Christian Friedrich Hebbel    Ein Bild

1813 – 1863

Im Morgenwinde sah ich Blumen wanken
Und sah, wie sie den Tau der goldnen Frühe,
Daß jede voller dufte, tiefer glühe,
Mit heißem Mund begierig in sich tranken.

 

Gesättigt sah ich bald die meisten schwanken,
Als glaubten sie, daß keine nun verblühe,
Die Rosen tranken fort mit süßer Mühe,
Bis ihre Kelche fast zur Erde sanken.

 

Die andern wiegten sich in Lustgefühlen,
Sie wollten eben lauten Spott erheben,
Da schoß die Sonne ihre Flammen-Pfeile.

 

Die Rosen löschten sie im Tau, dem kühlen,
Doch jenen drangen sie in Mark und Leben,
Man sah sie hingewelkt nach kurzer Weile.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Eine Mondnacht in Rom

1813 – 1863

Beim Dämmerlicht des Mondes schau' ich gerne
Der grauen Weltstadt bröckelnde Ruinen,
Die uns als Maß für ihre Größe dienen,
Woran der Mensch sich selber messen lerne;

Denn dieses Licht, das einem trüben Sterne
Entfließt, hat ihre Schlachten nie beschienen,
Nur die Gefallnen mit den ehrnen Mienen,
Umstanden von des Heeres bestem Kerne.

Jetzt trägt sie selbst, wie die, den Todesstempel,
Drum ziemt sich's, daß dasselbe Licht ihr leuchte,
Dann träumt vielleicht ein Dichter, daß die Sonnen

Erlöschen, wie Paläste hier und Tempel
Zusammenstürzen, und der oft verscheuchte
Vernichtungsengel jetzt den Sieg gewonnen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Im römischen Karneval

1813 – 1863

Einst bin ich unterm Maienbaum gelegen,
Und, wie ich lag, hat sich ein Wind erhoben!
Wie sind die Blüten da um mich gestoben!
Wie unermeßlich schien des Frühlings Segen!

 

Jetzt, deucht mir, seh' ich einen gleichen Regen,
Doch von Gestalten, Licht und Glut gewoben!
Als hätten sich die goldnen Sterne droben
Geschüttelt, welche alles Höchste pflegen.

 

Vom stillen Reizenden zum Blendend-Schönen,
Es fehlt kein Glied der holden Formenkette,
Und meinen Augen scheint sie nicht zu enden,

 

Drum reicht den Kranz, die Königin zu krönen,
Nicht mir; denn eh' ich sie gefunden hätte,
Wär' er gewiß verwelkt in meinen Händen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Juno Ludovisi.

1813 – 1863

Du lässest uns die Blüte alles Schönen
Und seines Werdens holdes Wunder sehen;
Die Stirn' ist streng, man sieht's in ihr entstehen,
Wo es noch ringen muß mit herben Tönen.

 

Die Wange will sich schon mit Anmut krönen,
Doch darf sie noch im Lächeln nicht zergehen,
Der Mund jedoch zerschmilzt in süßen Wehen,
Daß Ernst und Milde sich im Reiz versöhnen.

 

Erst keusches Leben, wurzelhaft gebunden,
Dann scheuer Vortraum von sich selbst, der leise
Hinüberführt zur wirklichen Entfaltung;

 

Und nun ist auch der Werdekampf verwunden,
Man sieht nicht Anfang mehr, noch Schluß im Kreise,
Und dieses ist der Gipfel der Gestaltung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Mann und Weib

1813 – 1863

Dem Weibe ist ein schönes Los beschieden,
Was sie auch hat, sie hat es ganz und immer,
Sie freut sich an des fernsten Sternes Schimmer,
Allein sie schließt sich ab in klarem Frieden.

 

Der Mann wird nie so sehr vom Glück gemieden,
Als er es meidet, denn er faßt es nimmer,
Gleichgültig, wird es besser, wird es schlimmer,
Er hört nicht auf, das Dasein umzuschmieden.

 

Ihr ist es, wie ein zugeworfner Faden,
Sie hält sich dran, und schaudert vor den Wogen,
Die unten dräun, und trinkt des Himmels Lüfte.

