1830 – 1914 Städtebilder
I. - Brescia
Wie locken mich all deine
Lieblichkeiten,
Du
schönes Brescia! Nur noch einmal schauen
Möcht’ ich Morettos
fürstlich-holde Frauen
Und all die werte Kunst
versunkner Zeiten.
Wie durch ein Märchen glaubt’
ich hinzuschreiten
In totenstillen Gassen, an den
grauen
Palästen hin; nur das Geschrei
der Pfauen
Drang über Gartenmauern mir
zur Seiten.
Doch wo die alten
Tempeltrümmer grüßen
Aus dunkler Feigen Laub, trat
ich hinein
Und sah die schönste der
Viktorien thronen.
Lang ruht’ ich andachtsvoll zu
ihren Füßen.
O Göttin, warum mußt du ehern
sein!
Ein Kranz aus solcher Hand –
wie würd’ er lohnen!
II. - Mailand
Daß du modern und halb
französisch seist,
Vom Edelrost Italiens
reingescheuert,
Ein blankes Klein-Paris, ward
mir beteuert;
Echt sei hier nur, daß man
Risotto speist.
Und doch, entschwand auch der
gewalt’ge Geist,
Der deine Adelshäupter einst
befeuert,
Im Kampf mit Östreich hast du
ihn erneuert,
Den Ruhm, daß nichts dich von
Italien reißt.
Wo nur dein Name klingt, wird
zweier Werke
Gedacht, zu ew’gen Zierden dir
errichtet,
Wie schönre nie italischen
Geist erprobten.
Einst schuf des Lionardo
heil’ge Stärke,
Das andre hat dein edler Sohn
gedichtet:
Das wundervolle Buch der zwei
Verlobten.
III. - Turin
Groß, still und einsam, wie
ein schlichter Held,
Der, wenn er kühn bestanden
schwere Proben,
Mit kümmerlichem Dank beiseit
geschoben,
Sich stolz zurückzieht vom
Geräusch der Welt,
So ruhst du. Deine Gassenadern
schwellt
Kein frisches Lebensblut mit
muntrem Toben.
Ernst blickt hernieder die
Superga droben,
Wo deine Fürsten sich die
Gruft bestellt.
Stumm und verödet ragt dein
Königsschloß,
Das Adlernest, aus dem zu
Kampf und Siege
Aufflog Savoyens Aar mit
trotz’gen Flügeln.
Doch wie er glorreich auch zur
Sonne schoß,
Niemals vergißt er seiner
Jugend Wiege
Im neuen Horst dort auf den
sieben Hügeln.
IV. - Genua
Handlung ist der Welt allmächtiger Puls. Platen
Dein Puls, du stolzes Genua,
ist erschlafft.
Noch sieht man herrlich dich
im Halbrund thronen,
Als gält’s dem hehren
Schauspiel beizuwohnen
Siegreicher Flotten, hoher
Heldenkraft.
Doch statt zu handeln, treibst
du Handelschaft.
Heut gelten Aktien statt der
Staatsaktionen,
Die Schiffe bringen Waren
fremder Zonen,
Nicht mehr Trophä’n, dem
Sarazen entrafft.
Vom Geist der Zeit hast du
dich bänd’gen lassen.
Ward doch die Bühne, die ihn spiegelt,
heute
Ein Markt, wo täglich sich die
Kurse wandeln.
Das höchste Kunstgesetz sind
volle Kassen,
Und sehr verstimmt es die
soliden Leute,
Läßt ein Charakterkopf nicht
mit sich handeln.
V. – Pisa
Beati i matti!
Gius. Giusti. Le memorie di Pisa
Weich ist die Luft an deinem
stillen Fluß,
Und Heil und Lindrung suchen
hier die Kranken.
Wohl macht der schiefe Turm
mit dem Gedanken
Vertraut, daß Irdisches zur
Erde muß.
Hier fand einst Galileo,
Schluß an Schluß
Tiefsinnig kettend, in der Ampel
Schwanken
Des Pendels Norm, und aus den
Blütenranken
Des Camposanto weht’s wie
Geistergruß.
Doch freudig, auch von Ernst
und Tod umfangen,
Blüht junge Kraft. Hier war’s,
wo muntre Scharen
Beim „Ussero“ mit meinem
Giusti schwärmten;
Wo sie das Lied von den drei
Farben sangen
Und, wenn sie nachts voll
süßen Weines waren,
„Selig die Toren!“ durch die
Gassen lärmten.
VI. - Siena
Ich sah dich hellgeschmückt
vom jungen Lenz,
Du höchstgetürmte von Toskanas
städten,
Und Blütenbanner friedenvoll
umwehten
Die einst’ge Nebenbuhlin von
Florenz.
Dein Ruhmesanrecht – nur der
Forscher kennt’s.
Der Wettstreit ruht; du bist
zurückgetreten.
Doch Aug und Herz der Künstler
und Poeten
Befreiten der Jahrhunderte
Sentenz.
Hier folg’ ich gerne jener
Heil’gen Spuren,
Die rührend edel Welt und
Himmel maß
Mit reinstem Blick begnadeter
Naturen.
Und wer, der jemals sie
geschaut, vergaß
Die andern Wunderwerke dieser
Fluren,
Die wonnigen Gestalten
Sodomas!
