Paul Heyse                             Tristien

1830 – 1914

I.

 

O stiehl dich nicht von meiner Seite fort,

Wie’s oft mir droht dein trostlos wunder Blick!

Ein blindes Rätselspiel ward das Geschick,

Doch ist der Tod ein trüglich Lösungswort.

 

Ja, gäb’ es über diesem Hier ein Dort,

Dir zu erneun verlornes Mutterglück,

Wer weiß, ich hielte nicht die Hand zurück,

Die steuern wollte noch dem Rettungsport.

 

Doch jener schlaf, der keine Träume bringt,

Nür seelenlosen Frieden, starr und still,

Ist er denn mehr als diese Trauer wert,

 

Drin fort und fort sein Stimmchen dich umklingt,

Sein weiches Händchen dich noch streicheln will,

Und was du hingabst, ewig dir gehört?

 

 

II.

 

Wir wollten in Bogheses hohem Saal

Am Zauber Tizians heut die Blicke weiden,

Und weil die Brunnen sich mit Eis bekleiden,

Hing ich den Mantel um zum erstenmal.

 

Was zog ich aus der Tasche da? O Qual!

Zwei winzig kleine Handschuh’, weich und seiden,

Die wollt’ er nicht mehr an den Händen leiden,

Da schon zu warm der Frühlingssonne Strahl.

 

Da hob ich sie ihm auf, als durch den Wald

Vergnüglich „wir zwei Männer“ uns ergingen,

Ach, ahnungslos, wie kurz der Frühling bliebe.

 

Und nun sein warmes Händchen starr und kalt

In ew’ger Nacht - ! Dies Höllenleid bezwingen

Kann keine „himmlische und ird’sche Liebe“

 

 

III.

 

Wenn ich, mein holdes Kind, wie oft geschah,

Dir vorgefabelt wundersame Sachen,

Sahst du mich an mit deinem klugen Lachen

Und sagtest: Ich versteh’ schon Spaß, Papa.

 

Ein Glanz umfloß dir Mund und Augen da,

Um auch die tiefste Schwermut froh zu machen.

Schon kündete sich an des Geists erwachen,

Der im Humor des Lebens Blüte sah.

 

das Schicksal aber hat nicht Spaß verstanden.

So unerbittlich war sein eh’rner Wille,

Daß aller Munterkeit ich längst vergaß.

 

Nichts, was des Lachens wert, scheint noch vorhanden

Ich horche Tag und Nacht – die Welt bleibt stille,

Und dieses Dasein ward ein schaler Spaß.

 

 

IV.

 

Heut nacht kam das Gebet mir in den Sinn,

Mit dem als Kind ich stets mich schlafen legte,

Und wie die Lippe sich von selbst bewegte,

Sagt’ ich das „Vaterunser“ vor mich hin.

 

Doch weil ich längst entwöhnt des Wahnes bin,

Das väterlich des Lebens Herr mich hegte,

Geschah’s, daß der Gedank’ in mir sich regte:

Wie gut, daß ich ein Kind des Todes bin!

 

So betet’ ich zu ihm: Gescheh’ dein Wille! –

Gib mir mein täglich Brot an Sorg’ und Mühe! –

Versuche du mich nicht! – Dann schwieg ich stille

 

Und lag in unaussprechlichem Gegrübel,

Bis ich aufdämmern sah die erste Frühe,

Da schloß ich fromm: Erlös’ uns von dem Übel!

 

 

V.

 

Ob in der argen Welt, wie gute Christen

Beteuern, alles sich zum Besten wende,

Ob sie nur wert sei, daß sie eilig ende,

Nach eurem Credo, werte Pessimisten,

 

Ob zwischen dem Erfreulichen und Tristen

In goldner Mitte sich der Ausgleich fände:

Fern sei’s von mir, daß ich mich unterstände

Schiedsrichterlichen Spruchs bei solchen Zwisten.

 

Ich hab’, indes ich wandelt’ hier auf Erden,

Vom Süßesten und Bittersten genossen

Und kenne dieses Daseins Stärk’ und Schwächen.

 

Im Einzlen hoff’ ich klüger noch zu werden,

Doch übers Ganze bin ich fest entschlossen

Superlativistisch niemals abzusprechen.

 

 

VI.

