1830 – 1914
Prolog
Sie haben’s auf den Brettern streng
verpönt,
Sein Herz in Selbstgesprächen
zu entladen.
Was Dichten sich erlaubt von
Gottes Gnaden,
Wird von den Jüngsten als vieux
jeu verhöhnt.
Mir, an die alte Technik noch
gewöhnt,
Scheint: die Natur kommt nicht
dabei zu Schaden,
Da frei von theatralischen
Tiraden
„Sein oder Nichtsein“ sehr
natürlich tönt.
Oft hab’ ich mich ertappt in
stillen Stunden,
Wenn ich im Walde träumte vor
mich hin,
daß mein Gefühl ein lautes
Wort gefunden.
Verlorne Klänge – manchmal
trüb der Sinn -,
Doch zu Sonetten wollten sie
sich runden,
Weil ich nun doch einmal ein
Dichter bin.
I.
Stets lieb’ ich’s, wenn
gepackt mein Koffer war,
Die Reise noch ein wenig
aufzuschieben,
Aus dem gewohnten bett noch
nicht vertrieben,
Doch der gewohnten Tagespflichten
bar.
Ein Zwischenaktsgefühl, höchst
sonderbar,
Wie wenn im Wartsaal man
zurückgeblieben,
Nicht völlig hüben mehr und
noch nicht drüben,
Und löste noch kein
Fahrbillett sogar.
So fühl’ ich mich auch jetzt:
noch nicht so eilig
Gedrängt zur Fahrt nach jenem
Land, woher
Kein Wandrer wiederkehrt, und
gern verweil’ ich
Im Wartsaal, gute Freude
ringsumher.
Mein Koffer steht gepackt –
nur daß er freilich
Zurückbleibt, für die letzte
Fahrt zu schwer!
II.
Und wenn ich einst mich werde
schlafen legen,
Gern wacht’ ich wieder auf
nach hundert Jahren,
Nur einen kurzen Tag, um zu
erfahren,
Wie es die Menschen dann wohl
treiben mögen.
Daß dann erblüht des ew’gen
Friedens Segen,
Nicht mehr geknutet wird im
Reich des Zaren,
Nicht jene mehr sich liegen in
den Haaren,
Die Liebe predigten von Amtes
wegen,
Bezweifl’ ich sehr. Doch daß
auf deutschen Bühnen,
Wenn Fremde gar zu oft ein
Gastspiel geben,
Wir unsres Hausrechts endlich
uns bedienen,
Nicht unterwürfig in den
Himmel heben,
Was besser uns, nur weil es
fremd, erschienen,
Das hoff’ ich wohl posthum
noch zu erleben.
III.
Wie lang schon haben, was wir
selbst geschaffen,
Zu würd’gen wir nur zaghaft
uns getraut
Und fuhren gern in jede fremde
Haut,
Statt zu gerechtem Stolz uns
aufzuraffen!
Erst spreizten wir uns als
Franzosenaffen,
Dann haben wir nach Norden
ausgeschaut,
An mystischen Gespenstern uns
erbaut,
Um ins Perverse jetzt uns zu
vergaffen.
Noch steckt uns der
Bescheidenheit Gebresten
Zu tief im Blut. Doch mehren
sich die Zeichen,
Daß nun zu ehren kommen unsre
Besten.
Wem haben wir im Tragischen zu
weichen?
Wo sind, die unter all den
fremden Gästen
An unsre Kleist, Grillparzer,
Hebbel reichen?
IV.
Wohl wird, der Frauenliebe zu
entsagen,
Dem Manne schwer, trotz
stoischer Grimassen,
Doch daß der Muse Gunst uns
will verlassen,
Dünkt uns ein Todesurteil,
kaum zu tragen.
Ich durfte ja in trüb’ und
hellen Tagen
Die warme Hand der hohen
Freundin fassen,
Von ihrem Frohsinn mich
beflügeln lassen
Und, was die Seele niederzog,
ihr klagen.
Nur noch zuweilen, wenn im
Wald ich schreite,
Fühl’ ich ein wundersam
ambrosisch Wehn,
Als ginge sie mir unsichtbar
zur Seite.
Doch bleib’ ich froh und
süßverworren stehn,
Seh’ ich ihr Schleierchen
schon in der Weite
Und die Gestalt wie einen
Traum zergehn.
V.
So wär’ denn Spiel und Tanz
für mich vorbei,
Doch nach Verjüngung fühl’ ich
kein Verlangen.
