1806 – 1882
Jannuar Abendgang
der Sternenhimmel funkelt
prächtig heiter,
Lang’ ist der letzte
Abendschein verklungen,
Da steigt mein Blick aus
Erdendämmerungen
Von Stern zu Stern hinauf die
Jakobsleiter.
Cassiopeia grüß’ ich; weit und
weiter,
Das Mutterhuhn vorbei mit
seinen Jungen,
Orion’s Gürtel leuchtend dort
geschlungen,
Hier Wagen Israel’s und seine
Streiter.
Auf schwebt mein Geist in
ungemess’ne Fernen,
Weit schwinden Erdenlust und
Erdensorgen
Und stumme Zwiesprach halt’
ich mit den Sternen.
Im heil’gen Osten tagt ein
ew’ger Morgen,
Herab aus Wolken träufelt
Götterstärke
Zum letzten Kampf, zum letzten
Tagewerke
Februar Psyche
Wie fühl ich deines Meißels
schwere Schläge,
Du ew’ger Bildner, in mir
schmerzlich tief!
Das Kunstwerk, das im
Marmorblocke schlief
Erwacht – zur Psyche wird der
Stoff, der träge.
Daß sie die goldnen Flügel
freudig rege,
Wozu dein Wort sie in das
Leben rief,
Und wenn die kurze Erdenfrist
verlief,
Zu dir zurück zum Himmel sich
bewege.
Zu dir zurück, zu deiner
Schöpferliebe,
Die innig am geliebten
Kunstwerk hängt
Mit eines Vaters ewig treuem
Triebe.
Das ist es, was uns ewig
vorwärts drängt:
Denn vor dir gilt, o Herr, was
wir auf Erden
Geschaffen, nichts –
alleinzig, „was wir werden!“
Im Westen schwimmt des Mondes
Silberkahn
Durch’s stille Meer der
Abendpurpurgluten,
Und Wölkchen folgen durch die
Rosenfluten,
Wie Wellen kräuselnd seiner
lichten Bahn.
Im Osten fangen schon die
Sterne an
Zu blinken durch der Bäume
dürre Ruthen,
Und bei des letzten
Abendroth’s Verbluten
Kommt Nacht, die Erde leise zu
umfah’n.
Aus tiefen Himmels
dunkelblauer Ferne,
Schwach von der Mondessichel
nur erhellt,
Tritt hell und heller nun das
Heer der Sterne.
Mein Auge hängt entzückt am
Himmelszelt,
O könnt’ ich ganz zum Lichte
mich erheben,
Ein sel’ger Geist mit euch,
ihr Sterne, schweben!
Ich sah dich steigen aus dem
Wolkenmeere,
Du holder Stern, in deiner
stillen Pracht,
Und sieh, mein Herz empfand
noch deine Macht,
Du Göttin längst versunkener
Altäre!
Du herrschest nun in jener
lichten Sphäre,
Wo, wie in holder Dichtung
Zaubernacht,
Auf ewig erster Liebe Frühling
lacht,
Unsterblich lebt, frei von der
Parze Scheere.
So weckt dein strahl noch in
dem Menschenherzen
Erinn’rung jener holden
Kinderzeit,
Als unter Jubelliedern, kühnen
Scherzen,
Ein göttliches Verehren dir
geweiht.
Es wuchs der Mensch, und statt
der niedern Triebe
Schaut er im Geist ein Reich
der ew’gen Liebe.
Jetzt steigt der Saft empor in
allen Bäumen,
Der Mensch, des Schöpfers
schönste Pflanze, auch
Empfängt im Lenz den neuen
Lebenshauch,
Beginnt von Liebesblüten süß
zu träumen.
Ein heilig Ahnen klingt aus
Himmelsräumen,
Die Erd’ umwallt ein warmer
Opferrauch,
Die Amsel ruft und Knospen treibt
der Strauch,
Es rauscht der Bach, befreit
die Wellen schäumen.
Und wieder wird zum Eden neu
die Erde,
Ein Lobgesang auf ihres Gottes
Macht
Der auf des Lenzes
Schöpferwort „es werde!“
Von Millionen Stimmen Ihm
gebracht!
Auch du mein Herz, stimm’ ein,
sei wieder jung
Und walle sanft in
Lenzbegeisterung.
