Julius Hübner                         1858

1806 – 1882

 

Juni                                                        Nachfrühling

 

Es mußte enden, all’ das bunte Blüh’n,

Das ungestüme sich zum Lichte Drängen,

Das täglich frisch erneute Knospen.Sprengen;

Weithin ruht nun ein Meer von Hoffnungsgrün.

 

Herr! laß die Stürme still vorüberziehn,

Die Blitze rüh’n in dunkeln Wolkenhängen,

Laß unter jubelfrohen Luftgesängen

Sie Saaten reifen, Frücht’ in Zweigen glüh’n!

 

Dann bietet sich ein seliges Genügen

Ringsum den wonnetrunknen Blicken dar,

Gesegnet dampft nach ernstem Sä’n und Pflügen

 

Die Erde dir, ein ein’ger Dankaltar!

Stiftshütte, decken aller Himmel Zelt

Dein Allerheiligstes – die ganze Welt!

 

 

 

Juli                                                         Die heiße Quelle

Frei nach Shakespeare

 

I.

 

Schalk Amor hat sich unter Myrtenbäumen

Behaglich schlummernd sicher hingestreckt,

Die Fackel glimmt zur Seite halb versteckt,

Von neuen Siegen scheint er süß zu träumen.

 

Da naht sich Psyche still den dunklen Räumen,

Sie hat die Fackel kaum von fern entdeckt,

Als sie die Glut, die sie so oft geschmeckt,

Verlöschen will auf immer, ohne Säumen.

 

Sie taucht sie in den Quell! – Das Element,

Sonst feucht und kalt, zischt, dampft, als ob es brennt;

Die arme Psyche starr vor Schrecken findet

 

Die Fackel unverlöscht, den Quell entzündet!

„Ach!“ seufzt sie, eingedenk der eignen Schmerzen,

„Wenn Wasser selber brennt – was sollen Herzen?“

 

 

 

II.

 

Heiß wallt der Quell – und Amor’s Fackel zündet

So gut wie sonst, und Psyche fühlt es tief!

Was half es ihr, daß Amor scheinbar schlief,

Ach! seine Sicherheit war allzuwohl begründet.

 

Zwar bleibt ein Trost – daß mancher Heilung findet

Am heißen Quell, der vorher krumm und schief

Seit manchem Jahr nur an der Krücke lief,

Taub an den Ohren war, am Aug’ erblindet.

 

Gewiß, ich hüte mich damit zu scherzen,

Denn immer ist es eine Gottergunst,

Daß Amor’s Fackel, tödtlich für die Herzen,

 

Den Körper heilt in heißer Quelle Brunst.

Doch krankt das Herz, erlischt das Lebenslicht,

Und Herzen leider heilt die Quelle nicht!

 

 

 

November                                              Liebfrauenmilch

 

O! welch’ ein Wunder steigt zur Erde nieder!

Die runde Beere wird zum Brüstelein,

Zur milden Muttermilch der Feuerwein,

Und alte Zecher werden Kinder wieder!

 

Ein kindlich Lallen gilt für hohe Lieder,

Und, wie am Mutterbusen keusch und rein,

Wir Kindlein schlafen liebeselig ein,

Ein süß Vergessen löset sanft die Glieder.

 

Liebfrauenmilch! wer mag dich würdig preisen,

Du machst die starren Herzen liebeweich,

Dein Wundertrank schafft aus den Ueberweisen

 

Einfält’ge Kinder für das Himmelreich.

So kommt, ihr Freunde, trinkt euch selig jung

Und Gott gesegn’ euch solchen Kindertrunk!