Georg Herwegh                     Sonett

1817 – 1875                                        1839 – 1840

 

Ich habe nie mein Elend mir vergoldet,

Stets seine Dolche schärfer noch gespitzt

Und blutig, blutig auf mein Herz geritzt;

Ich habe nie den Reim als Arzt besoldet.

 

O, daß ihr endlich es mir glauben wollet,

Wie tief der Tod mir in der Seele sitzt,

Wenn es in meinem Liede flammt und blitzt –

Ihr reichet mir die Hand, statt daß ihr grollet!

 

Ihr wisset ja: Gewitter machen kalt;

So werd’ ich denn vor meinem Winter alt –

Was griff ich auch so frühe in die Saiten?

 

Allein – kein Menschenleben braucht’s zum Glück!

Ich fühle oft, es ist ein Augenblick,

In dem wir uns die Ewigkeit erstreiten.

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh                     1841. 1843.

1817 – 1875

Die Lust war groß, drum ist das Leid unsäglich;
Ganz Deutschland sprang begeistert auf vom Sitze
Und grüßte träumend seiner Schwerter Spitze:
Das Wort klang prächtig, doch die Tat blieb kläglich.

Was bargen jene Wolken, die sich täglich
Zu Wettern ballten bei der jähen Hitze?
Für Knaben windige Theaterblitze -
Pfui! die Komödie wird unerträglich.

Von alten Heiligen ein kleines Rudel -

Und darum die Berliner gar so kindisch?
Und darum so viel Wochenblattsgesudel?

Ein bißchen Griechisch und ein bißchen Indisch -
O schöner Kern von einem solchen Pudel! -
Ich dacht' es gleich; er wedelte so hündisch.

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh                     Sonett II

1817 – 1875

Ja, ich bekenn's, die Stimme Gottes ist
Des Volkes Stimme! und wer ihr vertraut,
Der hat sein Haus auf Felsen sich gebaut,
Indes der Zorn des Herrn die Frevler frißt.

 

Dem Sänger Heil, der ihrer nie vergißt,
Dem nur des Volkes Schmerz vom Auge taut,
Der nicht im eignen Jammer sich beschaut
Und selbstgefällig seine Sünden mißt!

Doch sollt' er drum nur  W a f f e n t r ä g e r  sein,

Der  d i e n e n d  hinter seinem Heere steht
Und, wenn es not tut, reicht ein Schwert hinein.

Der nicht  v o r a n  ein Feuerzeichen, geht,
Und  S e h e r  ist wie sonst? Ich rufe: Nein!
Und dreimal: Nein! und stimme für  P r o p h e t !

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh                     Abends

1817 – 1875

Du siehst den Himmel sich mit Purpur schmücken,

Doch alsbald, wie herauf die Sterne steigen,

Sich hinterm Berg hinab den Purpur neigen,

Denn er verschmäht’s, mit ihnen sich zu sticken.

 

Soll ich das Herz mit seinem Haupte flicken? –

Wenn abends stolz sich die Gedanken zeigen,

Dann wird das Herz, krank, müd und todwundt, schweigen,

Sein flammend Mal entziehn den Zweifelblicken.

 

Nacht ist’s, ob tausend Stern am Himmel stehen,

nacht, trotz des Hauptes blitzenden Gedanken,

Tag, wenn vorm Frühlicht beide erst vergehen,

 

Wenn in des Morgens Purpur sie ertranken,

Das Herz läßt seine roten Fahnen wehen

Und in ihm unter die Gedanken sanken.

 

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh                     Aus der Schweiz

1817 – 1875

                                                               Ich habe nun ein freies Land gefunden;

Doch nirgends wird auf Rosen uns gebettet,

Und ist der Leib nicht eben angekettet,

Bleibt ewig uns die Seele doch gebunden.

 

Ich fühl es heiß in meinen schönsten Stunden:

Eit mein grollend Herz zu viel verwettet,

Ich habe nur die Liebe mir gerettet,

Der Haß ist an der Grenze längst entschwunden.

 

O tretet ein in diesen kleinen Erker,

Ihr alle, die noch unversöhnt geblieben,

Und lernet wieder eure Heimat lieben.

 

Hier schmacht ich wie Kolumbus in dem Kerker,

Ich habe hundert Segel vor den Blicken

Und muß die Lust zum Steuern wohl ersticken!

