Julius Hübner                         1860

1806 – 1882

 

Juli                                                         Madonna

 

Maria mit dem Kinde, reinste Blüte,

Tiefster Gedanke, den die Kunst erkannte,

An dem sie sich zu höchster Kraft ermannte

Wie sie ihn zu gestalten treu sich mühte.

 

Da sank ein Strahl der höchsten Vatergüte,

Die einst ihr Kind zur dunkeln Erde sandte,

Ins Menschenherz, das wonnevoll entbrannte,

In tausend Bildern wunderbar erglühte.

 

Sie steh’n auf der Vergangenheit Altare

Zu heil’ger Andacht immerdar erhöht!

Denn alle Zeiten gilt das Ewig wahre,

 

Ob auch der Geist stets neue Bahnen geht.

Soll er dem höchsten Ziele näher kommen,

Kann nur ein gläubig Vorwärtsgehen frommen.

 

 

 

September                                              Pulvis et umbra

 

Der Mensch ist nur ein Wort in Sand geschrieben,

Von eines einz’gen Sommertages Dauer,

Kaum färben sich des Abends Schatten grauer,

Muß ihn ein leichter Windhauch schon zerstieben.

 

Dahin ist er! Kaum noch die Spur geblieben!

Und Ehrgeiz machte uns das Leben sauer?

Wenn doch zu Asche, König oder Bauer,

Zu gleichem Staube jeder wird zerrieben?

 

O lerne Demuth, Hochmuth dieser Erde!

Du staubgeborne Kronenträgerschaft,

Ihr Adels-Ritter steigt vom hohen Pferde,

 

Du Reichthum, und du Mann der Geisteskraft,

Gewalt der Massen – reicht euch still die Hände –

der hohle Schädel – das ist Aller Ende!

 

 

 

November                                              Tizian an die Parmesaner

 

„Ihr Parmesaner! wie war’t ihr verblendet,

Daß ihr Allegri’s Hoheit so verkannt,

Der jetzt mit Stolz der Eure wird genannt,

Seit er den Heldenlauf einsam vollendet!

 

Doch ob sein Geist sich zürnend weggewendet

Von dir, du undankbares Volk und Land,

Ließ er euch sterbend noch ein Liebespfand,

Die Meisterwerke, derren Ruhm nie endet.

 

Und ich muß heute aus der Fremde kommen,

Um eure blöden Augen aufzuthun,

Nichts kann es mehr dem großen Todten frommen,

 

Er ist gegangen, selig auszuruhn!

Doch ihr bewahrt den Spruch euch selbst zur Schande,

Daß der Prophet nichts gilt im Vaterlande!“

 

 

 

Dezember                                              Kunstwerk der Zukunft

 

Geheimnißvoll des ew’gen Lebens Keimen

Ahnt’ ich in meines Lebens Lust und Leid,

Sinnbild des fernen Morgen ward das Heut,

Und Jenseit strahlte aus der Erde Träumen.

 

Und was ich so erlebte im Geheimen,

Bewegt vom eignen und dem Drang der Zeit,

Mit meiner Seel’ in Frieden und im Streit,

Das hab ich anvertraut den schlichten Reimen.

 

Nur Studien sind es, wie wir Maler sagen,

Zu einem schweren, ernsten Zukunftswerke,

Was ich zum letzten Ziele mir erwähle.

 

Ein Lebenlang im Herzen still getragen,

Vollendet nur durch Gottes Kraft und Stärke:

Das höchste Kunstwerk, meine eigne Seele!