Hugo von Hofmannsthal            Sonett der Welt

1874-1929

Unser Leiden, unsre Wonnen

Spiegelt uns die Allnatur,

Ewig gilt es unsrer Spur,

Alles wird zum Gleichnisbronnen:

 

Erstes Grün der frischen Flur,

Mahnst an Neigung zart begonnen,

Heißes Sengen reifer Sonnen,

Bist der Liebe Abglanz nur!

 

Schlingt sich um den Baum die Winde,

Denken wir an uns aufs neue,

Sehnen uns nach einer Treue,

 

Die uns fest und zärtlich binde...

Und wir fühlen uns verwandt,

Wie wir unser Bild erkannt.

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Sonett der Seele

1874-1929

Willensdrang von tausend Wesen

Wogt in uns vereint, verklärt:

Feuer loht und Rebe gärt

Und sie locken uns zum Bösen.

 

Tiergewalten, kampfbewährt,

Herrengaben, auserlesen,

Eignen uns und wir verwesen

Einer Welt ererbten Wert.

 

wenn wir unsrer Seele lauschen,

Hören wirs wie Eisen klirren,

Rätselhafte Quellen rauschen,

 

Stille Vogelflüge schwirren...

Und wir fühlen uns verwandt

Weltenkräften unerkannt.

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Mein Garten

1874-1929

Schön ist mein Garten mit den goldnen Bäumen,

Den Blättern, die mit Silbersäuseln zittern,

Dem Diamantentau, den Wappengittern,

Dem Klang des Gong, bei dem die Löwen träumen,

 

Die ehernen, und den Topasmäandern

Und der Voliere, wo die Reiher blinken,

Die niemals aus dem Silberbrunnen trinken...

So schön, ich sehn mich kaum nach jenem andern,

 

Dem andern Garten, wo ich früher war.

Ich weiß nicht wo ... Ich rieche nur den Tau,

Den Tau, der früh an meinen Haaren hing,

 

Den Duft der Erde weiß ich, feucht und lau,

Wenn ich die weichen Beeren suchen ging...

In jenem Garten, wo ich früher war...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Die Beiden

1874-1929

Sie trug den Becher in der Hand
- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

 

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

 

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:


Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Epigonen

1874-1929

Und richtend wird es euch entgegendröhnen:

„Verfluchte Schar von Gegenwartsverächtern!

Gewandelt seid ihr zwischen den Geschlechtern,

Den Vätern fremd und fremd den eignen Söhnen;

 

Ihr schwanket kläglich zwischen den Verfechtern

Von neuen Farben, neuen eignen Tönen,

Von neuem Zweifeln, Suchen, Lachen, Stöhnen

Und zwischen des Ererbten starren Wächtern.

 

In Unverstehen seid ihr hingegangen

Durch aller Stürme heilig großes Grauen,

Durch aller Farben glühend starkes Prangen

 

In taubem Hören und in blindem Schauen:

all-Eines ist der Anfang und das Ende,

Und wo du stehst, dort ist die Zeitenwende!“

 

 

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Frage

1874-1929

Merkst du denn nicht, wie meine Lippen beben?

Kannst du nicht lesen diese bleichen Züge,

Nicht fühlen, daß mein Lächeln Qual und Lüge,

Wenn meine Blick forschend dich umschweben?

 

Sehnst du dich nicht nach einem Hauch von Leben,

Nach einem heißen Arm, dich fortzutragen

Aus diesem Sumpf von öden, leeren Tagen,

Um den die bleichen, irren Lichter weben?

 

So las ich falsch in deinem Aug, dem tiefen?

Kein heimlich Sehnen sah ich heiß dort funkeln?

Es birgt zu deiner Seele keine Pforte

 

Dein feuchter Blick? Die Wünsche, die dort schliefen,

Wie stille Rosen in der Flut, der dunkeln,

Sind, wie dein Plaudern: seellos ... Worte, Worte?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Was ist die Welt?

1874-1929

Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht,

Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht,

Daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht,

Daraus der Laut der Liebe zu uns spricht

 

Und jedes Menschen wechselndes Gemüt,

Ein Strahl ist’s, der aus dieser Sonne bricht,

Ein Vers, der sich an tausend andre flicht,

Der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht.

 

Und doch auch eine Welt für sich allein,

Voll süß-geheimer, nie vernommner Töne,

Begabt mit eigner, unentweihter Schöne,

 

Und keines Andern Nachhall, Widerschein.

Und wenn du gar zu lesen drin verstündest,

Ein Buch, das du im leben nicht ergründest.

 

 

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal            Zukunftsmusik

1874-1929

Heiligen Mitleids rauschende wellen,

Klingend an jegliches Herze sie schlagen;

Worte sind Formeln. die könnens nicht sagen,

Können nicht fassen die Geister, die hellen.

 

Frei sind die Seelen, zu jubeln, zu klagen,

Ahnungen dämmern und Kräfte erschwellen:

Töne den Tönen sich zaubrisch gesellen:

Gilt es dem Heute, den kommenden Tagen?

 

Wer will es deuten, - ein gärendes Wühlen,

Regellos göttlich, - wer will erlauschen

Heldenhaft höchstes und heißestes Fühlen,

 

Feuerlodern und Stromesrauschen ...?

Doch es beherrscht das Titanengetriebe

Bebende Ahnung erlösender Liebe.