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh

1817 – 1875

                                                               Dem Glanz der Throne bin ich wohl entronnen,

Und niemand sucht mich in den Schmeichlerchören,

Der bunte Tand, er kann mich nicht betören,

Um keine kreis ich eurer Tagessonnen.

 

Doch hab ich wenig oder nichts gewonnen:

Nur allen kann die Freiheit angehören,

Die ganze Welt muß sich mit dir empören –

Sonst hast du nur ein eitles Werk gesponnen.

 

Ich fühl es tief: ich bin kein freier Mann!

Und ob ich keines Fürsten Joch mehr schleppe,

So bleibt doch jeder Sklave mein Tyrann.

 

Ich flieh umsonst Palast und Marmortreppe,

Und alls, was ich mir erobern kann,

Ist Einsamkeit in dieser Menschensteppe.

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh

1817 – 1875

Der Freiheit Priester, der Vasall des Schönen,

So wird der Dichter in die Welt gesandt;

Ein Troubadour zieh er von Land zu Land,

Das Herrlichste mit seinem Lied zu krönen.

 

Die Heldentat gewinn in seinen Tönen

Für alle Zeiten sicheren Bestand,

Den eignen Kummer schreib er in den Sand,

des eignen Herzens mög er sich entwöhnen.

 

Ein Gärtner, dem der Garten nur gegeben,

Für fremde Busen Blumen draus zu pflücken,

Ein Winzer, der für Frembe baut die Reben –

 

Sei all sein Trost, nur andre zu beglücken;

Dem armen Taucher gleich, wag er das Leben,

Mit seltnen Perlen seine Zeit zu schmücken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh                     Unseren Künstlern

1817 – 1875

I. Bei einem Gemälde von Cornelius.

 

Die Zeit ist die Madonna der Poeten,

Die Mater dolorosa, die gebären

Den Heiland soll. Drum halt die Zeit in Ehren:

Du kannst nichts Höheres, denn sie, vertreten.

 

Hat deine Zeit einmal nicht Luft zum Beten,

Du wirst sie keines Besseren belehren!

Warum die Augen ewig rückwärts kehren?

Im eigenen Jahrhundert dich verspäten?

 

Ich achte all dies strahlende Gelichter

Und deinen ganzen Himmel nicht sehr teuer,

Obschon du höflichst drein gesetzt den Dichter.

 

Nimm einen Lorbeer für die Ungeheuer

Und für die kolossalen Bösewichter,

Doch deine Heiligen – die wirf ins Feuer!

 

 

 

II.

 

Die Blume überwuchern unsre saaten,

Drum fehlet uns ein Held von echtem Korne,

Der tief getrunken aus der Mannheit Borne

Und helfen kann, wo Tausende nur raten;

 

Der sich versteht auf hohe freie Taten,

Des Auge flammt in hellem Liebeszorne,

Der die Tyrannen peitschet mit dem Dorne

Von jeder Rose, so sie uns zertraten.

 

Ein Held, des Worte leuchten in die Runde,

Der unsres Vaterlands zersprengte Teile

Zusammenzaubern kann zu neuem Bunde;

 

Ein Held, der, wo die Not erheischet Eile,

Die Waffen in der Hand trägt, statt im Munde,

Zum Schwert greift, statt nach Pinsel oder Feile.

 

 

 

 

 

 

Georg Herwegh

1817 – 1875

O heiß mich nicht von deinem Antlitz fliehn,                                                   

Auf dem der Liebe heilige Gedanken

Gleich goldnen Sternen auf- und niederschwanken,

Die still und furchenlos am Himmel ziehn!

 

Hier ist mein Tempel und hier will ich knie’n,

Um diesen Altar meine Arme ranken,

In diesen Armen meinen meinen Göttern danken,

Daß sie mir ihre Seligkeit verlieh’n!

 

Bist du, mein Herz, selbst wider dich im Bunde?

Was soll der volle schäumende Pokal,

Was die Unendlichkeit dem Mann der Stunde?

 

Begehre nicht die Herrlichkeit zumal!

Bitt’ um Ein Wort nur aus dem lieben Munde,

Ein halbes Lächeln, Einen Sonnenstrahl!