Christian Friedrich Hebbel    Das Heiligste

1813 – 1863

Wenn zwei sich ineinander still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken;

 

Dann müssen beide Welten sich verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.

 

Was in dem Geist des Mannes, ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden,
Als Schönstes dämmerte, das muß sich mischen;

 

Gott aber tut, die eben sich entfaltet,
Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden
Hinzu, die unverkörperten und frischen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Der Mensch

1813 – 1863

Die Wurzelkraft im Menschen treibt zum Eilen,
Sie strebt ins Weiteste aus allem Engen,
Sie will das Letzte schon ins Erste mengen,
Ihr bangt vor Raum und Zeit, die sie zerteilen.

 

Die Gegenkraft im Menschen treibt zum Weilen,
Sie will ans Nächste sich auf ewig hängen,
Sie möchte die Entfaltung rückwärts drängen
Und jede Wunde meiden, statt zu heilen.

 

Aus dieser beiden Kräfte Widerstreben
Entspringt in ewig wechselnder Gestaltung
Die unbegriffne Form des Seins: das Leben!

 

Und aus dem Seufzer, der den Tod verkündet,
Wird im Moment vernichtender Erkaltung
Ein Hauch, der neu und frisch die Flamme zündet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Der Mensch und die Geschichte

1813 – 1863

Die Weltgeschichte sucht aus spröden Stoffen
Ein reines Bild der Menschheit zu gestalten,
Vor dem, die jetzt sich schrankenlos entfalten,
Die Individuen vergehn, die schroffen.

 

Die endliche Vollendung ist zu hoffen,
Denn diese Künstlerin wird nie erkalten,
Auch sehen wir, wenn sich die Nebel spalten,
Schon manchen Zug des Bildes tief getroffen.

 

Doch wir, wie Kinder in der Werkstatt harrend,
Wir haschen nach den abgesprungnen Stücken,
Die, wie sie schweigend meißelt, niederfallen;

 

Dann rufen wir, in Andacht dumpf erstarrend,
Mit krummen Nacken und gebeugten Rücken:
Hier sind die Götter! Laßt den Weihrauch wallen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Der Sonnen-Jüngling

1813 – 1863

Der Sonnen-Jüngling blickt zum erstenmal
Hernieder auf die Erde mit Verlangen,
Er kehrt sich glühend ab in süßem Bangen,
Doch blüh’n schon Veilchen auf vor seinem Strahl.

 

Er blickt noch einmal, und zu seiner Qual
Ist schnell die erste Lilie aufgegangen;
Beim drittenmal sieht er die Rose prangen,
Nun muß er rastlos blicken, ohne Wahl.

 

Und ach, je länger er sie nun betrachtet,
Je größer wird in seiner Brust das Sehnen,
Weil sie sich immer lieblicher gestaltet.

 

Er aber, der sich neben ihr verachtet,
Ahnt nicht in seinem Weh und seinen Tränen,
Daß all die Schönheit nur sein Blick entfaltet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Der Wein

1813 – 1863

Du blinkst so hell und glänzend aus dem Becher,
Als wäre jeder Strahl in dir zerronnen,
Woraus du einst die Feuerkraft gewonnen,
Die glühend jetzt entgegenschäumt dem Zecher.

 

Ich aber säume, reizender Versprecher
Des Süßesten, und zähle all die Sonnen,
Die dich mit ihrem Netz von Licht umsponnen,
Bevor die Traube reif erschien dem Brecher.

 

Ich sehe ihn, von Nächten und von Tagen
Den reichen Zug, die, längst hinabgesunken,
Dir scheidend all ihr Köstlichstes gegeben.

 

Da möcht' ich fast im Geist vor dir verzagen,
Kaum an den Lippen, bist du ausgetrunken:
Wie zahle ich den Preis für so viel Leben?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die beiden Zecher

1813 – 1863

Beim Weine sah ich einst zwei Zecher sitzen;
Der eine rief: kein Tropfen wird vergossen,
Bevor sich das Geheimnis mir erschlossen,
Woher es kommt, dies Perlen und dies Blitzen!

 

Der andre sprach: er wird mein Blut erhitzen,
Und daraus ist mir nie noch Heil entsprossen,
Wie wär' mir's, wenn ich nach dem Rausch verdrossen
Mich fände auf den schroffsten Felsenspitzen!

 

So saßen sie und grübelten aufs beste,
Indes umsonst die Goldpokale lachten,
Zu ihres gütigen Bewirters Qualen;

 

Inzwischen kam ein Haufen frischer Gäste,
Da sah’n sie sich vertrieben, eh' sie's dachten,
Und müssen nun mit ew'gem Durst bezahlen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die Freiheit der Sünde

1813 – 1863

O glaube nicht, daß du durch deine Sünde
Die Welt verwirrst! Wie du auch freveln mögest,
Und ob du Gott dein Ich auch ganz entzögest,
Du hinderst nicht, daß sie zum Kreis sich ründe!

 

Ja, ob du, in des innern Abgrunds Schlünde
Hinuntertaumelnd, völlig dich betrögest
Und dich hinauf zur Götter-Freiheit lögest,
Doch trifft dich das Gericht, das ich verkünde!

