Julius Hübner                         1861

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Abendgang

 

der Sternenhimmel funkelt prächtig heiter,

Lang’ ist der letzte Abendschein verklungen,

Da steigt mein Blick aus Erdendämmerungen

Von Stern zu Stern hinauf die Jakobsleiter.

 

Cassiopeia grüß’ ich; weit und weiter,

Das Mutterhuhn vorbei mit seinen Jungen,

Orion’s Gürtel leuchtend dort geschlungen,

Hier Wagen Israel’s und seine Streiter.

 

Auf schwebt mein Geist in ungemess’ne Fernen,

Weit schwinden Erdenlust und Erdensorgen

Und stumme Zwiesprach halt’ ich mit den Sternen.

 

Im heil’gen Osten tagt ein ew’ger Morgen,

Herab aus Wolken träufelt Götterstärke

Zum letzten Kampf, zum letzten Tagewerke

 

 

 

Februar                                                  Psyche

 

Wie fühl ich deines Meißels schwere Schläge,

Du ew’ger Bildner, in mir schmerzlich tief!

Das Kunstwerk, das im Marmorblocke schlief

Erwacht – zur Psyche wird der Stoff, der träge.

 

Daß sie die goldnen Flügel freudig rege,

Wozu dein Wort sie in das Leben rief,

Und wenn die kurze Erdenfrist verlief,

Zu dir zurück zum Himmel sich bewege.

 

Zu dir zurück, zu deiner Schöpferliebe,

Die innig am geliebten Kunstwerk hängt

Mit eines Vaters ewig treuem Triebe.

 

Das ist es, was uns ewig vorwärts drängt:

Denn vor dir gilt, o Herr, was wir auf Erden

Geschaffen, nichts – alleinzig, „was wir werden!“

 

 

 

Hinauf

 

Im Westen schwimmt des Mondes Silberkahn

Durch’s stille Meer der Abendpurpurgluten,

Und Wölkchen folgen durch die Rosenfluten,

Wie Wellen kräuselnd seiner lichten Bahn.

 

Im Osten fangen schon die Sterne an

Zu blinken durch der Bäume dürre Ruthen,

Und bei des letzten Abendroth’s Verbluten

Kommt Nacht, die Erde leise zu umfah’n.

 

Aus tiefen Himmels dunkelblauer Ferne,

Schwach von der Mondessichel nur erhellt,

Tritt hell und heller nun das Heer der Sterne.

 

Mein Auge hängt entzückt am Himmelszelt,

O könnt’ ich ganz zum Lichte mich erheben,

Ein sel’ger Geist mit euch, ihr Sterne, schweben!

 

 

 

Venus Morgenstern

 

Ich sah dich steigen aus dem Wolkenmeere,

Du holder Stern, in deiner stillen Pracht,

Und sieh, mein Herz empfand noch deine Macht,

Du Göttin längst versunkener Altäre!

 

Du herrschest nun in jener lichten Sphäre,

Wo, wie in holder Dichtung Zaubernacht,

Auf ewig erster Liebe Frühling lacht,

Unsterblich lebt, frei von der Parze Scheere.

 

So weckt dein strahl noch in dem Menschenherzen

Erinn’rung jener holden Kinderzeit,

Als unter Jubelliedern, kühnen Scherzen,

 

Ein göttliches Verehren dir geweiht.

Es wuchs der Mensch, und statt der niedern Triebe

Schaut er im Geist ein Reich der ew’gen Liebe.

 

 

 

Vorlenz

 

Jetzt steigt der Saft empor in allen Bäumen,

Der Mensch, des Schöpfers schönste Pflanze, auch

Empfängt im Lenz den neuen Lebenshauch,

Beginnt von Liebesblüten süß zu träumen.

 

Ein heilig Ahnen klingt aus Himmelsräumen,

Die Erd’ umwallt ein warmer Opferrauch,

Die Amsel ruft und Knospen treibt der Strauch,

Es rauscht der Bach, befreit die Wellen schäumen.

 

Und wieder wird zum Eden neu die Erde,

Ein Lobgesang auf ihres Gottes Macht

Der auf des Lenzes Schöpferwort „es werde!“

 

Von Millionen Stimmen Ihm gebracht!

Auch du mein Herz, stimm’ ein, sei wieder jung

Und walle sanft in Lenzbegeisterung.