Ich wüßt’ auch nichts
gescheiter anzufangen,
Erlebt’ ich wieder, was es
immer sei.
Vorüber ist vorüber! лάντα ξεί
Geschöpfe, die dem Weltengeist entsprangen,
Sind ewig nicht wie er. Was Träumer sangen
Von ew’ger Wiederkehr, ist Phantasei.
Doch könnte durch ein Wunder auferstehn
Von allen längst verblichnen Stunden eine,
Nicht würd’ ich lang mit mir zu Rate gehn.
Die Stunde sei’s, wo, wie von Blitzesscheine
Erhellt, das holde Wunder mir geschehn,
Daß ich erkannte: Diese oder keine!
VI.
Seit dies an mir geschah, sind
vier Jahrzehnte
Mir über Haupt und Herzen
hingezogen;
Das holde Wunder hat mich
nicht betrogen
Und gab in Fülle mir, was ich
ersehnte.
Mein Leben, das ich schon im
Welken wähnte,
Verjüngt noch einmal ging’s in
hohen Wogen,
Und diese Jugend ist nicht
ganz verflogen,
So altersmüd auch jetzt die
Beichte tönte.
Noch heute, wenn mir Kraft und
Mut entwich
Und meine Klagen strömten
ungezüngelt –
Ein Lächeln nur von meinem
andern Ich
Genügt, daß neu die seele sich
beflügelt,
Ein Blick in dieses Aug, drin
tröstend sich
Solch eine Welt von Lieb und
Güte spiegelt.
VII.
Ich konnte nie die Glücklichen
beneiden,
vor denen offen, wie am hellen
Tag
Ein Blumenbeet, das
Jenseitsrätsel lag,
Wie Kinder gläubig sich an
Märchen weiden.
Früh lernt’ ich, ob mit
Schmerz auch, mich bescheiden,
Daß kein beschränkter Geist
erfassen mag
Unendliches, und weder dreist
noch zag
Gab ich mich drein, mein
dunkles Los zu leiden.
Doch, mußt’ ich auf die
Freuden auch verzichten,
Die jener Himmelstrost den
Frommen beut,
Unfromm und trostlos war ich
drum mitnichten.
Birgt doch ein Ew’ges jede
Spanne Zeit,
Wo Wahres wir erkennen, Schönes
dichten,
Und wer da liebt, der fühlt
Unendlichkeit.
VIII.
Du hast, mein Herz, Zeit
meines Lebens mir
Herausgeholfen aus so manchen
Fährden:
In geist’gen Nöten, leiblichen
Beschwerden,
Mein tapfrer Busenfreund,
vertraut’ ich dir.
Nun aber scheint’s fürwahr,
als sollten wir
Entzweit auf unsre alten Tage
werden,
Denn du beginnst, dich unhold
zu gebärden,
Uns machst mir Not gleich
einem Feinde schier.
So raffe dich denn auf, statt
schwach und träge
Dein altes Blutumlaufsgeschäft
zu treiben,
Und regle wieder deine muntren
Schläge.
Sonst, tu mir eins noch:
plötzlich stehn zu bleiben,
Daß sich im Nu mein Leben
enden möge,
Statt langsam nach und nach
mich aufzureiben!
IX.
Heut hab’ ich redlich mir mein
Mittagessen
Verdient; mein Doktor wird
zufrieden sein.
Früh streift’ ich lang umher
im Buchenhain
Und hab’ auf jeder zweiten
Bank gesessen.
An nichts zu denken müht’ ich
mich. Indessen
Sprang vor mir durchs Geäst
ein Eichkätzlein;
Ich raucht’ ein wenig, sah ins
Blau hinein
Und suchte mich
halbschlummernd zu vergessen.
Hernach im Wäldchen hinterm
Haus am Bronnen
Erquickt ich mich und schlich
so hin und her,
Bis endlich diese Stunden auch
verronnen.
Wenn nur das süße Nichtstun
leichter wär!
Wohl ist „still liegen und
sich einsam sonnen
´ne tapfre Kunst“ – allein
verteufelt schwer!
X.
Am liebsten hab’ ich stets den
Blick gelenkt
Auf weite Flächen, ferne
Horizonte,
Da meine Jugend in der Mark
sich sonnte,
Der die Natur kein Hochgebirg
geschenkt.
Als öder dann mir Sommers war
verhängt,
Daß ich in einem Alpenhochtal
wohnte,
War mir’s, als ob ich frei
nicht atmen konnte,
Von himmelhohen Schroffen
rings umschränkt.