 

Wir leben nur im Ewigen und Wahren,
Und ihm entfliehen wollen, würde heißen,
In unsrer Brust den Odem anzuhalten;

 

Wir können's, doch es wird sich offenbaren,
Daß wir das eigne Lebensband zerreißen
Und nichts dadurch im Äther umgestalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die Lerche

1813 – 1863

Ich kam in Ungarn durch ein Tal gefahren,
Von leichten Rossen schnell dahingetragen,
Und hörte über mir die Lerche schlagen,
Die durch den Äther zog, den bläulich-klaren.

 

Bald aber mußte ich erstaunt gewahren,
Daß sie zu mir hinabschoß in den Wagen,
Doch schien mir dies Vertraun zugleich ein Zagen
Vor einem andern Feind zu offenbaren.

 

Ich schaute auf und sah den Habicht hangen,
Der nicht gewohnt ist, Schwache zu verschonen,
Sie hatte Schutz gesucht auf meinen Knien;

 

Ich aber dachte: daß das kleinre Bangen
Der Mensch dir einflößt, soll sich dir belohnen,
Und ließ sie ungefangen wieder ziehen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die menschliche Gesellschaft

1813 – 1863

Wenn du verkörpert wärst zu einem Leibe,
Mit allen deinen Satzungen und Rechten,
Die das Lebendig-Freie schamlos knechten,
Damit dem Toten diese Welt verbleibe;

 

Die gottverflucht in höllischem Getreibe,
Die Sünden selbst erzeugen, die sie ächten,
Und auf das Rad den Reformator flechten,
Daß er die alten Ketten nicht zerreibe:

 

Da dürfte dir das schlimmste deiner Glieder,
Keck, wie es wollte, in die Augen schauen,
Du müßtest ganz gewiß vor ihm erröten!

 

Der Räuber braucht die Faust nur hin und wieder,
Der Mörder treibt sein Werk nicht ohne Grauen,
Du hast das Amt, zu rauben und zu töten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die Schönheit

1813 – 1863

Das Los der Götter ist auch dir gefallen,
Denn du bist schön, du brauchst dich nur zu zeigen,
So wird sogar von Lippen, welche schweigen,
Wenn jeder jauchzt, dir Lob und Preis erschallen.

 

Denn, die als unerreichbar vorschwebt allen,
Die Harmonie, ist deinem Wesen eigen,
Wie sollte dich, wo du erscheinst, ein Reigen
Von trunkenen Verehrern nicht umwallen!

 

Zwar werden wir's nur schmerzlicher empfinden,
Wie viel uns mangelt, wenn wir auf dich schauen,
Allein du bist uns doch verwandt geblieben;

 

Drum dienst du, uns dem Höchsten zu verbinden,
Wir stehen ihm nicht länger fern mit Grauen,
Es tritt uns nah' in dir, wir können's lieben!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die Sprache

1813 – 1863

Als höchstes Wunder, das der Geist vollbrachte,
Preis ich die Sprache, die er, sonst verloren
In tiefste Einsamkeit, aus sich geboren,
Weil sie allein die andern möglich machte.

 

Ja, wenn ich sie in Grund und Zweck betrachte,
So hat nur sie den schweren Fluch beschworen,
Dem er, zum dumpfen Einzelsein erkoren,
Erlegen wäre, eh' er noch erwachte.

 

Denn ist das unerforschte Eins und Alles
In nie begriffnem Selbstzersplittrungs-Drange
Zu einer Welt von Punkten gleich zerstoben:

 

So wird durch sie, die jedes Wesen-Balles
Geheimstes Sein erscheinen läßt im Klange,
Die Trennung völlig wieder aufgehoben!

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Die Verschmähte

1813 – 1863

Du liebst mich nicht! Wie sollt' ich länger leben!
Die Hoffnung, endlich in dein Herz zu dringen,
Erhielt mich, doch es wird mir nie gelingen!
Ich fühl's, und dieses muß den Tor mir geben.

 

Er naht mir schon, ich seh' ihn ohne Beben,
Er wird zurück mich zu der Mutter bringen;
Doch kann ich nicht den letzten Schmerz bezwingen,
Und mit mir selbst erst wird er ganz verschweben!

 

O, wär' ich, statt mit buntem Staub umkleidet,
Als stummes Traumbild vor dich hingetreten,
Du hättest heiß das Dämmernde umschlossen!

 

Ich ward dir dadurch, daß ich war, verleidet,
Du hättest sonst mich selbst von Gott erbeten,
Und ich in deinem Wunsch mein Glück genossen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Doppelter Krieg

1813 – 1863

Wie sollten sich des Schönen Priester hassen,
Wie sollten sie unedel sich bekriegen!
Ein jeder wird dem andern gern erliegen,
Das heißt, sich gern von ihm bewirten lassen!

 

Doch freilich werden sie das Schwert erfassen,
Den Pfuscher, der den Thron der Kunst bestiegen
Und ihn schon dadurch schändet, zu besiegen,
Weil dem vor Zorn die Götter selbst erblassen

.

Was ist es dort? Ein anmutsvolles Ringen,
Ob einer leisten solle, ob genießen,
Ob füllen oder leeren bloß die Schale.

 

Hier gilt's, den Pöbelfürsten zu bezwingen,
Den schnöde Wächter in den Tempel ließen,
Damit er allen Musen Bärte male.