1806 – 1882
Februar Uebergang
Der Westwind weht nun nicht
mehr rauh und kalt,
Und die mit uns erst
überwintert haben,
In Schaaren ziehn die Dohlen
und die Raben
Jetzt von der Stadt mit lautem
Schrei zum Wald.
Der Frühling zögert noch, doch
kommt er bald!
Am sonn’gen Hange süß
erduftend laben
Uns blaue Veilchen schon, am
Sumpf, im Graben
Grünt frisches Gras mit
üppiger Gewalt.
Am Haselstrauch die volle
Knospe strotzt,
Die Kätzchen schwanken
zierlich auf und nieder,
Sie Sonne steigt, der trübe
Nebel fällt.
Und der dem Winter dunkelgrün
getrotzt,
Der Tannenbaum treibt helle
Triebe wieder,
Und Herz’ und Blüten süße
Hoffnung schwellt.
März Lenzruf
„Wach auf mein Herz! Du armes,
schwergeplagtes!
Der lange Winterschlaf ist nun
beendet,
Der Lenz erwacht, das Blatt
hat sich gewendet!“
Ungläubig ach! noch immer
seufzt und klagt es.
„Ist es denn wahr?“ die Boten
alle fragt es,
Die Lerchen, die der Lenz
vorausgesendet,
Das erste Veilchen, das der
März gespendet –
Sie schmettern: Ja! das Veilchen
leise sagt es.
Ja! rauscht der Wald, und alle
Knospen schwellen,
Ja! murmelt’s heimlich in des
Baches Wellen,
Und siegend strahlt ihr Ja!
die goldne Sonne.
Der Himmel jauchzt, es jauchzt
die Erde: Ja!
Ja! juble Herz! O brich nur
nicht vor Wonne,
„Ja, er ist da: Der Lenz ist
wieder da!“
Viel Grüß’ und Küsse bringen
dir die Veilchen
Die ich, Geliebte, heut für
dich gepflückt,
Wenn dich ihr Duft, ihr
dunkles Blau entzückt,
Dann denke mein, ach! nur ein
kleines Weilchen!
Ja! hätt’ ich nur von ihrem
Glück ein Theilchen –
An deine süßen Lippen erst
gedrückt,
Wär’ ich der Strauß, der
deinen Busen schmückt –
Statt Druck und Kuß, o sende
mir ein Zeilchen!
Dein Briefchen will ich auf
dem Herzen tragen,
dann wird es nicht so ungestüm
mehr schlagen,
So heiß das Blut durch meine
Adern jagen.
Und küssen will ich deine
Liebesgabe,
Bis ich dich selbst in Armen
wieder habe
An deinem Kuß die kranke Seele
labe!
April Sulamith
Ihr Töchter Zion! leise kommt
und schaut,
In heil’gen Haines
tiefverschwieg’ner Nacht,
Von blühnden Rosenzweigen
überdacht,
Ruht Sulamith und schlummert,
meine Braut!
Wie süß der Schlaf auf ihre
Wimper thaut,
Ihr Antlitz hold in sel’gem
Frieden lacht,
Erweckt sie nicht bis daß sie
selbst erwacht,
O regt sie nicht, bis hell der
Morgen graut!
Komm, Südwind, weh’ durch
meinen Rosengarten,
Streu alle Wohlgerüche durch
die Luft,
Betäube mich mit ihrem heißen
Duft!
Laß mich geduldig und
bescheiden warten,
Daß ich erliege nicht der
Liebe Macht,
Sie nicht erwecke, eh’ sie
selbst erwacht!
Mai Mein und Dein
Hätt’ alles Gold ich aus der
Erde Kern
Der Pracht der Edelsteine
zugesellt,
Wär’ ich ein König und ein
hoher Held
Deß Ruhm den Erdkreis füllte
nah und fern –
Ja, hätt’ ich aller Ehr’ und
Orden Stern
Zu allem Glanz und allem Glück
der Welt,
Und leuchtete mein Nam’ am
Sternenzelt –
Dir legt’ ich alles nur zu
Füßen gern!
Hinweg mit euch ihr eitlen
Träumerei’n!
Wär’ ohne dich nicht Alles
hohler Schein?
Nenn ich in dir nicht Alles,
Alles mein?
