1813 – 1863
Wenn zwei sich ineinander
still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken;
Dann müssen beide Welten sich
verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.
Was in dem Geist des Mannes,
ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden,
Als Schönstes dämmerte, das muß sich mischen;
Gott aber tut, die eben sich
entfaltet,
Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden
Hinzu, die unverkörperten und frischen.
1813 – 1863
Die Wurzelkraft im Menschen
treibt zum Eilen,
Sie strebt ins Weiteste aus allem Engen,
Sie will das Letzte schon ins Erste mengen,
Ihr bangt vor Raum und Zeit, die sie zerteilen.
Die Gegenkraft im Menschen
treibt zum Weilen,
Sie will ans Nächste sich auf ewig hängen,
Sie möchte die Entfaltung rückwärts drängen
Und jede Wunde meiden, statt zu heilen.
Aus dieser beiden Kräfte
Widerstreben
Entspringt in ewig wechselnder Gestaltung
Die unbegriffne Form des Seins: das Leben!
Und aus dem Seufzer, der den
Tod verkündet,
Wird im Moment vernichtender Erkaltung
Ein Hauch, der neu und frisch die Flamme zündet.
1813 – 1863
Die Weltgeschichte sucht aus
spröden Stoffen
Ein reines Bild der Menschheit zu gestalten,
Vor dem, die jetzt sich schrankenlos entfalten,
Die Individuen vergehn, die schroffen.
Die endliche Vollendung ist zu
hoffen,
Denn diese Künstlerin wird nie erkalten,
Auch sehen wir, wenn sich die Nebel spalten,
Schon manchen Zug des Bildes tief getroffen.
Doch wir, wie Kinder in der
Werkstatt harrend,
Wir haschen nach den abgesprungnen Stücken,
Die, wie sie schweigend meißelt, niederfallen;
Dann rufen wir, in Andacht
dumpf erstarrend,
Mit krummen Nacken und gebeugten Rücken:
Hier sind die Götter! Laßt den Weihrauch wallen!
1813 – 1863
Der Sonnen-Jüngling blickt zum
erstenmal
Hernieder auf die Erde mit Verlangen,
Er kehrt sich glühend ab in süßem Bangen,
Doch blüh’n schon Veilchen auf vor seinem Strahl.
Er blickt noch einmal, und zu
seiner Qual
Ist schnell die erste Lilie aufgegangen;
Beim drittenmal sieht er die Rose prangen,
Nun muß er rastlos blicken, ohne Wahl.
Und ach, je länger er sie nun
betrachtet,
Je größer wird in seiner Brust das Sehnen,
Weil sie sich immer lieblicher gestaltet.
Er aber, der sich neben ihr
verachtet,
Ahnt nicht in seinem Weh und seinen Tränen,
Daß all die Schönheit nur sein Blick entfaltet.
1813 – 1863
Du blinkst so hell und
glänzend aus dem Becher,
Als wäre jeder Strahl in dir zerronnen,
Woraus du einst die Feuerkraft gewonnen,
Die glühend jetzt entgegenschäumt dem Zecher.
Ich aber säume, reizender
Versprecher
Des Süßesten, und zähle all die Sonnen,
Die dich mit ihrem Netz von Licht umsponnen,
Bevor die Traube reif erschien dem Brecher.
Ich sehe ihn, von Nächten und
von Tagen
Den reichen Zug, die, längst hinabgesunken,
Dir scheidend all ihr Köstlichstes gegeben.
Da möcht' ich fast im Geist
vor dir verzagen,
Kaum an den Lippen, bist du ausgetrunken:
Wie zahle ich den Preis für so viel Leben?
1813 – 1863
Beim Weine sah ich einst zwei
Zecher sitzen;
Der eine rief: kein Tropfen wird vergossen,
Bevor sich das Geheimnis mir erschlossen,
Woher es kommt, dies Perlen und dies Blitzen!
Der andre sprach: er wird mein
Blut erhitzen,
Und daraus ist mir nie noch Heil entsprossen,
Wie wär' mir's, wenn ich nach dem Rausch verdrossen
Mich fände auf den schroffsten Felsenspitzen!
So saßen sie und grübelten
aufs beste,
Indes umsonst die Goldpokale lachten,
Zu ihres gütigen Bewirters Qualen;
Inzwischen kam ein Haufen
frischer Gäste,
Da sah’n sie sich vertrieben, eh' sie's dachten,
Und müssen nun mit ew'gem Durst bezahlen!
1813 – 1863
O glaube nicht, daß du durch
deine Sünde
Die Welt verwirrst! Wie du auch freveln mögest,
Und ob du Gott dein Ich auch ganz entzögest,
Du hinderst nicht, daß sie zum Kreis sich ründe!
Ja, ob du, in des innern
Abgrunds Schlünde
Hinuntertaumelnd, völlig dich betrögest
Und dich hinauf zur Götter-Freiheit lögest,
Doch trifft dich das Gericht, das ich verkünde!