 

Er widersteht nicht, sich im Meer zu baden,
Und forscht, vom hellen Leben abgezogen,
Ob Gott sich nicht verbirgt im Schoß der Grüfte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Mein Päan

1813 – 1863

Ich möchte auch einmal von Freiheit singen,
Doch, ist der Drang auch groß, den ich verspüre,
Wer sagt mir, wie viel Odem ihm gebühre?
Mir deucht, zuvor muß ich den Flamberg schwingen.

 

Der Tag erst, wo um mich die Schwerter klingen,
Wo ich, so wie ich jetzt die Saiten rühre,
Mit eigner Faust mein gutes Eisen führe,
Der Tag erst wird die rechte Antwort bringen.

 

Auch dann noch fecht' ich still und stumm, gleich allen,
Die schweigend ihren Haß und Grimm getragen,
Doch endlich wird mein Glut die Erde färben.

 

Dann soll der Freiheit mein Päan erschallen,
Denn so viel Worte, glaub' ich, darf ich wagen,
Als Odem zwischen Fallen bleibt und Sterben.

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Mysterium

1813 – 1863

Oh, könnte ich den Faden doch gewinnen,
Der, mich mit Gott und der Natur verknüpfend,
Und, abgewickelt, das Geheimste lüpfend,
Verborgen sitzt im Geist und in den Sinnen!

 

Wie wollte ich ihn mutig rückwärts spinnen,
Bis er mir, endlich von der Spindel hüpfend,
Und in den Mittelpunkt hinüberschlüpfend,
Gezeigt, wie All und Ich in eins zerrinnen.

 

Nur fürchte ich, daß, wie ich selbst Gedanken,
Die gleich Kometen blitzten, schon erstickte,
Eh' ich verging in ihrem glühnden Lichte,

 

So auch das All ein Ich, das, seiner Schranken
Vergessen, an das Welten-Rätsel tickte,
Aus Notwehr, eh' es tiefer dringt, vernichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Rechtfertigung

1813 – 1863

Jüngst ward das Gold, das edle, hart gescholten,
Die andern Erden schmähten es und riefen:
Wir sind's, in denen Baum und Blume schliefen,
Die jegliches Geschöpf erquicken sollten;

 

Wenn dich auch alle Sonnen küssen wollten,
Die jemals um das ew'ge Zentrum liefen,
Sie weckten nichts in deines Schoßes Tiefen,
Drum hast du uns auch stets für nichts gegolten!

 

Nun sprach das Gold: ich bin das längst gewesen,
Was ihr jetzt seid, und wenn euch so viel Lenze,
Wie mir, entkeimten, werdet ihr mir gleichen;

 

Von mir sind keine Früchte mehr zu lesen,
Weil ich schon frei im eignen Dasein glänze,
Drum blüht und duftet fort, mich zu erreichen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Schönheitsprobe

1813 – 1863

Wie läßt die echte Schönheit sich erproben?
Wohl einzig an dem selbstbewußten Frieden,
Der sie umfließt, weil sie sich wie geschieden
Von allen Kämpfen fühlt, die sie umtoben.

 

Ihr steht er, wie ein Sternenkranz von oben,
Den, da sie ganz den innern Zwist gemieden,
Der alles übrige verwirrt hienieden,
Die ew'ge Mutter selbst für sie gewoben.

 

Doch wehe ihren Afterschwestern allen,
Die ihr nicht gleichen und sich selber krönen,
Weil Faun und Satyr ihnen Beifall zollen!

 

Sie können nur, wenn sie sich nicht gefallen,
Mit ihrem halben Dasein uns versöhnen,
Nur, wenn sie zeigen, daß sie weiter wollen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel       Unsere Zeit

1813 – 1863

Es ist die Zeit des stummen Weltgerichts;
In Wasserfluten nicht und nicht in Flammen:
Die Form der Welt bricht in sich selbst zusammen,
Und dämmernd tritt die neue aus dem Nichts.

 

Der Dichter zeigt im Spiegel des Gedichts,
Wie Tag und Nacht im Morgenrot verschwammen,
Doch wird er nicht beschwören, nicht verdammen,
Der keusche Priester am Altar des Lichts.

