1830 – 1914
Ich gab dir keinen Schwur, dir
zu gehören,
Weil um das Wort Dämonen uns
beneiden.
Die Seelen, die wir so in
Leiber kleiden,
Die stumme Brut der Nacht will
sie zerstören.
Den Machtspruch alles seins –
wer kann ihn hören?
Schwur sich die Nacht den
Sternen zu mit Eiden?
Wird je die Nachtigall vom
Frühling scheiden?
Nur was man brechen kann, mag
man beschwören.
Natur verlobt’ uns, die mit
ew’gem Triebe,
Was seelenvoll erschaffen ist
auf Erden,
In Sehnsucht zwingt sein andres
Ich zu suchen.
Und will Natur je scheiden
diese Liebe,
Muß sie meineidig an sich
selber werden
Und, was sie eingesegnet,
selbst verfluchen.
1830 – 1914
I.
Kein Baum mit Lichtern, keine
Weihnachtsgaben.
Wir sitzen uns genüber bang
und stumm,
Und jedes weiß, und keines
sagt, warum:
Drei Kinder in der Ferne, drei
begraben.
Wir werden stille Feiertage
haben,
Trotz Glockenläuten, frohem
Festgesumm.
Denn immer geistet bleich um
uns herum
Das Schmerzensantlitz unsres
lieben Knaben.
Nun wohl! So werd’ auch dies
noch ausgestanden,
Geschlürft im Jammerkelch der
herben Tropfen!
Noch Bittreres ist schwerlich
mehr vorhanden.
Es wäre denn der Blutsquell
nicht zu stopfen,
Und von zwei Herzen, fest in
Liebesbanden,
Hörte das eine vorschnell auf
zu klopfen.
II.
Ich hatt einmal gar treffliche
Talente:
Goldsterne schnitzeln und die
Lichter zünden
Am Weihnachtsbaum und mit der
Glocke künden,
Daß man die Tür nun endlich
stürmen könnte.
Ich wußt’ auch, wie man
Festungen berennte,
Um nach dem Sieg in
bombenfesten Gründen
Die Honigkuchenmunition zu
finden
Mit einem
Bleisoldatenregimente.
Ich hatt’ auch einen guten
Kameraden –
Als wär’s ein Stück von mir,
ein großes Stück!
Wir fochten manchen lust’gen Strauß
selbander.
Den wird hinfort kein
Weihnachtsglöckcken laden;
Nie stürzt er mehr ins Zimmer,
rot von Glück,
Und schlägt die Händchen
jauchzend ineinander.
III.
Und doch, ein Christfest war
auch uns beschieden;
Kein nordisch lust’ger Tannenbaum,
statt dessen
Ein ganzer Hain hochragender
Zypressen
Am Fuß der stillsten aller
Pyramiden.
Wir gingen langsam durch den
Todesfrieden
Und lasen alte Namen, meist
vergessen,
Von Kämpfern, die schon lang
die Bahn durchmessen
Und narbenvoll aus dem
Getümmel schieden.
Herüber sah von fern durch
grauen Duft
Das Kapitol, ein Riesenhaupt,
ergraut,
Weil es Geburt und Tod muß
überdauern.
Zwei Veilchen pflücktest du
von einer Gruft
Und brachst in Tränen aus, als
plötzlich laut
Die Vögel sangen auf den Gartenmauern.
1830 – 1914
Und da ich, mein Sorrent, nun
scheiden muß,
Noch stets zu früh nach so
viel Wonnetagen,
Laß dir den Dank, mein
vielgeliebtes, sagen
Für meines Gastrechts
herrlichen Genuß.
Der Wanderer, den sein unstät hast’ger
Fuß
Durch Thermen, Tempel und
Museen getragen,
Er wird, was mir vergönnt
ward, nie erjagen,
Nie ganz verstehn Italiens
Genius.
Ich aber durft’ in dieses
Volkes Mitte
Belauschen seines Herzens
freien Schlag,
Nicht eingeschränkt durch
heuchlerische Sitte,
Daß offen seine Seele vormir
lag,
Wie eines Freunds, und jetzt
mit herbem Schnitte
Der Abschied ein Stück Herz
mich kosten mag.
1830 – 1914
So
kürzt die Liebe sich die kurze Zeit
Mit Fragen,
die doch nichts nach Antwort fragen,
Und
halbgestammelt will sie Antwort sagen
Auf
Fragen, die verstummt vor Seligkeit.
Denn
Blick und Kuß und Rede sind im Streit,
Und
keines will des Vorrechts sich entschlagen,
Die
liebesbotschaft hin und her zu tragen,
Und
kein Vergleich besänftigt ihren Neid.
Kaum
daß sich glühend Mund an Mund gerissen,
Zwingt
sie der Augen Eifersucht zum Scheiden;
Wie
könnten Worte da zu Worte kommen!
Die
Herzen haben auch den Zwist vernommen
Und
lächeln, da sie längst die Botschaft wissen,
Um die
so eifrig jene sich beneiden.
1830 – 1914
Hinab,
hinab! Schon harrt der finstre Kahn,
Mich
von des Lebens Ufern zu entführen.
O
Mutter, deiner Scheideblicke schnüren
Mein
Herz zusammen – dennoch sei’s gethan!
Was
siehst du, Charon, mich so schaurig an?
Nicht
will ich deinen Grimm mit Seufzern schüren,
Fahr
zu! Doch eh wir jenen Strand berühren,
Wird
mein geliebter Freund dem Flusse nahn.
Er
kommt, als lock’ es ihn zu kühlem bad;
Du siehst
ihn, und der Reiz der schönen Glieder
Zieht
dich zurück den kaum durchmessnen Pfad.
Du
winkst ihm freundlich in den Nachen nieder,
Er
scheint bereit – da spring’ ich ans Gestad,
Und
Romeo und die Sonne küßt mich wieder!
1830 – 1914
O
lieblich war die Zeit, da wir sie hatten,
Holdselig
wie der Hauch der Morgenröthe!
Wie
junge Lerchen silbernes Geflöte
Scheucht’
ihre Stimme dieses Lebens Schatten.
Und so
wie Dämmrung lagert auf den Matten,
Umgab
Geheimnis sie. Den Reiz erhöhte
Ein
stiller Gram um jugendliche Röthe,
Und
auch ihr Leid kam unsrer Lust zu Statten.
Nun
schwand sie weg. Die Schleier sind gefallen,
Der
grelle Tag sieht stumm in mein Gemach,
Der
Abend naht, mit ihm die Nachtigallen.
Umsonst!
Und ahmte selbst die Muse nach
der
lieben Stimme Klang – ach, in uns Allen
Bleibt
eine Sehnsucht nach der Lerche wach.