Paul Heyse                              Verlöbnis

1830 – 1914

Ich gab dir keinen Schwur, dir zu gehören,

Weil um das Wort Dämonen uns beneiden.

Die Seelen, die wir so in Leiber kleiden,

Die stumme Brut der Nacht will sie zerstören.

 

Den Machtspruch alles seins – wer kann ihn hören?

Schwur sich die Nacht den Sternen zu mit Eiden?

Wird je die Nachtigall vom Frühling scheiden?

Nur was man brechen kann, mag man beschwören.

 

Natur verlobt’ uns, die mit ew’gem Triebe,

Was seelenvoll erschaffen ist auf Erden,

In Sehnsucht zwingt sein andres Ich zu suchen.

 

Und will Natur je scheiden diese Liebe,

Muß sie meineidig an sich selber werden

Und, was sie eingesegnet, selbst verfluchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Heyse                              Weihnachten in Rom

1830 – 1914

I.

 

Kein Baum mit Lichtern, keine Weihnachtsgaben.

Wir sitzen uns genüber bang und stumm,

Und jedes weiß, und keines sagt, warum:

Drei Kinder in der Ferne, drei begraben.

 

Wir werden stille Feiertage haben,

Trotz Glockenläuten, frohem Festgesumm.

Denn immer geistet bleich um uns herum

Das Schmerzensantlitz unsres lieben Knaben.

 

Nun wohl! So werd’ auch dies noch ausgestanden,

Geschlürft im Jammerkelch der herben Tropfen!

Noch Bittreres ist schwerlich mehr vorhanden.

 

Es wäre denn der Blutsquell nicht zu stopfen,

Und von zwei Herzen, fest in Liebesbanden,

Hörte das eine vorschnell auf zu klopfen.

 

 

II.

 

Ich hatt einmal gar treffliche Talente:

Goldsterne schnitzeln und die Lichter zünden

Am Weihnachtsbaum und mit der Glocke künden,

Daß man die Tür nun endlich stürmen könnte.

 

Ich wußt’ auch, wie man Festungen berennte,

Um nach dem Sieg in bombenfesten Gründen

Die Honigkuchenmunition zu finden

Mit einem Bleisoldatenregimente.

 

Ich hatt’ auch einen guten Kameraden –

Als wär’s ein Stück von mir, ein großes Stück!

Wir fochten manchen lust’gen Strauß selbander.

 

Den wird hinfort kein Weihnachtsglöckcken laden;

Nie stürzt er mehr ins Zimmer, rot von Glück,

Und schlägt die Händchen jauchzend ineinander.

 

 

III.

 

Und doch, ein Christfest war auch uns beschieden;

Kein nordisch lust’ger Tannenbaum, statt dessen

Ein ganzer Hain hochragender Zypressen

Am Fuß der stillsten aller Pyramiden.

 

Wir gingen langsam durch den Todesfrieden

Und lasen alte Namen, meist vergessen,

Von Kämpfern, die schon lang die Bahn durchmessen

Und narbenvoll aus dem Getümmel schieden.

 

Herüber sah von fern durch grauen Duft

Das Kapitol, ein Riesenhaupt, ergraut,

Weil es Geburt und Tod muß überdauern.

 

Zwei Veilchen pflücktest du von einer Gruft

Und brachst in Tränen aus, als plötzlich laut

Die Vögel sangen auf den Gartenmauern.

 

 

 

 

 

 

Paul Heyse                              Abschied

1830 – 1914

Und da ich, mein Sorrent, nun scheiden muß,

Noch stets zu früh nach so viel Wonnetagen,

Laß dir den Dank, mein vielgeliebtes, sagen

Für meines Gastrechts herrlichen Genuß.

 

Der Wanderer, den sein unstät hast’ger Fuß

Durch Thermen, Tempel und Museen getragen,

Er wird, was mir vergönnt ward, nie erjagen,

Nie ganz verstehn Italiens Genius.

 

Ich aber durft’ in dieses Volkes Mitte

Belauschen seines Herzens freien Schlag,

Nicht eingeschränkt durch heuchlerische Sitte,

 

Daß offen seine Seele vormir lag,

Wie eines Freunds, und jetzt mit herbem Schnitte

Der Abschied ein Stück Herz mich kosten mag.

 

 

 

 

Paul Heyse                              Wettstreit

1830 – 1914

So kürzt die Liebe sich die kurze Zeit

Mit Fragen, die doch nichts nach Antwort fragen,

Und halbgestammelt will sie Antwort sagen

Auf Fragen, die verstummt vor Seligkeit.

 

Denn Blick und Kuß und Rede sind im Streit,

Und keines will des Vorrechts sich entschlagen,

Die liebesbotschaft hin und her zu tragen,

Und kein Vergleich besänftigt ihren Neid.

 

Kaum daß sich glühend Mund an Mund gerissen,

Zwingt sie der Augen Eifersucht zum Scheiden;

Wie könnten Worte da zu Worte kommen!

 

Die Herzen haben auch den Zwist vernommen

Und lächeln, da sie längst die Botschaft wissen,

Um die so eifrig jene sich beneiden.

 

 

 

Paul Heyse                              Julia’s Abschied

1830 – 1914

Hinab, hinab! Schon harrt der finstre Kahn,

Mich von des Lebens Ufern zu entführen.

O Mutter, deiner Scheideblicke schnüren

Mein Herz zusammen – dennoch sei’s gethan!

 

Was siehst du, Charon, mich so schaurig an?

Nicht will ich deinen Grimm mit Seufzern schüren,

Fahr zu! Doch eh wir jenen Strand berühren,

Wird mein geliebter Freund dem Flusse nahn.

 

Er kommt, als lock’ es ihn zu kühlem bad;

Du siehst ihn, und der Reiz der schönen Glieder

Zieht dich zurück den kaum durchmessnen Pfad.

 

Du winkst ihm freundlich in den Nachen nieder,

Er scheint bereit – da spring’ ich ans Gestad,

Und Romeo und die Sonne küßt mich wieder!

 

 

 

 

Paul Heyse                              Carlotta

1830 – 1914

O lieblich war die Zeit, da wir sie hatten,

Holdselig wie der Hauch der Morgenröthe!

Wie junge Lerchen silbernes Geflöte

Scheucht’ ihre Stimme dieses Lebens Schatten.

 

Und so wie Dämmrung lagert auf den Matten,

Umgab Geheimnis sie. Den Reiz erhöhte

Ein stiller Gram um jugendliche Röthe,

Und auch ihr Leid kam unsrer Lust zu Statten.

 

Nun schwand sie weg. Die Schleier sind gefallen,

Der grelle Tag sieht stumm in mein Gemach,

Der Abend naht, mit ihm die Nachtigallen.

 

Umsonst! Und ahmte selbst die Muse nach

der lieben Stimme Klang – ach, in uns Allen

Bleibt eine Sehnsucht nach der Lerche wach.