Nun bitt’ ich ab euch stolzen
Alpenriesen,
Daß ich geklagt, ihr machet
noch mich krank;
Nun habt ihr euch heilkräftig
mir erwiesen.
Wagt doch zu euren freien
Gipfeln, dank
der Schroffheit, keiner sich
hinauf von diesen
Verfluchten Kasten mit
Benzingestank
XI.
Heut, da ich mittags mich im
Wald erging,
sah ich ein Tierlein mitten
auf dem Wege,
Das regungslos sich sonnte,
weich und träge,
In einem breiten, goldnen
Sonnenring.
Per bacco, ein
Lazertchen! Kleines Ding,
Wird dir auch wohl im kühlen
Waldgehege?
Entbehrst du nicht im rauhen
Nord der Pflege,
Die dein Geschlecht im Süden
stets empfing?
Hast du, wie dort der Brauch,
in Gartenmauern
Ein Kämmerchen und kannst, vor
Regengüssen
Und Schnee geschützt, den
Winter überdauern?
Doch, wie du durchkommst,
wirst du selber wissen,
Indes wir großen Menschen in
den Schauern
Des Ostwinds uns den Schnupfen
holen müssen.
XII.
Ich weiß, zu tadeln pflegt man
ein Gedicht,
Erkennt man, daß es tiefern
Sinn entbehre,
Daß für die Welt es wohl kein
Schade wäre,
Erblickt’ es, totgeboren, nie
das Licht.
Jetzt, da mein guter Doktor
mir verspricht,
Daß meinem Kopf die frische
wiederkehre,
Wenn mit Gedanken ich ihn
nicht beschwere,
Wird müßig hinzuträumen mir
zur Pflicht.
Doch wie ein kranker Musiker
zuweilen
Arpeggien spielt und halbe
Stunden lang
Die Finger auf den Tasten läßt
verweilen,
Nur sich zu laben an der
Saiten Klang,
So reim’ ich spielend manchmal
vierzehn Zeilen,
Was doch erquicklicher als
Grillenfang.
XIII.
Gesegnet ist dies Jahr mit
Niederschlägen.
Kaum wurden Weg und Steg im
Walde trocken
Und Heuchelsonne will hinaus
mich locken,
Treibt rasch nach haus mich
ein Gewitterregen.
Nun, wie Gott will! Ich habe
nichts dagegen,
Auch einen Tag im Zimmer zu
verhocken,
Und fehlt ein dritter Mann
nicht zum Tarocken,
So mag die Sintflut kommen
meinetwegen.
Was soll der Mensch, der tagelang
vergebens
Nach Sonne seufzte, andres
auch beginnen,
Als mildern durch ein Spiel
den Ernst des Lebens?
Was andres löst den Druck von
seinen Sinnen
Und scheint ihm noch ein
würd’ges Ziel des Strebens,
Als manchmal ein Coursolo zu
gewinnen?
XIV.
Nun treibt ein
graugespenst’ger Nebelspuk
Sein frostig Spiel in diesen
Höhn und Tiefen.
Im Wald die regenschweren
Wipfel triefen,
Und über ihnen kreischt ein
Krähenflug.
Als ob Berggeister, die vom
Fremdenzug
Verschüchtert, sommerlang
geduldig schliefen,
Erwachten und den
Eindringlingen riefen:
Es naht der Herbst! Fort ihr!
Nun ist’s genug!
So werd’ auch ich bald weichen
der Gewalt,
Denn nicht mehr lockt mit
sonnenhellen Reizen
In seine Tiefen mein geliebter
Wald.
Nun wird der Jäger diese Wege
kreuzen,
Und ich, wenn lustig seine
Büchse knallt,
Sitz’ still im Haus und muß
den Ofen heizen.
XV. – Ein Brief
Wer eines Regentags einsame
Stunden
Uns traulich kürzt durch
freundlichen Besuch,
Sei’s in Person, sei’s durch
ein schönes Buch,
Der hat wohl immer dankbar uns
gefunden.
Du hast zu größrem Danke mich
verbunden,
Da du mir zeigtest, teurer
Wildenbruch,
Noch sei, trotz unser heutigen
Widerspruch,
Der Bühne große Kunst nicht
ganz verschwunden.
