1806 – 1882
Jannuar Mond und Stern
O brächte doch ein Engel allen
Müden
So süßen Trost, so tiefe,
tiefe Ruh’,
Wie mir dein Blick, du
Heißgeliebte, du,
Für alle Nacht, für alle Noth
beschieden.
So weht Orangenblütenduft vom
Süden
Dem Schiffer auf der öden See
mir zu,
Ja, was ich immer denke, was
ich thu’,
Du bleibst mein Ziel, der
Seele Licht hienieden.
Siehst du den Mond am hohen
Himel schweben?
Von weitem folgt ihm nach ein
blasser Stern,
Ihn zu erreichen ist sein
einzig Streben.
Doch ein Gesetz des Himmels
hält ihn fern!
So silberhell, so leuchtend,
keusch und rein,
Bist
du, mein Mond! Laß deinen Stern mich sein.
Juni Mittsommer
Es wächst das Licht mit
siegenden Gewalten
In Lenz des Jahrs! kaum
zittert seine Welle
Im Westen noch, wird’s schon
im Osten helle,
Die tiefe Mitternacht glüht
lichtgespalten.
Daß sich die Pracht der Blüten
mag entfalten,
Die reiche Last der Früchte
üppig schwelle,
Belebt, durchglüht sein Strahl
die fernste Stelle
Und unaufhaltsam steigend
wirkt sein Walten.
So wächst der Strahl der
reinen, ew’gen Liebe
Im Herzen schaffend eine neue
Welt,
Und Schwingen wachsen mit dem
jungen Triebe.
Dem Geiste, den die Erde nicht
mehr hält;
Was gäb’ es noch, das kalt und
dunkel bliebe,
Die Sonne steigt, der düstre
Nebel fällt!
Juli Der Lorbeer
Auf Daphne ruht mit
Götterliebesglanze
Apollon’s Blick, doch sie
bleibt für ihn taub;
Er naht, sie flieht – er faßt
den schönen Raub,
Da wandelt sie ein Gott zur stummen
Pflanze.
Seitdem wählt Held und Dichter
sich zum Kranze
Von der Entsagung Baum das
dunkle Laub,
Nach Kampfes Mühen, nach der
Rennbahn Staub,
Schlingt Lorbeer sich um Leier
und um Lanze.
Tiefsinnig Bild, wie jedes
höchste Streben,
Die reinste Lieb’ auf Erden
unerfüllt,
Getrennt auf ewig Ideal und
Leben,
Des Herzens tiefste Sehnsucht
ungestillt!
Nur Jenseit – nur im lande der
Verklärung,
Im Reich des ew’gen Friedens
wohnt Gewährung!
September Schiller
Wie die Vestale keusch den
Himmelsfunken
Mit reiner Hand zu ew’ger Glut
genährt,
So hast du dich, ein Priester,
treu bewährt,
In deiner Göttin Altardienst
versunken.
Selbst arm und krank und
dennoch weihetrunken,
Hast du die Welt des Ew’gen
Werth gelehrt,
Vom Niedrigen auf immer
abgekehrt,
Von der Gemeinheit Sumpf, mit
Molch und Unken.
O kämst du jetzt, wie Moses
von den Höhen
Des Sinai, die Tafeln in der
Hand,
Drauf gottgeschriebene Gesetze
stehen,
Und sähst du wie in deinem
Vaterland
Die Geister vor dem goldnen
Kalb sich bücken,
Du schlügest Kalb und Tafeln
auch zu Stücken.