März Die alte Eiche
Wenn wild den Wald durchrast
der Windsbraut Wehen,
Vor ihr die Morschen und die
Schwachen fallen,
Die Stolzesten sich beugen –
da von Allen
Bleibt nur die Eiche fest,
unbeugsam stehen.
Du neidest sie! Du möchtest so
dich sehen
Im Kampfe mit der
Leidenschaften Wallen,
Aus deiner Feinde
gifterfüllten Krallen
So felsenstolz und immer
siegreich gehen.
Kind! du vergißt, wie schwer
sie es erzwungen!
Wie in der kalten, langen Winternacht
Der Nordsturm mit dem jungen
Stamm gerungen
Und jedes Jahr erprobt der
Wurzeln Macht,
Bis ihm gewachsen war die
Kronenreiche!
Nur Kampf macht stark, dich
und die alte Eiche.
Mai Mein Herz
Wann wirst du endlich doch
vernünftig, Herz?
Wann werden deine Pulse ruhig
schlagen?
Wie lange hörst du die
Vernunft so fragen
Und deine Antwort?
Uebermüth’ger Scherz!
Ach, machte noch nicht weiser
dich der Schmerz,
Und kühlten deine Glut nicht
so viel Plagen?
Wann wirst du endlich einmal
reuig sagen:
Du willst dich bessern, willst
– du boses Herz!
Still pocht das Herz und die
Vernunft darf hoffen,
Zu zähmen noch das ungezogne
Kind,
Sie holt ein Buch und läßt die
Thüre offen –
Da kommt der Lenz, urplötzlich
wie der Wind,
Den Amor hat er unterwegs getroffen
–
Weg ist mein Herz mit beiden,
toll und blind!
Juli Oelbaum und Rebe
Dich, schlanke Rebe, hat mein
Stamm gehalten,
Als du den Jugendkräftigen
umschlungen,
Und wachsend fest und fester
ihn umrungen,
Seit mancher Blitz ihn bis
auf’s Mark gespalten.
Jetzt stützest du den Stamm,
den fast schon alten,
Wie du gestützt dich auf den
kräftig jungen,
Erstarkt in Lieb’ und treu ist
dir gelungen
Zu halten ihn trotz manchen
Sturms Gewalten.
Noch stehen wir, von Sproßen
reich umgeben,
In vollem Laub und reichem
Früchtekranze.
Doch durch die Wurzeln geht
ein leises Beben;
Die Sonne sinkt in mildem
Abendglanze,
Wenn sie erlischt – dann kommt
die Nacht gegangen,
Wir geh’n zur Ruh’, vom Arm
der Lieb’ umfangen!
September Hinauf
Hinweg, was heftest du an
meine Sohlen,
Elende Feigheit, immer wieder
dich?
Geist hohen Muthes, auf!
erhebe mich,
Ein Aar, im Aether ew’ge Kraft
zu holen.
Fach’ an zu lichter Glut die
todten Kohlen,
Daß aus des Scheiterhaufens
Asche sich
Mein Geist, ein Phönix, ewig
jugendlich,
Aufschwinge zu des Himmels
fernsten Polen.
Und weilt er dort entzückt im
göttlich Hohen,
Laß sie den Leib hier
peinigen, den todten,
Dem seine Seele selig schon
entflohen.
Sie steinigten die für das
Licht gestritten
Und tödteten des ew’gen Heiles
Boten –
O dreimal selig, wer wie sie
gelitten!
Oktober Conservativ
Die ihr nur immer Ruh’ und
Ordnung pflegt,
Bleibt mir vom Hals mit euren
faulen Phrasen,
Für Narren gut genug und für
Frau Basen –
Was hilft es, wenn ihr nicht
die Freiheit hegt!
Ja, eure Ordnung wird vom Wind
zerfegt,
Von leisem Hauche schon wie
Spreu zerblasen,
Wie hielt sie aus bei
Wettersturmes Rasen,
Wenn Freiheitsdrang urmächtig
Flügel schlägt?
Laßt krachend stürzen, was
sich nicht kann halten,
Zerschmettern, brechen, was
nicht ganz kann bleiben!
Ihr könnt sie doch verjüngen
nicht die alten,
Und neuen Saft in dürre Bäume
treiben;
Bald wird der Wald nur um so
frischer grünen
Und neues Leben sprießt aus
den Ruinen!