Dein edles Kind, die
„Rabensteinerin“,
So herb und hold, so rührenden
Geschickes,
Wie nahm im Fluge sie so ganz
mich hin
Mit allem Zauber ihres
keuschen Blickes!
So ward der graue Tag mir zum
Gewinn.
Gruß dir und Dank, und freu
dich deines Glückes!
XVI.
Ein alter Mensch, mit manchem
Leid beschwert,
hält sich dem lauten
Weltgetümmel ferne
Und geht seitab der Menge, die
nicht gerne
Geschwätz und seelenlosen Spaß
entbehrt.
Die letzte Spanne Zeit, die
ihm gewährt,
Hält er zu Rate, daß er
scheiden lerne
Die Schale der Erscheinungen
vom Kerne
Und klar erkenne, was das Leben
lehrt.
Und so vergeht ihm fruchtbar
jede Stunde
In freundlicher Gesellschaft
hoher Weisen
Und lauschend auf das Wort aus
Dichtermunde.
Nichts aber wird sich
tröstlicher erweisen,
Als aufzublicken, wo in
nächt’ger Runde
Wie goldne Funken Bruderwelten
kreisen.
XVII.
Wie lieb’ ich dies verträumte
Waldesschweigen!
Nur selten tönt der Hall von
Menschentritten,
Der Sommer ist so sacht
vorbeigeglitten,
Längst sind verstummt die
Vögel in den Zweigen.
Nur Sonntags kommt von allen
Bergessteigen
Ein lustig Wandervolk
dahergeschritten,
Und aus dem Talgrund von den
Sieben Hütten
Erschallt der Juhschrei zum
Schuhplattlerreigen.
Doch erst im Winter – welch
ein hohes Fest
Der Einsamkeit und Stille,
wenn im Schnee
Die Waldung schläft und jedes
Tier im Nest!
Dann kommen sacht in rudeln
Hirsch’ und Rehe
Zum Futterplatz, indes sich
hören läßt
Der Hungerschrei des Habichts
aus der Höhe.
XVIII.
Mein liebes Kreuth, du
schattig Waldasyl
Und Wallfahrtsstätte
ruhbedürft’ger Leute,
Von deinen stillen Pfaden
scheid ich heute
Und fühle tief, ich danke dir
so viel.
Zwar, was ich hoffte, daß man
wie im Spiel
Genesung hier und Jugendmut
erbeute,
War nur ein Wahn. Denn nicht
so rasch erneute
Die Kraft sich, die der Zeit
zum Opfer fiel.
Doch daß auch einem lahmen
Invaliden
Vergönnt noch sei, vergnügt
herumzuhinken,
Das zu erleben, war mir hier
beschieden.
Und süß war’s, mich noch
einmal satt zu trinken
Am Urquell der Natur im
Waldesfrieden,
Eh’ wir dem Winter in die Arme
sinken.
XIX.
Im Leben gibt’s, behauptet ein
Franzos,
Schöne Momente, gute
Viertelstunden,
Und daß sie oft sich
ausgedehnt zu Stunden,
Bestreiten dreiste Pessimisten
bloß.
So hab’ auch ich in dieser
Wälder Schoß,
Daß sich’s zu leben lohnt, gar
oft empfunden,
Doch wenn ich erst zur Stadt
mich heimgefunden,
Wird mir ein Glück zu teil,
nicht minder groß.
Wie wird mir nach dem häuslich
heitern Mahl
Am stillen Abend die Zigarre
schmecken
Bei der gewohnten Lampe
trautem Strahl!
Und dann – im eignen Bett mich
auszustrecken,
Nicht fürchtend mehr, es werde
der Choral
Der Kurmusik zu frühe schon
mich wecken!
Epilog
„Sieh das Sonett! Kannst Du
ein Gleichnis nicht
In seiner Strophen Viergestalt
gewahren,
Das Bild von zwei verbundnen
Menschenpaaren?
Voran
die Eltern, Leute von Gewicht.
Was ER
mit seinem würd’gen Tone spricht,
Bestätigt
SIE, bemüht ihm zu willfahren.
So
schwierig manchmal auch die Reime waren,
Sie
hält sich stets an seiner Seite dicht.
Dann
folgen flink den Alten auf dem Fuß
Von
schlankerm Wuchs leichtherzig die zwei Jungen,
Die
man für Liebesleutchen halten muß.
Er
raunt ins Ohr ihr zarte Liebkosungen,
Und
mit des letzten Reims behendem Schluß
Hat sein Terzinchen küssend er umschlungen.“