Was brauch’ ich mächtig,
reich, berühmt zu sein,
Schließ’ dich fest in meine
Arme ein,
Ist Alles mein, ist Alles,
Alles dein!
Wie oft vergebens blick’ ich
nach der Stätte
Wo noch vor Tagen hold dein
Haupt geruht,
Noch grünt der Rasen, wölbt die
Kirschenblut’
Den Baldachin zu unserm
Himmelbette.
O daß sich nichts seitdem
geändert hätte! –
Du gingst! und meiner Thränen
bittre Flut
Löscht nicht des Herzens immer
wildre Glut,
Seit fern von dir mich hält
des Schicksals Kette!
So zähl’ ich nun die
schleichenden Sekunden,
Und Jahre werden mir die
trägen Stunden
Bis ich, Geliebte, wieder dich
gefunden!
Ach, nimmer werd’ ich eher
doch gesunden,
Bis ich dich halte, Arm in Arm
umwunden
Und Kuß um Kuß und
Götternektar munden!
Juni Pfingsten
O steige nieder, Geist, aus
höchsten Sphären!
Zerrissen glüh’n die dunklen
Wolkenballen,
Geheimnisvoll erhabne Donner
hallen
Und Segenstropfen rauschen
schon, die schweren.
Tief beugt sich dir das reiche
Feld in Aehren
Wie alles Volks anbetend
Niederfallen;
Bewegt von wunderbarem
Wogenwallen,
Gesegnet schwellen fruchtbar
nun die leeren.
O sieh auch uns in Demuth vor
dir knieen,
Belebe, heil’ger Geist, das
schwache Streben,
Verkläre du des Daseins Lust
und Schmerzen!
Ja laß auch uns nicht leer von
dannen ziehen,
Gieb Inhalt unserm
unverstandnen Leben,
Zieh ein, du Schöpferhauch, in
alle Herzen!
Juli Mittsommer
Die Sonne brütet ob der heißen
Erde
Und durstig saugt die Scholle
zeugend Licht,
Bis schwellend jeder Keim zu
Tage bricht,
Daß Blüt’ und Frucht ein Kind
des Lichtes werde.
So wird das All zum
Vestatempelherde,
Dem es an heil’ger Flamme nie
gebricht;
Die Nacht entflieht, verhüllt
ihr Angesicht,
Nach schnauben ihr Gott Phöbus
Sonnenpferde.
Nun regen sich die göttlichen
Gewalten,
Die ew’ge Macht, die alles
Leben schafft,
Es reist die That aus
keimenden Gedanken.
Dem Jüngling nah’n der Liebe
Huldgestalten,
Der Mann genießt das Sein in
voller Kraft,
Der Greis schaut jenseits über
Erdenschranken.
Nebukadnezar auf dem Throne
saß,
Gehüllt in feines
Purpurmantels Falten;
Anbetend vor ihm knie’n des
Reichs Gewalten,
Denn selber Gott zu sein er
sich vermaß.
Doch, weil er seiner
Schwachheit so vergaß,
Sich für den ewgen Herrn der
Welt zu halten,
Muß Wahnsinn ihm den
Götterschädel spalten,
Daß schnödes Gras er wie ein
Ochse fraß.
Und als er sieben Jahre Gras
gefressen,
Auf Vieren nur, der große
Gott! gegangen,
War er geheilt, sein Wahnsinn
rein vergessen.
Ach! könnten wir die Eitelkeit
kurieren
Noch heut mit Heu – man fragte
wohl mit Bangen:
„Wird so viel gras die Erd’
auch producieren?“
Es thront der Herr auf seinem
Regenbogen
Hoch über einem Knäuel üpp’ger
Weiber
Und Männer, deren
lustdurchglühte Leiber
Von Teufeln halb zur Hölle
schon gezogen.
Zu Hülfe kommt der Engel
Schaar geflogen,
Sie stürzen kämpfend auf die
Höllenräuber,
Die durch die Macht der
himmlischen Vertreiber
Um ihre Beute schließlich noch
betrogen.
Die Heil’gen seh’n erstaunt
das wüste Treiben,
Maria hat sich bittend
fürgewandt,
Sei allen denn, dem Maler
auch, vergeben!
