovanni singt, Signor Inglese.“
Ja so, der Mönch, der alle
Welt entzückt!
Stünd’ heut der Heiland wieder
auf, er müßte
Den kürzern ziehn vor diesem
Prachttenore.
Die Kirche trägt, seit sie der
Purpur schmückt,
Nach ausverkauften Häusern ein
Gelüste,
Und gleich der Oper macht sie
gern Furore.
VIII. - Politisches
Welch toller Lärm? was hat
sich nur begeben?
Steht wieder vor den Toren Hannibal?
Nein, nur ein Sammetsessel kam
zu Fall:
Im Parlament gab’s ein
Ministerbeben.
Das dritte schon, das wir in
Rom erleben:
Zuerst Ricotera mit sanfterm
Schall,
Herr Crispi dann mit
skandalösem Knall,
Und Patriarch Depretis gleich
daneben.
Und alle von der Linken. Laßt
das Flunkern,
Als ob das Vaterland gefährdet
wäre!
Hier heißt’s ja nur: Steh auf,
laß mich hier sitzen!
Nur großer Kampf reift große
Charaktere.
Euch fehlt’s an Pfaffen,
Sozialisten, Junkern
Und andrer schwerer Not, die
wir besitzen.
IX. - Abendandacht
Ihr sollt mich nicht in eure
Kreise locken,
Wo, was daheim ich floh, ich
wiederfinde,
In Routs, wo von den Farben
schwatzt der Blinde,
Wo Armut prahlt mit
aufgelesnen Brocken.
Nie darf das rieselnde
Geplauder stocken,
Auf daß nur ja das
Schreckgespenst verschwinde
Des eignen Nichts und minder
man empfinde,
Wie eng der Geist, das Herz
wie dürr und trocken.
Mit meiner Liebsten zieh’ ich
vor, zu Hause,
Wenn abends im Kamin die
Flämmchen summen,
Den Tag zu feiern, der so schön
verschlossen.
Ein Freund tritt wohl noch ein
in unsre Klause,
Und uns vorüberzieht, wenn wir
verstummen,
Was alles heut an Wundern wir
genossen.
X. – Suum cuique
Was höhnst du nur die feinen
Herrn und damen,
Die wohlgeschniegelten
Philisterfratzen,
Die in der ew’gen Stadt nur
ewig schwatzen,
Als ob sie dazu nur von Hause
kamen?
Gönn ihnen doch die Luft, in
Tand zu kramen,
Vor Marmorbildern, Fresken und
Arrazen
Mit ihrem kleinen Ich
herauszuplatzen,
Statt andachtsvoll zu flüstern
große Namen.
Am Meeresufer in der Abendglut
siehst du die Weiber ihre
Wäsche spülen,
Wobei sich ruhelos die Zungen
regen.
Ein Schwimmer stürzt sich
schweigend in die Flut,
Im heil’gen Element sein Herz
zu kühlen,
Dem stummen goldnen Taggestirn
entgegen.
XI. – Im Vatikan
Mußt du, statt einsam durch
dies Haus zu schweifen,
Mit Deutschen wandern oder
Britenscharen,
wirst du in glüh’ndem Unmut
oft gewahren,
Daß sie betasten, was sie
nicht begreifen.
Mag auch der Strom der Zeit an
ihnen schleifen,
Sie bleiben doch im Herzensgrund
Barbaren,
Die frech dem Zeusbild in die
Locken fahren
Und vor dem Torso Gassenhauer
pfeifen.
Doch mitten im Gewühl der
Stumpfgebornen
Trifft dich ein Blitz aus
nord’schem Augenlid
Wie Nordlichtschein, wenn
rings die Flur vereiste.
Dann fühlst du tröstlich, daß
in Auserkornen
Der schönste Bund noch immer
sich vollzieht,
Der Bund hellenischer Kunst
mit deutschem Geiste.
XII. - Advent
Am Himmel Wolkenjagd,
bleifarb’ge Helle,
In Frost erschaudernd lag die
Flur, die nackte;
Fern sah herüber spukhaft der
Soracte,
Und lautlos schlich die gelbe
Tiberwelle.
Ein junges Hirtenpaar, in
Ziegenfelle
Gehüllt, schritt mit dem
Dudelsack im Takte
Dem Toe zu, bis sie die Wache
packte
Und unsanft sie hinwegwies von
der Schwelle.
Erblichen ist in Rom, ihr
guten Kinder,
Der Stern, der einst in
Bethlehem erglommen.
Der Felsen Petri ward zur
schroffen Klippe.
Und pochet ihr am Vatikan,
noch minder
Wär’ dort die Mahnung an den
Stall willkommen,
Wo einst das Heil der Welt lag
in der Krippe.
XIII. - Silvester
Sie feierten Silvester im Gesu
Mit Kerzenglanz und festlichem
Gepränge;
Die Orgel dröhnt’, es brausen
Chorgesänge –
Mir ging’s zu bunt und laut
und lustig zu.
Dem bösen Jahre wünscht’ ich
gute Ruh
Und floh hinaus und wand mich durch
die Menge
Zum Kapitol hinan die sanften
Hänge,
In düsterm Mut. Wohl hatt’ ich
Grund dazu.
Da sah ich, eng im Käfig
eingegittert,
Die hagre Wölfin neidisch mich
beäugen,
Als spräch sie: Du bist fei
und kannst noch klagen?
Sieh mich! Ich werd als Wappentier
gefüttert!
Das ist der Dank, wenn
Zwillinge wir säugen
Und gegen Menschen menschlich
uns betragen!
XIV. – Abschie von Rom
Wer dich erkannt hat, scheidet
nie von dir,
Wie von der Mutter nie, die
ihn geboren,
Und trennt sich unser Leib von
deinen Toren,
Zurück ein Stück der Seele
lassen wir.
Umschließt nicht dies
geheiligte Revier,
Was sich an Göttern je der
Mensch erkoren?
Bewahrt der Hügelsand nicht
unverloren
Die Fußspur aller
Weltgeschichte hier?
Und wie an längst vergessne
Schulgeschichten
Die treue Mutter mahnt und uns
dazwischen
Mit Lieblingsspeisen pflegt
und süßen Früchten,
So lockt dies Rom, das Herz
sich zu erfrischen
An Vorzeithauch – und
römischen Leibgerichten,
Wie der Falcone sie weiß
aufzutischen.
XV. – Nach Hause!
Den letzten Gruß herab von den
Terassen
Des
Pincio, du Sonne Roms! In Glut
Tauchst du die Hügel rings in
deiner Hut,
Eh’ sie für immer meinem Aug
erblassen.
Zum letztenmal umwogt mich in
den Gassen
Die heimwärtsströmend rege
Menschenflut.
Nachtstimmen Roms – wie kenn’
ich euch so gut
Und soll euch morgen fern
verbrausen lassen? –
Doch da ich lag in kurzem
Schlummer kaum,
Träumt ich, das Wäldchen hört’
ich wieder rauschen
An meinem Haus im Hauch des
deutschen Windes.
Und helle Sehnsucht reißt mich
aus dem Traum,
Dem Morgenlied des Amselpaars
zu lauschen,
Der Spielgefährten meines
lieben Kindes.