VII. - Parma
(Correggios Madonna della
Scodella)
Des Himmels höchste Wölbung zu
erfliegen
Ist deiner Engel Jubelsturm
geglückt,
Und wieder liebtest du, dem
Licht entrückt
In spielend süßer Dämmrung
dich zu wiegen.
Auch der Gefühle Zwielicht,
drin verschwiegen
Die Seele schwelgt, hat deinen
Sinn entzückt;
So schufst du die Madonna
reizgeschmückt,
Wert, daß die Himmel ihr zu
Füßen liegen.
Noch ist sie irdisch ganz. Im
Palmenwäldchen
Ruht sie behaglich an der
schönsten Stelle,
Bei ihr das Götterkind, das
sie geboren.
Die Schale füllt dem blonden
Huldgestältchen
Ein Engel aus improvisierter
Quelle,
Indes die Mutter lächelt
traumverloren.
VIII. - Ancona
Für schlechtriechende Gassen
entschädigt und des Sciroccos drückende Luft der Triumpfbogen am Molo Trajans. Platen.
Zeigst du dich denn noch immer
deutschen Dichtern
Im schlimmsten Licht? Es
wälzte Nebelmassen
Auch mir Scirocco durch die
schmutz’gen Gassen,
Und selbst der Bau Trajans
stand grau und nüchtern.
Was fabelt hier von schönen
Fraungesichtern
Das Reisebuch? Zu diesen
fieberblassen,
Verkommnen Weibern will das
Lob nicht passen;
Als ahnten sie’s, so geh’n sie
stumm und schüchtern.
Doch ferne sei’s, von deinem
trübsten Tage
Auf all die hellen, die die
blühn, zu schließen
Und Leopardis Heimatflur zu
schelten,
Gleich ihm, dem hohen Genius
der Klage,
Dem, was ihm selbst versagt
war zu genießen,
das Glück der welt, als
Irrwahn mußte gelten.
IX. - Mantua
Kommst du nach Mantua, wirst
du dir vor allen
Giulios berühmte Freskenwelt
betrachten,
Sternbilder, Bachanal,
Gigantenschlachten,
Und den Palast del Te erstaunt
durchwallen.
Hast du an dreister
Sinnenkraft Gefallen,
Magst du bewundern sein
gewaltig Trachten
Und doch im stillen wohl nach
Edlerm schmachten,
Das in der Seele weckt ein
Widerhallen.
Dann flüchte zum Archivio
notarile,
Wo Wand und Deckenraum
Mantegna schmückte,
Mit der Gonzaga Bildern sie
belebend.
Hier blüht die Kunst noch rein
im schlichten Stile,
Eh’ Virtuosenhochmut sie
berückte,
Der Erbschaft Raffaels sich
überhebend.
X. - Venedig
Nun ist entthront die stolze Wellenbraut,
Die einst den trotz’gen Nacken
bog dem Meere.
Nicht wird sie mehr auf
goldner Prachtgaleere
Dem ungestümen Freier
angetraut.
Doch in der Lenznacht, wenn
mit Donnerlaut
Die Springflut steigt, dann
ist’s, als ob die Hehre
Wehrlos dem Element zu eigen
wäre,
Auf das sie tags so kühl
herniederschaut.
Hoch über die Piazzetta
schwillt die Flut
Und braust herein, ersäufend
alle Gassen,
Und um San Marco plätschert
Ruderschlag.
Das Meer umwirbt die Braut mit
Liebeswut,
Doch nur die Füße darf es ihr umfassen
Und schleicht beschämt von
dannen lang vor Tag.
XI. - Verona
Und so entläßt dich, wie sie
dich empfangen,
Italiens schöne Tochter an der
Schwelle,
Auf daß nach ihrer Mutter
Sonnenhelle
Du sehnlich immer müssest
heimverlangen.
All ihre Lieblichkeit und
stolzes Prangen
Grüßt dich noch einmal aus des
Stromes Welle;
Was dir der Süden bot, an
dieser Stelle
Ist’s wie im Auszug dir
vorbeigegangen.
Amphitheater, Dom, Arkaden,
Plätze
Voll Marktgewühls und
ausgelaßner Schreier,
Ja ein Triumphtor selbst ward
nicht vergessen;
Der Mal- und Bildkunst
unerschöpfte Schätze,
Glutaugen, leuchtend unter
schwarzem Schleier,
Und jenes Giusti-Gartens
Prachtzypressen.
XII. – Riva
Tu adesso riposa, vil maledetto, che
sei venuto dall’ alta montagna per
venir qua giu abbasso a rompere il
disopra della porta senza diritto!
Ich stieg von Riva jenen Pfad
hinan,
Den breitgebahnten, nach dem
Ledrotale,
Durch den in Katarakten der
Ponale
Sich stürzt; und eh’ ich noch
die Schlucht gewann,
Fand ich ein Haus am Weg. Ein
Stück daran
War frisch gemauert über dem
Portale,
Daneben trug die alte Wand,
die kahle,
Die Kohleninschrift, die der
Zorn ersann:
„Du halt nun Ruh,
vermaledeiter Wicht,
Der du vom Hochgebirg zu
dieser Mauer
Kamst, wider Recht den
Türsturz einzubrechen!“
O Vater Shakespeare, dein
Kothurn ist nicht
Zu hoch für sie! Wo lernte
dieser Bauer
Wie deine Könige und Helden
sprechen?