Daß er den Uebergang zum
ew’gen Leben
Des „Fleisches Auferstehung“
zwar genannt
Doch „Fleisch“ statt
„Auferstehung“ nur gegeben!
Lieg’ ich zu Nacht oft schon
in tiefen Träumen
Auf meinem Lager ruhig
ausgestreckt,
Werd ich wohl plötzlich von
dem Gott erweckt,
Der flüstert mir ins Ohr in
holden Reimen.
Und wunderbar fühl ich
Gedanken keimen,
Die in der seele irgendwo
versteckt,
In ihren tiefsten Tiefen
unentdeckt,
Noch ungeboren lebten im
Geheimen.
Dann überströmt es mich mit
solcher Fülle,
Daß wohl der schwache, müde
Menschenleib
Sich schmerzlich sehnt nach
Ruhe nur und Stille.
Die Seele flieht wie Daphne
vor Apoll,
Mit Götterkraft faßt er das
zarte Weib,
Bis lorbeersprießend sie der
Hand entquoll.
Schreibt mir nur nicht mehr
„Euer Wohlgeboren!“
Ich hasse diesen
ungeschlachten Gruß,
Dies Titel-Mondkalb ohne Hand
und Fuß
Und ohne Nase, Augen oder
Ohren!
Wie lange bleibst du noch,
mein Volk, verloren
In solchem schwülstig plumpen
Redefluß,
Du, würdigstes durch aller
Grazien Kuß,
So gegen deinen eignen Wert
verschworen?
„Mein Herr“ zu schreiben, mag
dein Stolz sich schämen,
Nicht kriechen sollst du, noch
dich überheben,
Das Seine Jedem, sei dein ehrlich
Streben.
So magst den Britten du zum
Muster nehmen,
„Herr,“ „werther Herr“ zu
sagen, dich bequemen,
Muß jeder doch den „Herrn“ dir
wiedergeben!
August Drusus
Als Drusus mit verweg’ner
Römerschaar
Die deutsche Elbe trotzig
überschritten,
Tritt ihm aus unentweihten
Urwalds Mitten
Ein Weib entgegen, riesig,
wunderbar.
Gespenstig Grausen sträubt des
Römers Haar,
Der dreißig Schlachten
siegreich durchgestritten,
Er fühlt sein Herz wie mitten
durchgeschnitten,
Vor solchem Weib sich aller
Mannheit baar.
Sie hebt den Arm und reckt die
mächt’gen Glieder:
„Hinweg, du Römer, aus
Thuiskon’s Hain,
Zurück, dein Rom siehst du
nicht lebend wieder!“
Ihr Fluch erstarrt das
Römerheer zu Stein,
Dann hat es sich zu wilder
Flucht gewendet;
Zehn Tage noch – und Drusus
hat geendet.
September Herbst
Dahin ist längst des Waldes
dunkel Grün,
Durch kahle Wipfel glühn die
Sterne schon
Und über mir hör’ ich, mit
heiserem Ton
Die Kraniche zum fernen Süden
zieh’n.
Rasch, wie die letzen schönen Tage
fliehn,
Ist meines Lebens Sommer auch
entflohn,
Mit weißem Haar steigt Winter
auf den Thron
Und Frost und lange Nacht
begleiten ihn.
Bald wie das Jahr geht meine
Zeit zu Ende,
Kahl steht und dürr, erstarrt
der Lebensbaum,
Bis er versetzt in einen andern
Garten.
Zum Himmel hebt er seiner
Zweige Hände,
Stumm und geduldig, in des
Winters Traum,
Auf neuen Lenz und neuen Trieb
zu warten.
Oktober Aspromonte
Weh’ Aspromonte! Weh dir,
Berg, du rauher!
Wo eines größten Helden Lauf
geendet,
Weil Höllenundank gegen ihn
sich wendet,
Unselig Denkmal endlos tiefer
Trauer!
Ein Schatten decke dich, ein
ewig grauer,
Seit hier, von eines Teufels
List geblendet,
Ein Sieger seinen eignen Ruhm
geschändet,
So hell erglänzend, doch so
kurz von Dauer.
Italien! du hast dein Haupt
verloren,
Ach mehr noch, du verlorst
dein eigen Herz!
Und Einheit, Freiheit, beide
kaum geboren.