Wir leben nur im Ewigen und
Wahren,
Und ihm entfliehen wollen, würde heißen,
In unsrer Brust den Odem anzuhalten;
Wir können's, doch es wird
sich offenbaren,
Daß wir das eigne Lebensband zerreißen
Und nichts dadurch im Äther umgestalten.
1813 – 1863
Ich kam in Ungarn durch ein
Tal gefahren,
Von leichten Rossen schnell dahingetragen,
Und hörte über mir die Lerche schlagen,
Die durch den Äther zog, den bläulich-klaren.
Bald aber mußte ich erstaunt
gewahren,
Daß sie zu mir hinabschoß in den Wagen,
Doch schien mir dies Vertraun zugleich ein Zagen
Vor einem andern Feind zu offenbaren.
Ich schaute auf und sah den
Habicht hangen,
Der nicht gewohnt ist, Schwache zu verschonen,
Sie hatte Schutz gesucht auf meinen Knien;
Ich aber dachte: daß das
kleinre Bangen
Der Mensch dir einflößt, soll sich dir belohnen,
Und ließ sie ungefangen wieder ziehen!
1813 – 1863
Wenn du verkörpert wärst zu einem
Leibe,
Mit allen deinen Satzungen und Rechten,
Die das Lebendig-Freie schamlos knechten,
Damit dem Toten diese Welt verbleibe;
Die gottverflucht in
höllischem Getreibe,
Die Sünden selbst erzeugen, die sie ächten,
Und auf das Rad den Reformator flechten,
Daß er die alten Ketten nicht zerreibe:
Da dürfte dir das schlimmste
deiner Glieder,
Keck, wie es wollte, in die Augen schauen,
Du müßtest ganz gewiß vor ihm erröten!
Der Räuber braucht die Faust
nur hin und wieder,
Der Mörder treibt sein Werk nicht ohne Grauen,
Du hast das Amt, zu rauben und zu töten.
1813 – 1863
Das Los der Götter ist auch
dir gefallen,
Denn du bist schön, du brauchst dich nur zu zeigen,
So wird sogar von Lippen, welche schweigen,
Wenn jeder jauchzt, dir Lob und Preis erschallen.
Denn, die als unerreichbar
vorschwebt allen,
Die Harmonie, ist deinem Wesen eigen,
Wie sollte dich, wo du erscheinst, ein Reigen
Von trunkenen Verehrern nicht umwallen!
Zwar werden wir's nur
schmerzlicher empfinden,
Wie viel uns mangelt, wenn wir auf dich schauen,
Allein du bist uns doch verwandt geblieben;
Drum dienst du, uns dem Höchsten
zu verbinden,
Wir stehen ihm nicht länger fern mit Grauen,
Es tritt uns nah' in dir, wir können's lieben!
1813 – 1863
Als höchstes Wunder, das der
Geist vollbrachte,
Preis ich die Sprache, die er, sonst verloren
In tiefste Einsamkeit, aus sich geboren,
Weil sie allein die andern möglich machte.
Ja, wenn ich sie in Grund und
Zweck betrachte,
So hat nur sie den schweren Fluch beschworen,
Dem er, zum dumpfen Einzelsein erkoren,
Erlegen wäre, eh' er noch erwachte.
Denn ist das unerforschte Eins
und Alles
In nie begriffnem Selbstzersplittrungs-Drange
Zu einer Welt von Punkten gleich zerstoben:
So wird durch sie, die jedes
Wesen-Balles
Geheimstes Sein erscheinen läßt im Klange,
Die Trennung völlig wieder aufgehoben!
1813 – 1863
Du liebst mich nicht! Wie
sollt' ich länger leben!
Die Hoffnung, endlich in dein Herz zu dringen,
Erhielt mich, doch es wird mir nie gelingen!
Ich fühl's, und dieses muß den Tor mir geben.
Er naht mir schon, ich seh'
ihn ohne Beben,
Er wird zurück mich zu der Mutter bringen;
Doch kann ich nicht den letzten Schmerz bezwingen,
Und mit mir selbst erst wird er ganz verschweben!
O, wär' ich, statt mit buntem
Staub umkleidet,
Als stummes Traumbild vor dich hingetreten,
Du hättest heiß das Dämmernde umschlossen!
Ich ward dir dadurch, daß ich
war, verleidet,
Du hättest sonst mich selbst von Gott erbeten,
Und ich in deinem Wunsch mein Glück genossen!
1813 – 1863
Wie sollten sich des Schönen
Priester hassen,
Wie sollten sie unedel sich bekriegen!
Ein jeder wird dem andern gern erliegen,
Das heißt, sich gern von ihm bewirten lassen!
Doch freilich werden sie das
Schwert erfassen,
Den Pfuscher, der den Thron der Kunst bestiegen
Und ihn schon dadurch schändet, zu besiegen,
Weil dem vor Zorn die Götter selbst erblassen
.
Was ist es dort? Ein
anmutsvolles Ringen,
Ob einer leisten solle, ob genießen,
Ob füllen oder leeren bloß die Schale.
Hier gilt's, den Pöbelfürsten
zu bezwingen,
Den schnöde Wächter in den Tempel ließen,
Damit er allen Musen Bärte male.