Julius Hübner                         1855

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Mond und Stern

 

O brächte doch ein Engel allen Müden

So süßen Trost, so tiefe, tiefe Ruh’,

Wie mir dein Blick, du Heißgeliebte, du,

Für alle Nacht, für alle Noth beschieden.

 

So weht Orangenblütenduft vom Süden

Dem Schiffer auf der öden See mir zu,

Ja, was ich immer denke, was ich thu’,

Du bleibst mein Ziel, der Seele Licht hienieden.

 

Siehst du den Mond am hohen Himel schweben?

Von weitem folgt ihm nach ein blasser Stern,

Ihn zu erreichen ist sein einzig Streben.

 

Doch ein Gesetz des Himmels hält ihn fern!

So silberhell, so leuchtend, keusch und rein,

Bist du, mein Mond! Laß deinen Stern mich sein.

 

 

 

Juni                                                        Mittsommer

 

Es wächst das Licht mit siegenden Gewalten

In Lenz des Jahrs! kaum zittert seine Welle

Im Westen noch, wird’s schon im Osten helle,

Die tiefe Mitternacht glüht lichtgespalten.

 

Daß sich die Pracht der Blüten mag entfalten,

Die reiche Last der Früchte üppig schwelle,

Belebt, durchglüht sein Strahl die fernste Stelle

Und unaufhaltsam steigend wirkt sein Walten.

 

So wächst der Strahl der reinen, ew’gen Liebe

Im Herzen schaffend eine neue Welt,

Und Schwingen wachsen mit dem jungen Triebe.

 

Dem Geiste, den die Erde nicht mehr hält;

Was gäb’ es noch, das kalt und dunkel bliebe,

Die Sonne steigt, der düstre Nebel fällt!

 

 

 

Juli                                                         Der Lorbeer

 

Auf Daphne ruht mit Götterliebesglanze

Apollon’s Blick, doch sie bleibt für ihn taub;

Er naht, sie flieht – er faßt den schönen Raub,

Da wandelt sie ein Gott zur stummen Pflanze.

 

Seitdem wählt Held und Dichter sich zum Kranze

Von der Entsagung Baum das dunkle Laub,

Nach Kampfes Mühen, nach der Rennbahn Staub,

Schlingt Lorbeer sich um Leier und um Lanze.

 

Tiefsinnig Bild, wie jedes höchste Streben,

Die reinste Lieb’ auf Erden unerfüllt,

Getrennt auf ewig Ideal und Leben,

 

Des Herzens tiefste Sehnsucht ungestillt!

Nur Jenseit – nur im lande der Verklärung,

Im Reich des ew’gen Friedens wohnt Gewährung!

 

 

 

September                                              Schiller

 

Wie die Vestale keusch den Himmelsfunken

Mit reiner Hand zu ew’ger Glut genährt,

So hast du dich, ein Priester, treu bewährt,

In deiner Göttin Altardienst versunken.

 

Selbst arm und krank und dennoch weihetrunken,

Hast du die Welt des Ew’gen Werth gelehrt,

Vom Niedrigen auf immer abgekehrt,

Von der Gemeinheit Sumpf, mit Molch und Unken.

 

O kämst du jetzt, wie Moses von den Höhen

Des Sinai, die Tafeln in der Hand,

Drauf gottgeschriebene Gesetze stehen,

 

 

Und sähst du wie in deinem Vaterland

Die Geister vor dem goldnen Kalb sich bücken,

Du schlügest Kalb und Tafeln auch zu Stücken.