 

 

 

März                                                      Die alte Eiche

 

Wenn wild den Wald durchrast der Windsbraut Wehen,

Vor ihr die Morschen und die Schwachen fallen,

Die Stolzesten sich beugen – da von Allen

Bleibt nur die Eiche fest, unbeugsam stehen.

 

Du neidest sie! Du möchtest so dich sehen

Im Kampfe mit der Leidenschaften Wallen,

Aus deiner Feinde gifterfüllten Krallen

So felsenstolz und immer siegreich gehen.

 

Kind! du vergißt, wie schwer sie es erzwungen!

Wie in der kalten, langen Winternacht

Der Nordsturm mit dem jungen Stamm gerungen

 

Und jedes Jahr erprobt der Wurzeln Macht,

Bis ihm gewachsen war die Kronenreiche!

Nur Kampf macht stark, dich und die alte Eiche.

 

 

 

Mai                                                        Mein Herz

 

Wann wirst du endlich doch vernünftig, Herz?

Wann werden deine Pulse ruhig schlagen?

Wie lange hörst du die Vernunft so fragen

Und deine Antwort? Uebermüth’ger Scherz!

 

Ach, machte noch nicht weiser dich der Schmerz,

Und kühlten deine Glut nicht so viel Plagen?

Wann wirst du endlich einmal reuig sagen:

Du willst dich bessern, willst – du boses Herz!

 

Still pocht das Herz und die Vernunft darf hoffen,

Zu zähmen noch das ungezogne Kind,

Sie holt ein Buch und läßt die Thüre offen –

 

Da kommt der Lenz, urplötzlich wie der Wind,

Den Amor hat er unterwegs getroffen –

Weg ist mein Herz mit beiden, toll und blind!

 

 

 

Juli                                                         Oelbaum und Rebe

 

Dich, schlanke Rebe, hat mein Stamm gehalten,

Als du den Jugendkräftigen umschlungen,

Und wachsend fest und fester ihn umrungen,

Seit mancher Blitz ihn bis auf’s Mark gespalten.

 

Jetzt stützest du den Stamm, den fast schon alten,

Wie du gestützt dich auf den kräftig jungen,

Erstarkt in Lieb’ und treu ist dir gelungen

Zu halten ihn trotz manchen Sturms Gewalten.

 

Noch stehen wir, von Sproßen reich umgeben,

In vollem Laub und reichem Früchtekranze.

Doch durch die Wurzeln geht ein leises Beben;

 

Die Sonne sinkt in mildem Abendglanze,

Wenn sie erlischt – dann kommt die Nacht gegangen,

Wir geh’n zur Ruh’, vom Arm der Lieb’ umfangen!

 

 

 

September                                              Hinauf

 

Hinweg, was heftest du an meine Sohlen,

Elende Feigheit, immer wieder dich?

Geist hohen Muthes, auf! erhebe mich,

Ein Aar, im Aether ew’ge Kraft zu holen.

 

Fach’ an zu lichter Glut die todten Kohlen,

Daß aus des Scheiterhaufens Asche sich

Mein Geist, ein Phönix, ewig jugendlich,

Aufschwinge zu des Himmels fernsten Polen.

 

Und weilt er dort entzückt im göttlich Hohen,

Laß sie den Leib hier peinigen, den todten,

Dem seine Seele selig schon entflohen.

 

Sie steinigten die für das Licht gestritten

Und tödteten des ew’gen Heiles Boten –

O dreimal selig, wer wie sie gelitten!

 

 

 

Oktober                                                 Conservativ

 

Die ihr nur immer Ruh’ und Ordnung pflegt,

Bleibt mir vom Hals mit euren faulen Phrasen,

Für Narren gut genug und für Frau Basen –

Was hilft es, wenn ihr nicht die Freiheit hegt!

 

Ja, eure Ordnung wird vom Wind zerfegt,

Von leisem Hauche schon wie Spreu zerblasen,

Wie hielt sie aus bei Wettersturmes Rasen,

Wenn Freiheitsdrang urmächtig Flügel schlägt?

 

Laßt krachend stürzen, was sich nicht kann halten,

Zerschmettern, brechen, was nicht ganz kann bleiben!

Ihr könnt sie doch verjüngen nicht die alten,

 

Und neuen Saft in dürre Bäume treiben;

Bald wird der Wald nur um so frischer grünen

Und neues Leben sprießt aus den Ruinen!