Ja! heule nur und brülle laut
vor Schmerz,
Den Einzigen, der dich
erretten konnte,
Du schlugst ihn selber hier
bei Aspromonte!
So willst du doch noch auf den
Markt dich wagen?
Was du in deinen schönsten
Musestunden
Im tiefsten Herzen selig still
empfunden,
Denkst du der lauten Menge
vorzutragen?
Ihr Lieben, soll ich an die
Brust mich schlagen,
Demüthig thun daß ich mich
unterwunden,
Nicht weiß, wie ich den Muth
dazu gefunden –
Et cetera verbindlich artig
sagen?
Nein, meine Verse betteln
nicht um Gunst!
Wie Kinder harmlos vor den
Thüren singen
Und unsre Herzen nicht durch
hohe Kunst,
Durch ihre Einfalt rühren und
bezwingen,
So mag auch meiner Lieder Leid
und Lust
Ein Echo wecken in verwandter
Brust!
Als mit der Sonne du den Bund
geschlossen,
Das treue Spiegelbild der Welt
zu finden,
Der schlichten Wahrheit Reich
neu zu begründen,
Da hast den Pfeil ins Schwarze
du geschossen.
Daß auf des Blitzstrahls
eignen Flügelrossen,
Soweit die Erde leichte Dräth’
umwinden,
Sich Nah und Fern dämonisch
nun verbinden,
Ist ein Triumph, den du allein
genossen.
Den Stoff hast durch den Geist
du überwunden,
Wie kein Jahrhundert jemals
mehr gethan,
Und hättest du sonst nichts
entdeckt, erfunden.
Stolz sprech’ ich’s aus, ja
dir gehör’ ich an,
Du von der fernen Nachwelt
einst bewundert,
Erst ganz erkannt, mein
neunzehntes Jahrhundert.
Es klingt ein wunderbar
uraltes Wort,
Wie Gottesodem, sel’ger
Geister Sang,
„Freiheit,“ erfrischend
wonnevoller Klang,
Wie Sonnenaufgang durch die
Zeiten fort.
O du, der Menschheit
allerhöchster Hort,
Geh’ auf in deines Lichtes
Heldengang,
Dir wallt entgegen unser
Herzensdrang,
Wie Blumen schauen nach der
Sonne dort!
du Gott der Freiheit, du
regierst ja noch,
Brachst der Aegypter und der
Römer Joch
Und gabst uns deiner Freiheit
neuen Bund.
Dein Tempel ruht auf freier
Liebe Grund
Und seiner Pforte goldne
Inschrift heißt:
„Nur da wo Freiheit, da ist
Gottes Geist!“
Dezember Leidenblüthe
Auf meiner Seele tiefstem
Herzensleide
Gründ’ ich den
unvergänglichsten der Throne,
Und Scepter wird in meiner
Hand, zum Lohne,
Der Pfeil, ins Herz geschossen
mir vom Neide.
Vergossen Herzblut mein
Rubingeschmeide,
Auf meinem Haupt der Schmerzen
Dornenkrone;
Geflossen alle unter bitterm
Hohne,
Die Thränen, leuchten Perlen
mir im Kleide.
Was mich erniedern sollte, muß
erheben,
Was schwächen, muß mir neue
Kräfte geben,
Und was vernichten, schafft
mir ewig Leben!
O wunderbarer Rathschluß
höchster Güte!
Am bittern Dorn erglänzt die
reinste Blüthe,
Der Demuth Passiflora im
Gemüthe!
Sei mir gsegnet, stiller
Friedenshafen,
Mit deiner milden, weichen
Jenseitslust,
In deiner Blumen träumerischem
Duft,
Gesegnet alle Müden, die hier
schlafen!
Zur ew’gen Liebe, nicht zu
ew’gen Strafen,
Geheimnißvoller Eingang,
dunkle Gruft!
Ersehntes Ziel, wo uns ein
Engel ruft,
Zu ew’ger Freiheit, dieses
Lebens Sklaven.
Ach! unter all den tausend
Hügeln Einen
Such’ ich, den einzigen, bald
auch den meinen,
Den stillen Hügel, drin
Verlornes ruht.
So müde von des Lebens Ebb’
und Flut,
Hier will ich ruhn, wenn Gott
uns will vereinen,
Wie ruht sich’s hier, bei dir,
mein Kind, so gut!