 

Er soll mit reiner Hand des Lebens pflegen,
Und, wie er für des Frühlings erste Blüte
Ein Auge hat und sie mit Liebe bricht:

 

So darf er auch des Herbstes letzten Segen
Nicht übersehn, und die zu spät erglühte
Nicht kalt verschmähen, wenn den Kranz er flicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Vollendung

1813 – 1863

Von einer Wunderblume laßt mich träumen!
Der Tag verschwendet seine reichsten Strahlen,
In aller Farben Glut sie auszumalen;
Die Nacht versucht, mit Perlen sie zu säumen.

 

Bald wird das Leben in ihr überschäumen,
Und brennend, die Gestirne zu bezahlen,
Verströmt sie aus der Kelche Opferschalen
Den flammenheißen Duft nach allen Räumen.

 

Doch, daß einmal das Schönste sich vollende,
Verschließt der Himmel seine durstgen Lippen
Vor ihrem Opfer, und es senkt sich wieder.

 

Wie sie den Duft in jede Ferne sende,
Nicht Mond, noch Sonne, nicht ein Stern darf nippen,
Er wird zu Tau und sinkt auf sie hernieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Welt und Ich

1813 – 1863

Im großen ungeheuren Ozeane
Willst du, der Tropfe, dich in dich verschließen?
So wirst du nie zur Perl' zusammenschießen,
Wie dich auch Fluten schütteln und Orkane!

 

Nein! öffne deine innersten Organe
Und mische dich im Leiden und Genießen
Mit allen Strömen, die vorüberfließen;
Dann dienst du dir und dienst dem höchsten Plane.

 

Und fürchte nicht, so in die Welt versunken,
Dich selbst und dein Ur-Eignes zu verlieren:
Der Weg zu dir führt eben durch das Ganze!

 

Erst, wenn du kühn von jedem Wein getrunken,
Wirst du die Kraft im tiefsten Innern spüren,
Die jedem Sturm zu stehn vermag im Tanze!

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Kleist

1813 – 1863

Er war ein Dichter und ein Mann, wie Einer,

Er brauchte selbst dem Höchsten nicht zu weichen,

An Kraft sind Wenige ihm zu vergleichen,

An unerhörtem Unglück, glaub ich Keiner.

 

Er stieg empor, die Welt ward klein und kleiner,

Und auf der Höhe, die wir nicht durch Schleichen,

Die wir nur fliegend, oder nie nie erreichen,

Ward über ihm der Äther immer reiner.

 

Doch, als er nun die Welt nicht mehr erblickte,

Da hatte sie ihn längst nicht mehr gesehen

Und frech ihm selbst das Dasein abgesprochen!

 

Nun mußt’ er darben, wie er einst erstickte,

Ihm blieb nichts übrig, als zurück zu gehen,

Doch lieber hat er seine Form zerbrochen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Ein Gebet

1813 – 1863

Sie hielt mich fest und inniglich umfangen,

Sie freute sich und nannte sich beglückt,

Dann hat sie stumm zum Himmel aufgeblickt,

Da faßte mich ein seltsames Verlangen.

 

Sie war mir rein und göttlich aufgegangen,

Sie schien dem Kreis des Lebens still entrückt,

Und menschlich weinend, aber doch entzückt,

Als sanfte Mittlerin des Herrn zu prangen.

 

Ich sagte: bitt fürmich in dieser Stunde!

Da fühlte ich mich glühender umwunden

Und heiß, wie nie, geküßt von ihrem Munde,

 

Indes ihr Auge himmlisch sich verklärte,

Und, was sie betete und Gott gewährte,

Das hab ich tief an ihrem Kuß empfunden!

 

 

 

 

 

 

 

Christian Friedrich Hebbel    Das höchste Gesetz

1813 – 1863

Zwei Pole sinds, die hin und wieder stoßen,

Und gleich dem Pendel, dessen ewges Schweben

Nie ruht im Schwerpunkt, schwankt und schweift das Leben

Von dem zu dem im kleinen wie im großen.

 

Und magst du, wenn dein Blick noch an der bloßen

Erscheinung haftet, dumpf entgegenstreben,

Bals schaust du tiefer in der Kräfte Weben,

Und das Gesetz wird dich nicht mehr erboßen.

 

Die sanfte Linie der Unterscheidung,

Der holde Keim verborgner Möglichkeiten:

Das Dasein war nicht anders zu erkaufen.

 

Bewegung ist die einzige Umkleidung

Der innern Lücke; sollte es nicht schreiten,

So mußt es stockend in sich selbst verlaufen.