 

Ich habe längst in mir den Wunsch begraben,

Zu schürfen aus des Lebens Freudebronnen;

Der Ehrgeiz schwand, mich am Erfolg zu sonnen,

Und über Habsucht fühl’ ich mich erhaben.

 

So werd’ ich meinen Weg zu Ende traben

Gesengten Haupts, den aufrecht ich begonnen,

Und doch – noch einmal, eh’ die Frist verronnen,

Wünscht’ ich an Jugendvollkraft mich zu laben.

 

Denn hinter meiner Stirne fühl’ ich sacht

Ein Ungebornes ungebärdig pochen,

Das hätt’ ich gern noch rein ans Licht gebracht.

 

Nun bangt mir, meine Bildkraft sei gebrochen

Und nieder müss’ ich in die stumme Nacht,

Verstummt, eh’ ich mein letztes Wort gesprochen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Heyse                             Friedrich Rückert

1830 – 1914

 

I.

 

Als ich zur Winterflucht mein Bündel schnürte,

Steckt’ ich, die schwerlich man im Süden fände,

Auch meines teuren Rückert Liederbände

Mit ein, dem dieser Vorzug wohl gebührte.

 

Wie bin ich froh, daß ich ihn mit mir führte!

Denn nie lies’t diesen Reichen man zu Ende,

Dem gütig so Natur gefeit die Hände,

Daß Poesie ward, was er je berührte.

 

Nun liegt vor unserm Blick auf tausend Seiten

Sein Leben, sein Gemüt, sein tiefstes Denken,

All seine Freuden, Schmerzen, Traulichkeiten.

 

Wohl frommt’s in solchen Schatz sich zu versenken

Und nach der trüben Flut der jüngsten Zeiten

Aus diesem reinen Quell sein Herz zu tränken!

 

 

II.

 

Gleich einem Schiffer, der zurückgekehrt

Von mancher Fahrt, in seiner engen Hütte

Treu aufbewahrt nach guter Schiffersitte,

Was ihm die Fremde köstliches beschert,

 

So hielt auch er des Aufbewahrens wert,

Was auf des Flügelpferds weltweitem Ritte

In Welschlands und des Morgenlandes Mitte

Vielsprachig ihn der Muse Gunst gelehrt.

 

Doch wie nachdichtend alles er umfaßte,

Sein Herz gehörte dem nur, was entsprungen

Dem tiefsten Grund der heimatlichen Scholle.

 

Da lud er seine Freunde gern zu Gaste

Und fragte liebevoll auch mich, den Jungen,

Ob ich an seine Tür nicht klopfen wolle.

 

 

III.

 

Daß ich’s versäumte, weckt mir ew’ge Reue.

Nie sollt’ ich in sein leuchtend Auge blicken,

Niemals versuchen, stammelnd auszudrücken,

Wie innig seines Gangs ich mich erfreue.

 

Nun häng’ ich um so mehr mit später Treue

An seinem Bilde, dem so kalt den Rücken

Die Mode kehrt, die immer mit Entzücken

Preis’t das Vergängliche, das gleißend Neue.

 

Mir aber ist, blättr’ ich in seinen Liedern,

Als hört’ ich eines Freundes Stimme tönen

Und müßte jetzt noch seinen Gruß erwidern,

 

Mit Lorbeer seine Dichterstirne krönen

Und sein Gemüt, verwundert durch den niedern

Undank der nachgebornen Welt, versöhnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Heyse                             An Otto Gildemeister

1830 – 1914                                        (zum siebzigsten Geburtstage)

 

O Du, der Übersetzergilde Meister,

Der schon so jung Don Juan nachgesungen,

Gereift mit Shakespeares hoher Kraft gerungen

Und kühn besiegt Ariostos wilde Geister;

 

Zuletzt durch dein Gelingen dreist und dreister,

In Dantes Höllenschlund hinabgedrungen

Und dann geläutert dich emporgeschwungen

Zum Paradies – Gruß dir, Freund Gildemeister!

 

Zu selbstlos bargst du stets den eignen Wert,

Da doch an goldner Weisheit, Witz und Wissen

So reiche Lebensfrucht dir ward beschert.

 

Nun, da der Herbst erschien, laß uns nicht missen

Den Segen deines Werks, und hundertfarben

Zum Erntefeste sammle deine Garben!